von Blue
Müde ließ Hermine sich auf das rote Sofa im Gemeinschaftsraum sinken. Ihre Arme zitterten. Es war tatsächlich vorbei. Voldemort war tot, Harry am Leben und der Krieg war beendet.
Durch ihren Kopf liefen all die Gesichter, die gestorben waren. Ziemlich weit vorne sah sie Bellatrix Lestrange. Sie war, zusammen mit Voldemort selbst, die Letzte gewesen, die am Schluss noch gekämpft hatte. Diese böse Hexe hatte versucht, Ginny zu töten. Da war Hermine wie eine Löwin vor ihre Freundin gesprungen und hatte gerufen: „Sie kriegst du nicht, du Schlampe!“ Das rothaarige Mädchen war völlig überrascht zur Seite gegangen und Hermine hatte einen Schockzauber auf Lestrange gelegt, den sie aber gekonnt abgewehrt hatte. Ganze dreimal war Hermine dem Todesfluch ausgewichen. Ganze dreimal war sie dem Nichts entgangen. Und dann hatte sie plötzlich geschrieen: „Avada Kedavra!“ Damit hatte die schwarze Hexe nicht gerechnet. Als das grüne Licht verglimmte, knallte sie auf dem Rücken auf und rollte die Augen nach hinten. Ihr Zauberstab fiel aus ihrer leblosen Hand.
Hermine hatte den schlimmsten aller Flüche ausgesprochen. Sie hatte jemanden umgebracht, durch die Magie, schwarze Magie. Dass es ihr nichts ausmachte, ließ sie vor sich selbst erschaudern. Was war nur mit ihr passiert?
Noch vor ein paar Wochen hätte sie so etwas nicht einmal in Erwägung gezogen. Und jetzt? Nun war Frieden, aber sie merkte nichts davon. Harry hatte vorhin, unten in der großen Halle, wo jetzt alle feierten, von einer Last, die nun von ihm verschwunden war, gesprochen. Davon spürte Hermine nicht das Geringste. Es fühlte sich noch genauso an, wie zuvor. Jemand fehlte hier. Ron fehlte. Er war nicht da und er würde auch nie wieder zurückkehren. Er war für immer fort. Hermine konnte nicht mehr weinen. Ihr fehlte im Moment jegliches Gefühl.
I’ve become so numb
I can’t feel you there
Become so tired
So much more
Immer wieder tauchte dieser schreckliche Augenblick vor ihr auf. Das grüne Licht. Ihr Schrei. Snapes Fluch. Und…Snape! Plötzlich war sie hellwach. Harry und sie hatten ihn in der Heulenden Hütte zurückgelassen, doch sie war sich gar nicht sicher, ob er auch wirklich tot gewesen war. „Oh mein Gott!“ Sie sprang auf und hastete runter in die Kerker. Sie musste einen Trank finden, der für Wundenverschluss, Blutbildung und Gerinnung sorgte. In nur wenigen Sekunden polterte sie die Treppen hinab, riss ihr altes Klassenzimmer auf und stürmte zum Lehrerschrank. Noch bevor sie ihn tatsächlich erreicht hatte, richtete sie den Zauberstab nach vorne und rief: „Aloho mora!“ Der Schrank sprang auf und Hermine drehte hektisch die kleinen Fläschchen um, nahm einige heraus, warf eines sofort in ihre Tasche. Doch dann stutzte sie. Was machte sie hier? Erstens war ihr doch überhaupt nicht klar, ob Snape noch lebte und zweitens hatte er Ron umgebracht! Wollte sie diesem Mörder helfen? Trotzig stellte sie die Fläschchen wieder zurück und wollte gerade sie Schranktür zuknallen, als sie erneut inne hielt.
War das hier wirklich sie? War das hier Hermine Jean Granger? In der Hütte hatte sie ihm nicht helfen können, weil ihre Vorräte vollends aufgebraucht gewesen waren. Und es war ihr noch dazu egal gewesen, dass er im Sterben gelegen hatte. Von ihr aus hätte er ruhig verbluten können. Er hatte ihr Ron genommen! Er hatte ihr das Herz zerrissen! Es war seine Schuld, dass sie jetzt allein war! Es war seine Schuld, dass sie jetzt so gleichgültig und kalt war! Doch da regte sich etwas mittlerweile tief Verschüttetes in ihrem Innern. Sie konnte es nicht zulassen, dass er diesen qualvollen Tod starb. Egal, ob er ein Todesser, ein Mörder oder ein Mistkerl war. Außerdem hatte er sie, Harry und Ron in ihrem dritten Jahr vor Werwolf Remus beschützt. So gesehen schuldete sie ihm also noch etwas. Und jede Sekunde, die sie hier mehr überlegte, war verschwendete Zeit.
