von Xaveria
Die nächsten Tage über klopfte sie immer pünktlich um neun Uhr an seine Tür. Sie wusste, dass er da war; sie konnte ihn fühlen, aber er hatte sie nie hereingebeten. Sie wusste, dass sie einfach hineinstürmen konnte. Die Zauber würden sie erkennen. Oder sie könnte zu Dumbledore gehen und er würde gezwungen sein ihre Stunden fortzusetzen. Aber genauso wie sie nicht den Wunsch hegte Dumbledore erklären zu müssen, was sein Verhalten ausgelöst hatte, wollte sie sich ihm auch nicht aufzwängen. Wenn er bereit war, sagte sie sich, würde er ihr antworten und sie würden einfach dort weitermachen, wo sie aufgehört hatte, bevor der Nachmittag im Verbotenen Wald passiert war. Bis dahin würde sie weiter klopfen.
Hermine schien in einem Griff der Einsamkeit gefangen zu sein, wie sie es zuvor noch nie erlebt hatte. Sie wusste, wie es war, ohne Freunde zu sein, als eine nervende, arrogante Streberin angesehen zu werden. Sie wusste, wie es war, Freunde zu haben, aber ohne sie sein zu müssen; jeder Augenblick, den sie in der Muggelwelt verbracht hatte, war gespickt mit dieser Einsamkeit, wie sehr sie Harry und Ron vermisst hatte. Sie kannte Heimweh, eine Einsamkeit für ihre Familie, wenn sie in der Schule war und eine Einsamkeit nach der magischen Welt, wenn sie zuhause war. Aber sie hatte nie das Gefühl kennen gelernt, welches jetzt ihr Herz ergriff und zuschnürte. Es fühlte sich so an, als ob man von ihr ein Stück herausgeschnitten hatte, als ob sie vollkommen alleine war. Ob Snape das fehlende Stück besaß oder ob er das fehlende Stück war, wusste sie nicht, aber eines war klar, dass, seit er sie im Wald alleine gelassen hatte, nichts mehr in Ordnung war und was auch immer es war, es trieb sie jeden Morgen hinunter in den Kerker.
Lernen half ihr nicht, noch lesen und sie fühlte sich von ihren Fähigkeiten, die sie die ganzen Jahre über ganz und ruhig gehalten hatte, verraten. Sie hatte immer das Gefühl, als ob sie sich in einer minderwertigen Panikattacke befand. Sie wollte an die Tür schlagen und verlangen, dass er sie sah. Sie wollte ihn anflehen, ihn versprechen, dass es nichts zu bedeuten hatte, dass sie alles tun würde, wenn er sie doch nur weiter unterrichten würde. Aber es war natürlich Snape, und sie konnte so etwas nicht tun. Sie konnte sich seinen Blick vorstellen, die kalte Verachtung, wenn sie es wagen würde, Gefühle jeglicher Art zu zeigen. Er würde sie zerschmettern.
An ihrem vierten Tag beantwortete er ihr Klopfen.
„Herein.“
Sie schlich in sein Büro, leicht zitternd und umklammerte ihren Lederbeutel. Als sie seinen Schreibtisch erreicht hatte, erkannte sie, was er getan hatte, indem er sich geweigert hatte, sie zu sehen. Er hatte sich zurück in ihrem Professor verwandelt. Mit einem einzigen Wort, Herein, hatte er ihr gesagt, dass es kein freundschaftliches Wortduell oder Zauberaustausch mehr geben würde, keine Extrastunden, keine Unterhaltungen. Sie war einfach wieder eine seiner verängstigten Schülerinnen, die ihre Arbeit zur Untersuchung vorlegte.
„Miss Granger. Und was verdanke ich das … Vergnügen?“ Er sagte das Wort Vergnügen so zweifelhaft, dass sie sich wünschte, wieder verschwinden zu können, aber sie wusste, dass sie es nicht durfte.
„Ich habe mein Projekt für die Ausdehnzauber beendet“, sagte sie leise und gab ihm das Stück Leder.
Snape öffnete den Beutel und zog ihre Schulbücher, eines nach dem anderen, heraus. Er legte sie auf seinen Schreibtisch.
