von Blue
Zwei Wochen später, es war der Morgen des 18. Dezembers, traf Hermine auf dem Weg in ihr Büro einen alten Bekannten. Sirius Black stand lässig und selbstgefällig an die Wand des Aufzugs gelehnt, die Arme locker vor der Brust verschränkt, gut gekleidet, sein offenherziges und zugleich arrogantes Lächeln auf den Lippen. Unverschämt gut aussehend. Als Hermine ihn sah, drehte sie sich sogleich wieder um und wollte einen anderen Aufzug nehmen, doch er griff ihren Arm und zog sie mit sanfter Gewalt zu sich hinein. Das Gitter schnellte hervor und der Lift setzte sich in Bewegung. „Guten Morgen, Hermine“, begrüßte er sie freundlich, ließ ihren Arm los und grinste noch breiter. Sie nickte, verzog jedoch keine Miene. Sie wusste, weshalb er hier war. Nachdem sie Harry neulich so grob vor den Kopf gestoßen und in hohem Bogen rausgeschmissen hatte, hatte der überaus tapfere Auror seinen Patenonkel vorgeschickt, um mit der unnahbaren Furie zu reden. Typisch!
„Wie ich sehe, genießt du deine Rehabilitation in vollen Zügen“, bemerkte sie kühl ohne ihn anzusehen. Er lachte leise und es klang wie das verständnisvolle Kichern einer Vaterfigur. Hermine verwarf diesen absurden Gedanken schnell wieder und holte zur nächsten Spitze aus: „Und nun stolzierst du hier mit einem unverschämten Gegrinse durchs Ministerium, um auch jedem unter die Nase zu reiben, dass du umsonst über zwei Jahre im Versteck gelebt hast. Sirius Black: Mein Leben im Exil!“ Sie deutete eine große breite Schrift in der Luft an. „Ehrlich, du solltest ein Buch schreiben. Wird ganz sicher ein Bestseller!“ Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus, doch sein Lächeln war ungebrochen. „Aua“, sagte er gespielt und legte seine rechte Hand auf seine Brust. „Du triffst mich tief ins Herz, Hermine.“
Wütend spannte sie ihren Unterkiefer an und bemühte sich, einen vernichtenden Blick aufzusetzen, was zugegebenermaßen in seiner Gegenwart alles andere als einfach war.
In diesem Moment blieb der Aufzug stehen und die Stimme ließ verlauten: „Abteilung für magische Strafverfolgung“. „Einen schönen Tag noch, Mister Black“, sagte sie und stieg aus, doch Sirius folgte ihr. „Warte“, er stellte sich ihr in den Weg und sein Gesicht war plötzlich ernst. Abwehrend verschränkte sie die Arme und blickte ihn abwartend an.
„Harry hat mir erzählt, was zwischen euch vorgefallen ist.“ Also doch. Sie hatte es ja gewusst! Bei Merlin, wie sehr sie es hasste, immer Recht zu haben!
„Und nun?“, fragte sie spitz. „Willst du dich jetzt als Moralapostel aufspielen?“
Sirius seufzte hörbar, blieb jedoch ruhig. „Hermine, bitte“. Seine Stimme war so sanft, vorsichtig und langsam, als würde er mit einem scheuen Reh sprechen, immer darauf bedacht, es nicht zu verängstigen, es ja nicht zu verjagen. „Hör doch nur einmal zu.“
Sie hob die Augenbrauen und fühlte sich wie ein trotziges Kind, das von einem Erwachsenen belehrt wurde. Das war lächerlich! Sirius war niemals eine „höhere“ Gestalt für sie gewesen. Er war ganz einfach der Pate ihres (ehemaligen) besten Freundes. Bei diesem Gedanken wurde ihr ganz tief in ihrem Herzen sehr elend zumute. Doch sie verbarg ihren Schmerz gekonnt und blickte ihren Gegenüber auffordernd an. „Mir…uns. Uns allen ist klar, warum du dich nicht mehr im Orden blicken lässt, und wir verstehen es. Aber…“. Er zögerte und sah sie an mit einem Blick, der wohl bedeuten sollte, dass sie ihm doch etwas entgegenkommen und ihm dabei helfen sollte, die richtigen Worte zu finden. Denn Sirius wusste genau wie Harry, dass er sich nun auf dünnes Eis begab. Auf sehr dünnes Eis. Doch sie sagte nichts, blieb wie versteinert stehen. „Ich…wir…Hermine!“, er rang nach Worten, wie ein Ertrinkender nach einem rettenden Ast und sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals derart hilf- und ratlos gesehen zu haben. „Schau doch bitte wenigstens vor Weihnachten noch einmal beim Grimmauldplatz vorbei. Du musst ja überhaupt nicht lange bleiben, nur….“. Sirius hob die Hände und schien etwas andeuten zu wollen, ließ es jedoch sein. „Glaub mir, es würde uns allen sehr viel bedeuten.“, beendete er seine lückenhafte Rede und lächelte dünn. Hermine atmete hörbar aus. Sie wusste, dass es nur richtig war, sich nach so langer Zeit endlich mal wieder im Orden blicken zu lassen, aber da war diese Befürchtung. Die Befürchtung, die ihr Herz immer zum Krampfen brachte, wenn sie darüber nachdachte. Nach einer Weile, in der seine Augen ganz auf ihr geruht hatten, ihr Blick auf dem Boden hin und her gehuscht war und unsagbar viele ihrer Arbeitskollegen schon längst an ihnen vorbei, in ihre jeweiligen Büros gehetzt waren, hob sie endlich den Kopf und sah Sirius emotionslos an.
