von Xaveria
Als sie am nächsten Morgen eintraf, saß Snape an seinem Schreibtisch. Amüsiert bemerkte er, dass sie ihren Zauberstab gezogen hatte, bereit ein Protego Totalum zu zaubern.
„Erscheinen Sie oft in den Büros anderer, bereitwillig sie zu verhexen?“, fragte er milde.
Sie grinste, diese freche kleine Närrin, und steckte ihren Zauberstab zurück in ihre Robe, bevor sie sich auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch setzte. Lustig, er hatte sie nicht darum gebeten, sich wie zu Hause zu fühlen.
„Lassen Sie mich sehen, was Sie geübt haben.“
Sie stand auf und wandte sich etwas murmelnd von ihm ab. Als sie sich zu ihm umdrehte, musste er sich beherrschen nicht nach seinem Zauberstab zu greifen und den Zauber zu entfernen, wie er es bereits am gestrigen Tag getan hatte. Ihr Haar war dick und lang, blond, leicht gewellt. Ihre Nase war irgendwie frecher denn je und ihre Haut war gebräunt und ihr Nasenrücken war mit leichten Sommersprossen besetzt. Sie schien sich kleiner gemacht zu haben, wirkte irgendwie winzig, delikat — das lächerliche Mädchen hatte sich schön gemacht.
Und dennoch war es nicht schön. Oh, oh er konnte genau sehen, wie diese Maskierung Ablenkung verursachen konnte und auch wenn er es ihr gegenüber nie zugeben würde, war es ein brillanter Schachzug. Das Mädchen vor ihm, stand in keinerlei Bezug zu ihrer Gelehrsamkeit und Rechthaberei; sie würde die Männer dazu beflügeln ihren hübschen Schwachsinn zu kaufen und vor ihr herzustolpern, nur um ihr die Ehre zu erweisen, sie zu beschützen. Aber diese Augen, diese Augen gehörten nicht in so ein Gesicht und sie in solch ein falsches Ideal zu setzen, war einfach nur schmerzhaft. Wo war Miss Granger, welche lächelte, wenn sie ihn beleidigte und vor Vorfreude in seinem Unterricht zitterte? Wo ist das erschrockene, unglaublich liebliche Mädchen, welches sich unter ihm ausgebreitet und ihm erlaubt hatte …
„Entfernen Sie es“, schnappte er. Sie hob ihren Zauberstab und mit einem fragenden Blick löste sie den Zauber.
„Wo haben Sie solch einen Zauber gelernt?“
„Ich … ich habe ihn gemacht.“
Sie hatte ihn gemacht?
„Erklären Sie sich.“
„Nun, Sir, die Basis der Zauber, die Sie mir gezeigt haben, war Dissimulo, was leicht genug war. Die Zauberstabbewegung für beide ist der gleiche Stoß nach oben. Der Unterschied liegt in dem Schlagwort. Ich habe einen grundlegenden Schönheitszauber so modifiziert, dass er sich der Basis des Dissimulo angepasst hatte … Sehen Sie, es ist der Schwung am Ende … und da haben Sie es.“
„Sie haben nicht die Bibliothek benutzt?“
„Madam Pince scheint im Moment ziemlich wütend auf mich zu sein, Sir.“ Da musste er ein Lachen unterdrücken. Madam Pince hatte sich seit den letzten sechs Jahren unaufhörlich über Hermine Granger beschwert. Snape fragte sich manchmal, ob die alte Hexe es nicht bevorzugte, wenn niemand ihre Bibliothek besuchen würde.
„Also haben Sie einen unbekannten Zauber – einer aus Ihrer eigenen Kreation – an sich selbst ausprobiert?“, fragte er ungläubig.
