von Xaveria
Lavender hatte, danke Merlin, endlich ihren ersten Schritt getan. Hermine nahm an, dass es irgendwann während der letzten zwei Tage passiert war, in denen sie sich um den Körper von Professor Snape gekümmert hatte. Es war in vielerlei Hinsicht zu ihrem Vorteil, so würde Ron wenig Interesse daran zeigen, wo sie gewesen war oder was sie das Wochenende getan hatte. So wie es für sie auf den Weg zurück zum Gryffindor Turm aussah, schien Ron genau genommen gar nichts mehr zu interessieren außer Lavenders Mandeln zu untersuchen. Hermine verspürte ein scharfes Stechen der Eifersucht, als sie sie zusammen sah, aber schnell verwandelte es sich in Erleichterung. Es war einfach eine Sache weniger, um die sie sich sorgen musste.
Harry zeigte kaum mehr Interesse an ihrem Verbleib wie Ron es getan hatte. Er ergriff ihre Arme und zog sie zu der Couch, als sie zurückkehrte, und schien nicht die Blässe in ihrem Gesicht zu bemerken, genauso wenig wie die Ringe unter ihren Augen, oder die dünne Narbe, die jetzt ihre Augenbraue teilte. Dumbledore hatte die blauen Flecken verschwinden, und die Wunde über ihren Augen zusammenwachsen lassen. Er hatte sogar daran gedacht ihre Kleidung auszulüften und ihr Haar zu sortieren, bevor sie zurückkehrte, aber er konnte nicht die knochentiefe Müdigkeit, die sie verspürte, als ihr Freund sich darauf vorbereite seine Last an ihr abzugeben, verschwinden lassen.
„Hermine! Wo bist du gewesen? Ich habe mich heute Morgen mit Dumbledore getroffen!â€
Sie sammelte ihre letzten Kraftreserven zusammen – lustig, sie hatte gedacht, sie hätte keine mehr – und bereitete sich darauf vor zuzuhören. „Hast du? Was ist passiert?“
„Er hat mir Voldemort gezeigt – als Kind!“
„In dem Denkarium?“
„Ja! Er war ein Waise. Dumbledore ist selbst zu dem Waisenhaus gegangen, um ihn seinen Brief zu geben--“
Als Harry die Einzelheiten von Dumbledores Erinnerungen erzählte, zwang sich Hermine aufmerksam zu sein. Das waren Informationen, an die sie sich erinnern und genauso wie Professor Snapes Geheimnis schützen musste. Plötzlich fühlte sie sich sehr jung und klein, machtlos gegen den dunklen Zauberer, der ihnen drohte und ihre Leben bedrohte.
Also war auch er einmal ein Kind gewesen, wie Harry zum Waise geworden, aufgezogen in einer lieblosen Umgebung. Es erschien unmöglich, dass der junge Mann, den Harry beschrieb, egal wie grausam und kalt er auch war, in etwas so Unmenschliches aufwachsen konnte. Wie sollten sie ihn nur je schlagen? Der Versuch alleine war schon Wahnsinn. Da gab es einen Teil in ihr, der ihren Zauberstab hinwerfen und nach Hause gehen wollte, um einfach nur vorzugeben, dass all dies nur ein langer, manchmal auch wunderschöner Traum gewesen war. Aber dann blickte sie in Harrys ernstes Gesicht, so liebevoll und vertraut, welches das Zeichen dieses verabscheuenden Mistkerls trug. Sie dachte an Professor Snape, gefoltert und geschlagen, aber immer noch menschlich, immer noch kämpfend.
Ich werde niemals aufgeben, dachte sie wild. Und wenn es mich umbringt, ich werde dafür sorgen, dass er zerstört wird. Und ich werde euch beide lebend da raus holen.
„Hermine?“, sagte Harry. „Du scheinst meilenweit entfernt zu sein.“
„Mir geht’s gut.“, antwortete sie. „Ich habe nur gerade über dich nachgedacht. Du warst auch ein Waise. Niemand hat dir gezeigt, wie man sich anständig und ehrlich verhält. Und dennoch bist du jetzt hier.“
„Ich mag es nicht daran zu denken, dass wir uns in manchen Dingen so ähnlich sind“, sagte er.
„Ihr seid nicht gleich“, sagte sie. „Du könntest anders nicht sein.“ Und dann, vielleicht weil sie zu müde war, begann sie etwas zu weinen.