Where I've becoming this?
All I want to do
Is be more like me
And be less like you
Hermine biss die Zähne zusammen und griff sich die Fläschchen. Ihr war klar, dass die sich beeilen musste!
Sie huschte die Treppen hinauf, den Korridor entlang und stand vor der Eingangshalle, in der sich ein paar Leute tummelten. Die große Feier fand im Speisesaal statt. Hermine hetzte vorbei an den jungen Zauberern und Hexen, ignorierte jegliche Zurufe und stürmte hinaus.
Sie lief wieder den Hügel herunter, nein, sie rannte. Nein, dieses Mal raste sie wirklich! Dummerweise war sie auch einmal gestolpert, hatte sich aber wieder gefangen und ihre Beine hatten sie weiter getragen. Sie war unendlich müde. Sie war so ausgelaugt, wie noch nie in ihrem Leben und sie war schlicht und einfach K.O.. Aber sie musste weiter laufen! Sie musste ihm helfen, wenn ihm noch zu helfen war. Sie wusste, wenn sie es nicht wenigstens versucht hätte, hätte sie sich ihr Leben lang schwere Vorwürfe gemacht, auch wenn sie im Moment nicht daran glaubte, ihr Gewissen jemals wieder zu spüren. Und außer ihr schien niemand an ihn zu denken, nicht einmal Harry, der sich gerade feiern ließ. Endlich hatte sie die peitschende Weide erreicht. Doch wie sollte sie an dem verdammten Baum vorbeikommen?
Unglücklich blieb sie in sicherer Entfernung stehen. Dann erinnerte sie sich.
Als sie vor einigen Stunden mit Harry hier gewesen war, hatten sie seinen Tarnumhang benutzt. Den hatte sie glücklicherweise in ihrem Handtäschchen verstaut. Sie öffnete es, griff hinein, wühlte kurz und zog den Umhang hervor.
Sie stieß die Tür auf und ließ sich gleich auf den Boden fallen. Schnell rutschte sie auf den Knien zu Snape, der immer noch wie leblos auf dem Boden lag. Das Blut um ihn herum war beinahe schwarz geworden. Hermine kippte ihr Perlenhandtäschchen auf dem Boden aus und tastete vorsichtig und ohne jede Angewidertheit seinen blutverschmierten Hals nach dem Puls ab. Als sie keinen fand, bückte sie sich ein Stück zu ihm herunter und horchte, ob er noch atmete. Sie konnte nichts hören. Doch so schnell würde sie nicht aufgeben! Hektisch tastete sie noch mal nach seinem Puls und verweilte eine Weile in ihrer Haltung. Nichts. „Nun komm schon!“ Sie verkrampfte sich. Ein leises, ganz leises Röcheln war zu hören. Hermine hielt ihre Hand vor seine Nase und tatsächlich: Er atmete noch ganz schwach. Ohne zu zögern, schraubte sie das erste Fläschchen auf, hob seinen Kopf vorsichtig an und flöste ihm den Trank behutsam ein.