„Ausreichend“, sagte er etwas gelangweilt. „Natürlich weckt ein Beutel solcher Natur Neugierde. Warum haben Sie es? Was befindet sich darin? Weitaus weniger auffälliger wäre eine Art Handtasche … etwas, wo der Blick einfach hinüber schweifen würde, registriert, aber dann auch schon wieder ignoriert …â€
„Ja, Sir“, sagte sie. Sie fühlte sich seltsam entblößt, wie sie vor seinem Schreibtisch stand, da er ihr nicht angeboten hatte sich zu setzen.
Abweisend ließ er den Beutel auf seinen Schreibtisch fallen und sie fragte sich, ob sie ihn nehmen und ihre Bücher wieder einpacken sollte. Sein Kopf hatte sich wieder über das Pergament gesenkt, an dem er gearbeitet hatte, sein Haar verdeckte sein Gesicht, sodass sie seinen Ausdruck nicht sehen konnte. Genoss er ihr Unbehagen oder war er durch sein Eigenes gebunden?
„Gibt es sonst noch etwas?“, fragte er, ohne aufzublicken.
„Nein, Sir“, sagte sie und sammelte dann ihre Bücher ein, so unangenehm es ihr auch war, um ihn herum zu greifen, damit sie sie erreichen konnte. Etwas traurig hatte sie eines nach dem anderen wieder zurück in den Beutel gesteckt. Sie hatte sehr hart daran gearbeitet; es war das Einzige gewesen, auf das sie sich die letzten Tage hatte, konzentrieren konnte. Sie hatte gedacht, dass die Idee eines Beutels genial war, da sie ihn so weit öffnen konnte, um Objekte jeglicher Form hineinzustecken. Sie hatte, auch wenn sie es nie zugeben würde, es ihm als eine Art Geschenk gebracht, ein Geschenk ihres Verstandes oder ihres Talentes. Dass er es als wertlos betrachte, ließ sie es hassen.
„Dann erwarte ich Sie im nächsten Semester in Verteidigung gegen die Dunklen Künste“, sagte er.
Also würde es keinen weiteren Unterricht mehr geben. Er hatte sie in sein Büro gelassen, um sie für den Rest der Ferien zu entlassen. Als sie die Tasche wieder gefüllt hatte, wandte sie sich um, um zu gehen.
„Miss Granger.“
Sie wirbelte herum.
„Nach sorgsamer Überlegung über das, was an jenen Tag geschehen ist, ziehe ich meine Entschuldigung zurück.“
Ihr Herz hüpfte. Wollte er damit sagen--?
„Ich hatte offensichtlich eine leichte Pilzvergiftung. Daher sehe ich keinen Grund mich für meine Taten zu entschuldigen, da ich nicht in der Lage gewesen bin, meine Fähigkeiten zu kontrollieren.“
Irgendwie hatte er es geschafft ihr in einer Aussage zu unterstellen, dass sie einen Pilz falsch identifiziert und ihn vergiftet hatte und, dass er sie so abstoßend fand, dass nur eine Nervenvergiftung ihn dazu bringen konnte, sie zu küssen.
Hermine sah ihn ununterbrochen an, wog ihre Optionen ab. Darauf hinzuweisen, dass sie denselben Pilz ohne irgendwelche Vergiftungen gegessen hatte, schien nicht richtig zu sein, noch schien weinen und aus seinem Büro zu rennen, angebracht zu sein. Sie fixierte ihren Blick auf ihn, als sie tief in sich ging und eine Eleganz hervorzog, von der sie nicht wusste, dass sie sie besaß.
„Ich bin mir sicher, Sie haben Recht“, sagte sie milde. Dann hielt sie inne und fügte hinzu: „Stellen Sie sich nur vor, was passiert wäre, wenn wir das ganze Ding gegessen hätten.“
Sie konnte nur flüchtig sehen, wie er leicht errötete, als sie sich abwandte und ruhig den Raum verließ.
Erst als sie zwei Treppen hinaufgegangen war und das Schloss zum gegenüberliegenden Flügel durchquert hatte, entschied sie, dass sie weit genug entfernt war, und brach in Tränen aus.