„Hermine!“, rief Harry alarmiert.
„Ist schon okay, Harry“, sagte sie und wischte sich über ihre Augen. „Ich glaube, ich muss mich einfach nur hinlegen. Das ist so einiges, was ich erst noch verarbeiten muss.“
„Ist es — bist du sauer wegen Ron?“
„Ron?“, fragte sie.
„Na ja, ähm, Ron scheint zu denken, dass du wegen ihm und Lavender sauer seiest.“
„Gibt es da etwas, was ich über Ron und Lavender wissen sollte?“, fragte sie mit geheuchelter Ignoranz.
„Ich denke … nach dem Spiel … nun, sind sie irgendwie zusammengekommen.“
Sie versuchte, nachdenklich auszusehen. „Ron und Lavender? Ich denke, ich kann es verstehen.â€
„Aber du bist nicht sauer?“
„Warum sollte ich sauer sein?“
„Nun, es ist nur … Ron hat gesagt, dass du etwas in ihn verliebt seiest.“
„Ron hat gesagt, dass ich etwas in ihn verliebt sei?“ Also, das war einfach nur demütigend. Wie lange hatte er es schon gewusst?
„Hör mal, sei nicht böse, Hermine. Er hat sich nur Sorgen gemacht, dass du--â€
„Ron hat gesagt, dass ich etwas verliebt in ihn sei?“ Und dann bemitleidete dieser Mistkerl sie auch noch? Unglaublich. Sie sprang von der Couch auf.
„Mist. Hermine. Offensichtlich bin ich da gerade in ein Fettnäpfchen getreten. Vergiss einfach, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.“
„Dachte, dass ich etwas verliebt in ihn sei, ja? Nun, er hätte sich nicht mehr irren können. Und nur, um ihn genau zu zeigen, dass es für mich vollkommen in Ordnung ist, wenn er Lavender Browns Gesicht absaugen will, denke ich, werde ich Cormac McLaggen auf die Weihnachtsfeier einladen.“
„Nicht. Komm schon — Hermine!“, schrie Harry, als sie auf dem Absatz kehrt machte und gleich mit zwei Stufen gleichzeitig rauf in ihren Schlafraum rannte.
***
Es war natürlich eine schreckliche Idee gewesen. Nichts hätte Ron mehr davon überzeugen können, dass sie ihm hinterher schmachtete, was sie jedes Mal fuchsteufelswild machte, wenn sie ihn sah. Und jetzt musste sie jede Minute vor McLaggen davonlaufen. Du hättest nicht einfach sagen können: „Warum zum Teufel hat er so etwas nur gedacht?“, fragte sie sich wütend, als sie einen Kamm durch ihre Locken zerrte. Als sie genug Frust an ihren Haaren ausgelassen hatte, nahm sie ihren Zauberstab und zauberte es wieder glatt, steckte es zu einem Chignon hoch.
Sie zog das grüne Kleid an, welches ihr ihre Eltern zum Geburtstag geschenkt hatten, und bewunderte sich selbst im Spiegel. Soll er sich doch vor Sorge verzehren! Dann erinnerte sie sich an McLaggen, welcher bereits schon unten an der Treppe auf sie wartete und seufzte. Vielleicht hätte sie sich mit ihrem Aussehen heute Abend nicht ganz so bemühen sollen. Sie konnte kaum die „amourösen Absichten“ von irgendwem ertragen.
McLaggen wartete tatsächlich im Gemeinschaftsraum, als sie aus dem Schlafraum auftauchte. Er nahm sie mit einem hungrigen Blick auf und sie musste sich zwingen, die Stufen nicht wieder hoch zu rennen. Merlin, was hast du nur getan, Hermine?, dachte sie.
„Cormac“, sagte sie freundlich.
„Du siehst umwerfend aus“, sagte er und es kostete sie einiges, nicht zufrieden zu sein. Er bot ihr seinen Arm an, aber sie wusste, dass sie ihn nicht anfassen konnte.
„Mach dich nicht lächerlich“, sagte sie. „In der heutigen Zeit kann eine Hexe auch ohne Hilfe laufen.“
Er sah etwas verärgert aus, aber ohne einen weiteren Kommentar dazu lief er neben ihr her.
