von Blue
„Verdammt!“ Mit wutverzerrtem Gesicht zerknüllte Draco Malfoy das mit schwarzer Tinte beschmierte Pergament und warf es über seine Schulter nach hinten. Völlig entnervt rieb er sich mit beiden Händen durchs Gesicht, schloss die Augen und stützte die Ellenbogen auf die schwarze Schreibtischplatte. Allein die Idee, er könne einen Brief an sie schreiben, war purer Irrsinn! Erstens war es nach 10 Jahren vielleicht etwas zu spät und zweitens scheiterte er gerade bereits am Versuch, sie anzureden! Hinter seinem Stuhl lagen bestimmt schon an die zwanzig Pergamentbälle. Er seufzte. Er hatte begonnen mit: Liebe Granger, Liebe Miss Granger, Sehr geehrte Miss Granger,….und hatte alles für unpassend empfunden. Der letzte Anfang war aber auch wirklich abgründig gewesen; Er hatte geschrieben: Liebe Hermine!! Bei Merlins Bart, war er noch ganz bei Sinnen?! Hermine! So hatte er sie nicht einmal zu Schulzeiten genannt! Gut, zu Schulzeiten hatte er sie Schlammblut genannt, aber da er ja vorhatte, einen Entschuldigungsbrief an sie zu schreiben, konnte er diesen schlecht mit einer tödlichen Beleidigung beginnen. Auf diesen sinnlosen Einfall war er vor einer halben Stunde gekommen, als er ihr Bild im Tagespropheten gesehen hatte. Ganz zufällig. Er hatte beim Frühstück mit seiner Verlobten Astoria die Zeitung nebenbei durchgeblättert und war plötzlich auf der Seite mit den Heiratsannoncen hängen geblieben.
HERMINE JEAN GRANGER UND RONALD BILLIUS WEASLEY,
hatte da gestanden. Unter dem dicken Schriftzug war ein Foto von den beiden. Sie hielten einander in den Armen und lächelten überglücklich in die Kamera. Draco hatte gestutzt und sie sich genauer angesehen. Sie sah ganz verändert aus! Ihr sonst doch immer so buschiges braunes Haar fiel ihr glatt und weich über die Schultern und nahm nicht die Hälfte des Bildes ein. Diese andere Frisur ließ sie gleich ganz anders aussehen. Die verklemmte Streberin sah hübsch aus! Vor lauter Überraschung hatte er sich an seinem Kaffee verschluckt und die halbe Tasse über die Zeitung gekippt. Astoria hatte ihn nur irritiert angesehen und sich dann wieder dem Klitterer gewidmet. Seine Zukünftige hatte de entscheidenden Vorteil, dass sie ihn nicht nervte, weil sie sich im Grunde gar nicht für ihn interessierte. Er wusste, sie liebte ihn, aber auf eine reservierte, anständige Art. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, hatte er das Bild aus der Zeitung herausgerissen und hatte sich in sein Arbeitszimmer verabschiedet, mit der Begründung, er müsse noch arbeiten. Das hatte seiner Verlobten als Erklärung genügt.
Und nun hockte er hier. Das Bild lag neben dem bereits geschwächten Stapel Pergamente. Er starrte darauf. Ihre Bewegungen wiederholten sich natürlich ständig. Zuerst lächelte sie nur ganz sacht, dann schien sie aufzulachen und zeigte ihre Zähne. Dracos Mundwinkel zuckte verräterisch nach oben. Ihre Zähne, die dank ihm nun so gerade und perfekt aussahen. Er erinnerte sich, wie er ihr in ihrem vierten Jahr die Riesenhauer verpasst und sich darüber so köstlich amüsiert hatte.
Aber dieser harmlose Scherz war nicht der Grund, weshalb er sich jetzt 10 Jahre nach Kriegsende plötzlich schuldig fühlte und das Bedürfnis hatte, sich bei der von ihm gehassten Alleswisserin zu entschuldigen. Nein, der Grund war ein ganz anderer. Etwas, das er bis dato erfolgreich verdrängt und niemandem erzählt hatte, aus Angst, er würde darüber zerbrechen.
