von mia.winchester
Fabian lachte und Ted und Andromeda küssten sich. Sie küssten sich knapp und als wären sie längst daran gewöhnt, einander so nah zu sein, aber beide erzitterten jedes Mal unter der Heftigkeit ihrer Gefühle und der Tatsache, dass all dies wirklich geschah, wenn ihre Lippen aufeinander trafen. Andromeda schob sich schüchtern das lange, dunkle Haare hinter die Ohren und lächelte Ted an, mit einem Lächeln, das sie ihm noch Jahre später schenken würde. Er beugte sich abermals zu ihr hinab, dieses Mal, um sie auf die Stirn zu küssen.
„Oh Mann. Wenn ich mal ein Mädchen finde, das mich so anguckt.“, witzelte Fabian. „Wieso zur Hölle ist Emerson Gilligan nicht im Slug-Club?“
„In erster Linie, weil sie eine Dummtorte ist.“, scherzte Andromeda. Sie fühlte sich so unglaublich befreit, als hätten Herz und Lunge jahrelang in edlen Ketten, mit dem Familienwappen der Blacks versiegelt, gelegen und könnten nun zum ersten Mal richtig schlagen und atmen. Wenn sie jetzt lachte, dann fühlte es sich echt an. Sie war früher ohne Frage glücklich gewesen, als Schwester, als kleines Mädchen wohlbehütet im fürnehmen und gar alten Haus der Blacks, aber diese Art von Glück, die sie nun erfuhr, da sie auf ihr befreites Herz hörte, war eine völlig andere und vielleicht sogar viel schönere.
„Das zählt doch nicht.“, sagte Fabian. „Sie sieht brilliant aus.“
„Und du bist ein Idiot.“, lachte Ted.
„Aber was für einer.“, lachte Andromeda.
„Hey.“, sagte plötzlich eine leise, aber fest entschlossene Mädchenstimme. Andromeda sah neben sich und blickte in die Augen ihrer kleinen Schwester. Narzissa. Über den Streit mit Bellatrix und all ihr Glück mit Ted hatte sie Narzissa zwar nicht vergessen, schlichtweg aber in den Konsequenzen ihrer Entscheidung gegen die Familie und für ein freies Leben nicht bedacht. Plötzlich erschauderte sie. Ted spürte, dass sie angespannt war und legte die Hand auf ihre Schulter.
„Zissy.“, brachte sie hervor.
„Wie ich sehe hast du dich doch dafür entschieden.“, sagte Narzissa mit einer ungewohnten Kälte in der Stimme. Andromeda wusste nicht, ob sie hier bloß davon sprach, dass sie nun doch auf dem Ball war, oder auch davon, dass sie mit Ted hier war.
„Ja.“, sagte Andromeda schließlich. „Ja, und das ist auch gut so.“
„Wie du meinst.“, zischte Narzissa. Und auch wenn sie sonst kaum an Bellatrix erinnerte, glommen ihre Augen für einen Augenblick ähnlich dunkel. „Deine Sache.“
Die gespielte Ernsthaftigkeit und der kalte Unterton passten nicht zu dem kleinen Mädchen. Andromedas Magen meldete sich wieder, sie fühlte sich mit einem Mal ganz unwohl hier und zweifelte an, dass es gut gewesen war, hierher zu kommen und der ganzen Welt zu zeigen, dass sie sich gegen all das entschied, was einst ihr Leben ausgemacht hatte.
Aber sie würde nicht länger schwach sein, das hatte sie sich geschworen, und sie würde zu ihren Worten und ihren Entscheidungen stehen. Und zu den Jungs, die sie küsste, und sie wollte, dass dies bis ans Ende ihrer Tage nur noch Ted war.
„Ja, da hast du Recht. Das ist meine Sache.“, sagte sie, zwar viel zu sanft, aber dennoch bestimmend. Narzissa hob die hellen Brauen.
„Du machst einen Fehler.“, flüsterte Narzissa. Ted tat so, als hätte er das nicht gehört, doch seine Hand schloss sich augenblicklich fester um Andromedas Schulterknochen.
