von fiirvogel
Danke für die Reviews, Lilian, Lylian und Suschi. Sie haben mich sehr gefreut. Schön, dass ihr die Geschichte so gerne lest, wie ich sie schreibe. Viel Spass beim nächsten Kapitel!
19. Kapitel
Es dauerte eine Weile, bis Noée ruhiger wurde. Auch Severus atmete mühsamer als sonst. Noée fest in den Armen richtete er sich soweit auf, dass er wieder auf die Couch sitzen konnte. Das war genug! Mehr brauchte Noée nicht zu wissen. Sie lag kraftlos in seinen Armen und er strich ihr sanft über die Haare.
Schließlich setzte sie sich wieder gerade hin, wischte sich trotzig mit den Händen über die Augen und zog die Nase hoch. „Ich mag nicht mehr“, stellte sie erschöpft fest.
„Mir reicht es auch“, antwortete Severus ehrlich.
Noée musterte ihn besorgt. „Wie hast du das nur ausgehalten?“
„In Wirklichkeit sind die Schmerzen stärker.“
„Eben.“ Noée runzelte die Stirn. „Wie haben wir das überlebt?“
„Auroren haben uns gefunden … Tonks“, fügte er knapp an.
„Tonks? Arbeitet sie bei der Polizei?“
„Sie ist Aurorin, sie ist bei einer Spezialeinheit, die Todesser aufspürt und dafür sorgt, dass sie für ihre zahllosen Verbrechen in den letzten beiden Kriegen vor Gericht gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden. Ohne Tonks’ Geistesgegenwart wären wir wohl nicht mehr am Leben.“
Noée schluckte und schloss einen Augenblick die Augen. Dann sah sie ihn an und fragte: „Hast du dich jemals bei ihr bedankt?“
Severus verzog den Mund. „Darin bin ich nicht sonderlich gut“, gestand er.
Noée rieb sich seufzend über die Schläfen und das Gesicht. „Das dachte ich mir …“
„Möchtest du ein Glas Elfenwein?“, fragte Severus, um von diesem Thema abzulenken.
Noée sah ihn überrascht an. „Zur Entspannung? Ja, das wäre ein gute Idee.“
Severus winkte einer Flasche, die auf einem Sekretär stand. Auf einen Wisch seines Zauberstabs hin schwang eine Glasvitrine, die in die Bücherregalwand eingelassen war, auf und zwei Kristallgläser schwebten durch den Raum und landeten zeitgleich mit der Flasche sanft auf dem Tisch vor ihnen. Severus schenkte beiden grosszügig ein und Noée probierte den Wein. Er war köstlich, etwas herb, aber er wärmte sie von innen her. Sie blickte schweigend ins Feuer und versuchte, nicht mehr an das zu denken, was sie soeben an Brutalität und Schmerzen nacherlebt hatte. Sie hätte Severus gerne gefragt, ob er ihr die Narbe dieser scheusslichen Verletzung auf dem Bauch zeigte, an der er wahrscheinlich beinahe verblutet wäre, aber sie traute sich nicht.
Als Severus ihr nachschenken wollte, kam ihr in den Sinn, wie viel sie an jenem Abend getrunken hatte, bevor die Todesser in ihr Cottage gestürmt waren, und wie locker ihre Zunge und Gedanken davon geworden waren. Sie legte die Hand aufs Glas und schüttelte entschlossen den Kopf. Severus sah sie an und Noée hatte das Gefühl, in diesen Augen zu ertrinken. Ob er las, was sie gerade dachte? Sie blickte schnell zur Seite.
Nach einem kleinen, improvisierten Mahl zog sich Noée mit der Entschuldigung auf ihr Zimmer zurück, sie sei müde und wolle sich noch etwas hinlegen, bevor Remus und Tonks kamen. Sie holte Pergament und Kugelschreiber aus dem Schrank und begann zu schreiben. Fieberhaft notierte sie alles, was geschehen war, seit sie Severus vor einer Woche zum zweiten Mal kennengelernt hatte, als er plötzlich in der PUK aufgetaucht war, ihr ins eiskalte Wasser des Teichs gefolgt war und sie mitgenommen hatte. Plötzlich hatten sie mitten in einem Hochmoor gestanden und Noée war sterbenselend gewesen. Ob das die Art und Weise war, wie Zauberer reisten? Wie hatte Tonks dazu gesagt? Apartieren oder so ähnlich … Sie musste sie fragen. Es war ausgesprochen unangenehm gewesen, aber Severus hatte es offensichtlich nichts ausgemacht. Sie erinnerte sich, wie er vor ihr gestanden und sie angesehen hatte – mit diesen unergründlichen, dunklen Augen … Noée versuchte die Augen zu beschreiben, damit sie sie ganz bestimmt nie mehr vergessen würde, dieses durchdringende Schwarz, das eiskalt und im nächsten Augenblick wieder glühend heiss aussehen konnte und in dem man sich verlieren konnte wie in einem finsteren Wald bei Neumond.
Als ihre Hand vom vielen Schreiben schmerzte, versteckte sie ihre Aufzeichnungen sorgfältig zuunterst in ihrer Tasche – dort waren sie wohl am besten aufgehoben.
