von fiirvogel
3. Kapitel
Severus spürte, wie seine Kraft nachließ. Er hatte sich mit dem Heilzauber übernommen. Sein ganzer Körper schmerzte; er vermutete, dass er Fieber hatte. Irgendwann sah er Minerva vor sich; die Schulleiterin von Hogwarts hielt seine Hand und sah ihn ungewohnt warm und besorgt an. Dann war Albus da, der ihn gütig anlächelte. Da wusste Severus, dass sein Lebenskreis daran war, sich zu schließen. Es war ihm erstaunlich gleichgültig. Was hatte ihm dieses Leben gebracht? Er hatte beide Kriege in der Zaubergemeinschaft miterlebt und hatte beide Male auf der falschen Seite gestanden. Er hatte Menschen leiden und sterben sehen, er hatte miterlebt, wie sie sich vor Schmerzen am Boden wälzten und um Gnade flehten, er hatte selber Menschen gefoltert, getötet, sogar seinen Mentor und Freund Albus Dumbledore. Und was konnte ihm das Leben noch bieten? Er war nach dem Sieg über Voldemort vor einigen Jahren zwar rehabilitiert und für seine Verdienste als Spion geehrt worden, aber die Menschen gingen ihm aus dem Weg. Sie sahen in ihm immer noch den ehemaligen Todesser; wahrscheinlich trauten ihm viele auch heute noch nicht, obwohl er seine Loyalität nicht zuletzt in der Endschlacht an Potters Seite ganz klar bewiesen hatte. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, dass die Menschen ihn mieden … Aber trotzdem: Es gab eigentlich nichts, wofür es sich wirklich lohnte weiterzuleben.
In dem Augenblick berührte etwas Warmes seine Lippen. Er öffnete mit Mühe seine schweren Augenlieder und schaute direkt in zwei warme opalgrüne Augen. Er erkannte die Frau, die ihn in den letzten zwei Tagen gepflegt hatte. Sie lächelte erleichtert.
„Sie dürfen nicht aufgeben“, flüsterte sie und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Bitte, tun Sie mir das nicht an. Es wird alles gut. Versprochen!"
Severus starrte hypnotisiert in ihre Augen, dann wanderte sein Blick zu ihren Lippen. „Schlafen Sie“, flüsterte sie sanft, als würde sie mit einem Kind sprechen. „Ich passe auf Sie auf.“
Als Severus wieder aufwachte – er hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war ¬¬â€“, eilte seine Gastgeberin aus der Küche herbei.
„Hallo“, meinte sie und lächelte ihn an.
„Wo ist das Bad?“, brummte er und versuchte, sich ächzend aufzusetzen.
Die Frau furchte die Stirn, grinste dann aber und stellte fest: „Es scheint Ihnen wieder besser zu gehen. Ist das Fieber weg?“ Sie legte ihm den Handrücken auf die Stirn.
„Lassen Sie das“, schnaubte er wütend und schlug die Decke zurück. Er sah an sich hinunter: Er trug eine blau-weiß gestreifte Pyjamahose und kam sich schrecklich albern vor. „Wo sind meine Kleider?“
„Auf dem Stuhl dort drüben beim Tisch“, antwortete sie. „Ich habe sie gewaschen, sie sind aber ziemlich kaputt … Was Sie tragen, ist von meinem Vater.“
So sah es aus! Wunderbar! Severus unterdrückte einen gehässigen Kommentar und stand schwankend auf.
„Hoho, langsam“, beruhigte ihn die Frau. Sie eilte ums Bett herum und ergriff seinen Arm.
„Jetzt hören Sie auf!“, schnaubte er. „Ich bin kein kleines Kind.“
Sie sah ihn zuerst beleidigt an und antwortete dann bissig: „Das ist mein Haus. Was ist, wenn sie ausrutschen und gegen ein Möbel oder den Türrahmen knallen? Ich habe in den letzten Tagen mehr als genug von Ihrem Blut von meinen Möbeln, Kleidern und dem Boden geputzt.“ Sie legte seinen Arm um ihre Schulter und legte ihm den Arm um die Taille. Da er das Gefühl hatte, er würde es tatsächlich nicht bis zum Bad schaffen, seufzte er ergeben und ließ sich von ihr hinüber begleiten. Als sie im Bad vor dem Waschtisch standen, ließ sie ihn vorsichtig los. „Kommen Sie klar?“, wollte sie wissen. „Oder soll ich bleiben?“
„Verschwinden Sie!“
Noée schloss grinsend die Türe hinter sich. Der Mann war mehr als griesgrämig! Er schien genauso gerne Gesellschaft zu haben wie sie selbst. Sie ging zum Bett, klopfte die Kissen auf und schüttelte die Decke aus, als ein schepperndes Geräusch gefolgt von einem Fluch aus dem Badezimmer sie aufhorchen ließ. Sie ging hinüber und klopfte zaghaft. „Brauchen Sie Hilfe?“
Es kam keine Antwort, deshalb öffnete sie langsam die Tür. Der Mann saß auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Vor ihm am Boden lag der halbe Inhalt des Spiegelschranks.