Es war merkwürdig; die letzten Jahre hatte sie so viel Zeit damit verbracht an Ron zu denken, und als sie begonnen hatte zu fürchten, dass er niemals ihre Gefühle erwidern würde, hatte sie damit angefangen andere Zauberer ihres Alters als möglichen Freund zu betrachten. Jetzt, wo sie neben McLaggen herlief, wünschte sie sich nur, dass er irgendwie auf der Stelle disapparieren würde. Sie versuchte sich einzureden, dass es nur deshalb war, weil er so arrogant war – als sie ihm einen Moment ihre Aufmerksamkeit schenkte, erkannte sie, dass er noch einmal einige Quidditcherfolge durchlebte und schnell hatte sie sich wieder ihren eigenen Gedanken gewidmet. Aber ehrlich, sie hatte seit Jahresbeginn kaum ein Interesse an einen anderen Zauberer gehabt. Und das ist auch gut so, sagte sie sich ernst. Das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst, ist so eine dumme Schwärmerei anzufangen. Du bist eine verheiratete Frau.
Verheiratet. Der Gedanke erschien ihr immer noch so fremd wie das Essen von Schnecken. Sie versuchte nicht daran zu denken, als der Gedanke sie drohte zu erwürgen.
„Also, habe ich seine Keule geschnappt und den Klatscher so fest wie ich nur konnte geschlagen. Natürlich hing ich noch immer kopfüber von meinen Besen, aber-“
Sie seufzte. Dieser Abend konnte nicht früh genug enden.
Professor Slughorns Büro hatte sich in seiner Größe zum letzten Mal, als sie es gesehen hatte, fast um das Dreifache vergrößert und es war bis zum Halse voll gestopft mit Erwachsenen und Schülern in ihrer Weihnachtsgardrobe.
„Könntest du mir etwas zu trinken holen?“, fragte sie McLaggen, als sie verzweifelt den Raum nach Harry und Luna absuchte. Als er in der Menge verschwunden war, begann sie sich nach links an der Wand entlang zu schleichen in der Hoffnung auf jemanden zu treffen, den sie kannte.
„Miss Granger!“, bellte Professor Slughorn, ergriff ihren Arm und zog sie in einen Kreis, der aus Gleng Jones von den Hollyhead Harpiers; Arsinius Jigger, der berühmte Zaubertränkemeister und die eher unscheinbare Professor Trelawney bestand. „Das ist Hermine Granger“, sagte er. „Sie ist eine enge Freundin von Harry Potter, wissen Sie, und eine ausgezeichnete Schülerin! Man sagt, sie sei die schlauste Hexe, die Hogwarts seit zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat.“
Hermine errötete und erstarrte, da sie keine Ahnung hatte, wie sie die Unterhaltung nach solch einer Vorstellung beitreten sollte. „Wie geht’s Ihnen?“, fragte sie höflich, aber gerade in diesem Moment griff Slughorn in die Menge und schien Harry aus dünner Luft heraus zu zaubern. Er umklammerte Lunas Hand fest und hatte ein aufgesetztes Lächeln auf seinem Gesicht.
„Und hier ist der Zauberer, von dem wir alle gesprochen haben“, frohlockte er. „Harry Potter! Außerordentlich nett, dass Sie zu uns gestoßen sind, mein Junge.“
Harry schüttelte alle Hände und beugte sich dann zu Hermine. „Wo bist du gewesen?“, flüsterte er. „Slughorn prangt mich wie ein Zirkustier an. Ich habe Luna bereits zweimal verloren!“
„Ich versuche mich vor McLaggen zu verstecken“, antwortete sie. „Er versucht mich schon, den ganzen Abend unter dem Mistelzweig zu bekommen. Wenn er nicht gerade von Quidditch redet.“
„Ich verstehe immer noch nicht, warum du ausgerechnet ihn fragen musstet--“, begann Harry, aber Hermine glitt wieder durch die Menge, drückte sich zwischen zwei riesigen Hexen durch, die freudig aufschrieen. Sie hatte gesehen, wie McLaggen auf Harry zusteuerte, also war sie in Richtung Tür verschwunden, nur um auf Argus Filch zu treffen, der Draco Malfoy an seinem Ohr zerrte.