Sie schürzte ihre Lippen, spannte ihr Kinn an, und starrte ihn an. „Es hat doch funktioniert, oder etwa nicht?“
„Von jetzt an, wenn Sie es wünschen mit neuen Zaubern herumzuexperimentieren, werden Sie es unter meiner Aufsicht tun. Ist das klar?“
„Ja, Sir.“
„Gut“, sagte er und fügte dann leichthin hinzu: „Zehn Punkte für Gryffindor.“
Sie hatte den gesunden Menschenverstand sich nicht hämisch zu freuen. „Werden wir heute mit den Maskierungszaubern fortfahren?“
„Das denke ich nicht. Sie haben zwei dienliche Maskierungen auf Ihrem Geheiß. Auch wenn ich Sie warnen sollte, Miss Granger, Sie können Potter nicht auf diese Art maskieren. Seine Narbe und seine Augen werden sich nicht verändern. Jemand mit auch nur einem halben Gehirn wird nach einem Jungen mit einer Narbe und einer Brille Ausschau halten. Potter zu entstellen wäre vermutlich Ihre einzige Möglichkeit“, sagte er mit einem Lächeln. „Aber da unsere Zeit begrenzt ist, möchte ich gerne damit fortfahren, Ihren Verstand zu tarnen.“
„Okklumentik“, hauchte sie.
„In der Tat.“
Er hatte sich schon auf diese Unterrichtsstunde gefreut. Zuerst und vor allem, sagte er sich selbst, würde es ihn schützen, falls sie von dem Dunklen Lord gefangen genommen werden sollte und ihr selbst Okklumentik beizubringen, würde ihn versichern, dass ihre Gedanken so gut es ging, geschützt waren. Aber darüber hinaus sehnte er sich danach in ihre Erinnerungen zu blicken, wie flüchtig es auch sein mochte, um zu sehen, was sie noch immer vor ihm verbarg. Bis er ihr beigebracht hatte, ihre Gedanken zu schützen, würden sie alle ihm gehören.
„Hat Potter Ihnen den Unterricht beschrieben?“
Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl, aber hielt seinen Blick, dieses törichte Mädchen. Sie musste doch wissen, dass der Weg nach innen durch ihre Augen war.
„Hat er.“
„Dann wissen Sie, was Sie tun müssen. Machen Sie Ihren Kopf frei, Miss Granger.“
Als sie einigermaßen entspannt schien, beugte er sich rasch nach vorne und zischte: „Legilimens!“
Bilder flogen vorbei … ein Mädchen mit krausen Haaren saß auf den Schultern ihres Vaters; Winkelgasse - und das Mädchen, aber älter, wie ihre Schulroben abgemessen wurden, ihre Nerven flatternd vor Aufregung; ihre Freude, als sie nach Gryffindor sortiert wurde; Wut auf den Weasley Jungen, aber die Wut war gemischt mit … nein—er eilte daran vorbei. Wo waren die Erinnerungen, nach denen er suchte? Er schien eine Handvoll hinauszuziehen, und nachdem er drüber geschaut hatte, schmiss er sie zur Seite, eilte weiter, tiefer … tiefer … bis dahin, wo sie ihr Herz verborgen hatte …
Der Zeitumkehrer – er hatte es gewusst, auch wenn es niemand zugeben wollte! – pure Erschöpfung, das fest zugeschnürte Gefühl, das ihm sagte, dass sie den Tränen nahe war; Angst, die wie in Wellen von ihr prallten in der Heulenden Hütte; das Mädchen mit Potter und Weasley, verzweifelt in dem Ministerium, dennoch sich ihrer Zauber sicher, gefüllt von einem Selbstvertrauen, das er nicht erwartet hätte und das ernste, unermüdliche Gefühl, dass sie weiter kämpfen würde …
Vertrieb sie ihn aus ihren Gedanken? Warum konnte er nicht das finden, was er suchte? Ah, aber hier war ein Ausschnitt — sein eigenes Gesicht, entsetzlich wütend auf Albus, dennoch verspürte er keine Abscheu von ihr, sondern ein seltsames Gefühl von Bedauern. Mitleid?, fragte er sich wild bei ihren Gedanken, aber nein, es war nicht Mitleid … und dann das Entsetzen und dann dieselbe blinde Entschlossenheit, die er von ihr auch schon im Ministerium gespürt hatte, als sie ihre Hand in die seine legte. Dann eine Wand. Er versuchte tiefer zu tauchen, an den Steinen vorbei zu preschen, drückte vermutlich fester als vernünftig gewesen wäre und er fing einen Luftzug von etwas wie Lust und dem Anblick seines Mundes, der auf den ihren gepresst war, auf. Er griff in ihre Gedanken, grub mit allem, was er hatte … wie viele einsame Nächte hatte er diese Erinnerung immer und immer wieder in seinem Kopf durchgespielt und jetzt würde er es von ihr erfahren … sein Blut brodelte, schnell und heiß; er griff … und rannte vor eine verschlossene Tür.