„Wird er da sein?“, fragte sie und war sicher, dass er Bescheid wusste, wen sie meinte.
Innerlich bereitete sie sich schon auf die, wie sie glaubte, positive Antwort vor und wandte sich unbewusst leicht zum Büroeingang. „Ich weiß nur, dass er zum Weihnachtsessen zugesagt hat“, antwortete Sirius gelassen, als wäre diese Information vollkommen nebensächlich. Still und langsam nickte Hermine vor sich hin. „Also gut, ich…Ich werd’s mir überlegen.“, brachte sie nur mit größter Überwindung hervor und machte sich schon darauf gefasst, dass er nun noch einmal versuchen würde, sie zu überzeugen, wie zuvor sein Patensohn. Umso überraschter war sie, als Sirius bloß lächelte, sich höflich verabschiedete und wieder im Aufzug verschwand.
Von diesem Verhalten war sie derart aus der Bahn geworfen, dass sie gar nicht bedachte, weshalb er es tat. Später sollte ihr klar werden, dass das alles eine Art Taktik von ihm gewesen war, denn anders als Harry hatte Sirius schon vor fünf Jahren begriffen, dass man Hermine zu nichts drängen durfte. Sie musste von alleine zu ihnen kommen. Man konnte die Pferde zwar zur Tränke führen, aber trinken mussten sie am Ende immer noch selber. Wenn Hermine kam, weil sie es wollte, war es gut. Wenn nicht, dann war das auch in Ordnung.
Sie konnten ihr zwar ihre Hilfe, ihren Beistand und ihre Liebe anbieten, aber nur sie allein entschied, ob sie es annahm oder nicht. Sie musste es wollen. Nur so konnte sie langsam wieder zu ihnen zurückfinden. Auf diese Weise konnte sie sich nämlich auch immer wieder mal zurückziehen, wenn es ihr zu viel wurde. Und das würde in Ordnung sein. Für sie alle.
An diesem Tag fiel es ihr erstaunlich schwer, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie legte die Pergamente falsch zusammen, beschriftete Mappen falsch, vergaß, sich wichtige Termine zu notieren, notierte sie dann gleich doppelt und dreifach. Und das Chaos war perfekt, als dann auch noch ihre Kollegin zu ihr kam, sich auf ihre Schreibtischkante stützte und ihr den neuesten Klatsch erzählen wollte. Zu allem Überfluss erschien dann auch noch einer ihrer Vorgesetzten, der ihr einen Bericht auf den Tisch knallte, den sie binnen einer Stunde zu überarbeiten hatte. Hermine hatte keine Ahnung, wie oft sie nun schon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wie oft sie aufgestöhnt und wie oft sie die Augen verdreht hatte.
Gegen neun Uhr abends war ihr Tag endlich beendet. Sie schrieb das letzte Wort, legte ihre Feder zur Seite, löschte ihre Lampe und ließ sich nach hinten gegen die Lehne ihres Stuhls sinken. Geschafft! Sie hatte zum ersten Mal seit Jahren das Gefühl, ihres Jobs überdrüssig und froh zu sein, dass sie nun nach Hause gehen durfte. Sie erhob sich, wickelte sich ihren Schal um den Hals, zog ihren Wintermantel über und schloss ihre Tür hinter sich ab.
„Wiedersehen, Miss Granger. Schönes Wochenende.“, rief ihr ein Kollege im Vorbeigehen zu, der es offensichtlich nicht erwarten konnte, sein Büro endlich hinter sich zu lassen. Sie antwortete nicht und sah ihm nach.
Unten in der großen Eingangshalle erleuchtete lediglich der große Brunnen die Umgebung. Es wat größten Teils dunkel und das Ministerium wirkte leer und verlassen. Eigentlich war es nichts Neues für sie, sie machte ja öfter Überstunden. Aber heute fühlte sie sich schrecklich einsam und unwohl in dieser gigantischen Leere.
Zu Hause angekommen, warf sie sich erschöpft auf ihr Sofa, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Für ein paar Minuten verharrte sie bewegungslos in ihrer Position und döste vor sich hin. Doch plötzlich fiel ihr etwas auf. Sie lauschte. Und sie hörte nichts. Nichts.
Diese Stille, die sie umgab war beinahe schon laut. Keine Stimmen. Kein Knacken von Dielen oder Holzböden. Kein Rauschen von Wasserleitungen. Kein Zug von einem offenen Fenster.
Nichts. Sie war allein. Warum nur fiel ihr das ausgerechnet heute auf? Und weshalb störte es sie plötzlich? War es Sirius Auftritt, der ihr so zugesetzt hatte? Und wenn ja, wieso?
Seit fünf Jahren herrschte diese Einsamkeit, diese Stille vor. Sie war daran bereits so gewöhnt, dass sie sich in Gesellschaft anderer eher Fehl am Platze vorkam. Hermine war vereinsamt, in vollem Bewusstsein darüber. So hatte sie es gewollt. Aber scheinbar war sie nicht dafür gemacht, allein zu sein. Das merkte sie jetzt. Und doch brauchte sie noch eine schlaflose Nacht, um sich darüber klar zu werden, dass sie ihre Freunde vermisste und dass sie sie brauchte. Mehr als jemals zuvor.
Gleich am nächsten Tag apparierte sie nach dem Frühstück zum Grimmauldplatz. Doch als sie vor dem großen Herrenhaus stand, ärgerte sie sich über sich selbst und ihre Bedenken kamen wieder hoch. Was, wenn niemand dort war? Unsinn, Sirius lebte in diesem Haus. Er war ganz sicher zu Hause. Aber was würde sie tun, wenn sie einen gewissen dunklen Zauberer dort antreffen würde? Ihr Blick verfinsterte sich. Sie musste nur an Snape denken und die Wut flammte in ihr auf, entzündete ein Inferno der Abneigung und des Hasses. Entschlossen kehrte sie dem Haus den Rücken zu und wollte gerade wieder auf die Weise verschwinden, wie sie hier her gekommen war, als sich die Tür zu ihrer Überraschung von selbst öffnete und Sirius Black auf der Matte erschien. „Hermine!“, rief er freudig aus und deutete ihr mit einem Kopfnicken hereinzukommen.
Verdammt! Innerlich fluchend folgte sie Sirius durch den Eingangsflur. Sie presste ihre braune Ledertasche an sich und fühlte sich merkwürdig fremd. Zum letzten Mal war sie vor über vier Jahren hier gewesen und eigentlich hatte sich nichts verändert. Noch immer hingen die staubigen Spinnweben an den Lampen, noch immer hingen die Gemälde an ihren Plätzen.
Doch an der Tür war Hermine aufgefallen, dass ein Gemälde fehlte. Das Bild von Sirius’ Mutter. Sie erinnerte sich als sie vor Jahren mit Harry und Ron hierher gekommen war, um sich zu verstecken. Die Vorhänge waren zur Seite gerauscht und die alte Frau auf dem Bild hatte los geschrieen. „SCHLAMMBLÜÜÜTEER! BLUUUTSVERRÄTEER! IM HAUS MEINER VÄÄTER!“ Und Hermine hatte gewusst, dass es wegen ihr gewesen war. Auf der einen Seite war sie froh darüber, die bissige Stimme heute nicht hören zu müssen. Auf der anderen Seite fragte sie sich, warum er es wohl erst jetzt abgehangen hatte. Und wo war es im Augenblick? Sirius ging weiter voraus und sie folgte ihm in den Salon. Als sie durch die Tür trat richteten sich gleich mehrere Augenpaare auf sie. Zu aller erst erblickte sie zwei blaue Augen, in denen Überraschung stand. Es war Ginny, die auf dem staubigen, schwarzen Sofa saß. Sie lächelte, wie eh und je.