***
Hermine saß im Gemeinschaftsraum, als Harry zurückkehrte, durch das Porträt gestürmt und direkt auf sie zu gerannt kam. Sie war so erfreut zu sehen, dass er sie nicht länger ignorierte – die letzten Tage waren so quälend lang und einsam gewesen – dass sie noch nicht einmal daran dachte, von ihm eine Entschuldigung zu verlangen.
„Harry! Hattest du schöne Ferien?“
Er schmiss sich neben sie auf die Couch. „Ja, es war nett … Ich muss dir so viel erzählen. Und es … ähm … es tut mir leid wie ich dich behandelt habe, bevor ich gefahren bin. Ich war wohl nicht ganz bei Verstand, verstehst du – Ich habe gehört …“
Abweisend winkte sie ab. „Was hast du gehört?“
„Der Abend auf Slughorns Party – da bin ich Snape und Malfoy gefolgt! Sie sind in Snapes Büro gegangen und--“
Hermines Herz schien in ihrer Brust erst zu flattern und dann stehen zu bleiben. Was hatte er gehört?
„Malfoy plant etwas! Etwas für Voldemort … und Snape hat ihm seine Hilfe angeboten!â€
Hermine hörte mit betäubtem Schweigen zu, als er ihr alles von dem erzählte, was er außerhalb von Snapes Büro belauscht hatte. Sie versuchte ihre Gedanken zu beruhigen. Sie musste Harry von dieser Spur abbringen, aber wie?
„Glaubst du nicht--“, begann sie.
„—dass er so getan hat, als würde er Hilfe anbieten, damit Malfoy darauf reinfällt und ihm verrät, was er vorhat?“
„Nun ja, genau“, sagte Hermine.
„Das ist, was alle sagen“, sagte Harry ungeduldig. „Aber es beweist, dass ich Recht hatte – Malfoy heckt irgendwas aus! Ich sage dir, das bereits seit einer Ewigkeit.“
„Das hast du gewiss“, antwortete Hermine, aber Harry bemerkte ihren Ton nicht.
„Und es beweist, dass er ein Todesser ist.“
„Hat er tatsächlich gesagt, dass er für Voldemort arbeitet?“
Mit einem Stirnrunzeln versuchte Harry sich zu erinnern: „Ich bin mir nicht sicher … Snape hat eindeutig ‚dein Meister‘ gesagt, und wer sollte das schon sein?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Hermine und biss sich auf die Lippe. „Vielleicht sein Vater?“
„Warum bist du so entschlossen zu glauben, dass Malfoy unschuldig ist?“
„Ich sage ja nicht, dass ich glaube, dass Malfoy unschuldig ist – ich sage ja nur, dass wenn Professor Snape darüber Bescheid weiß, dann sollten wir doch wohl glauben--“
„Oh, bitte“, begann Harry wütend. „Snape hat sich ja wohl kaum als vertrauenswürdig erwiesen. Der Mann ist ein Todesser, Hermine. Ich weiß wirklich nicht, warum du ihn ständig verteidigen musst.“
Hermine dachte an all das, was sie an diesem Abend der Weihnachtsfeier in Snapes Büro gehört hatte. Sie konnte Harry wirklich nicht für sein Misstrauen beschuldigen; sie war genauso verängstigt und wütend gewesen. Aber Tatsache war, sie hatte Snape immer vertraut. Seit Jahren machte Harry ihn schlecht, aber ist er nicht immer wieder dann aufgetaucht, wenn sie ihn gebraucht hatten? Selbst in der Heulenden Hütte hatte er geglaubt sie zu beschützen – Harry vor dem Mann zu beschützen, der seine Familie verraten hatte. In dieser schrecklichen Nacht, in der sie in das Ministerium gegangen waren, die Nacht, in der sie Sirius verloren hatten, war es Snape gewesen, der ihnen Hilfe geschickt hatte. Sie dachte wieder an das, was er gesagt hatte, als sie ihn über Dracos Pläne gefragt hatte. „Glauben Sie mir, Miss Granger, der Schulleiter weiß über alles, was ich mit Malfoy teile, Bescheid. Erledigen Sie Ihre Aufgabe. Lassen Sie mich die meine erledigen.“
Was auch immer in diesem Büro geschehen war, sie musste darauf vertrauen, dass es Teil des Plans war. Gab es nicht einige Teile des Planes, die sie nicht verstand? Warum war sie an Snape gebunden? Warum bereitete Dumbledore sie – und von dem, was Snape im Wald angedeutet hatte, auch Harry und Ron – darauf vor unterzutauchen? Sie musste Vertrauen haben, um irgendwie zu glauben, dass der Plan sie alle retten würde. Harry durfte sich nicht in das, was auch immer Snape machte, einmischen.