„Zissy, hör zu.“, sagte Andromeda. „Versuch doch wenigstens ein bisschen, mich zu verstehen.“
Narzissas Augen wurden weich und füllten sich mit Tränen. Sofort keimten altbekannte, zärtliche Gefühle in Andromeda auf und sie beugte sich hinab, um ihrer Schwester über die Wange zu streicheln.
Doch Narzissa schlug Andromedas Hand weg.
„Tut mir Leid.“, sagte sie mit tränenerstickter Kinderstimme. „Ich kann dich nicht länger verstehen.“
Und dann drehte sie sich um und ging. So leichtfüßig und leise, dass sie nicht einmal eine Spur im Nebel hinterließ.
Andromeda fühlte ihr Herz rasen. Ihr war eiskalt. Wenn sie nicht sofort von hier verschwand, würde sie in Ohnmacht fallen, das wusste sie.
Sie wand sich aus Teds Griff und lief Richtung Ausgang, doch Ted hielt sie zurück.
„Dromeda, bitte.“, sagte er. „Komm her.“
Er zog sie an sich und sie ließ zu, dass er sie umarmte, doch schließlich stieß sie ihn wieder von sich und stürmte aus dem Kerker.
„Na prima.“, sagte Fabian.
„Meinst du, ich soll hinterher?“, fragte Ted.
„Frag mich das nicht. Ich habe keine Ahnung von Beziehungen.“, entgegnete Fabian trocken. „Frag doch Gideon. Guck dir an, wie er Alptraum-Sian übers Parkett wirbelt.“
„Fabian, tu mir einen Gefallen und sei für einen Abend mal kein Idiot.“, schimpfte Ted.
„Tut mir ja Leid.“, maulte Fabian und hob die Arme. „Also wenn ich du wäre, würde ich glaube ich hinterhergehen.“
„Aber wenn sie nun ihre Ruhe will. Sonst hätte sie mich doch nicht weggestoßen.“, sagte Ted. „Ich will es ihr doch nur Recht machen.“
„Frauen kannst du es nicht Recht machen.“, sagte Fabian und leerte seinen Kelch. „Nie.“
Ted biss sich unsicher auf die Lippen.
„Na los!“, brüllte Fabian schließlich. „Hinterher!“
Andromeda erkannte kaum, wo sie hinstolperte. Die Tränen nahmen ihr die Sicht und außerdem war es längst dunkel draußen geworden. Sie stützte sich an der kalten Außenmauer des Schlosses. Ihr Kleid verfing sich in einem Dornenbusch, sie hörte den dünnen Stoff reißen und fluchte.
„Auch das noch.“, zischte sie. Sie befreite sich aus den spitzen Ranken und lief weiter, immer weiter, bis sie schließlich an den schwarzen See kam.
Hier wollte sie sitzen, wie so oft in letzter Zeit, hier wollte sie alleine sein. Auch, wenn ihr Herz danach schrie, zurückzukehren, Ted in die Arme zu fallen und das zu genießen, was sie endlich hatte, so zwang sie sich und alle Stimmen in ihr nun zu vollkommener Stille und legte sich schließlich an das Ufer.
Es war eine lauwarme Nacht und das Wasser war regungslos. Der Vollmond spiegelte sich darin, es sah aus, als läge am Grund des Sees eine herrliche, große Kristallkugel.
Schließlich ebbten Andromedas Tränen ab und sie konnte wieder klar sehen und denken. Sie wollte sich gerade umdrehen und doch zum Schloss zurückkehren, als sie eine Gestalt ganz in ihrer Nähe sah, die sie erst für eine Spiegelung ihrer selbst im Wasser hielt, dann aber als Bellatrix erkannte. Da also war sie. Am Rande des Verbotenen Waldes, schon bereit für das Treffen, was in kurzer Zeit darin stattfinden würde. Die treueste Todesserin aller Zeiten. Andromeda wurde schlecht.
Sie wollte so tun, als ob sie Bellatrix nicht gesehen hatte, doch schließlich rief diese nach ihr. Andromeda ging trotzdem weiter, doch egal wie schnell sie bald lief, Bellatrix' Stimme kam immer näher und schließlich gruben sich spitze Nägel in ihr nacktes Rückenfleisch und sie wurde zu Boden gedrückt.