„Okay, ich war nicht eingeladen!“, sagte Draco wütend. „Ich habe versucht, mich reinzuschmuggeln, zufrieden?“
Hermine erkannte diese Aufregung als eine fabelhafte Gelegenheit zu flüchten und glitt durch die Tür hinaus und eilte den Korridor hinunter. Sie bezweifelte, dass sie damit davonkommen würde, wenn sie vollkommen verschwand; es erforderte später nur umso mehr Entschuldigungen und Erklärungen. Wenn sie nur einen Ort finden konnte, wo sie sich eine Weile verstecken konnte, aber die Klassenräume waren um diese Uhrzeit bestimmt schon abgeschlossen. Dann erinnerte sie sich. Mein Heim, ist dein Heim. Snapes Büro war nur einige Türen entfernt. Wenn die Sperrzauber sie nur zulassen würden …
Sie taten es. Sie glitt in das Büro, schloss die Tür hinter sich und jetzt, wo sie sich in seinem Büro befand, hatte sie keine Ahnung, was sie tun sollte. Sie konnte sich ja wohl kaum in seinen Stuhl setzen, auch wenn der Gedanke sich an seinen Schreibtisch zu setzen, sie amüsierte. Sie durchschritt den Raum, um Snapes Bücherregal zu begutachten. Der Mann hatte kein vernünftiges Wort mehr mit ihr gesprochen, seit Dumbledore sie aus ihrer Pflicht befreit hatte, auch wenn er ihr kein weiteres Nachsitzen aufgedonnert hatte. Wenn er ihr doch nur Zugang zu seinen Büchern geben würde … das war ja wohl das Mindeste, was er tun könnte, und hier gab es so viele interessante Bände, die sie noch nie in der Bibliothek gesehen hatte … Sie ließ ihre Hand über die Bücherrücken gleiten, genoss das Gefühl der abgenutzten Lederbindungen unter ihren Fingerspitzen. Genau dann hörte sie Schritte und in ihrer Panik kroch sie unters Snapes Schreibtisch.
Ihr Herz schien sich sein Weg raus ihrer Brust zu schlagen. Es gab nur eine Person auf der ganzen Welt, die durch diese Tür treten konnte. Die Frage war jetzt nur, ob sie sich sofort zeigen sollte und hoffen, dass er sie nicht umbringen würde, oder--
„… kann mir keine Fehler leisten, Draco, denn wenn man Sie rauswirft--“
Verdammt!, dachte sie. Das beantwortete ihre Frage. Sie war hier gefangen, versteckt unter seinem Schreibtisch. Sie konnte sich nicht vor Malfoy zeigen. Er würde wissen, dass sie irgendwie Snapes Zauber übergangen hätte. So leise wie sie konnte tarnte sie sich, unendlich dankbar, dass sie wortlose Zauber beherrschte.
Ihr Blut rauschte so laut in ihren Ohren, dass sie anfangs Schwierigkeiten hatte, etwas zu verstehen. Snape und Malfoy schienen sich zu streiten, auch wenn sie keinen Zusammenhang erkennen konnte.
„Welche Gedanken versuchen Sie vor Ihren Meister zu verbergen, Draco?“
„Ich versuche nicht, irgendetwas vor ihm zu verbergen. Ich will nur nicht, dass Sie sich einmischen!“
Ihm. Harry beharrte bereits seit Monaten darauf, dass Malfoy sich den Todessern angeschlossen hatte. Vielleicht würde sie jetzt zugeben müssen, dass er Recht gehabt hatte, so unvorstellbar es auch erscheinen mochte. Wie konnte jemand, den sie kannte, jemand, mit dem sie zusammen im Unterricht gewesen war und zusammen die Mahlzeiten geteilt hatte, das Dunkle Mal annehmen? Es war egal, dass sie Draco nicht mochte; sie mochte eine Menge Menschen nicht – Cormac McLaggen eingeschlossen – aber sie würde nicht von ihnen erwarten, Voldemort zu folgen. Auch wenn sie wusste, dass sie ihn hassen sollte, das Einzige, was Hermine in diesem Moment fühlte, war eine unglaubliche Welle des Mitleides. Armer Draco. Wie lange würde es dauern, bevor er wusste, was er getan hatte?