Frustriert zog er sich zurück. „Was verbergen Sie, Miss Granger? Was ist es, was Sie nicht wollen, was ich sehe?“
„Verzeihung, aber ich hatte den Eindruck, dass ich Sie blocken sollte. Ist das nicht der Punkt von Okklumentik?“
Musste sie in allem so gut sein? „Sie haben Ihre Wände nicht aufgebaut, bis ich … eher jüngste Erinnerungen beobachtet habe.“
Sie errötete leicht. „Bis dahin hatte ich es noch nicht ganz verstanden. Ich dachte, das war der Grund, warum Sie nach Erinnerungen gesucht haben, die mich beschämen würden, Sir, damit Sie mich dazu zwingen diese Gedanken vor Ihnen zu schützen. Haben Sie es nicht auch so mit Harry gemacht?“
„Warum schämen Sie sich für diese Erinnerungen? Gewiss wissen Sie, dass ich sie ebenfalls habe.“
„Natürlich“, sagte sie brüsk. „Aber der Begriff ‚doppelblind‘ trifft auch hier zu, nicht wahr? Da ich wohl kaum davon ausgesehen kann, dass Sie mich Ihre Gedanken von dieser Nacht untersuchen lassen?“
Er schnaubte. „Verdammt richtig.“
„Also zeigen Sie es mir“, sagte sie.
„Wie bitte?“ Wovon zum Teufel sprach sie da? Hatte er, während er in ihrem Kopf war, etwas preisgegeben, ihr irgendwie das Gefühl vermittelt, dass er …?
„Ich habe Sie zu weit vordringen lassen, bevor ich mich geschützt habe. Zeigen Sie mir, wie ich es besser machen kann.“
Er sammelte seine Gedanken. Sie vermutete nichts. „Ihre Methoden sind plump, aber effektiv. Es wird Ihnen jedoch gut tun, sich daran zu erinnern, dass Wände zerstört und Türen von denen eingeschlagen werden können, die viel Zeit haben und sich nur wenig um die Zerstörung ihres Verstandes kümmern. Ihr Schild sollte etwas Permanentes und zugleich Flüchtigeres sein. Ich selbst tendiere dazu, einen Nachthimmel zu benutzen. Sie können auch die Oberfläche eines Sees benutzen – alles, das nicht zur Seite gerückt oder mit Gewalt durchbrochen werden kann.“
Sie nickte.
„Übung wird Ihnen helfen, dieses Schild immer zur Hand zu haben. Der Dunkle Lord wird Sie nicht vorwarnen, bevor er in Ihren Verstand eindringt.“
„Ich weiß, Sir. Ich bin bereit es noch einmal zu versuchen.“
Wie sehr sie sich doch von Potter unterschied, welcher sich nicht darum gekümmert hatte, was er ihm versucht hatte beizubringen. Er konnte sehen, wie sie bewusst ihre Atmung verlangsamte, ihren Körper dazu brachte, sich zu beruhigen. Er gab ihr einen Moment, um sich vorzubereiten – schon bald würde er nicht mehr so freundlich sein – und tauchte ein.
„Legilimens!“
Wolken schwebten am Himmel … gut, aber darunter konnte er Angst spüren, Angst, die er greifen konnte … er folgte ihrer Angst, wo es sie unter den Himmel führte und fand die Nacht, in der Dumbledore sie verzaubert und sie unter den Schwarzen See gebracht hatte … das kalte Wasser, das Widerstreben zu Atmen … die Schwärze … nichts.