Sie legte sich aufs Bett und versuchte, die Gefühle zu sortieren, die Severus in ihr auslöste. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl, geborgen fast, und seine Nähe löste in ihrem ganzen Körper ein Prickeln aus, wovon ihr schwindlig wurde, wenn er zu nahe kam. Sie hatte es sehr genossen, als er sie im Arm gehalten und ihr über die Haare gestreichelt hatte. Sie hätte ewig an ihn geschmiegt sitzen bleiben können. Sie mochte seinen Geruch und seine Stimme, sie mochte, wenn er ihre Hände hielt und sie zufällig berührte. Ihr kam in den Sinn, wie er vorher vor ihr gestanden und sie angesehen hatte. Sie war sich sicher, er hätte sie beinahe geküsst. Noée schloss seufzend die Augen.
Schliesslich setzte sie sich entschlossen auf, schob die Gedanken an Severus auf die Seite und holte das letzte Pergamentstück, das sie noch nicht beschrieben hatte aus dem Schrank und ging ins Wohnzimmer. Severus war nicht zu sehen. Noée setzte sich an den Tisch und begann zu notieren, was sie alles an Zutaten für das Essen brauchen würde. Sie würde ein Festessen kochen, um sich bei Tonks für ihre Rettung zu bedanken.
Winky erschien augenblicklich mit einem leisen Plopp, als Noée sie rief. Sie nahm die Zutatenliste mit einer tiefen Verneigung entgegen und versicherte Noée, alles Gewünschte umgehend zu bringen. Noée wartete ungeduldig in der Küche. Als eine Zutat nach der anderen wie aus dem Nichts auf dem Küchentisch auftauchte, räumte sie eilig die Teller vom Mittagessen weg, damit es Platz für alles hatte. Sie schnappte sich die Orangen und begann, sie zu filetieren. Danach rührte sie Mascarpone, Quark, Zucker und Orangensaft, legte eine Auflaufform mit Löffelbiskuits aus und betreufelte sie mit Cointreaux und gab die Mascarponecreme und die fein geschnittenen Orangen drauf. Anschliessend folgte eine zweite Schicht Biskuits und als Abschluss noch einmal von der Creme. Sorgfältig legte sie ein paar besonders schöne Orangenstücke als Verzierung darauf und betrachtete ihr Werk mit kritischem Blick … „Winky?“
Die kleine Hauselfe war sofort zur Stelle. „Miss wünscht?“, quiekte sie und warf einen bewundernden Blick auf die Schale.
„Entschuldige, dass ich dich noch einmal störe“, begann Noée, „aber mir ist noch etwas eingefallen: Könntest du mir noch ein paar Minzenblätter bringen? Nur drei oder vier – zur Dekoration.“
„Selbstverständlich, Miss. Winky bringen Minzenblätter.“
Severus war gerade dabei, die letzten leidigen Aufsätze der Drittklässler zu korrigieren und fragte sich nicht zum ersten Mal, weshalb er sich das eigentlich antat – als hätte er nichts Angenehmeres zu tun –, als es an die Wohnzimmertüre klopfte. Er warf einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag und ihn daran erinnerte, dass er zwei volle Stunden seiner wertvollen Zeit für diese Schwachköpfe von Schülern verschwendet hatte, dann steckte er die Uhr ein und ging ins Wohnzimmer hinüber. Noée stand in der Tür zur Küche, nahm gerade den Zeigefinger aus dem Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie blickte ihn verlegen an und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
„Schmeckt’s?“, fragte Severus gelassen.
„Sehr“, antwortete sie mit einem breiten Grinsen, „du wirst ihn bestimmt mögen.“
„Den Finger?“, fragte er.
Noée wurde sofort tomatenrot. „Den Nachtisch“, erwiderte sie mit Blick auf den Boden.
Er beobachtete sie amüsiert, dann ging er zur Tür und öffnete.
„Remus“, begrüsste er seinen Gast. „Tonks …“ Er trat zur Seite, liess die beiden herein und schloss die Türe hinter ihnen.
Remus schüttelte ihm die Hand – „Hallo Severus, danke für die Einladung.“ – und überreichte ihm eine Flasche Whisky. Severus betrachtete die Etiquette.
„Von der Tobermory Destillerie auf der Isle of Mull“, erklärte Remus stolz. „Du wirst ihn mögen, er gehört zu den Besten, die in ganz Schottland produziert werden.“
Severus nickte anerkennend und meinte steif: „Danke Remus, das wäre nicht nötig gewesen.“
„Ist nur eine Kleinigkeit“, versicherte Remus abwehrend.
Severus beobachtete mit gewisser Faszination, wie Noée Tonks stürmisch umarmte, so als ob sie sich schon seit Ewigkeiten kannten. „Schön, dass ihr gekommen seid“, begrüsste sie Tonks, die heute zur Abwechslung blonde Haare trug. „Ich freue mich so, dass ihr da seid! … Remus, willkommen. Fühlt euch wie zuhause.“ Sie schüttelte ihm herzlich die Hand. Zuhause? Noée hiess die beiden willkommen, als wäre sie hier zuhause, schoss es Severus durch den Kopf. Der Gedanke war von einem eigenartigen Gefühl begleitet, aber Severus war froh, dass er dem Gefühl nicht weiter nachgehen musste, denn gerade da reichte ihm Tonks die Hand und bedankte sich für die Einladung.