„Was machen Sie denn?“, fragte sie erschrocken.
„Nichts“, erwiderte er finster.
Noée betrachtete das Durcheinander auf dem Boden. „Sie suchen etwas gegen die Schmerzen“, mutmaßte sie. „Hier …“ – sie suchte in den überall verstreuten Schachteln und Tuben nach den Schmerztabletten und drückte zwei aus der Verpackung. „Hier, das sollte genügen.“ Sie drückte ihm die weißen Tabletten in die Hand, füllte den Spülbecher mit Wasser und reichte ihm diesen. Er nahm die Tabletten misstrauisch in den Mund und spülte sie hinunter.
Dann half sie ihm wieder auf die Beine und führte ihn zurück in den Wohnraum. Sie wandte sich diskret ab und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, während er ächzend und mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hose anzog. Als er auch das Hemd angezogen hatte, blickte er verärgert auf die Risse im Stoff und die bräunlichen Verfärbungen.
„Ich habe es gewaschen“, erklärte Noée. „Aber es ging nicht mehr alles raus. Es war getränkt mit Ihrem Blut.“ Er betrachtete ihre grünen Augen, über deren Glanz sich bei der Erinnerung Nebel gelegt hatten. „Ich bin froh, dass es Ihnen wieder besser geht“, gestand sie leise.
Severus schnaufte mühsam und hielt sich an der Stuhllehne fest.
„Sie legen sich besser wieder hin“, riet ihm die Frau und brachte ihn zurück zum Bett. Er ließ sich erschöpft hineinsinken. Sein Blick fiel auf den Nachttisch, dann blickte er sich suchend um. „Wo ist der Zauberstab?“, knurrte er mürrisch.
Die grünen Augen weiteten sich. "Ein Zauberstab … Ich habe noch nie … Ich wusste nicht, dass es das gibt!“ Nach kurzem Überlegen fügte sie an: „Sie sollten damit vorsichtig sein. Das letzte Mal –"
"Ich weiß, was ich tue. Geben Sie mir den Stab zurück."
„Ich … ich hole ihn. Moment …“
Sie verschwand in der Küche und brachte den Zauberstab. „Meinen Sie den?“, fragte sie und richtete ihn, als sie vor dem Bett stand, spielerisch auf seine Brust. Er riss ihr wütend den Stab aus der Hand und legte ihn neben sich auf das Bett. Dann packte er sie an den Unterarmen und zog sie grob zu sich hinunter. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von seinem entfernt. „Tun Sie das nie wieder“, drohte er.
Sie sah ihn erschrocken an. "Tut mir … leid", murmelte sie. "Ich wollte Sie nicht auf–aufregen … Was Sie mit Ihrer Verletzung gemacht habe, war – Sind Sie ein Zauberer? Gibt es das wirklich?“
Severus antwortete nicht. Er betrachtete die grünen, neugierigen Augen mit den feinen goldigen Sprenkeln darin. Er hatte noch nie zuvor solche Augen gesehen. Sie faszinierten ihn. Sie …
Severus ließ die Frau ruckartig los. Was tat er hier eigentlich? Versank in den Augen einer Muggelfrau? Die Cruciati der letzten Tage mussten seinen Geist mehr in Mitleidenschaft gezogen haben, als er gedacht hatte! Er schloss die Finger um den Zauberstab, biss auf die Zähne und stand, die Schmerzen in seinem Bauch ignorierend, wieder auf. Ihm war flau im Magen, aber er fixierte die Türe mit seinem Blick und ging langsam darauf zu. Er musste weg hier!
Die Frau beobachtete ihn verwirrt und eilte schließlich an seine Seite, als er kurz vor der Tür gefährlich ins Schwanken kam und sich die Umgebung vor seinen Augen in Luft aufzulösen schien. Er stützte sich schwer auf sie, um nicht hinzufallen, und schnaubte ärgerlich.
„Wo wollen Sie hin?“, fragte sie besorgt. „Sie können doch kaum auf den Beinen stehen! Wir sind hier gut einen Kilometer außerhalb der Ortschaft. Wenn Sie möchten, gehe ich ins Dorf und schaue, dass ich jemanden finde, der Sie mit dem Auto ins nächste Krankenhaus bringen kann …“
„Kein Krankenhaus“, antwortete Severus verärgert. „Denken Sie überhaupt nicht daran, irgendjemanden kommen zu lassen!“ Er hielt ihr mit drohend hochgezogenen Brauen den Zauberstab vors Gesicht. Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an, schien zu überlegen, was er damit machen konnte – sie hatte offensichtlich nicht die geringste Ahnung von der Macht der Magie, sonst wäre sie wahrscheinlich schreiend davongerannt –, und wich schließlich zurück, ohne jedoch seinen Arm loszulassen.