„Hör mal – wenn du Professor Snape nicht vertraust, dann geh damit zu Dumbledore. Ich bin mir sicher, dass er von alle dem bereits gehört hat, also wird er dich beruhigen können.“
„Du bist wirklich unglaublich“, sagte Harry kopfschüttelnd. „Wir werden schon sehen, wer Recht hat. Du wirst deine Worte noch bereuen, Hermine.“
„Vielleicht“, sagte sie. „Aber ich hatte geglaubt, dass du mehr Vertrauen in Dumbledores Meinung hast.“
Gerade in diesem Moment betraten Ron und Lavender den Gemeinschaftsraum.
„Ich habe dich so vermisst, Won-Won.“ Lavender hing an Ron wie eine hübsche, blonde Klette.
Entschuldigend schaute Harry zu Hermine hinüber, aber sie zuckte nur mit den Schultern. „Wenn es das ist, was ihn glücklich macht“, sagte sie lediglich.
Er sah erleichtert aus. „Glaubst du, dass ihr beide euch vielleicht wieder vertragen könntet?“
„Vermutlich.“
„Ausgezeichnet!“, sagte Harry und ihr war anscheinend vergeben, dass sie gerade noch nicht bereit gewesen war, Snape und Malfoy zu verleumden. „Wo wir schon gerade von Streitereien sprechen, einen Streit mit Rufus Scrimgeour hatte ich auch …“
Als Harry in seine Geschichte mit dem Zaubereiminister ansetzte, zappelte Hermine leicht. Sie musste Snape warnen, dass Harry ihn belauscht hatte. Sie wusste, dass sie es nicht geschafft hatte, ihn davon abzubringen Malfoy weiter zu verfolgen und sie wollte nicht, dass Snape dachte, dass sie Harry das weitererzählt hatte, was sie überhört hatte. Und sie wollte ihn auf Harrys mögliche Einmischung vorbereiten …
Sobald sie dachte, dass es nicht unhöflich sei zu verschwinden, entschuldigte sie sich, um auf die Toilette zu gehen. Es traf sie da, dass sie die letzten Tage damit verbracht hatte, sich nach Gesellschaft zu sehnen und jetzt, wo sie sie hatte, kämpfte sie darum so schnell wie möglich zu flüchten. Sie eilte die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf. Parvati war noch nicht da und Lavender war noch immer mit Ron im Gemeinschaftsraum. Sie zielte mit ihrem Zauberstab auf den Ring und dachte: Harry hat etwas gehört. Ich muss Sie sehen.
***
Snape hatte es den gesamten Tag nicht geschafft Aufsätze zu benoten. Seit Miss Granger ihren kurzen Auftritt in seinen Büro hatte, war er nicht in der Lage gewesen, als an etwas anderes zu denken, als an die fast unmerklich hochgezogenen Augenbrauen und die kalte, ruhige Stimme, als sie sagte: Stellen Sie sich nur vor, was passiert wäre, wenn wir das ganze Ding gegessen hätten. Unverschämte Göre! War sie auf diese Welt gekommen, um ihn zu foltern? Was genau wollte sie ihm unterstellen?
Er hatte letztendlich die Aufsätze zur Seite geschoben, als es klar war, dass er heute nichts mehr schaffen würde. Er bereite sich gerade darauf vor in den Slytherin- Gemeinschaftsraum zu gehen, um die zurückkehrenden Schüler zu begrüßen, als sein Ring warm wurde. Was jetzt?, dachte er und entfernte ihn.
