von mia.winchester
Rolf fuhr ein kleines, altes, klappriges Auto, das stotterte und hustete, als würde es jeden Moment in sich zusammenfallen. Die Brüder wusste nicht, ob es an dem mangelhaften Gefährt lag, dass Rolf sich im Straßenverkehr kaum auszukennen schien, oder ob er schlichtweg einfach kein Auto fahren konnte. Er nahm rote Ampeln mit und entging ganze drei Mal nur knapp einem Zusammenstoß mit anderen Wagen.
„Tut mir Leid, Jungs.“, sagte er mit nervöser Stimme, als er den Wagen an einer Kreuzung schließlich abwürgte. „Ich kann die Male, die ich Auto gefahren bin, an einer Hand abzählen.“
„Ach.“, zischte Dean sarkastisch. „Echt? Dafür fährst du aber echt super.“
Sam, der zu Deans Groll auf dem Beifahrersitz Platz genommen und ihn somit auf die Rückbank verfrachtet hatte, drehte sich zu seinem großen Bruder um und strafte ihn mit einem mahnenden Blick.
„Na ist doch wahr.“, bellte Dean. „Ich jage Dämonen, und jetzt bin ich kurz davor, in einem Autounfall zu sterben. Und das, wo wir noch nicht mal fünfzig Sachen fahren. Das ist albern.“
Rolf ließ Deans Kommentar so stehen und schaffte es schließlich, die Karre wieder zum Laufen zu bringen. Mit einem lauten Keuchen setzte sich der Wagen wieder in Bewegung.
„Es ist nicht mehr weit.“, erklärte Rolf, als er in eine Landstraße abbog und somit endlich aus der Gefahrenzone Stadtverkehr entkam. Auch Sam atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass Rolfs altes Auto das Einzige auf dieser von Feld gesäumten Straße war.
Dean sagte nichts mehr. Ich wünschte sich auf den Fahrersitz seines eigenen Autos und hoffte, dass es jenem auf dem Parkplatz am Flughafen Tucson gut ging.
Bald wurden die Felder am Straßenrand zu einem dichten Nadelwald, dessen hohe Baumkronen das Tageslicht verschluckten. Die drei Männer fuhren eine ganze Weile durch die Dunkelheit, ehe sich die Bäume wieder lichteten und Rolf auf das Gelände einer alten Farm fuhr, die am Saum des Waldes auf einer Anhöhe errichtet worden war.
Er parkte das Auto auf einem schlammigen Stellplatz neben der Scheune und öffnete Sam die Tür, welcher wiederum seinen Sitz nach vorne klappen musste, um dass Dean von hinten hinaus klettern konnte.
„Verdammt.“, keuchte Dean.
„Nächstes Mal sitze ich hinten.“, lachte Sam.
„Es wird kein nächstes Mal geben.“, keifte Dean und strich sich die braune Lederjacke sauber.
„Willkommen auf der Scamander-Farm.“, sagte Rolf mit einem gequälten Lächeln. „Im Moment wohne ich allein hier, ihr müsst euch keine Sorgen machen.“
Dean lachte. „Mehr von seiner Sorte wären auch schwer zu ertragen.“, flüsterte er Sam zu.
„Das habe ich nicht gemeint.“, antwortete Rolf, der Deans spitzfindige Bemerkung gehört hatte. Dean errötete augenblicklich.
„Ich meinte lediglich, dass meine Farm derzeit keine Tierwesen beherbergt. Ihr könnt euch also sicher fühlen.“, fuhr Rolf überraschend fester Stimme fort.
„Gut.“, sagte Sam gefasst und Dean nickte bestätigend, obwohl beide nicht genau wussten, was er damit meinte. Den Ausdruck Tierwesen hatte noch keiner von ihnen als ein Synonym für Dämonen, Vampire oder Werwölfe gehört.
„Kommt.“, sagte Rolf und führte die Winchesters quer über den Hof zum Hauptgebäude der Farm, einem windschiefen Haus im Stile Englands um die Jahrhundertwende. Weder Sam noch Dean konnten sehen, wie er genau die Tür öffnete, aber beide meinten ein winziges Leuchten am Schloss zu erkennen, ehe es aufsprang, und sie hörten, wie Rolf ein Wort flüsterte, das wie Alohomora klang.
Der Wohnraum der Farm war bis zur Decke mit Büchern vollgestopft. Sams Augen nahmen einen faszinierten Glanz an. Würde er einmal eine ruhige Minute haben, würde er sich Rolfs Privatbibliothek genauer ansehen.
Es gab ein ausgebeultes Sofa, einige nicht zu einander passende Sessel, und einen riesigen Kamin, in dem bereits ein Feuer brannte. Dean fühlte sich sichtlich unwohl. Das Haus sah weniger nach dem Heim eines ledigen Mittzwanzigers aus als nach der vollgerümpelten Wohnung einer verkümmernden Großmutter. Das Wohnzimmer ging direkt in die kleine Küche über, in welcher der Tisch schon gedeckt war. Sam konnte die Platte mit Haggis erkennen, und obwohl die fettigen Schweinemägen kein besonders schöner Anblick waren, meldete sich ein leerer Bauch mit einem hungrigen Grummeln.
„Können wir vielleicht erstmal unsere Taschen ablegen?“, fragte Sam trotz dessen und Rolf nickte.
„Geht einfach die Treppe hoch, die dritte Tür von links ist euer Zimmer.“, erklärte er. Dean stürmte sofort die knarzende Treppe, an deren Seitenwand tausende schiefe Bilder aufgehangen waren, hinauf. Doch im Flur des Obergeschosses hielt er plötzlich inne.
„Was ist los?“, fragte Sam, der hinter ihm die Treppe hochkam.
„Guck dir das an.“, sagte Dean und deutete auf ein an der Wand mit abblätternder Tapete angebrachtes Bord, auf dem, fein säuberlich in vergoldeten Halterungen, edel geschnitzte Pfähle, oder eher Stöcke, angebracht waren. „Nach was sieht das für dich aus?“
Sam hob prüfend die Augenbraue. „Wie Zauberstäbe.“
Dean schüttelte den Kopf. „Wir sind im Irrenhaus gelandet.“, sagte er.
„Ach Quatsch.“, stöhnte Sam. „Vielleicht sammelt er einfach solche Dinge. Genau, wie er Bücher zu sammeln scheint. Er ist ein Jäger, Dean. In Dads Tagebuch gibt es ein Kapitel über Energiequellen in Gegenständen. Da ist auch etwas von Zauberstäben erwähnt.“
„Wie auch immer.“ Dean ging weiter zu der dritten Tür von links. Dahinter befand sich, ganz entgegen seiner Befürchtung, ein ganz normales, hübsch eingerichtetes und ganz in Weiß gehaltenes Gästezimmer. Die zwei breiten Betten, die unter den Fenstern des Raumes standen, waren frisch bezogen und Schokoriegel lagen auf den Kopfkissen.
„Na also.“, sagte Sam und ließ seine Tasche auf das rechte Bett fallen. „Sieht doch nett aus.“
Dean ließ seine Tasche neben und stattdessen sich selbst ins Bett fallen. Er griff sich den Schokoriegel und riss ohne zu zögern das Papier mit den Zähnen auf. Nur einen kurzen Augenblick später waren seine Mundwinkel von der Schokolade verschmiert und der Ausdruck in seinem Gesicht deutlich weniger angespannt als zuvor. „Das war lecker.“, sagte er zufrieden.
„Ich habe ehrlich gesagt ziemlich großen Hunger.“, sagte Sam. „Lass uns runtergehen.“
„Hagger essen.“, grummelte Dean. „Lecker. Was, wenn Rolf das Essen vergiftet hat?“
„Sei nicht albern.“, sagte Sam.
„Nein, im Ernst. Wir kennen ihn doch nicht einmal. Vielleicht ist er so etwas wie die böse Hexe von Hänsel und Gretel und wir beide werden von ihm erst fett gefüttert und dann in den Ofen geschoben. Hier draußen, auf den grünen Hügeln Schottlands, wird uns niemand retten können.“
„Ich bitte dich, Dean.“, lachte Sam. „Komm jetzt.“
„Ich weiß ja nicht.“, witzelte Dean. Er glaubte nicht wirklich, dass Rolf schlau genug war, um ihn und Sam in einen Hinterhalt zu locken, und er konnte sich auch wirklich nicht erklären, wieso er dies tun sollte. Egal, wie komisch Rolf ihm vorkam, er hatte trotz seiner Abneigung ein Gefühl, als könne er ihm vertrauen. Und Dean wusste aus Erfahrung, dass seine Gefühle und Ahnungen am Ende meistens richtig waren. Aber Lust auf das Essen des kauzigen Fremden hatte er auf keinen Fall.
Trotzdem stand er auf und folgte Sam die Treppe hinunter zurück in die Wohnküche, wo Rolf schon, mit einer Serviette um den Hals gebunden, am Tisch saß.
„Wirklich?“, flüsterte Dean seinem kleinen Bruder zu, und dieses Mal konnte auch der sich ein Lachen über den seltsamen Anblick des Schotten nicht verkneifen.
„Setzt euch.“, sagte Rolf, als hätte er den Spott der Brüder nicht bemerkt. „Falls einer von euch kein Haggis möchte, ich hab eben gesehen, Minty hat zusätzlich Burger auf amerikanische Art gemacht. Für unsere amerikanischen Gäste.“ Er schmunzelte zufrieden.
„Minty?“, fragte Dean mit Spott in der Stimme. „Ist das deine Freundin?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein Mädchen auf dieser Welt mit einem so seltsamen Typen wie Rolf zusammen sein wollte, ganz gleich, wie gutaussehend er war.
„Oh, nein.“, sagte Rolf und lachte. „Minty ist... Meine Hauselfe.“
Dean hob prüfend die Brauen. Der Mann kam ihm jede Sekunde eigenartiger vor. Er wollte gar nicht wissen, was die perfide Bezeichnung Hauselfe bedeuten sollte. Er redete sich ein, dass Rolf damit wohl seine Putzfrau meinte.
Auch Sam schaute verwirrt drein. Doch er lenkte vom Thema ab, indem er sich einen prall gefüllten Schweinemagen auf den Teller tat. „Dann will ich mal probieren.“, sagte er und stach die Gabel voller Elan in die glänzende Magenhaut. Sofort quoll die fleischige Füllung hinaus.
Rolf tat sich selbst Haggis auf den Teller, legte aber auch einen kleinen Burger dazu. Und weil Dean trotz des üppigen Schokoriegels einen Bärenhunger hatte und Burgern, ganz gleich von wem, nicht widerstehen konnte, griff auch er sich zwei Stück und biss ohne zu zögern hinein. Sie schmeckten köstlich. Nicht zu fettig, nicht zu trocken, und das Fleisch war genau richtig angebraten. Und selbst Sam fand Gefallen an dem unattraktiv aussehenden Haggis.
„Gut gekocht.“, lobte er Rolf, der daraufhin so breit lächelte, dass man das zerkaute Essen in seinem Mund sehen konnte. Sam lächelte mitleidig zurück.
„Auch ein Lob an Minty.“, sagte Dean mit vollem Mund. „Die Burger sind gut.“
Rolf nickte zustimmend, schluckte und sagte: „Sie hat zum Nachtisch Apfelkuchen gemacht, wenn ihr noch könnt.“
„Danke, ich bin satt.“, sagte Sam. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viel gegessen hatte. Und ganz egal, ob es nun Haggis war, ein selbst gekochtes Essen schmeckte immer tausende Male besser als das gleichgültig zubereitete Essen in den Diners, in welchen die Brüder üblicherweise speisten.
„Apfelkuchen.“, raunte Dean. „Oh ja.“
Rolf stand auf und holte einen dampfenden Apfelkuchen vom Fensterbrett. „Ebenfalls amerikanische Art.“, erklärte er. Aus den Schnitzen in dem herrlich goldbraunen Kuchen quoll das fruchtige Apfelkompott hinaus. Dean lief das Wasser im Mund zusammen.
„Her damit.“, lachte er und ließ sich von Rolf ein großes Stück Apfelkuchen auf den Teller tun. Er schmeckte köstlich. Als Dean das Stück, und er musste sich wirklich große Mühe geben, verschlungen hatte, lehnte er sich zufrieden im knarzenden Stuhl zurück und rieb sich den Bauch.
„Jetzt 'ne Runde schlafen.“, seufzte er.
„Oh, natürlich.“, sagte Rolf. „Geht nur. Die Reise war anstrengend genug. Und heute ist außerdem sowieso nicht mehr viel zu tun. Morgen fangen wir dann mit der Arbeit an.“
Dean hörte ihm nicht richtig zu, er stand bereits auf und ging Richtung Treppe. Sam folgte ihm.
„Danke für alles, Rolf.“, sagte Sam. „Wir sind froh, dass wir bei dir untergekommen sind.“
Rolf winkte ab. „Nichts zu danken, Sam.“, entgegnete er. „Ich bin es doch, der eure Hilfe braucht. Dass ich euch da ein Bett zum Schlafen und warmes Essen anbiete, ist selbstverständlich.“
Sam nickte und ging hinter Dean die Treppe hoch. Oben angekommen legten sich die Brüder in voller Montur auf die weichen Betten.
„Halb so wild, oder? Du liebst Apfelkuchen.“, murmelte Sam.
„Das tu ich.“, bestätigte Dean. „Ich kann diesen Rolf trotzdem nicht leiden.“
Sam lachte nur, und wenige Sekunden später waren die Brüder eingeschlafen.
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