Sich zurückziehend, seufzte er. „Besser. Ich konnte die Erinnerung sehen, die Sie dorthin gebracht hat, aber das Bild, als es einmal aufgetaucht war, war undurchdringlich.“
Sie lächelte, aber er dachte, dass sie etwas blass aussah. Okklumentik verbrauchte unglaublich viele Kraftreserven. Das war zum Teil der Grund, warum er Voldemorts körperlichen Angriffen gegenüber so verletzlich war; jedes Mal wenn er vor dem Dunklen Lord stand, war er bereits im Nachteil. Er griff in seine Schublade und zog eine Tafel Schokolade heraus, brach ein Stück ab und schob es ihr entgegen.
„Essen Sie das. Sie müssen wieder zu Kräften kommen.“
Als sie fertig war, sagte er: „Ich werde Sie schon bald überraschen müssen.“
„Das habe ich vermutet“, antwortete sie.
„In der Zwischenzeit, denke ich, legen wir eine schnelle Stunde in Ausdehnzauber ein.“
„Die innere Dimension eines Objektes vergrößern, ohne dabei die äußere Dimension zu verändern?“
Er seufzte. „Eine Definition, wie ich annehme, die Sie aus dem Lehrbuch für Zauberei Klasse Sechs auswendig gelernt haben?“
„Wird es dadurch weniger richtig?“
„Ich möchte nicht, dass Sie nur nachplappern, Miss Granger. Ich möchte, dass Sie verstehen.“
„Dann erklären Sie es mir.“
„Ausdehnzauber sind einige der sinnvollsten Tarnzauber, da sie vom Ministerium gebilligt werden – zumeist, weil sie selbst sie zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen. Kommen Sie her.“
Sie stand auf und ging hinter seinen Schreibtisch.
„Was sehen Sie?“
„Ah … Ihren Schreibtisch, Sir.“
„Genau“, sagte er, zog die Schublade auf und enthüllte einen Stapel von Akten. „Ein Schreibtisch. Dennoch befinden sich in dieser Schublade die Aufzeichnungen aller Schüler, dessen Pech ich hatte, unterrichten zu dürfen. Jeder Schüler der letzten sechzehn Jahre.“ Er zog die Schublade weiter und weiter und immer weiter heraus. Eine Akte nach der anderen, ohne weniger zu werden.
Sie streckte eine Hand aus, um sie zu berühren, damit sie sich auch vergewissern konnte, dass es nicht nur eine Einbildung war.
„Miss Granger“, schnappte er und schuldig zog sie ihre Hand zurück.
„Miss Granger“, sagte er erneut und ihr Blick traf den seinen. „Legilimens!“
Jetzt hatte er sie, wo er sie haben wollte, überrascht und in solch einer Nähe zu seinem Körper, dass sie nicht anders konnte, als an ihn zu denken. Jetzt … Er brach in ihren Verstand und sah das flackernde Kaminfeuer, seine Hände, wie sie über ihre Beine streichelten, und fühlte … ja … süßes Verlangen, zaghaft aber da. Es war nicht nur ein Schauspiel gewesen. Jetzt war sie auf seinen Schoß geklettert und er riss an ihrem Rock … Plötzlich flackerte das Bild und drohte zu der Oberfläche des Schwarzen Sees zu werden, aber er tauchte in das Wasser, sah ihre Finger, wie sie unter sein Hemd fuhren, spürte die Hitze und Verwirrtheit in ihren Gedanken und hörte sich selbst „Schlafzimmer“, sagen. Er sah sie beide ineinander verschlungen, sein Gesicht zwischen ihren Schenkeln. Er spürte ihr Verlangen; er spürte, wie sie kam; er spürte …
Sie brach, die Kante des Schreitisches streifend, zusammen.
Gottverdammt. Was habe ich getan?
Er erkannte augenblicklich, dass er sie nicht in den Krankenhausflügel bringen konnte. Poppy würde alle möglichen Fragen über ihre Unterrichtsstunden stellen, Fragen, die er nicht beantworten konnte; also nahm er ihren nachgiebigen Körper in seine Arme und trug sie durch den Kamin in seine Gemächer, wo er sie auf die Couch legte. Er zauberte eine Decke herbei und sah nach, wie spät es war. Drei Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie vermutlich schon vier Minuten bewusstlos, also …
Drei Uhr?
