von Blue
Ron krümmte sich auf dem Boden vor Schmerzen. Er kniff seine blauen Augen zusammen und sein völlig verkrampfter Körper zitterte. Aus seinem Mund drangen Schmerzenslaute, die Hermine den Verstand raubten. Sie beugte sich über ihn und flüsterte ihm immer wieder zu, dass alles gut werden würde und dass er ruhig sein müsse. Ihr stiegen die Tränen in die Augen und sie fühlte sich so hilflos und schuldig, wie noch niemals zuvor. „Ron. Ron, es tut mir leid.“ Ihre Worte wurden von ihren Tränen erstickt, gleichzeitig krampfte ihr Herz sich zusammen. „Es tut mir so leid, Ron.“, schluchzte sie und er streckte seinen Kopf vor Schmerz nach hinten. Er begann noch heftiger zu zittern, sein Arm blutete unaufhörlich und aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Hermine konnte sich nicht bewegen. Sie war wie gelähmt.
„Ron!“ Sie schlug die Augen auf und fand sich in einem Bett liegend. Neben ihr auf der Bettkante saß Harry, der sie erschrocken und zugleich mitfühlend ansah. „Es ist alles gut, Hermine. Es ist vorbei, der Krieg ist vorbei.“ Beruhigend strich er ihr über den Arm, während sie sich aufrichtete und ihm plötzlich um den Hals fiel. Sie musste sich furchtbar zusammen reißen, um nicht zu weinen. Es tat ihr alles so schrecklich weh. Ihre Beine schmerzten stark, ihr Gesicht brannte vor lauter Schrammen und Kratzern. Der Rest ihres Körpers sah sicherlich nicht besser aus. Am Schlimmsten allerdings war es um ihr Inneres bestellt. Harry strich ihr sanft über den Rücken und gab ihr wenigstens ein bisschen das Gefühl von Halt und Schutz. Nach einer Weile, in der Hermine nur stumm geradeaus gestarrt und sich ihren Träumen hingegeben hatte, lösten sie sich voneinander. Er sah hilflos aus, so als wüsste er nicht, was er ihr sagen sollte. Die Stimmung, die in der Luft lag war äußerst angespannt, merkwürdig fremd und erdrückend traurig. Harry war derjenige, der die Stille schließlich brach: „Snape hat’s überlebt. Du hast ihn gerettet. Ohne dich wäre er jetzt tot.“ Diese Worte schienen sie überhaupt nicht zu erreichen. Stumm und Stirn runzelnd hörte sie ihrem Freund zu.
Dann donnerte sie den Jungen, der überlebt hatte an: „Warum musste ich das tun, Harry? Warum hast du nicht mehr an ihn gedacht, du warst derjenige, der sich seine Erinnerungen angesehen hat! Du! Nicht ich! Warum musste ausgerechnet ich diesen Bastard retten, Harry?! Wieso?! Wieso, verdammte Scheiße ist niemand außer mir auf diese beschissene Idee gekommen? Verdammt, ich hasse es, immer Recht zu haben!!“
Hermine keuchte, ihr Brustkorb hob und senkte sich in rasender Geschwindigkeit. Sie erinnerte sich, wann sie das letzte Mal so wütend gewesen war und schon wurde ihre Wut wieder von der scheinbar endlosen Trauer überschattet.
Harry, der offenbar nicht nur über ihre äußerst ungewöhnliche Wortwahl schockiert war, entspannte sich allmählich wieder und rückte ihr etwas näher.
„Hermine, ich…muss dir was sagen.“ Sie sog scharf die Luft ein. Ihr erster Gedanke galt sofort der Befürchtung, dass ein weiterer ihrer Freunde gestorben war. Nein, bitte nicht! Luna? Neville?
„Snape war…er ist unschuldig, Hermine.“, brachte Harry mit sehr viel Überwindung über seine Lippen. Hermine erstarrte vor Schreck. Hatte er gerade wirklich das gesagt, was sie verstanden hatte?
„Wie-bitte?!“, presste sie hervor. Harry schluckte. Er schien sichtlich abgeneigt, das eben gesagte noch einmal über die Lippen zu bringen. Doch schließlich wiederholte er: „Snape war die ganze Zeit über auf unserer Seite. Er war immer nur Dumbledores Spion.“ Sie starrte ihn an, als hätte er ihr gerade gestanden, dass er Voldemorts Sohn war. Hermine atmete heftig ein und aus bevor sie plötzlich wie aus dem Nichts aufsprang und Harry am Kragen packte.