Harry hat etwas gehört. Ich muss Sie sehen. Die Worte waren winzig und er musste den Ring ein paar Mal drehen, um sie richtig lesen zu können. Er machte sich im Geiste eine Notiz, ihr noch beizubringen mit Abkürzungen zu schreiben, bevor er seine Antwort sendete.
Acht. Meine Gemächer.
***
Das Abendessen war eine qualvolle Angelegenheit. Snape hatte etwas Wut und Frustration an seinen Slytherin ausgelassen, aber sobald er die Große Halle betrat, kehrte alles bei dem Anblick von ihr, eingequetscht zwischen Potter und Weasley am Gryffindor Tisch, wieder zurück. Also hatte sich das goldene Trio wieder vertragen. Und jetzt hatten sie wieder ihre Ohren, die sie mit all möglichen Lügen und Beleidigungen über ihn füllen würden. Was konnte Potter ihr erzählt haben, dass sie ihm darum bitten würde ihn zu sehen?
Er würgte das hinunter, was er konnte, als Dumbledore seine Willkommensrede hielt. Trotz seiner Warnungen hatte das Mädchen ein paar Mal zu ihm hinüber gesehen, obwohl er sie kaum dafür schelten konnte, da alle Augenpaare auf den Lehrertisch gerichtet waren. Einmal hatte sich ihr Blick getroffen und er hatte weggeschaut. Was in Merlins Namen tat sie ihm nur an?
Unruhig, wenn man so sagen durfte, verließ er die Große Halle mit einer mörderischen Stimmung auf den Weg zu seinen Gemächern. Er schritt eine Weile auf und ab und entschied dann, dass es das Beste sein würde, wenn er sich an seinen Schreitisch setzte und beschäftigt ausschaute, wenn sie eintraf. Er öffnete ein Buch und schloss es wieder. Er bestellte Tee von einem Hauself, bestrafte ihn, als der Tee so heiß war, dass man sich daran verbrennen konnte und er nicht so war, wie er ihn mochte.
Als sie durch den Kamin auftauchte, pünktlich um acht Uhr, war er darauf vorbereitet gewesen sie solange anzuschnauzen, bis sie weinen würde.
„Professor Snape“, sagte sie. „Danke, dass Sie mich empfangen.“
Er antwortete nicht, sondern starrte sie unerbittlich an, spürte einen Schauer des Triumphes, als sie zu zittern begann.
„Ich—ich hätte Sie nicht belästigt, aber Harry kam von den Weasleys zurück und es scheint …“ Sie verdrehte ihre Hände vor ihr und schwankte leicht von den einen Fuß auf den anderen.
„Spucken Sie es aus, Miss Granger. Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.“
„Es scheint, als ob er Sie am Abend auf Slughorns Party belauscht hatte.“
Für einen Moment dachte er, dass sie etwas meinte, was zwischen ihnen beiden war. Dann dämmerte es ihm, dass sie seine Unterhaltung mit Malfoy meinte. Wie viele Gryffindors hatten sich noch an diesem Abend an seinem Büro versteckt?
„Verstehe.“
„Ich dachte nur … nun, ich dachte nur, dass Sie wissen sollten, dass er es jetzt als bewiesen ansieht, dass Malfoy den Todessern beigetreten ist und--“
„—und wie immer glaubt er, dass ich ihm bei irgendeinem schändlichen Plan helfe.“
„Genau“, sagte sie und sah etwas erleichtert aus.
„Was haben Sie ihm gesagt?“, fragte er sie heftig.