Gleich neben ihr auf einem alten Sessel hatte Sirius Platz genommen und lächelte ihr aufmunternd zu. Hermine holte tief Luft. Aus irgendeinem Grund war sie wahnsinnig nervös und schämte sich beinahe. „Hallo.“, brachte sie mit zittriger Stimme hervor. Ehe sie sich versah, war Ginny aufgestanden und ihr um den Hals gefallen. Sie drückte ihre Freundin so fest, dass ihr unwohl dabei wurde. Hermine krallte ihre rechte Hand noch immer in den Riemen ihrer Tasche. Nur sehr langsam und vorsichtig hob sie den linken Arm und klopfte Ginny freundschaftlich leicht auf den Rücken. Doch zugleich spürte sie, wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. Wurde es ihr am Ende doch zu viel? Sie schluckte hart und zwang sich ein Lächeln auf, als Ginny sie endlich losließ und mit Tränen in den Augen ansah.
„Schön, dich endlich wieder zu haben, Mine.“, sagte die rothaarige junge Frau und lächelte überglücklich und zugleich traurig.
Die Anspannung, die sie am Anfang so deutlich verspürt hatte, ließ mit der Zeit allmählich nach. Sie redete mit Sirius und Ginny über alles Mögliche, außer über Vergangenes. Wenn einer von beiden Gefahr lief, dieses auch nur zu streifen, wechselten sie blitzschnell das Thema, in der Hoffnung, Hermine würde es nicht bemerken. Doch sie sah die Blicke, die sich die beiden ab und an zuwarfen und wusste natürlich genau, warum sie sich so verhielten.
Sie fühlte sich auf eine Art ausgegrenzt. Als würde sich eine Glaswand zwischen ihr und allen anderen befinden. Es war wie bei Harry. Schließlich konnte sie ihr schlechtes Gewissen nicht länger ertragen und fragte mittendrin: „Wie geht es Harry?“ Ginny und Sirius wechselten erneut einen viel sagenden Blick. „Ist er hier?“, fragte Hermine und blickte abwechselnd zu ihrer Freundin und zu Sirius. Ginny erwiderte nichts, doch ihr Blick sprach Bände. Da knackte plötzlich eine Holzdiele über ihren Köpfen und alle drei schauten nach oben zur Decke. Ginny blickte ertappt und Sirius starrte unsicher zu Boden. Hermine hatte sofort verstanden und sprang auf. Harry musste oben sein. Und sie musste sich dringend bei ihm entschuldigen. Sie war schon auf der Treppe, als Ginny ihr nachrief: „Hermine, warte! Du solltest nicht…“ Doch sie ging weiter und war schon oben angekommen. Hinter der dritten Tür, wo sich früher Harrys Zimmer befunden hatte, hörte sie seine Stimme. Ohne zu überlegen, klopfte sie nur kurz an und öffnete die Tür. „Harry…“ Doch sie verstummte sofort, als sie sah, dass er nicht allein war. Neben ihm stand eine groß gewachsene Gestalt, ganz in schwarz gekleidet, mit schwarzen langen Haaren. Severus Snape. Hermine erstarrte und blickte die beiden voller Entsetzen an. In ihr stieg eine uralte Angst auf, die sich mit Hass zu mischen begann – eine tödliche Kombination. Ihr blieb der Mund offen stehen, ihr Atem bescheunigte sich unweigerlich und ihre Lippen begannen zu zittern. Harry, scheinbar unfähig etwas zu tun starrte mit ähnlichem Entsetzen zurück, während Snapes Ausdruck wie immer emotionslos war. Die Stille, die nun vorherrschte war erdrückend. Hermine hörte ihren eigenen, lauten Herzschlag. Eins – Sie griff in ihre Hosentasche. Zwei – Harrys Augen weiteten sich noch mehr. Drei – Sie richtete ihren Zauberstab auf den Mörder. Vier – „Stup…“ – „Nein!“ Eine Hand ergriff ihren Arm und zog sie aus dem Zimmer. Die Welt um sie herum wurde von Nebelschleiern umhüllt. Hermine wirbelte herum und erkannte Sirius, der sie nun an den Schultern packte und sie eindringlich ansah. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Genau wie vor fünf Jahren. Sie wehrte sich, sie schlug nach ihm, doch er ließ sie nicht los. Harry war plötzlich neben ihnen und versuchte nun seinerseits, Hermine zu beruhigen. Doch sie hörte nicht auf, um sich zu schlagen. Nur wenige Meter von ihr entfernt stand der Mörder von Ron. Sie wollte ihn bestrafen, sie wollte sich rächen! „HERMINE!