Andromeda drehte sich unter dem Körper, der auf ihr lag, und blickte Bellatrix in die Augen. In ihnen spiegelte sich Andromedas eigenes Gesicht. Es war dem von Bellatrix so ähnlich.
Sie fürchtete sich vor ihr, sie wollte, dass sie verschwand, sie in Ruhe ließ. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, weswegen sie nun doch mit ihr reden, oder was auch immer mit ihr anstellen wollte.
Bellatrix bewegte sich kein Stück. Sie lag auf Andromeda, nur der dünne Stoff ihrer beider Gewänder trennte die gleich blasse Haut der Schwestern voneinander. Andromeda konnte sich nicht daran erinnern, dass sie Bellatrix je so nah gewesen war. Nicht einmal früher. Es war beinahe albern, dass all dies nun geschah, da sie sich damit abgefunden hatte, in ihr nicht länger eine Schwester zu haben.
Einen ewig zu währen scheinenden Augenblick lagen sie einfach stumm da. Bellatrix sah Andromeda in die Augen und diese schnappte noch immer nach Luft. Dann sagte Bellatrix:
„Ich liebe dich, Andromeda. Lass mich nicht im Stich. Ich liebe dich.“
Andromeda fühlte sich, als hätte ihr jemand vor den Kopf geschlagen.
„Ich liebe dich.“, sagte Bellatrix wieder und aus ihrem Mund tropfte Blut auf Andromedas Wange. Bellatrix beugte sich zu Andromeda hinab und küsste sie.
Auf den Mund. Wie sie es noch nie zuvor getan hatte. Ganz sanft und lieb, aber gleichzeitig kalt und distanziert. Andromeda traute sich nicht, zu atmen. Sie hatte Angst.
„Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.“
Immer und immer wieder sagte Bellatrix diese drei Worte, immer ein wenig anders betont, als versuche sie, herauszufinden, wie sie am Besten klangen. Sie spielte mit den Worten, sie spie sie Andromeda ins Gesicht wie das Blut aus ihrem Rachen, das vom vielen Schreien und Weinen kam, aber nicht ein einziges Mal meinte sie sie auch so. Sie log, und sie spürte das, und sie wünschte sich, dass sie nicht gewusst hätte, dass es so war. Doch sie log immer und immer wieder und natürlich durchschaute Andromeda sie. Und als Andromeda es schaffte, Bellatrix von sich zu schieben und nun stattdessen sie auf ihr lag und zu ihr hinab sah, da fragte sich Bellatrix, warum sie sich überhaupt die Mühe machte, Andromeda ein letztes Mal beschwören zu wollten, weil sowieso alles verloren war und am meisten sie selbst.
„Nein.“, sagte Andromeda plötzlich ganz stark und ihr Gesicht leuchtete silbern im Mondlicht. „Du liebst mich nicht. Nicht mich und auch niemanden sonst. Früher hätte ich gesagt, dass der einzige Mensch, den du wirklich liebst, du selbst bist, aber da bin ich mir nicht mehr sicher. Denn du hast dich und deine Seele verkauft, oder schlichtweg verloren. Und wenn man sich selbst liebt, dann wird man nicht so, wie du es bist.“
Dann stand Andromeda auf und ließ Bellatrix liegen. Es war bei weitem der seltsamste Moment, den die beiden Black-Mädchen je miteinander geteilt hatten. Bellatrix verdrängte die Erinnerung daran später, denn es war ihr peinlich. Andromeda dachte noch oft genug daran. Dass sie ihn das erste Mal wieder vor Augen sah, nachdem er wirklich geschehen war, lag nur wenige Stunden voraus.
Aber als sie von Bellatrix wegging und die letzten Tränen trocknete, um dass sie erhobenen Hauptes und als wäre nichts geschehen, auf den Ball zurückkehren konnte wünschte sie sich, dass auch sie vergessen und verdrängen könnte, wie krankhaft verzweifelt ihre einst so starke, stolze große Schwester diese drei Worte zu sagen und zu meinen versucht und in Wirklichkeit getötet hatte.
Fernab von der Fremdheit der Nacht wirbelten Sian und Gideon noch immer über die Tanzfläche. Alle anderen Paare hatten schon aufgegeben, die Gesichter, die zu der Melodie an Sian vorbeirauschten, waren längst Andere geworden, aber Sian tanzte und tanzte und wollte nie mehr aufhören. Gideon hatte sichtlich Spaß.
Er lächelte und lachte und Sian stimmte mit ein und beide vergaßen vollkommen, dass es irgendetwas anderes gab als Musik und Tanz und das Gesicht des jeweils anderen, das vor Anstrengung und Freude rosa glühend auf und ab sank.
„Das macht so Spaß!“, rief Sian schließlich.
„Und wie!“, sagte Gideon.
Sie wirbelten herum, doch plötzlich wurde die Musik langsamer. Der Zauber war gebrochen. Sian spürte, wie etwas in ihr zerbrach.
„Möchtest du dich setzen?“, fragte Gideon. Sian nickte.
„Schade.“, sagte sie, nachdem er sie zu einer weich ausgelegten Sitzbank in einer Wölbung der Wand geführt hatte. Als sie Platz genommen hatte, setzte sich auch Gideon neben sie.
„Du bist so höflich.“, bemerkte Sian. „Schon den ganzen Abend über.“
„Das habe ich so gelernt.“, erklärte Gideon. „Bei uns sind alle so. Nicht der Rede wert.“
„Oh doch.“, meinte Sian. „Das muss gelobt werden.“ Sie lächelte unsicher. Wehmütig dachte sie daran zurück, wie leicht alles noch vor wenigen Sekunden gewesen war. Jetzt saß sie hier, vollkommen beklemmt so dicht an einem Jungen, der ihr mit seiner ganzen Art den Atem raubte, und dachte wieder an all die Dinge, die in dieser Nacht noch geschehen würden. Und langsam bekam sie Angst. Unsicher schaute sie auf ihre Hände, die sich in den Stoff ihres Kleides gegraben hatten.
„Du bist nervös.“, bemerkte Gideon. „Wieso?“
„Ich bin nicht nervös.“, log Sian. „Es ist nur wieder... Na ja, ich habe es dir schon gesagt.“
Gideon lachte. „Ach so. Gut. Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen.“
Sian schüttelte mit dem Kopf. „Nein.“
„Sian?“, fragte Gideon schließlich. „Du weißt, ich bin ein Gentleman.“
„Ja.“, sagte Sian. „Das habe ich den ganzen Abend über bemerkt. Wie gesagt.“
Sie schaute zu Gideon, der sie die ganze Zeit über ansah. Da lag etwas Fragendes in seinen gold schimmernden Augen.
„Deswegen möchte ich sichergehen, dass es in Ordnung ist, wenn ich es tue.“, fuhr er fort.
„Wenn du was tust?“ Sian packte die Aufregung. Was redete er da?
„Kann ich mir sicher sein, dass du nicht in Ohnmacht fällst, wenn ich dich jetzt küsse?“ Gideon grinste. Seine Selbstsicherheit, diese angenehme Kühnheit und die Höflichkeit zusammen machten aus ihm die Art von Junge, die sich wohl jedes Mädchen auf der Welt insgeheim zu küssen wünscht. Sian jedoch sagte: „Dafür kann ich leider keine Garantie geben.“
Sie zitterte. Gideon lachte wieder. Wie ein Löwe. „Das Risiko muss ich eingehen.“
Und dann küsste er sie. Er küsste sie ganz vorsichtig und zart. Sian konnte es kaum fassen, es war wunderschön. Dass ihr all dieses Glück vergönnt war, erschien ihr noch immer wie ein Traum. Aber jetzt war sie sich ganz sicher, dass dies kein Traum war. Gideons Lippen waren warm und weich und er küsste sie so lieb, dass sie keinen Gedanken daran verschwendete, ob sie denn gut zurückküsste, oder ob sie jemand beobachtete oder, oder, oder. Sian dachte nur an Gideon und daran, wie schön es sich anfühlte, ihn so zu spüren. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Sian geküsst wurde. Das erste und letzte Mal.
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