„Hören Sie zu“, sagte Snape. „Ich versuche, Ihnen zu helfen. Ich habe Ihrer Mutter geschworen, ich würde Sie beschützen. Ich habe einen Unbrechbaren Schwur geleistet, Draco--“
Bei diesen Worten verdunkelte sich alles in ihrem Inneren. Der Unbrechbare Schwur. In ihrem Kopf war eine dicke und zischende Schwärze. Sie blickte hinunter, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer da war, und war überrascht, nur den Boden zu sehen. Snape hatte mit Narzissa Malfoy einen Unbrechbaren Schwur geleistet. Die steife Haltung, die sie hielt, fiel von ihr und sie rollte sich zusammen und schloss ihre Augen. Nein.
Aus der tiefsten Nische ihres Kopfes sprach Dumbledore: Ich muss daran glauben können, dass Ihr Vertrauen in ihn nicht gebrochen wird, egal, was er tun muss, um den Order zu verlassen. Ich muss sicher sein, dass Sie wirklich verstehen, dass alles, was Professor Snape macht, dass er es für das Licht tut … Aber wusste er es? Was auch immer es war, was Snape versprochen hatte – und es hatte offensichtlich etwas mit Voldemorts Auftrag an Draco zu tun – wusste Dumbledore davon? Verriet er sie alle? Was hatte sie nur geheiratet?
„Was spielt das für eine Rolle?“, sagte Malfoy. „Verteidigung gegen die Dunklen Künste – das ist doch alles nur ein Witz, oder, ein Theaterspiel? Als ob irgendeiner von uns vor den Dunklen Künsten geschützt werden müsste--“
„Es ist ein Theaterspiel, das entscheidend für den Erfolg ist, Draco!“, sagte Snape. „Wo, glauben Sie, wäre ich all die Jahre geblieben, wenn ich nicht gewusst hätte, wie man Theater spielt?“
Ihr Herz war verdreht und brannte. Sie hatte nicht erkannt, wie sehr sie sich auf Snape verließ, wie sehr ihr Verstand ihre Verbindung – so seltsam sie auch sein mochte – aufgenommen hatte. Jetzt fühlte sie sich wie ein ungebundener Drache, losgelöst von den Dingen, die sie für wahr gehalten hatte.
Das weißt du nicht, plapperte sie stumm. Du weißt es nicht. Er hat selbst gesagt, dass er ein Schauspieler sei; vielleicht spielt er ja gerade! Vielleicht hatte Dumbledore ihn ja losgeschickt, um Dracos Plan herauszufinden … Aber warum kannte er Dracos Plan nicht, wenn er doch die Todesser ausspionierte?
Sie hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, als Draco und Snape das Büro verließen, um vermutlich auf die Feier zurückzukehren. Sie musste auch zurückkehren. Sie konnte sich hier nicht verstecken. Was hatte Snape ihr gesagt? Der Rest unser aller Leben hängt von dieser Farce ab und Sie müssen sich ihr beugen.
Zitternd stand Hermine auf, entfernte den Tarnzauber von ihrem Körper. Ihr Kleid glatt streichend, verließ sie Snapes Büro, mit ihrem Kopf so hoch gehalten, wie sie es unter diesen Umständen schaffte.
Als sie Professor Slughorns Gemächer betrat, hatte das Tanzen begonnen. McLaggern wartete unruhig an der Tür und hatte offenbar auf ihre Rückkehr gewartet.
„Da bist du ja! Ich habe schon angefangen zu glauben, dass du mich hast sitzen lassen!“
„Oh, nein. Du weißt schon … das Bad …“, sagte sie wage.
„Möchtest du tanzen?“
Sie wusste, dass sie nicht zulassen durfte, dass er sie berührte und dennoch hatte sie nicht mehr genug Kraft ihm auszuweichen. Und außerdem fühlte sie sich etwas rebellisch. Für wen hielt sich Snape, dass er ihr Regeln auferlegen konnte? Es war deutlich, dass er Malfoy nicht eine Einzige auferlegt hatte.
„Sicherlich“, sagte sie und bot ihm ihre Hand an.