„Sie können in Ihrem Zustand nicht zu Fuß gehen“, sagte sie entschieden. „Entweder lassen Sie mich jemanden holen, der Sie ins Krankenhaus fährt oder … Sie bleiben noch eine Weile hier.“
Severus runzelte unwillig die Stirn.
„Kommen Sie“, meinte die junge Frau versöhnlich und tätschelte seinen Arm, was ihr einen weiteren strafenden Blick einbrachte. „Sie stören mich nicht. Ich lebe alleine hier.“
Severus musterte sie mit undurchdringlicher Miene. Sie hatte recht: Er würde es nicht einmal bis zur Strasse schaffen. Ans Apparieren war in seinem Zustand erst recht nicht zu denken. Er hätte die Kraft nicht, und es konnte sehr gefährlich sein, in solch entkräftetem Zustand alleine zu apparieren. Er könnte einzig einen Patronus schicken und Hilfe anfordern. Aber das kam für ihn nicht in Frage; er hatte noch nie um Hilfe gebeten und würde es auch diesmal nicht tun.
Er nickte der Frau zu und bemerkte erstaunt, dass sie lächelte. „Wunderbar“, sagte sie. „Kommen Sie. Ich bringe Ihnen etwas zum Frühstück.“
Ja, eigentlich hatte er es hier ganz gut, dachte Severus. Er würde noch eine Weile bleiben, bis er stark genug war, selber nach Hause zu apparieren. Bis dahin würde er sich von dieser Muggelfrau verwöhnen lassen. Brauchte ja niemand zu erfahren …
Nach dem Frühstück fühlte sich Severus bereits wieder so erschöpft, dass er sich noch so gerne wieder im Bett zurücklehnte und innert Minuten wieder eingeschlafen war – er, der eigentlich nie wirklich gut schlafen konnte, schlief wie ein Stein.
Irgendwann wachte Severus aus einem angenehmen Traum auf. Er stöhnte und versuchte, wieder einzuschlafen. Er wusste nicht mehr genau, was er geträumt hatte, aber da war definitiv eine Frau gewesen, und er spürte ihre Lippen noch auf seinen. Als es ihm nicht gelang, wieder einzuschlafen und den Traum einzufangen, öffnete er genervt die Augen.
Er sah seine Gastgeberin mit überschlagenen Beinen neben sich auf dem Bett sitzen. In der einen Hand hielt sie ein Buch, in der anderen eine dampfende Tasse, und nahm gerade einen großen Schluck.
„Hallo“, meinte sie, lächelte ihn an und legte das Buch zur Seite. In der Küche piepste etwas. „Oh, entschuldigen Sie“, fuhr sie fort und hielt ihm die Tasse Kaffee hin. „Nehmen Sie, das tut Ihnen bestimmt gut. Ich hole den Kuchen aus dem Ofen.“ Sie warf ihre Haare in den Nacken und stand auf.
„Kuchen?“, fragte Severus ungläubig.
Die junge Frau antwortete nicht. Sie verschwand und hantierte in der Küche herum. Severus nahm einen Schluck Kaffee. Kaffee? Er runzelte die Stirn und schaute misstrauisch in die Tasse.
„Wieso machen Sie sich die Mühe, Kaffee zuzubereiten, wenn Sie ihn anschließend in Milch ertränken?“, fragte er die junge Frau, die soeben wieder ans Bett trat, vorwurfsvoll. Sie sah ihn einen Augenblick perplex an, dann lachte sie laut.
„Tut mir Leid, Sie haben recht: Es ist mehr Milch als Kaffee. Ich mag es so. Aber ich mache Ihnen gerne einen starken Kaffee.“
Severus schüttelte den Kopf. „Lieber Tee … Und Sie hätten nicht unbedingt einen Kuchen zu backen gebraucht. Ich mag Kuchen nicht.“
„Sie werden trotzdem ein Stück essen müssen, ich habe heute Geburtstag“, entschied sie resolut. „Aber zuerst gibt es noch ein Abendessen. Sie entschuldigen mich … Möchten Sie etwas lesen?“
Severus schüttelte den Kopf und ließ sich erschöpft zurückfallen. Er schloss die Augen, ihm war schwindelig. Aus Richtung Küche hörte er die Muggelfrau mit Geschirr hantieren und dazu vor sich hin summen.
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