„DU LÜGST!!“, schrie sie hysterisch. „DU LÜGST! ER HAT IHN UMGEBRACHT!! ER HAT RON UMGEBRACHT!!“ Und mit neu gesammelter Kraft schlug sie mit ihren Fäusten wild auf ihn ein. Harry versuchte, sie abzuwehren, stand auf und hielt ihre Hände fest. Dann rief er etwas leiser als sie: „Er hatte keine Wahl, Hermine! Wenn er ihn nicht getötet hätte, wäre seine Tarnung aufgeflogen und wir wären jetzt alle tot! Du, ich, einfach alle!!“
Da öffnete sich die Tür zum Krankenflügel und Madam Pomfrey kam besorgt herein gelaufen.
Harry drehte sich nach ihr um, ohne Hermine loszulassen, die noch immer versuchte, ihn zu schlagen. „Ist schon in Ordnung.“, sagte er „ Ich schaffe das hier allein.“ Madam Pomfrey nickte stumm und warf noch einen mitleidigen Blick auf Hermine, bevor sie das Zimmer wieder verließ.
Harry wandte sich wieder zu ihr und ihr Blick war tödlicher, als der Todesfluch selbst. „Hermine, er hat Dumbledore nach Absprache umgebracht. So merkwürdig das auch klingt, es war alles geplant. Sieh dir die Erinnerungen an, dann wirst du’s begreifen.“, sagte er eindringlich und ließ sie los. Ermattet ließ sie ihre Arme auf ihren Schoß fallen, so als wären sie bleischwer. Sie wollte sich diese Erinnerungen nicht ansehen. Sie wollte nichts von Snape erfahren, sie wollte gar nichts von diesem Verräter, diesem Mörder. Doch ihre Wut und ihre Neugier waren stärker, als der Schmerz. Sie musste einfach sehen, ob es stimmte, was Harry ihr erzählte. Dann blickte sie sich zu ersten Mal im Krankenflügel um. Hier lagen ein paar ihrer Mitschüler aber kein Snape. Fragend sah sie Harry an, der sie sofort verstand.
„Er versorgt unten in der großen Halle alle Verletzten mit Zaubertränken, Salben und dem ganzen Kram. Er hilft den anderen, Hermine.“ Aus irgendeinem Grund klang dieser Satz in ihren Ohren völlig unsinnig und paradox.
Wenig später wankte sie, von Harry gestützt in Dumbledores Büro. Ihre Beine waren vom vielen Laufen derart überanstrengt, dass sie sich nun weigerten sie zu tragen. Die Stufen waren eine besondere Qual und mit jedem weiteren Meter, den ihre Beine mehr nachgaben, verschwand auch ihre Wut, und machte Platz für hoffnungslosen Kummer.
Harry führte sie zu dem Becken und ließ sie vorsichtig los. Sie schwankte zunächst, doch sie fing sich schnell und sah Harry zweifelnd an. Er versuchte ein Lächeln, was angesichts der Situation nur allzu kläglich ausfiel und nickte ihr aufmunternd zu. Hermine seufzte tief und zögerte noch eine Weile bevor sie ihr Gesicht vorsichtig in das Wasser tauchte.
Ich bin Lily.
Ich bin James.
Kleiner Schniefelus!
Er hat ihre Augen!
Lily? Selbst nach all den Jahren, Severus?
Immer.
Immer. Ruckartig richtete Hermine sich auf, um gleich darauf in sich zusammen zu sacken. Ihre Knie gaben nun endgültig nach und was sie gesehen hatte, war einfach zu viel für sie.
Harry war sofort bei ihr und legte beide Hände auf ihre Arme. Sie starrte eine Weile ins Leere und dann zu ihm. Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, doch sie gab keinen Laut von sich. Sie war mehr als verwirrt. Konnte das alles wahr sein? Durfte das wahr sein? Hatte sie sich derart geirrt? Sie irrte sich nie, oder zumindest selten. Aber diese Entwicklung hätte sie nun wirklich nicht erwartet und es warf sie vollkommen aus der Bahn.
„Hermine.“ Harry suchte ihren Blick, denn sie schien schon wieder ganz woanders zu sein.