Sein Schluckreflex war noch da und so hatte sie es etwas leichter. Als Hermine ihm den zweiten Trank, den zur Gerinnung, an die Lippen hielt, murmelte er plötzlich etwas. Zuerst war es so leise, dass sie es gar nicht verstand. Doch er wiederholte sich immer wieder. „Lly“. Hermine ließ sich nicht beirren und so schluckte er auch den zweiten Trank. Sie machte sich nun daran, seinen Hals zu verbinden. Verbände hatte sie noch immer in ihrem Täschchen, da sie die größten Teils nicht gebraucht hatte. Ganz vorsichtig legte sie seinen Kopf wieder auf den Boden und schlang den Verband um seinen Hals. Eigentlich traute sie sich kaum, gest zu ziehen. Jedes Mal, wenn sie seine Wunde berührte, jagten ihr tausend widerliche Schauer über den Rücken. Aber sie riss sich zusammen und fuhr fort. „Li…Lilly“, murmelte er da auf einmal wieder und Hermine hatte es dieses Mal ganz genau verstanden. „Lily“. Lily. Harrys Mutter. Sie stutzte und starrte ihren Zaubertranklehrer entsetzt an. Was hatte er denn mit Lily Potter zu tun? Hermine fing sich wieder und öffnete die letzte kleine Flasche. Dieser Trank sollte für die Blutbildung sorgen. Zufrieden begutachtete sie seinen Hals. Die Bisse waren weitgehend oberflächlich verschlossen, dank Trank und Verband. Ganz langsam erschien ein Hauch Farbe in seinem ausgemergelten Gesicht.
Hermine zauberte eine Trage und ließ Severus Snape ganz sanft und vorsichtig vor sich herschweben. Als sie aus dem Loch unter der peitschenden Weide kletterte, holte sie ihn etwas näher zu sich heran und ließ die Trage knapp über dem Boden schweben. Hermine hatte befürchtet, dass sie niemals zu zweit unter den Tarnumhang passen würden, versuchte ihr Glück aber dennoch. Es passte auch nur ganz knapp. Gerade als sie vielleicht drei Meter von der Weide entfernt waren, verrutschte der Umhang und Hermine machte sich daran, möglichst schnell außer Reichweite zu kommen. Dabei hätte sie Snape beinahe fallen gelassen, doch sie hatte ihn noch in letzter Minute auffangen können. Dabei stolperte sie und fiel auf die Erde. Sie blickte auf, über ihr schwebte der Mörder ihres Freundes, den sie soeben vor dem Tod bewahrt hatte. Im gleichen Moment hasste sie sich selbst dafür. Warum hatte ausgerechnet sie das tun müssen? Warum? Warum nicht irgendjemand anders? Warum überhaupt? Am Liebsten hätte sie ihn den Hang hinunter geworfen. Sie wünschte, sie könnte ihn einfach wieder zurücklegen, wie ein Buch, das man im Nachhinein doch nicht lesen will. Ihr Körper war schlaff. Sie konnte nicht mehr, wollte einfach hier liegen bleiben und niemals gefunden werden. Vielleicht wollte sie sogar sterben. Snape hatte auch sterben wollen. Würde sie auch derart armselig sein und sich nun in ihrem Selbstmitleid suhlen? –Nein! Niemals! Wütend schüttelte sie den Kopf und erhob sich mit letzter Kraft.
Als sie im Schloss ankam, wurde sie von Padma Patil begrüßt. Doch das Lächeln der Inderin verschwand, als sie erkannte, wen ihre Freundin da auf der Trage transportierte. „Das…ist…“, weiter kam sie nicht. „Ich brauche sofort Madam Pomfrey! Ich bring ihn in den Krankenflügel!“, rief Hermine, Padma nickte und ging zunächst wie gelähmt rückwärts, bevor sie sich umdrehte und loslief. Sie blickte dem Mädchen nach und war aus irgendeinem blöden Grund froh, dass sie so schnell Unterstützung gefunden hatte.
Die Treppen kamen ihr so ewig lang vor, wie noch nie. Sie hatte zwar das Gefühl, sich zu bewegen, aber irgendwie kam sie nicht wirklich voran, sie kam nicht schnell genug von der Stelle. Doch endlich hatte sie den Krankenflügel erreicht, wo ihr Padma auch schon mit Hogwarts Heilerin entgegen kam. Als in diesem Augenblick ein derart gewaltiger Druck von ihr abfiel, hörte sie nur noch die dumpfe Stimme von Madam Pomfrey, die sofort zu Snape stürzte. Hermine hörte sich selbst noch sagen: „Schlange…Blutbildung….schwach“. Dann sackte sie auf den Fußboden zusammen, ihr Körper und ihr Geist erschlafften. Dann wurde alles schwarz um sie herum.
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Wer mich kennt, weiß, dass ich Severus Snape NIEMALS sterben lassen könnte! ^^ Hoffe, euch gefällt's trotz der Kürze. Ich würde mich über KOMMENTARE freuen! :)
Lg, Blue
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