„Nichts, Sir. Ich habe ihn gefragt, ob er Malfoy tatsächlich hat sagen hören, dass er für Voldemort arbeiten würde – was er niemals getan hatte, Sir. Und ich habe ihm gesagt, dass Sie nur vorgaben Malfoy zu folgen, um herauszufinden, was er plante. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er zu Dumbledore gehen sollte, wenn er es nicht schaffte, Ihnen zu vertrauen.“
„Und was haben Sie sich damit erhofft, indem Sie mir all dies erzählen?“
„Nichts, Sir. Ich habe nur gedacht, dass Sie es für den Fall, dass Harry versuchen sollte, Ihre Pläne zu behindern, wissen sollten--“
„Die Menschen setzen voraus, dass Gryffindors und Slytherins Gegner sind, aber ich denke, dass sie mehr gemein haben als Sie zugeben wollen: Hinterhältigkeit, Eigennützigkeit, immer bereit zu betrügen und zu lügen, die Regeln zu brechen und dann Geschichten zu erfinden, um davonzukommen. Ich ziehe Slytherin vor, weil sie mutig genug sind, sich dazu zu bekennen. Gryffindors hingegen geben immer vor, es für jemand anderen zu tun. Was ist es, was Sie wollen, Miss Granger?“
Sie sah zugleich verletzt und beleidigt aus. „Ich versichere Ihnen, ich habe an nichts anderes als Ihre eigene Sicherheit gedacht. Was ist, wenn Harry etwas aufgrund dessen, was er gehört hat, unternimmt? Was, wenn er versucht Malfoy aufzuhalten und Voldemort denkt, dass Sie--“ Ihre Stimme brach etwas. „Was ist, wenn er denkt, dass Sie mir etwas erzählt haben, was Sie nicht hätten erzählen sollen und dass ich--“ Sie spannte ihr Kinn an, und blinzelte schnell.
Also hatte er es geschafft, sie zum Weinen zu bringen. Eine Welle des Selbsthasses überrollte ihn, aber er weigerte sich, wegen ihren Tränen nachzugeben.
„Also, sind Sie hier, um sich zu vergewissern, dass ich Sie auch weiterhin vor dem Dunklen Lord beschützen werde?“
„Nein!“ Brach es qualvoll, frustriert aus ihr heraus. „Ich bin hier, weil ich Ihnen sage, dass Sie Harry beobachten sollen. Halten Sie ihn von Malfoy fern. Schützen Sie sich selbst.“
Dann begann sie ernsthaft zu weinen, vielleicht in ihrem eigenen Anfall von Selbsthass, da sie etwas getan hatte, was sonst vor ihr noch nie jemand hatte. Sie hatte für ihn Harry verraten.
Er stand von seinem Schreibtisch, wie ein Mann unter Wasser auf. Die Luft schien zu dick, um sie zu atmen. Er trat auf sie zu, aber sie zuckte zurück. Er hätte sich selbst verflucht, wenn er die Geistesgegenwärtigkeit dazu besessen hätte.
„Miss Granger.“
Sie schüttelte ihren Kopf und wischte ihre Tränen fort. „Es tut mir Leid, Sir. Ich sollte jetzt gehen.“
„Miss Granger.“ Er legte eine Hand auf ihren Arm. Sie blickte zu ihm auf und er war verzaubert, wie ihre Tränen ihre Wimpern in schwere, dunkle Spitzen verwandelt hatten.
„Hermine“, sagte er und irgendwie war sie in seinen Armen, ihr Schluchzen erschütterte ihren winzigen Körper. Er strich über ihr entsetzliches Haar – Merlin, wie konnte er nur bereits vergessen haben, wie weich es war? – und fühlte ihre heißen Tränen durch den Stoff seines Hemdes. Er hätte angewidert sein sollen; er versuchte sogar angewidert zu sein, aber alles, was er schaffte, war eine Art tiefer Schmerz und so drückte er sie noch fester.
„Hermine.“
„Das können Sie nicht“, schnappte sie nach Luft und wandte sich aus seinem Griff. „Ich brauche Sie so dringend, aber Sie können nicht. Es ist zu gefährlich.“
„Denken Sie wirklich, dass ich zulassen würde, dass er Sie verletzt?“
„Nicht mich, Sie verdammter Idiot! Er wird Sie umbringen. Er wird es herausfinden und dann wird er Sie umbringen.“
Etwas in ihm brach zusammen, als sie sich von ihm stieß und zum Kamin rannte. Er beobachte ihre wehenden Roben, als sie in den Flammen verschwand. Zum Stuhl stolpernd, sank er hinein. Er hatte in ihre Augen gesehen und keine Legilimentik gebraucht, um die Wahrheit darin zu sehen. Sie sorgte sich um ihn.
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