„Hermine, verstehst du das jetzt? Er musste Dumbledore töten und…Ron auch.“
Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er sagte. All ihre Organismen schienen mindestens dreimal langsamer abzulaufen als sonst. Sie war betäubt. Und im Augenblick glaubte sie nicht, dass sich dieser Zustand noch einmal bessern würde. In ihrem Kopf wiederholte sie Harrys Worte langsam, immer und immer wieder. Bis sie schließlich begriff, was er genau sagen wollte. Und sofort wurde sie wütend, wie schon öfter in letzter Zeit. Woher sie die Kraft nahm, sich vom Boden abzustoßen und wieder auf ihre schwachen Beine zu kommen, wusste sie nicht. Vielleicht lag es daran, dass Wut und Schmerz gerade die einzigen beiden Dinge waren, die sie fühlte. „Er war dein bester Freund, Harry!“, rief sie aufgebracht. „Weißt du eigentlich, was er alles für dich getan hat?! Er war dein Freund und du redest jetzt von ihm, als sei er nur Einer von Vielen! Es war nicht irgendjemand, oh nein, Harry! Es war Ron! Verstehst du! RON!“
Ihr Gesicht wurde heiß und jede Faser ihres Körpers spannte sich an. Ihr Freund sah sie nur traurig und machtlos an. Sie wusste, dass er es nicht so gemeint hatte, wie es für sie geklungen hatte. Und er wusste, dass sie es wusste. Und er verstand es. Sie hatte Ron geliebt. Sie hatte ihn geliebt und nun war er tot. Hermine musste einen so unvorstellbar großen Schmerz empfinden, dass sie aus jedem Satz, aus jedem Wort und aus jedem Ton über Ron etwas missverstehen wollte. Sie war lieber wütend, als traurig. Sie wollte sich einfach nicht die Blöße geben, selbst vor Harry nicht. Sie hatte sich furchtbar verändert. Der Krieg hatte sie geprägt. Rons Tod hatte Hermine für immer verändert.
Als er nichts erwiderte, drehte sie sich um und verließ fluchtartig das Büro. Bei jedem Schritt taten ihr sämtliche Gliedmaßen weh, doch sie ignorierte es großzügig. Sie fand sich schließlich in der großen Halle wieder, wo mehrere Verletzte und auch einige Tote lagen. Gerade schrie ein Mädchen, vielleicht 10 Jahre alt, laut auf vor Schmerz. Etwas weiter schluchzte jemand gequält auf. All dieses Leid und die Zerstörung, die sie vor ihr auftaten, erreichten ihr Inneres und sie spürte Mitgefühl. Ganz langsam schien der Schleier von ihren Sinnen zu verschwinden, sie hörte etwas besser und ihre Sicht wurde wieder klarer. Sie blinzelte, als die Sonne durch die großen Fenster schien und sie blendete. Da sah sie ihn plötzlich. Severus Snape stand auf dem Gang, mitten zwischen den Verletzten und drehte sich gerade in ihre Richtung. Als er sie erkannte blieb er wie angewurzelt stehen. Er schien noch blasser als sonst, seine schwarzen Augen lagen tief in ihren Höhlen und doch stachen sie widerlich hervor. Um seinen Hals lag eine dicke Mullbinde, die sich an einer Stelle schon blutrot gefärbt hatte. Hermines Augen weiteten sich und ohne, dass sie es geplant hatte, ohne, dass sie wusste, wieso, rannte sie auf ihn zu und stürzte sich wie eine wilde Furie auf ihn. Sie sprang ihn förmlich an, sie schlug, kratzte und boxte. Es schien an ein Wunder zu grenzen, dass sie ihn nicht biss. Snape ließ sie überraschenderweise gewähren, während sie ihn anbrüllte: „ SIE HABEN IHN UMGEBRACHT!! SIE!! SIE WIDERLICHER TODESSER! SIE BASTARD! SIE VERRÄTER! SIE ELENDER MÖÖÖRRDEEER!!“ Hermine nahm nichts mehr um sich herum wahr. Alles schien ineinander zu verschwimmen. Und Snape tat nichts. Er stand nur da und ließ zu, dass sie ihn misshandelte. In diesem Moment kam Harry in den Saal gestürmt. Schon von weit hinten hörte sie seine Stimme: „Hermine! HERMINE! Hör auf!“ Im nächsten Moment stand er schon hinter ihr, packte verzweifelt ihre Oberarme und versuchte, sie von ihm wegzuzerren. Doch dieses Mal war sie stärker als er. Sie befreite sich aus seiner Umklammerung, als ob es nichts wäre und griff ihren ehemaligen Professor erneut an. „HERMINE!“ Harry versuchte erneut, sie zu fassen, was ihm aber nicht gelang. Da erschien plötzlich eine große dunkle Gestalt neben ihr und rief: „Stupor!