“ Sirius’ Schrei erweckte sie aus ihrer Trance und ihr Gehör normalisierte sich wieder. Der Animagus sah ihr direkt in die Augen, so als wollte er sie hypnotisieren. Und plötzlich gab sie nach. Sie befreite sich zwar ruckartig aus seinem Griff, blieb dann aber regungslos vor ihm stehen. Dann sah sie zu Harry, dessen Blick genauso erschüttert war, wie der von Ginny, die am Treppengeländer stand. Hermine blickte sie alle nacheinander an, in keinem ihrer Gesichter stand Verständnis. Von keinem von ihnen konnte sie auf Unterstützung hoffen. Selbst nicht von Harry, der Snape schon immer gehasst hatte. Sie bedachte ihren ehemaligen besten Freund mit einem enttäuschten Blick. Dann wandte sie sich an Sirius. Sie schwieg, sah ihn aber lange an. Sein Blick war sanft, aber er schien stets bereit, sie im Fall der Fälle wieder festhalten zu können. Sein Körper war angespannt und seine Oberarmmuskeln hoben sich leicht gegen sein dunkelgrünes Jackett ab. Nur widerwillig steckte sie ihren Zauberstab weg und sah Sirius kopfschüttelnd an. „Was ist nur aus dir geworden, Tatze?“, fragte sie ihn. „Jetzt bist du genauso wie die, die du immer verabscheut hast.“ Sirius holte tief Luft, schwieg aber und straffte seine Schultern.
„Du bist nicht anders.“, fügte sie unbarmherzig hinzu. „Du bist genau wie der Rest deiner Familie.“ Ginny schlug erschrocken beide Hände vor den Mund und Sirius blinzelte.
In vollem Bewusstsein darüber, dass sie ihn mit dieser Aussage unsagbar verletzte, wandte Hermine sich ab und rauschte an Ginny vorbei die Treppe hinunter. Sie wollte hier nur noch weg.
„Hermine! Hermine, warte!“ Ginny rannte hinter ihr her, versuchte ihre Freundin einzuholen, doch sie ging forschen Schrittes weiter. Sie hatte ihren Mantel nur beiläufig über ihren Unterarm geworfen, ihre Tasche gepackt und riss nun sichtlich wütend die Haustür auf. Ginny hetzte ihr nach und holte sie schließlich auf dem Treppenabsatz ein. „Hermine!“ Sie griff ihre Freundin am Arm, diese fuhr herum und riss sich los, blieb jedoch stehen. „Was, Ginny? Was erwartest du von mir? Dass ich mich darüber freue, dass Harry mit Rons Mörder gemeinsame Sache macht?“ – „Er hilft ihm bloß!“, gab Ginny verzweifelt zurück. „Ach, er hilft ihm!“, rief Hermine zickig. „So wie er Voldemort geholfen hat, Ron umzubringen, ja?“ Ginnys Blick wurde nun auch wütend und sie verlor die Beherrschung. „Wann kapierst du endlich, dass du nicht die Einzige bist, die Ron verloren hat?! Glaubst du, für mich und die anderen war es leichter? Glaubst du, uns geht es heute besser?! Zwei meiner Brüder sind TOT!“ Sie klang wie ein klassischer Ausbruch á la Molly.
„Wir alle haben Severus verziehen! Sogar Mum redet normal mit ihm, weil wir alle eingesehen haben, dass er auf diese Weise Harry und auch DICH gerettet hat! Du schuldest ihm was!“ Hermine blickte sie für einen Moment stumm an. „Du klammerst dich so sehr an deine Trauer, dass du uns alle dabei vergisst!“, rief Ginny.
„Du bist richtig widerlich geworden, Hermine! Wie kannst du nur so etwas wie eben zu Sirius sagen? Er hat dir nichts getan, im Gegenteil! Sirius macht sich immer Sorgen um dich! Er hat Harry gebeten, mit dir zu reden! Weil er dich an Weihnachten in seinem Haus wissen will!“
Je mehr Ginny ihr ins Gesicht schrie, desto weniger verstand sie. Sirius hatte Harry vorgeschickt? Als sie ihre Augenbrauen verwirrt zusammen zog, wechselte Ginny das Thema.
„Ach, ist ja auch unwichtig! Der Punkt ist, dass du nicht aufhörst, zu trauern! Lass doch endlich los!“
Es klang wie ein verzweifelter Versuch, jemanden aus dem Koma zu wecken. Hermine schluckte. Nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen zurückhalten. Dann wandte sie sich ab, drehte sich auf der Stelle und war verschwunden.
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