von fiirvogel
Hallo, ihr Lieben, es geht weiter mit der Geschichte. Den Reviewschreibern möchte ich ganz herzlich danken, es freut mich immer sehr, von euch zu lesen und ich nehme eure Anregungen und Fragen gerne in meine weiteren Überlegungen und Schreibereien auf. Nun wünsche ich euch viel Spass mit Severus und Noée!
4. Kapitel
Severus döste ein und wurde erst wieder wach, als er sanft geschüttelt wurde. Alarmiert fuhr er hoch.
„Schh“, beruhigte ihn eine Stimme und er blickte in die opalgrünen Augen. „Ich dachte, ich wecke Sie, bevor das Essen kalt wird. Hier …“ Sie hielt ihm ein Glas und eine weiße Pille hin. „Sie nehmen besser noch einmal eine Schmerztablette … Es ist die letzte", fügte sie entschuldigend an, "aber ich gehe morgen ins Dorf und besorge neue.“
Severus setzte sich mühsam auf und blickte sich um. Draußen war es bereits dunkel, auf den Nachtischchen links und rechts neben dem Bett brannten Kerzen.
„Sie mögen’s romantisch?“, fragte er süffisant.
„Sie nicht?“
„Sehe ich so aus?“
Die Frau lachte und musterte ihn unverhohlen. „Nein, dafür machen Sie einen zu finsteren Eindruck.“
„Lassen Sie jeden finsteren Kerl einfach so mir nichts, dir nichts ins Haus?“
Sie warf die Haare in den Nacken. „Nein, nur die, die ohne meine Hilfe verbluten würden“, gab sie schlagfertig zurück. „Was ist jetzt? Mögen Sie etwas essen?“
Severus blickte auf den schön angerichteten Teller, den sie ihm auf einem Tablett reichte. Kartoffelstock, frisches Gemüse und ein Stück Fleisch an Sauce. Neben dem Teller stand ein Glas Wasser, Pfeffer- und Salzstreuer.
„Essen Sie nichts?“, erkundigte er sich.
„Ich habe schon gegessen, ich wollte Sie nicht stören. Ich habe Sie geweckt, weil sie sich so unruhig hin und her gewälzt haben … Na los, essen Sie, es tut Ihnen gut. Anschließend gibt es noch Kuchen.“
Sie setzte sich mit unterschlagenen Beinen neben ihn und griff nach einem Weinglas, das auf dem Nachttisch stand. Als sie seinen fragenden Blick sah, schüttelte sie den Kopf. „Alkohol verträgt sich nicht mit Schmerzmitteln. Sie müssen wohl oder übel beim Wasser bleiben.“
Das Essen schmeckte Severus vorzüglich, und das wollte etwas heißen, ihm bedeutete Essen nämlich nicht allzu viel, es war für ihn eigentlich nur Zuführung von Energie. Seine Gastgeberin sah das wohl anders. Sie hatte, während er aß, die ganze Zeit munter drauflos geplaudert und er hatte unter anderem erfahren, dass sie liebend gerne kochte – das merkte er bei jedem Bissen –, im Bereich Asset Managment gearbeitet hatte, aber eigentlich lieber Pharmazeutik studiert hätte, außerdem war dies das Ferienhaus ihrer Eltern, die vor kurzem zu einer Weltreise aufgebrochen waren, und sie hatte seit ihrem dritten Lebensjahr praktisch alle Ferien hier verbracht.
„Und jetzt machen Sie Urlaub hier?“, fragte er, um höflich zu sein.
„Nein. Ich bin hierher gekommen, um zu entscheiden, was ich mit meinem Leben anfangen soll … Haben Sie genug gegessen? Ich habe noch mehr in der Küche, wenn Sie möchten.“
Severus schüttelte abwehrend den Kopf.
„Aber etwas Kuchen nehmen Sie doch?“, fragte sie mit geschürzten Lippen.
Er nickte ergeben.
Sie strahlte, als sie mit zwei Tellern mit Schokoladenkuchen aus der Küche kam. Severus schluckte leer. Ein Riesenstück Kuchen! Und erst noch Schokolade!
„Und Sie haben heute Geburtstag?“, fragte er und hoffte, dass sie nicht merkte, wie wenig er Schokolade mochte.
Die junge Frau nickte.
„Und weshalb verbringt eine junge, attraktive Frau ihren Geburtstag alleine im Ferienhaus ihrer Eltern?“
„Ich brauchte eine Auszeit.“
„Heißt?“
„Ich habe die Wohnung gekündigt, die Stelle geschmissen, mein Mobiltelefon in der Themse versenkt und meinem Freund den Laufpass gegeben.“
„Klingt nach Krise …“, konstatierte er trocken.
„Ja“, antwortete sie trotzig, „das kann man so sehen. Krisen sind aber immer auch Chancen …“
Severus knurrte etwas Unverständliches. „Und weshalb brauchten Sie eine Auszeit?“
„Ich hätte nächsten Monat geheiratet. Aber mein Verlobter“ – sie betonte das Wort abfällig – „hat Karrierechancen gewittert und seine Chefin gevögelt.“
Severus verschluckte sich beinahe an seinem Stück Kuchen und hustete.