Tonks trug zwei grosse Plastiktüten in der Hand. „Alles für Noée“, erklärte sie, als sie seinen misstrauischen Blick sah.
Noée lächelte. „Danke, Tonks. Komm mit, dann kann ich dir gleich das Geld geben. Ich habe nicht gerne Schulden.“ Sie ging in ihr Schlafzimmer und Tonks folgte ihr, sichtlich neugierig.
Remus sah den beiden nach, dann wandte er sich an Severus. „Wie geht es dir?“
„Gut, danke“, antwortete Severus knapp und fragte sich, was von ihm als Gastgeber jetzt erwartet wurde. „Wie war es auf der Isle of Mull?“, fragte er schliesslich, als er entschieden hatte, dass es wohl das Höflichste war, Interesse an ihrem romantischen Wochenende auf Mull zu bekunden. Er hatte damit offenbar richtig gelegen, denn Remus begann ihm ausführlich und begeistert von ihrem Besuch in der Destillerie und im Duart Castle zu erzählen.
Noée zeigte Tonks ihr Zimmer. Tonks sah sich neugierig um. „Hast du auch ein Bad?“, fragte sie.
„Das teile ich mit Severus“, antwortete Noée freimütig und zeigte zur angelehnten Tür. „Er schläft dort drüben.“
Tonks warf einen Blick ins Wohnzimmer, wo die beiden Männer in ein Gespräch vertieft waren, dann linste sie in Severus’ Schlafzimmer hinüber. „Ich wollte schon immer mal sehen, wie die mürrische Fledermaus so lebt“, flüsterte sie kichernd.
Noée lachte leise, runzelte aber die Stirn. „Fledermaus?“
„Oh …“ Tonks drehte sich schnell zu Noée um. „Tut mir leid, das meinte ich nicht so. Den Übernamen hat er bei seinen Schülern und Ehemaligen, wegen seiner schwarzen flatternden Robe. Er ist als Lehrer nicht sehr beliebt, weißt du.“
„Nicht sehr beliebt?“, frage Noée ungläubig. Sie hatte ihn als interessanten und einfühlsamen Lehrer kennengelernt.
„Naja, eigentlich ziemlich verhasst … bei den meisten“, gestand Tonks. „Aber ich glaube, du hast einen guten Einfluss auf ihn. Er wirkt richtig nett heute. Ich hätte nie gedacht, dass er mich einmal zum Essen einlädt.“
„Essen … Stimmt! Tonks wir sollten den Fisch marinieren, den ihr gebracht habt. Ich dachte, wir könnten ihn über dem offenen Feuer machen. Die Hauselfen konnten mir einen Rost besorgen, auf dem wir den Lachs über die Glut legen können … Aber halt, zuerst möchte ich dir das Geld geben.“ Sie holte ihr Portemonnaie hervor, schüttete alles, was Tonks ihr gebracht hatte, aufs Bett und warf einen Blick darauf. „Super, danke Tonks!“
„Ich hoffe, das ist alles in Ordnung so. Die Quittung liegt dabei …“, meinte Tonks. „Und ich habe noch etwas anderes mitgebracht für dich. Hier, probier mal.“
Noée bekam grosse Augen, als sie aus der zweiten Tüte ein schwarzes langes Kleid und ein Cape hervorzog.
„Es ist von mir, ich denke, es sollte dir passen.“
Noée zog den Pullover aus und das Kleid an. Sie sah etwas perplex an sich hinunter.
„Sowas tragen Hexen“, erklärte Tonks. „Nicht immer natürlich, aber oft. Es ist die perfekte Tarnung für dich. Wenn du so durch Hogsmeade läufst, merkt keiner, dass du eine Muggel bist.“
„Und was ist Hogsmeade?“, fragte Noée neugierig.
„Das Zauberdorf gleich vor Hogwarts. Es ist das einzige Dorf in Grossbritannien, das nur von Hexen und Zauberern bewohnt ist.“
Noée bekam leuchtende Augen. „Das würde ich gerne einmal sehen. Und du bist sicher, dass mich niemand als Muggel erkennt, wenn ich dieses Kleid trage?“
„Ganz sicher. Wir Hexen sehen nicht anders aus als Muggel, wir kleiden uns nur extravaganter. Und die magischen Fähigkeiten sieht man von aussen nicht … Frag Severus, ob er dich mal nach Hogsmeade mitnimmt. Ich glaube nicht, dass er dir einen Wunsch verwehren kann.“ Sie kicherte vielsagend. „Ohne dich hätte er uns gestern bestimmt nicht eingeladen. Ich glaube, du hast ihm ziemlich den Kopf verdreht!“
Noée schüttelte lachend den Kopf, sagte aber nichts und blickte zur Seite. Sie wollte nicht, dass Tonks ihre Gedanken lesen konnte …
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel