von mia.winchester
„Hast du das gesehen?“, hatte Ted den Wildhüter gefragt.
„Was?“, hatte der grobe Mann geantwortet.
„Das Licht, über dem Wald.“, hatte Ted erklärt.
„Da war doch nichts.“, hatte Andromeda mit merkwürdig beklommener Stimme geantwortet. „Wer sollte jetzt schon im Wald sein. Ich bitte dich, Ted.“
„Nein, ich bin mir ganz sicher. Ich werde nachsehen.“, hatte Ted beschlossen und war vom großen Tisch in der Mitte der Hütte aufgestanden.
„Halt, halt!“, hatte Hagrid gesagt. „Bestimmt gehst du nicht alleine in den Wald. Um diese Uhrzeit. Und sowieso. 'n Schaden hast du!“
„Aber da waren rote Funken! Vielleicht braucht jemand Hilfe!“ Ted hatte verzweifelt auf den Tisch gehauen und schließlich hatte Hagrid seine Armbrust genommen und sich bereit erklärt, selbst nachzusehen, was im Wald vor sich ging.
Andromeda hatte verzweifelt versucht, ihn aufzuhalten, was keiner so richtig verstanden hatte, obwohl Ted schon ahnte, was ihre Gründe dafür waren. Doch er hatte geschwiegen, denn Hagrid hatte sich längst auf den Weg gemacht.
Hagrid kämpfte sich durch das Dickicht. Er hatte keine Angst. Den Verbotenen Wald kannte er inzwischen wie seine Westentasche. Aber je näher der Lichtung kam, auf welcher in letzter Zeit häufig Fußspuren gesehen hatte, umso unwohler wurde ihm zumute. Er bekam ein Gefühl, als drohe ihm Gefahr.
Er beschleunigte seinen Schritt und erkannte tatsächlich die schmenenhaften Umrisse zweier Gestalten in der Nacht, oder vielleicht sogar drei. Er ging noch schneller, doch dann nahm ihm ein grüner Blitz die Sicht und ehe er wieder ganz bei Sinnen war, knallte es und die Schatten waren von der Lichtung verschwunden. Nun rannte Hagrid.
Völlig außer Atem entdeckte er auf der Lichtung dann, was ihm vollkommen die Luft nahm. Am Boden lag der leblose Körper eines Mädchens, einer Schülerin aus dem Schloss, und Hagrid hatte sie oft genug gesehen.
„Oh nein!“, seufzte Hagrid und spürte Tränen in seine Augen treten. Er war augenblicklich von einer tiefen, verzweifelten Traurigkeit befallen.
Völlig starr und blass lag das Mädchen dort, das Haar wie ein sanfter Webteppich um ihr kindliches Gesicht ausgebreitet. Unter dem Umhang trug sie ein Ballkleid, das stark zerschlissen und voller Ascheflecken war.
„Oh nein...“, murmelte Hagrid wieder und ging in die Knie. „Nein, nein, nein. Du armes Ding. Was ist dir nur zugestoßen?“
Er legte die Hände an den Hals des Mädchens, um zu prüfen, ob vielleicht doch noch Puls da war, aber der grüne Blitz, der ihn zuvor geblendet hatte, war Beweis genug dafür, dass dieses Mädchen längst tot war.
Der Wildhüter überlegte nicht lange. Er hob den federleichten Mädchenkörper vom schmutzigen Boden auf, wickelte ihn fest in den wärmenden Stoff des Umhangs und trug ihn, fest an die breite Brust gepresst, aus dem Wald hinaus nach Hause.
„Hagrid!“, rief Ted. „Hagrid, was ist passiert?“
Schon vom weiten und trotz der Dunkelheit konnte Ted erkennen, dass etwas nicht stimmte mit dem Wildhüter, als er gesenkten Hauptes aus dem Wald zurückkam. Und dann sah Ted das Bündel in Hagrids Armen. Ihm drehte sich der Magen um.
„Hagrid, bei Merlins Bart, was ist geschehen?“ Ohne weiter nachzudenken lief Ted dem Wildhüter entgegen. Erst sah er ihm in das traurige Gesicht. Seine Käferaugen waren wässrig und leer. Dann blickte er voller Angst auf das Bündel an seiner Brust. Es war die Leiche von Sian Somerset. Ted wich zurück und stolperte über eine aus dem Boden ragende Wurzel.
„Oh nein, nein, nein, nein.“, stotterte er. „Das darf nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein.“
„Was ist da los?“, fragte Andromeda, die im Türrahmen von Hagrids Hütte stand. Wie gerne wäre Ted aufgestanden und zu ihr gelaufen, um ihr zu sagen, dass alles in Ordnung war und sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Aber er schaffte es nicht einmal, sich nach ihr umzudrehen.
„Was ist los?“, fragte Andromeda nun eindringlicher. Ted hörte, wie sie die Tür hinter sich zuwarf und auf ihn und Hagrid zugestürmt kam. „Hagrid, was hast du da?“
Für einen kurzen Moment war alles leise. Totenstill eben. Doch dann durchbrach ein verzweifeltes, schmerzerfülltes Schluchzen den vermeintlichen Frieden. Andromeda fiel auf die Knie.
„Wo hast du sie gefunden?“, weinte sie. „Wo?!“
„Im Wald. Auf der Lichtung.“, erklärte Hagrid. „Da waren noch Andere. Sie haben sie getötet. Ich habe den grünen Blitz gesehen, aber ich war nicht schnell genug, ich-... Sie sind disappariert, bevor ich mehr erkennen konnte. Wer kann überhaupt auf dem Gelände apparieren?“
„Oh Nein.“, brüllte Andromeda. „Nein!“
Sie hielt sich den schmerzenden, pochenden Kopf und schloss die Augen. Das durfte nicht wahr sein. Es konnte nicht wahr sein. Es war zu viel für ihren Kopf zu verstehen und für ihr Herz zu fühlen. Sie spürte, wie die Macht über ihren Körper aus selbigem wich. Bevor sie in Ohnmacht fiel, flammte Bellatrix' Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Wahnsinnig, kalt, tödlich. Und neben ihr Voldemort, wie er auf der Lichtung stand und Sian im Licht des Vollmondes tötete. Andromeda musste sich nicht einbilden, dass irgendeine andere Macht als die der Todesser hinter dem Tod ihrer Mitschülerin stand.
Nie würde Andromeda erfahren, dass es ihre eigene Schwester gewesen war, die Sian letztendlich hingerichtet hatte. Vielleicht hätte sie es mit diesem Wissen geschafft, Bellatrix zu hassen. Doch weil sie dies nicht tat- und niemals tun würde- tat ihr der Gedanke daran, dass Bellatrix den Mord hatte geschehen lassen, umso mehr weh. Und egal, wie glücklich sie in Teds Armen war. Egal, wie stark sie sich fühlte, nun, da sie den richtigen Weg, nämlich den Weg fort von ihrer berechnenden Familie, gewählt hatte. Egal, wie schön Andromedas Leben nur kurze Zeit nach jener Nacht werden würde. Für immer würde sie die Risse ihres gebrochenen Herzen spüren und nichts in der Welt, kein Zauber, und auch nicht Teds schützende Hände, die sich unter ihre Arme gruben, als sie in Ohnmacht fiel, konnte diesen Schmerz betäuben.
Die Nachricht verbreitete sich im Schloss wie Lauffeuer. Dumbledore stand im Nachthemd und mit vor Trauer zerfurchtem Gesicht in der verschlossenen großen Halle und beugte sich kopfschüttelnd über den leblosen Körper des Mädchens.
„Ich habe sie vor dem Frühlingsball gesehen.“, murmelte er.
Minerva McGonagall legte eine Hand auf den Rücken des Schulleiters.
„Albus, wieso musste das Mädchen sterben?“, fragte sie mit belegter Stimme. Die gesamte Lehrerschaft von Hogwarts, sowie der Wildhüter, der das Mädchen gefunden hatte, und seine Begleitung Ted Tonks, standen stillschweigend um Sian Somersets aufgebahrte Leiche.
„Ich habe keine Ahnung. Hagrid, haben Sie wirklich nicht mehr gesehen als den grünen Blitz und vermummte Gestalten?“ Albus Dumbledore sah Hagrid mit festem, aber unterschwellig flehenden Blick an.
Hagrid schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, Professor. Nichts, nein, gar nichts.“
Albus Dumbledore nickte und wandte sich wieder dem Mädchen zu.
„Das ist der erste Tod im Schloss seit Miss Peck.“, wisperte Professor McGonagall.
„Soweit ich weiß, waren der Geist von Miss Peck und Miss Somerset Freundinnen.“, erklärte Professor Binns.
„Falls sie mit Miss Peck die Maulende Myrte meinen-“, wagte Ted zu sagen, „dann kann ich das bestätigen.“
„Glauben sie, es besteht ein Zusammenhang?“, fragte Professor McGonagall mit zittriger Stimme.
Dumbledore schüttelte den Kopf. „Miss Peck fiel dem Erbe Slytherins zu Opfer. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass dieser zurückgekehrt ist.“
Einige der Professoren straften Hagrid mit einem vernichtenden Seitenblick, was er glücklicherweise nicht mitbekam.
„Allerdings...“, sagte Dumbledore leise. „Gibt es für mich keine plausible Erklärung für den willkürlichen Mord an einer Schülerin, in dieser Nacht, im Wald. Und dies von einer Person ausgeführt, welche offensichtlich mächtig genug ist, um trotz des Bannes auf dem Schulgelände zu apparieren.“
„Es waren zwei Gestalten!“, sagte Hagrid.
„Man kann auch zu zweit apparieren.“, sagte Professor Handerson spitzfinding.
„Ich weiß das doch.“, grummelte Hagrid. Er konnte es nicht ausstehen, dass man ihn in der Lehrerschaft nicht ernst nahm. Wenigstens das Vertrauen von Dumbledore hatte er.
„Doch wer ist mächtig genug, um dies auf dem Schulgelände zu tun?“, fragte Professor Binns. „Und wer ist so grausam und tötet ein junges Mädchen in der Blüte seines Lebens?“
Dumbledore schüttelte langsam den Kopf. „Es tut mir Leid. Ich weiß es nicht. Doch es muss jemand sein, der keinerlei Skrupel besitzt. Und wir alle müssen gewarnt sein. Wer auch immer das Mädchen getötet hat, ist noch immer dort draußen. Vielleicht war sie das erste Opfer. Vielleicht beginnen jetzt weitere Morde. Die Tatsache, dass dort mehrere Gestalten auf der Lichtung waren, wirft auch den Verdacht auf, dass es sich um eine gefährliche Gruppierung handelt. Wir müssen wachsam sein und Acht auf uns geben.“
„Professor!“, flehte Minerva McGonagall. „Sie werden doch etwas dagegen unternehmen?“
Albus Dumbledore schaute sie über den Rand seiner Halbmondbrille an. „Alles, was in meiner Macht steht. Was immer dort draußen vor sich geht. Ich werde alles tun, um es zu unterbinden.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging aus der großen Halle.
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