Sie sah ihn vorwurfsvoll an. „Deshalb“, fuhr sie eine Spur lauter fort und hob ihr Weinglas, „feiert eine junge Singlefrau alleine mit einem Unbekannten im Ferienhaus ihrer Eltern Geburtstag … Zum Wohl!“ Sie leerte das Glas in einem Zug.
Severus musterte sie eine Weile nachdenklich, dann fragte er: „Und wie alt sind Sie?“
Sie sah ihn aus grünen Augen an, zögerte einen Wimpernschlag lang und antwortete: „30. Und Sie?“
Er runzelte unwillig die Stirn; sie hatte ihn angelogen! „34“, erwiderte er.
Sie sah ihn mit offenem Mund an. „Nein, das glaube ich Ihnen nicht.“
„Wie alt schätzen Sie mich dann?“, fragte er ölig.
„Ich weiß nicht“, antwortete sie zögernd. „Sie sehen auf jeden Fall älter aus. Ich glaube, Sie haben ein paar Jahre unterschlagen.“
„So viele, wie Sie auf ihr Alter draufgeschlagen haben?“, bemerkte er kühl.
„Was??“
„Sie sind 26.“
Wie … Woher wissen Sie das?“
„Ich kann Gedanken lesen.“
Die Frau sah ihn erstaunt an. Dann setzte sie sich entschlossen vor ihn hin und schaute ihm aufmerksam in die Augen. „Um welche Tageszeit bin ich auf die Welt gekommen?“
Severus bohrte seinen Blick in ihre Augen und durchforstete ihr Gedächtnis nach der Antwort. „Sieben Minuten nach vier in der Früh“, antwortete er.
„Was ist mein Lieblingsessen?“
Severus blickte in ihre glänzenden Augen, die ihn erwartungsvoll ansahen. Er konnte darin lesen wie in einem Buch. „Fisch … am liebsten ganz, mit Apfel-Meerrettich-Schaum.“
Sie lachte erstaunt. „Wie machen Sie das? Das ist unglaublich!“
„Reine Übungssache“, antwortete er selbstzufrieden.
„OK, dann lassen Sie es mich auch versuchen. Ich versuche herauszufinden, wie alt Sie sind.“
Severus hob überheblich die Augenbrauen und schaute sie betont gelangweilt an.
Sie setzte sich gerade hin, musterte eingehend seine Augen – was ihm ausgesprochen gefiel –, und meinte dann mit einem schelmischen Grinsen: „Sie sind 38.“
„Haben Sie das in meinen Augen gesehen?“, erkundigte er sich.
„Nein“, gab sie zu. „Sie haben mir vorhin gesagt, Sie hätten so viele Jahre abgezogen wie ich draufgelegt habe. Ich kann rechnen.“
Severus grinste.
„Das ist gemein“, beklagte sie sich. „Es stimmt nicht einmal, oder?“
„Nein, also lassen Sie das Rechnen.“ Eigentlich hatte er nicht vor, dieser Frau sein Alter zu verraten, aber er mochte es, wenn Sie ihm so intensiv in die Augen sah, deshalb fügte er an: „Vielleicht sind Sie besser im Gedankenlesen. Versuchen Sie es noch einmal.“
Sie schaute ihn lange an, dann meinte sie ernst: „Ich glaube, Sie sind jünger als Sie aussehen.“
„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Severus erstaunt.
„Sie sehen wie jemand aus, der mehr erlebt hat, als ein Mensch erleben sollte, der …" – sie musterte ihn nachdenklich – "Menschen verloren hat, die ihm nahestehen … und der sich die Schuld daran gibt.“
Wenige Menschen schafften es, ihn in Erstaunen zu versetzen, aber diese Muggelfrau hatte es geschafft.
„Nicht schlecht“, gab er widerstrebend zu.
„Ich bin noch nicht fertig, Sir. Jemand hat Sie schwer verletzt … gefoltert, so wie Sie aussahen, als ich Sie gefunden habe. Er hat Ihnen Verräter auf die Brust geritzt. Sie müssen also in einer ziemlich blutigen Auseinandersetzung auf der falschen Seite gestanden haben.“
Severus schwieg.
„Sie sagen nichts? Dann habe ich recht?“, fragte sie stolz.
Severus antwortete nicht und fragte stattdessen: „Weshalb haben Sie mich mitgenommen?“
„Sie brauchten Hilfe.“ Sie langte nach der Weinflasche und schenkte sich noch einmal ein. „Außerdem finde ich Sie sympathisch.“
Severus hob skeptisch die Augenbrauen.
Die Frau lachte und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Und ich brauchte doch jemanden, mit dem ich Geburtstag feiern konnte.“
„Ich habe kein Geschenk mitgebracht“, antwortete er und wunderte sich selbst über seine Beredsamkeit an dem Abend. Vielleicht lag es am hohen Blutverlust und an den Schmerzmitteln. Oder an der ungewohnt hohen Dosis Schokolade. Oder – er musterte erneut die opalgrünen Augen mit den schalkhaft glitzernden goldenen Sprenkeln – an ihr.
„Sie brauchen mir nichts zu schenken. Ich bin zufrieden: ein gutes Essen, romantisches Kerzenlicht, nette Gesellschaft, ein anregendes Gespräch …“
Severus blickte sie durchdringend an. "Ein anregendes Gespräch, hm?"
Sie zog herausfordernd die Augenbrauen hoch und lachte.
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