McLaggen führte sie zu der erst noch kürzlich leeren Tanzfläche und legte seine Arme um sie herum. Die Musik spielte einen Foxtrott und Hermine fand sich von einem eher unbeholfenen, dafür enthusiastischen Partner geführt. Als er sie über die Fläche wirbelte, wanderten ihre Gedanken zurück zu Snapes Büro. Was zum Teufel plante Malfoy? Hermine fragte sich, ob es klug sei, mit Harry über dieses Thema zu sprechen. Nicht, nur war Harry dafür prädisponiert das Schlimmste von Snape und Malfoy zu glauben, musste sie sich einen Weg überlegen, wie sie überhaupt in Snapes Büro gekommen war. Und dann ...was, wenn sie Harry alarmierte (und stellvertretend dann auch Dumbledore) sie damit irgendwie Snape gefährdete? Seufzend schloss sie ihre Augen.
Als McLaggen leicht nach links stolperte und anhielt, öffnete sie ihre Augen und starrte direkt in die schwarzen Augen von Professor Snape.
„Darf ich?“, fragte er und streckte seine rechte Hand aus. Die linke hatte er seiner Tasche vergraben.
„Professor Snape …“, sagte McLaggen unsicher.
„In der Tat“, sagte Snape. „Miss Granger?“
„Uhm … ja, natürlich.“ Leicht bebend, nahm sie Snapes Hand und war überrascht, dass er sie mit Leichtigkeit in seine Arme schloss und schnell in einen Walzer führte.
„Darf ich annehmen, dass Sie es erlaubt haben, sich von diesem stolpernden Trottel anfassen zu lassen, weil Sie jetzt wegen dem, was Sie in meinem Büro belauscht haben, in Bedrängnis geraten sind?“, fragte er mit ruhiger Stimme.
„Was? Ich--“
„Machen Sie sich nicht die Mühe es zu leugnen. Und sollten Sie sich dafür entscheiden, meine Geduld herauszufordern, indem Sie wieder den Ring enthüllen, dann seien Sie doch so freundlich und tun dies, wenn wir nicht einen Raum sind, der gefüllt mit Menschen ist.“
„Ja, Sir“, sagte sie. „Wenn Sie jedoch wünschen, dass wir unscheinbar bleiben sollen, dann würde ich nicht tanzen. Die Leute starren uns an.“
„Dann lassen Sie sie starren. Da gibt es Dinge, die wir eindeutig besprechen müssen. Ich werde als nächstes mit Professor McGonagall tanzen, dann Professor Sprout und dann vielleicht noch mit der bizarren Miss Lovegood. Niemand wird sich an irgendwas erinnern, außer der Tatsache, dass ich getanzt habe.“
„Ihre Kollegen werden vielleicht nichts bemerken, aber ich versichere Ihnen, Harry wird es.“
„Wie heißt es noch: Wie du mir, so ich dir, Miss Granger. Sie haben mir Unannehmlichkeiten bereitet, und jetzt werden auch Sie diese Unannehmlichkeit erfahren. Und während Sie schon das Thema der Indiskretion angesprochen haben, Ihre Schnüffelei hat Sie jetzt in eine prekäre Lage gebracht, nicht wahr? Entweder vertrauen Sie mir und verlieren kein Wort über das, was Sie gehört haben, verheimlichen, was vielleicht mein Verrat ist oder Sie rennen zu Dumbledore und indem Sie das tun, beweisen Sie ihm, dass Sie bereits in dem Gefallen, um den er Sie gebeten hat, gescheitert sind.“
Hermine fiel keine schlagfertige Antwort ein, da er ihr Problem ziemlich bündig zusammengefasst hatte. „Ich habe nicht herumgeschnüffelt“, sagte sie und starrte ihn finster an.