“ Hermine erschrak, als es sie in die Seite traf. Sie sog entsetzt scharf die Luft ein und brach im nächsten Moment zusammen. Bevor sie auf dem Boden landen konnte, war die Person, die dafür verantwortlich war zur Stelle, um sie aufzufangen und zu sich zu ziehen. Er umfasste ihren Bauch und so bewegte er sie mit sich nach hinten. Hermines Füße wanderten ungleichmäßig und im Grunde völlig sinnlos auf dem Boden hinter dem Rest ihres Körpers her. Wütend blickte sie auf und sah in das Gesicht von Sirius Black. Sein Blick war mitfühlend und wütend zugleich. Dass er ihr das angetan hatte, würde sie ihm ganz sicher nicht verzeihen. Was war nur los mit all ihren Freunden? Waren sie denn alle so leichtgläubig und so blind? Sie zog es gar nicht erst in Erwägung, sich zu wehren. Erstens war Sirius fiel stärker als sie, noch dazu war sie geschockt. Sie sah, wie sie sich immer weiter von Snape entfernte und schickte ihm tausend Todesblicke, während sie sich wieder etwas erholte und ihm noch zurief: „Das werden Sie mir büßen, Sie Todesser! Sie sind ein Mörder! Ein widerlicher Mörder! Ich hasse Sie!! ICH HASSE SIE!!“ – „Das reicht jetzt, Hermine! Schluss damit!“, rief Sirius mahnend und zog sie weiter mit sich. Alle anderen im Saal waren totenstill geworden und hatten die Szene ohnmächtig und untätig beobachtet. Scheinbar waren alle schockiert. Und niemand war fähig, etwas zu sagen oder zu tun. Da verdeckte Harry ihr den Blick auf ihren offensichtlichen Feind und kam ihnen hinterher. Doch Sirius gab ihm zu verstehen, dass er sich jetzt alleine um Hermine kümmern würde. Harry nickte seinem Patenonkel dankbar zu und schloss die große Tür, als die beiden draußen waren.
Caught in the undertow just caught in the undertow
Every step that I take is another mistake to you
Caught in the undertow just caught in the undertow
Sirius schwieg, als er Hermine zur Treppe schleifte aber sanft auf den Stufen absetzte. Sie stieß ihn sofort von sich und starrte wütend auf den Boden. Sie zog ihre Beine an sich und musste ein Keuchen unterdrücken, als ihr Magen sich schmerzhaft verkrampfte. Sirius schien es bemerkt zu haben, denn er hockte sich vor sie und sah sie mit sanften Augen an.
„Hermine….“ – „Du bist noch am Leben?“ – „Wie du siehst.“ – „Hm, ich dachte sie hätten dich im Krieg…“, sie schluckte hart und Sirius legte ihr vorsichtig seine Hand auf den Arm.
„Schon okay.“, versicherte er mit sanfter Stimme. Es hatte etwas Tröstliches ihn zu sehen, ihn bei sich zu haben. Harrys Pate war auch für sie immer ein Freund gewesen. Sirius Black war ein guter Mensch, dessen war sie sich sicher, seit ihrem dritten Schuljahr.
„Hör mal“, begann er plötzlich und sie blickte ihn aufmerksam an. „Beruhige dich doch. Wenn du so ausrastest, wenn du dich selbst vergisst..... Glaub mir, damit ist niemandem geholfen.“ Hermine nickte und sah ihn einsichtig an. Er hatte Recht und aus einem ihr unbekannten Grund erreichten seine Worte sie. Er schaffte es, zu ihr durchzudringen, was aber auch sicherlich daran lag, dass sie noch immer unter den Nachwirkungen des Schocks stand. Als sie drohte, wieder abzudriften, strich Sirius ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und reichte ihr seine Hand. Hermine sah sie einen Moment lang zögernd an, dann legte sie ihre Hand vorsichtig in seine. Mit einem Arm zog er sie vorsichtig hoch, um sie gleich darauf zu stützen und sie auf seine starken Arme zu heben. Zuerst wollte sie protestieren, doch im nächsten Moment lehnte sie vor Erschöpfung den Kopf gegen seine Schulter und gab endgültig nach. Sie fühlte sich geborgen und sicher. Dieses Gefühl hatte sie so lange vermisst, dass es sich jetzt, wo es endlich wieder da war, völlig unwirklich anfühlte. So schwieg sie und schloss die Augen.
Can't you see that you're smothering me?
Holding too tightly, afraid to lose control
Cause everything that you thought I would be
Has fallen apart right in front of you
Sirius trug sie mit Leichtigkeit die Treppe hoch, zurück in den Krankenflügel, wo er sie ganz sanft auf dem Bett ablegte, ihr noch ein letztes Mal über die Wange strich und sich dann mit einem höflichen Nicken von einer erstaunten Madam Pomfrey verabschiedete.
*********************************************************************
Ja, ich habe Sirius Black wieder zum Leben erweckt! Ich habe mich seit Band fünf einfach nie damit abfinden wollen, dass es nun mit ihm vorbei sein sollte. Hoffe, ihr seid nun nicht allzu enttäuscht und es gefällt euch trotzdem noch :)
KOMMIS BITTE!
Liebe Grüße, Blue
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel