von mia.winchester
Als Sam aufwachte, stellte er erleichtert fest, dass er zum ersten Mal seit langem einen traumlosen Schlaf hinter sich hatte. Er richtete sich auf und lief, mit einem Seitenblick auf seinen noch schlafenden Bruder am anderen Ende des Raumes, aus dem Schlafzimmer. Die Hexenhütte und der Wald um sie herum lagen in völliger Stille. Die Sonne schien trübe durch die zugezogenen Fenster und tauchte die Hütte in orangerotes Licht. Es roch nach Schlaf. Ohne nachzusehen wusste Sam, dass auch Rolf hinter der Tür seines Gästezimmers im Bett lag und der Erschöpfung durch den Kampf mit den Letifolden nachgegeben hatte.
Sam trat an den Kühlschrank, griff sich eine gekühlte Flasche Cola und leerte sie, ohne abzusetzen. Dann wusch er sich das Gesicht an der Spüle, schälte eine Banane und aß sie mit wenigen Bissen auf. Er schritt gerade auf die Badezimmertür zu, um sich eine belebende kalte Dusche zu gönnen, als er bemerkte, dass eine regungslose, stumme Gestalt auf dem Sofa saß. Luna Lovegoods Anwesenheit füllte den Raum nicht, wie es bei anderen Menschen der Fall war. Ihre leise, zarte Aura ermöglichte es ihr, unbemerkt stundenlang neben einem stehen zu können, ohne dass man es spürte. Die Hütte hatte sich leer und verschlafen angefühlt, aber sie hatte auf dem Sofa gesessen und Sam die ganze Zeit über beobachtet.
„Luna.“, sagte er überrascht. „Hey.“ Er setzte sich auf das Küchenbord, doch seine langen Beine blieben auf dem Boden.
„Hey, Sam.“, sagte Luna und stand auf. „Wie geht es dir?“
„Besser, schätze ich.“, murmelte Sam und fuhr sich durch sein dunkles, langes Haar, über dessen lässigen Schnitt Dean sich schon als Kind beschwert hatte.
„Freut mich.“, sagte Luna. „Möchtest du noch etwas essen? Ich habe vorhin etwas im Ort eingekauft.“
„Du musstest in den Ort? Kannst du Essen nicht einfach herbei zaubern?“, fragte Sam und lachte.
„Nein.“, sagte Luna und lächelte. „Essen, Geld und Liebe sind die Dinge, die man mit Magie nicht aus dem Nichts erschaffen kann. Zwar kann ich Essen in der Nähe mit einem Lockzauber herbeirufen und es gibt Zaubertränke, die eine an Liebe erinnernde Besessenheit bei demjenigen, der sie zu sich nimmt, bewirken, aber... Mehr auch nicht.“
Sam nickte. „Interessant.“, gab er zu. „Diese ganze Geschichte mit der Magie.“
„Du und Dean wusstet es nicht, oder?“, fragte Luna und setzte sich neben Sam auf das Küchenbord. Ihre kleinen Füße baumelten barfuß in der Luft.
„Nein.“, sagte Sam. „Wir kannten bisher nur eine andere Art von Magie.“
„Schwarze Magie, heidnische Magie.“, zählte Luna auf. „Stimmt's?“
Sam nickte. „Genau.“
Luna lächelte. „Ihr habt was verpasst.“, sagte sie. „Du und Dean, ihr würdet zwei fantastische Zauberer abgeben.“
„Danke!“, murmelte Sam. Die Erinnerung an den Sprechenden Hut und seine kryptischen Worte kam ihm in den Sinn. Gryffindor, das Haus seines Bruders. Und Slytherin, das Haus, in das der Sprechende Hut ihn einteilen würde, wäre sein Blut nicht, wie der alte Lumpen es genannt hatte, verschmutzt. Er rang mit sich, doch dann sah er Luna ernst an. „Luna?“
„Was ist, Sam?“, fragte sie. In ihren großen Augen stand Sorge.
„Als Dean und ich in Hogwarts waren...“, begann Sam, doch dann merkte er, dass er anders beginnen musste. „Was hat es auf sich mit den Häusern, in welche die Schüler von Hogwarts durch diesen Sprechenden Hut eingeteilt werden?“
„Nun...“, begann Luna. „Ich merke zwar, dass es nicht genau das ist, was du von mir wissen willst, aber ich erkläre es dir gerne. Hogwarts wurde vor vielen, vielen Jahren von vier sehr mächtigen und klugen Hexen und Zauberern gegründet. Godric Gryffindor, Rowena Ravenclaw, Helga Hufflepuff und Salazar Slytherin. Jeder von ihnen richtete im Schloss einen Gemeinschaftsraum für diejenigen ein, die ihrem persönlichen Bild von einem guten Zauberschüler entsprachen. Rowena Ravenclaw schaffte das Haus für die Klugen und Schöpferischen unter ihnen. Helga Hufflepuff nahm die Loyalen und Sanftmütigen auf. Godric Gryffindor bot jenen ein Heim, die sich nicht scheuten, von ihrem Mut und ihrer Stärke Gebrauch zu machen, um für eine ehrenwerte Sache zu kämpfen.“
Sam lächelte. Sein Bruder war tatsächlich der geborene Gryffindor. Was würde Luna über Slytherin sagen, den Gründervater des Hauses, in welches der Sprechende Hut ihn sortiert hatte? Eigentlich hatte Sam sich schon in der Beschreibung der Ravenclaw-Schüler wiedererkannt. Wieso also war er laut des Hutes ein Slytherin?
„Salazar Slytherin hingegen...“, fuhr Luna fort. „Er war für eine strengere Auswahl, was die Schüler seines Haus anbelangte. Sie sollten nicht nur Gewitzt und Selbstsicher sein, sondern bestenfalls auch rein magischer Herkunft. Sicherlich hat Rolf euch die Geschichte von Harry Potter erzählt. Er ist ein Freund von mir. Und Voldemort, den Harry getötet hat, war der Erbe Slytherins. Ihm ging es ja auch um die ganze Sache mit dem reinen Blut. Heute kümmert das aber keinen mehr. Das Vorurteil, das nur böse Menschen nach Slytherin sortiert werden, ist längst aus der Welt.“
Sam schluckte schwer. „Es gab ein solches Vorurteil?“
„Ja.“, antwortete Luna zögerlich. „Sam... Haben Dean und du den Sprechenden Hut aufgehabt?“
Sam sah Luna verwundert an. „Woher...?“
„Ich bin eine Ravenclaw.“, eröffnete Luna ihm grinsend. „Hör mal, Sam, nur, weil dich der Hut nach Slytherin stecken würde, wenn du ein Zauberer wärst, hat das nichts zu heißen. Weißt du, was Harry Potter selbst mir einmal erzählt hat?“
„Was?“, hakte Sam neugierig nach.
„Der Sprechende Hut wollte auch ihn zuerst nach Slytherin schicken. Er hat sich jahrelang Gedanken darüber gemacht, warum. Am Ende fand er heraus, dass er durch den Todesfluch, den Voldemort einst auf ihn angewendet hatte, einen Teil von diesem schwarzen Magier in seiner Seele trug.“, erklärte Luna. „Dies schien der Sprechende Hut erkannt zu haben.“
„Also war es doch der böse Teil in seiner Seele, der ihn beinahe zu einem Slytherin machte?“, fragte Sam und sah nervös auf seine Hände. Tausende Gedanken irrten durch seinen Kopf. Er hörte die alte Stimme des Hutes, erinnerte sich an die Vorahnungen Jessicas Tod bezüglich und die Schuld, die er deswegen mit sich trug. Nicht selten fühlte er sich also wie ein schlechter, böser Mensch. Was, wenn der Sprechende Hut erkannt hatte, wie böse er wirklich war?
„Ja.“, gab Luna zu. „Aber so darfst du das nicht sehen. Es gab auch sehr viele gute, ehrenhafte Slytherins. Zum Beispiel Severus Snape. In einer Zeit, in der niemand an das Gute in ihm geglaubt hat, hat er sich für die ehrenhafteste Sache der Welt geopfert. Liebe.“
Sam wagte es nicht, etwas zu sagen. Er wusste nicht, wer dieser Snape war, aber was Luna soeben über ihn gesagt hatte, hatte ihn dort erreicht, wo er sich in letzter Zeit zu fühlen verboten hatte: In seinem Herzen.
„Mach dir keine Sorgen.“, sagte Luna und streichelte Sams Rücken. „Du bist kein böser Mensch. Du bist erfüllt von Liebe. Die Art, wie du deinen Bruder ansiehst, und wie du gestern Nacht dein Leben für ihn riskiert hast. Das ist Liebe. Und Liebe zwischen Geschwistern ist etwas ganz Besonderes. Und da ist noch so viel mehr Liebe in dir. Ich glaube, im Gegensatz zu Dean scheust du dich bloß ein bisschen, dich von ihr leiten zu lassen.“
Sam sah Luna entgeistert an. Sie kannte ihn kaum und doch schien sie in der kurzen Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, mit ihren silbrigen Augen direkt in seine Seele geblickt zu haben. Wieder sah er auf seine Hände. Sie zitterten. Er wagte es nicht, Luna gegenüber zu erwähnen, dass der Sprechende Hut sein Blut als Verschmutzt bezeichnet hatte. Er spürte, dass dies jetzt nicht zur Sache tat.
Eine Weile saß er nur stumm neben Luna, die immer noch über seinen Rücken strich, als wüsste sie, dass Sam sich nach dem Trost, den sie ihm dadurch spendete, schon lange gesehnt hatte.
„Ich werde Rolf und Dean wecken.“, beschloss Luna dann. „Sie haben lange genug geschlafen. Obwohl ich glaube, dass Dean nie genug Schlaf bekommen kann.“ Sie sprang vom Küchenbord und lief auf die Tür von Sam und Deans Zimmer zu.
„Das stimmt wohl.“, lachte Sam. Luna griff nach der Klinke, doch dann hielt sie inne und drehte sich um.
„Du hast einen fantastischen Bruder.“, erklärte sie Sam mit einem bestätigenden Kopfnicken. „Ich habe noch nie einen Menschen wie ihn getroffen. Er tut so stark und stur und unbeirrbar, aber innerlich ist er ein kleines, unsicheres Kind. Das klingt albern, ich weiß. Aber es zeugt von einer unheimlichen Stärke, dass er so sehr kämpft, das zu verbergen. Er kämpft in jeder Sekunde. Für sich, und vor allem für dich, Sam. Ich weiß, er hätte das selbe für dich getan, als du ihn letzte Nacht von dem Letifold zu befreien versucht hast.“
Sam nickte. „Ich weiß.“, sagte er andächtig. „Moment... Woher weißt du das alles von letzter Nacht?“
Luna lächelte. „Glaubst du wirklich, ich hätte euch alleine in den Wald gehen lassen?“
„Was meinst du?“ Sam konnte sich keinen Reim auf Lunas Worte machen.
„Sam. Der silberne Hase, der die Letifolde verscheuchte...“, lachte Luna, ehe sie die Klinke herunterdrückte. „Wer, denkst du, hat den Patronus heraufbeschwört?“
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