Er drehte sie geschwind herum und sie folgte, ihr Kleid flog hinter ihr her. „Nein?“, fragte er. „Wie würden Sie es dann bezeichnen in ein fremdes Büro einzudringen, ohne Wissen oder Einwilligung des Besitzers?“
„Ich habe versucht McLaggen aus dem Weg zu gehen“, sagte sie. „Um Ihnen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten.“
„Und haben Sie auch bedacht, wie schäbig Sie den armen Mr. McLaggen behandelt haben? Zuerst laden Sie ihn auf diese Feier ein, ich gehe mal davon aus, um den Weasley-Jungen zu erzürnen; dann verbringen Sie den Abend damit, vor ihm davonzulaufen, nur um sich dann in Ihrer Verwirrtheit in seine Arme zu werfen. Wie … Slytherin … von Ihnen, Miss Granger.“
Sie merkte, wie sie errötete. So hatte sie das noch nicht gesehen. „Gott bewahre, dass ich seine Gefühle verletzt habe“, erwiderte sie. „Soll ich gehen und mit ihm herumknutschen, um für mein furchtbares Verhalten wieder aufzukommen?“
„Das denke ich nicht“, sagte Snape. „Im Augenblick liegt es in meiner Absicht, mich zu vergewissern, dass unser …Vertrag … noch besteht.“
„Nun, Sir, wenn Sie einfach nur erklären könnten--“
„Warum sollte ich mich Ihnen gegenüber rechtfertigen? Sie haben etwas gehört, was Sie nichts angeht und jetzt beginnen Sie, durchzudrehen. Ich sehe keinen Grund darin, diejenigen zu trösten, die--“
„Ich brauche keinen Trost; ich muss nur glauben können--“
„Was Sie glauben, ist mir vollkommen gleich. Ich bin nur an dem interessiert, was Sie für sich behalten können.“
„Geben Sie mir einen Grund, warum ich das tun sollte.“
„Oh, aber ich kann besser als das, Miss Granger. Ich werde Ihnen sogar drei geben. Erstens“, er beugte sie leicht, als er kehrt machte, „und das sollte der Wichtigste von allen sein – weil Sie ein Versprechen abgegeben haben. Zweitens, weil Sie nicht verstehen, was Sie gehört haben; und drittens“, flüsterte er, als er sich nahe an ihr Ohr lehnte, „weil ich auf Ihrer Seite bin, Sie kleiner, unerträglicher Trottel.“
Trotz seiner Worte spannte sich ihre Hand in der seinen an. Die Musik nahm an Tempo zu und er führte sie schneller und schneller durch den Raum. Sie versuchte die Pros und Contras ihrer Situation abzuwägen, aber es war zu schwer mit der Musik und dem Tanzen und seinem Atem auf ihrem Hals. Vielleicht war es ja das, was er wollte. Sie dachte, sie hatte flüchtig einen Blick von Harrys ungläubigem Gesicht gesehen, als er sie drehte. Snape hatte natürlich Recht. Sie hatte es versprochen. Und Dumbledore glaubte an ihn, da war sie sich sicher; anderseits hätte er sie nie darum gebeten …
„Soll ich Ihr Schweigen als Zustimmung anerkennen?“
„Ja, Sir“, flüsterte sie, auch wenn sie Fürs Erste dachte.
„Sehr gut. Professor Dumbledore hat mich gebeten, Ihre Ferienplanung in Erfahrung zu bringen.“
„Meine Ferienplanung?“
„Wie bezaubernd es doch ist, wenn Sie all das, was ich Ihnen sage, immer wieder wiederholen.“
Sie starrte ihn an, aber löste nicht den Griff in seiner Hand. „Ich hatte geplant, nach Hause zu meiner Familie zu gehen.“
„Das werden Sie nicht.“
„Wie bitte?“
„Ich bin mir sicher, dass Sie erkannt haben, dass eine Muggelgeborene und eine Freundin von Potter noch dazu, ein besonderes Interesse in dem Dunklen Lord geweckt hat.“
Sie erbleichte leicht und wartete darauf, dass er fortfuhr.
„Dumbledore denkt, dass es das Beste sei, wenn Sie während der Ferien in Hogwarts bleiben, einmal zu Ihrem eigenen Schutz und um sich etwas von Ihrer Familie zu distanzieren.“
„Aber warum sollte ich--“
„Ihre erste Lektion in Ihrem Doppelspiel ist folgende, Miss Granger: Sie müssen die Erscheinung erwecken, dass Sie das, was Ihnen am liebsten ist, verabscheuen. Das ist der einzige Weg es zu beschützen.“
Die Musik endete und sie trat aus Snapes Griff heraus.
„Was soll ich dem Schulleiter sagen?“
„Sagen Sie ihm, dass ich bleiben werde.“
„Gut. Wir werden die Diskussion dann fortsetzen“, sagte er und ließ sie, sprachlos mitten auf der Tanzfläche stehen.
„Minerva“, sagte er elegant, „würden Sie gerne tanzen?“
Sie müssen die Erscheinung erwecken, dass Sie das, was Ihnen am liebsten ist, verabscheuen. Snapes Worte hallten in ihrem Kopf, als Harry von hinten auf sie zukam.
„Hermine“, zischte er. „Was zum Teufel war das gerade eben?“
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