Wie lange hatten sie um die Kontrolle ihres Verstandes gekämpft? Nachmittag, so viel war sicher und er erkannte, dass er keine Ahnung hatte, ob sie gefrühstückt hatte. Er war an diesem Morgen nicht in der Großen Halle gewesen.
„Dobby!“, rief er.
Dobby erschien augenblicklich neben ihm und als er Miss Granger auf der Couch liegen sah, eilte der Hauself dumm zitternd an ihre Seite.
„Aber was fehlt Miss denn?“
„Sie hat sich verausgabt“, sagte Snape, sich weigernd zuzugeben, dass er eventuell eine bedeutende Rolle in ihrer Erschöpfung gespielt hatte. „Sie braucht was zu essen. Und bring viel Tee und Kürbissaft mit.“
„Natürlich, Sir.“ Mit einem Knall verschwand der Elf.
Er eilte in sein Labor, überflog die Regale. Aufpäppeltrank, ja, zwischen dem und Koffein … und etwas Gedächtniszauber sollte nicht fehlen, doch so wahr ihm Gott helfe, sollte er ihren Verstand beschädigt haben.
Er kehrte an ihre Seite zurück und strich ihr Haar mit seiner Hand zurück. Sie schwitzte leicht, aber er spürte keine Anzeichen von Fieber. Was in Merlins Namen war nur los mit ihm? Was war es, was er so verzweifelt gesucht hatte, dass er sie so stark bekämpfen musste? Er hatte, wie er ihr gegenüber zuvor betont hatte, seine eigenen Erinnerungen, und wenn er seinen eigenen nicht vertrauen konnte — ihre Atmung, der dichte, reichhaltige Duft ihrer Erregung – was konnte er da noch vertrauen? Es war lächerlich und zerstörerisch gewesen, ihre neuen Fähigkeiten so weit zu treiben. Mit Sicherheit würde sie wütend sein, wenn sie aufwachte--
Dobby kehrte zurück, schrak ihn aus seinen Gedanken. „Ich hab Essen für Miss gebracht“, sagte er. „Soll ich Madam Pomfrey holen?“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte Snape und nahm das Tablett mit Essen, welches der Hauself ihm anbot. „Sie braucht nur etwas Essen und Ruhe. Es gibt keinen Grund mit jemandem darüber zu sprechen“, sagte er, wohl wissend, dass es genug war, um den Elf an sein Schweigen zu binden. „Das ist dann alles.“
Als sie wieder alleine waren, zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf das bewusstlose Mädchen. „Rennervate!“
***
Vorsichtig öffnete sie ihre Augen, nahm seine Gegenwart auf, den Raum und das Essen und stimmte ihre Bedeutung gegeneinander ab, bevor sie sprach. Er hatte sich um sie gesorgt. Er hatte ihren Verstand angegriffen und hatte versucht sich das zu nehmen, was sie besonders gegen ihn schützen wollte, aber er hatte sich um sie gekümmert. „Was ist passiert?“
„Ich—Ich habe Ihre Fähigkeiten überstrapaziert. Sie haben das Bewusstsein verloren.“
Sie saß für einen Moment ruhig da, durchforstete die Erinnerungen, die er gesehen hatte, bevor die Welt um sie herum verschwunden war. „Sie hätten fragen können. Ich hätte Ihnen alles gesagt, was Sie hätten wissen wollen.“
„Was gefragt? Hier, trinken Sie den Kürbissaft. Es wird Ihnen helfen Ihren Blutzuckerspiegel wieder zu steigern. Sie fantasieren.“
„Tue ich nicht“, sagte sie, auch wenn sie einen großen Schluck von dem Saft nahm. „Ich habe gesehen, nach was Sie gesucht haben.“
„Sie haben das Mittagessen verpasst und ich wage von Ihrer Reaktion aus, zu behaupten, dass Sie auch kein Frühstück hatten. Essen Sie, Miss Granger. In wenigen Minuten wird es alles einen Sinn ergeben.“
Sie starrte ihn an, aber griff behutsam nach einem Sandwich.