Es war hier in seinem Elternhaus passiert, wo er und seine Verlobte noch wohnten. Die Greifer um den Werwolf Greyback hatten Potter, Granger und Weasley gefangen und nach Malfoy Manor gebracht. Schon, als er sie gesehen hatte, war ihm natürlich klar gewesen, wer sie waren. Doch als seine Tante, seine Mutter und sein Vater von ihm verlangt hatten, die drei zu identifizieren hatte er gezögert. Wenn er ihnen gesagt hätte, dass sie es waren…Der dunkle Lord wäre in Sekunden dort gewesen und hätte sie alle ermordet! In diesem Moment hatte er ganz fürchterliche Angst bekommen. Angst davor, was eine einzige Entscheidung seinerseits verursachen konnte. Er hatte gewusst, er durfte sie nicht verraten. Doch auf welcher Seite hatte er eigentlich gestanden? Enttäuscht von seiner Unentschlossenheit und durch irgendeinen Grund plötzlich verängstigt hatte seine Tante die beiden Jungen in den Keller sperren lassen,…Granger hatte sie oben behalten. Draco hatte nicht gewusst, was sie nun tun würde, doch der Wahnsinn, der in seiner Familie zu liegen schien war an diesem Nachmittag erneut in ihr hervorgebrochen. Die fanatische Hexe hatte Granger gefoltert! Sie hatte sich auf dem Boden gewunden, hatte geschrieen, dass es an den hohen Wänden widergehallt war. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt gewesen, ihre Augen zusammengekniffen. Sie hatte gezuckt, geschluchzt, markerschütternd gekreischt. Und das alles vor seinen Augen. Er hatte es nach einigen Sekunden nicht mehr ertragen und war unauffällig ins Badezimmer verschwunden. Dort hatte er abgeschlossen und sich völlig fertig auf den Waschbeckenrand gestützt. Wie schon in Hogwarts vor einem halben Jahr. Er hatte versucht, ihre Schreie auszublenden, doch sie waren zu ihm hindurch gedrungen, hatten ihm einen eiskalten Schauer über den ganzen Körper gejagt. Nach einer Weile war er auf dem Boden zusammengesackt, hatte sich verzweifelt die Ohren zugehalten und die Augen ganz fest geschlossen. Feige! Er hatte ihr nicht geholfen! Wenn er nun darüber nachdachte, kam er sich so erbärmlich vor, dass er sich in seiner Haut ganz fremd fühlte. Er ekelte sich beinahe vor sich selbst. Egal, wie sehr er sie immer gehasst hatte, er hätte ihr zur Hilfe kommen müssen! Aber er hatte nur im Badezimmer gehockt und sich wie ein kleines Kind geweigert, irgendetwas wahrzunehmen. Er hatte nur dagestanden, er hatte gar nichts getan. Nichts!
Dracos Lippen begannen zu zittern und er presste sich die linke Faust vor den Mund. Mit der rechten Hand griff er nach ihrem Foto, das auf dem Schreibtisch lag. Er strich mit dem Daumen über ihr Gesicht, wieder und wieder. War es jetzt nicht schon zu spät, sich zu entschuldigen? Er wusste es nicht, er wusste ja nicht einmal, wo sie im Augenblick wohnte. Er erklärte sich noch in dieser Stunde selber für verrückt und offensichtlich gelangweilt von seinem Leben, weil er einem Mädchen, das in seinem Jahrgang gewesen war nach 10 Jahren einen Brief schreiben wollte! Er konnte sie ja nicht einmal leiden! Wenn er so auf das Bild starrte, hätte er am Liebsten gewürgt! Sie schien stolz, den Trottel Weasley zu heiraten. Worauf konnte man da schon stolz sein? Wollte sie etwa mit dem Wiesel einen ganzen Stall voll Kinder kriegen, das Doppelte an Gewicht zulegen und ihr ach so talentiertes Gehirn für die Küche benutzen? Bitte, wenn sie so wild darauf war! Das war doch nicht sein Problem! Draco wollte das Bild schon in der Hand zerknüllen und sich wieder zu seiner Verlobten nach unten begeben, als ihre Schreie in seinen Erinnerungen widerklangen. Er schloss die Augen, legte das Foto beiseite und begann wieder zu schreiben.
Was ich getan,… dass ich nichts getan habe… Ich war unfähig, feige und ohne Verstand.
Alles ist mit ein Graus geworden….ich ging durch die letzten Jahre wie in Trance…..
Es tut mir leid.
Im Laufe des Tages würde er sich noch tausendmal fragen, warum er sich vor ihr rechtfertigte.
Hinzu kam, dass er die Anrede erst einmal außen vor ließ. Es folgten noch zwei weitere Stapel Pergament, die am Ende einzeln zerknüllt auf dem schwarzen Parkettboden hinter ihm lagen.
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