„Sie werden eine gute Okklumentikerin sein“, begann er. „Ich entschuldige mich, Sie so weit getrieben zu haben. Ihre Entschlossenheit beweist mehr als ich erwartet hatte.“
„Sie unterschätzen mich bereits seit Jahren, Professor Snape. Ich bin es gewohnt. Ich hoffe nur, dass ich unter einer … heimtückischeren Prüfung … durchhalte.“
Er nickte und goss noch mehr Kürbissaft in ihr Glas. Sie trank es begierig.
„Wie fühlen Sie sich?“
„Besser“, sagte sie. „Vielen Dank.“
Er schnaubte. „Ich verdiene wohl kaum Ihren Dank.“
„Nein, vermutlich nicht. Warum, zum Teufel, waren Sie so entschlossen diese Erinnerungen zu sehen?“ Sie würde die Antwort bekommen; er konnte ihr nicht für immer ausweichen. Da lag ein merkwürdiges Flackern von Hoffnung in ihrer Brust, das sie nicht erklären konnte.
„Weil der Dunkle Lord bereits einen Verdacht über unsere Beziehung hegt. Es ist das, wonach er suchen wird, wenn er es schafft, Hand an Sie zu legen.“
Sie merkte, wie die Welt sich wieder zu drehen begann und er stieß eine Phiole in ihre Hand. „Aufpäppeltrank“, sagte er knapp. Sie trank es.
Als sie wieder reden konnte, ohne zu befürchten ihr Sandwich und den Saft nicht mehr halten zu können, fragte sie: „Woher wissen Sie das?“
„Weil meine eigenen Schilde das letzte Mal, als ich vor ihm war, gefallen sind. Er hat nur sehr wenig gesehen—aber er hat Sie gesehen.“
Nein, Gott. Nein. Die Nacht, in der er nach Hogwarts zurückgekehrt war …
„War das der Grund für--?
„Kurz gefasst.“
„Professor Snape, ich—Oh Gott, ich glaube, mir wird schlecht.“ Sie stand auf, sah sich wild um und erinnerte sich, dass sich das Badezimmer durch das Schlafzimmer befand. Sie stolperte, als sie durch die Tür rannte, aber schaffte es noch rechtzeitig.
Als sie ihr Essen erbrach, betete sie, Bitte Gott, wie kann ich es nur rückgängig machen? Er erträgt bereits so viel. Er soll nicht meinetwegen gefoltert werden. Seine Geheimnisse … Sie sackte gegen die Wand zusammen. Die Kälte der Kacheln drang durch ihre Haut und begann ihren Kopf zu lüften. Es konnte nicht rückgängig gemacht werden, jetzt oder jemals. Alles, was wir haben, ist Okklumentik. Lasst unsere Schilde dick und undurchdringbar sein. Lass mich ihm nicht noch mehr verletzen. Sie dachte an die sinnlose Flamme, die in ihrer Brust aufgelodert war, als es deutlich wurde, dass er ihre Erinnerungen dieser Nacht wollte. Wage es nicht mal zu hoffen, Hermine Granger. Nicht einmal für eine Sekunde. Wenn er sich um dich sorgt … würde es nur seinen Tod bedeuten.
Als sie wieder stehen konnte, ging sie zurück in das Wohnzimmer, wo Snape vor dem Kamin auf und ab lief.
„Ich hätte Ihnen nicht den Aufpäppeltrank geben dürfen“, sagte er. „Sicherlich, eine Reaktion auf--“
„Mir geht es gut“, sagte sie knapp.
„Setzen Sie sich, Miss Granger. Sie stehen unter Schock und brauchen--“
„Ich sagte, mir geht es gut“, schnappte sie. „Ich werde in mein Zimmer zurückkehren und mich dort hinlegen.“ Sie durchquerte den Raum zu dem Kamin so zuverlässig, wie sie konnte.
Zuerst sah er überrascht und getroffen aus, dann setzte sein Gesicht die gewöhnliche Gleichgültigkeit auf. „Ich erwarten Sie dann morgen früh“, sagte er. „Seien Sie so vernünftig und essen Sie vorher etwas.“
„Ja“, sagte sie. „Natürlich werde ich mich vorher stärken.“ Und damit trat sie in die Flammen.
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