von fiirvogel
24. Kapitel
Noée zündete sich am Feuer im Kamin eine Kerze an, ging in ihr Zimmer zurück und schloss die Türe. Sie legte sich bäuchlings aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Armen. Sie war frustriert und schämte sich zutiefst. Was musste Severus nur von ihr denken? Sie machte ihn so direkt an und dann krebste sie plötzlich feige zurück. Am Abend zuvor war ihr das schon passiert. Sie hatte ganz bewusst mit Severus geflirtet. Sie hatte gewollt, dass er sie küsste. Sie hatte das alles so gewollt. Das und mehr … Doch als er sie angefasst hatte, da hatte ihr Körper plötzlich Alarm geschlagen, als wollte ihr Unterbewusstsein sie vor Severus warnen. Stimmte etwas nicht mit ihm? Sie kannte ihn ja kaum. Sie wusste nur, dass er als Spion gearbeitet hatte und gefährliche Gegner hatte. Ob er selbst auch gefährlich war? Ob sie gehen sollte? Oder lag es daran, dass er ein Zauberer war? Wollte ihr Unterbewusstsein sie davor bewahren, sich auf einen Zauberer einzulassen? War eine solche Verbindung für sie als Nichtmagierin gefährlich?
Noée blieb in ihrem Zimmer. Sie reagierte nicht, als Severus an die Türe klopfte, und er ließ es dabei bewenden und sah nicht nach, ob sie schlief. Sie lag lange wach. Ihre Gedanken kreisten. War Severus gefährlich? Sie konnte es nicht glauben. Es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben. Er war nie grob oder ausfällig geworden. Auch in den Erinnerungen, die er ihr gezeigt hatte, hatte sie keine Anzeichen dafür entdeckt, dass er ihr irgendetwas hatte antun oder sie hatte ausnutzen wollen. Sie hatte keine Angst vor ihm, sie hatte sich im Gegenteil in seiner Gegenwart bis jetzt sicher gefühlt. Zugegeben, er konnte auch sehr finster wirken, er war verschlossen, gab kaum etwas von sich preis … Vielleicht hatte er ein düsteres Geheimnis.
Noée setzte sich plötzlich auf: Sie musste Remus fragen, das war die Lösung. Sie musste mit Remus oder Tonks sprechen. Vielleicht konnten sie ihr etwas mehr über Severus erzählen, damit sie ihn besser einschätzen konnte. Aber wie sollte sie das anstellen, ohne dass Severus es merkte? Noée nahm sich vor, am nächsten Tag Remus suchen zu gehen, am besten sobald Severus weg war, das würde ihr genügend Zeit geben, Remus zu finden, mit ihm zu sprechen und wieder zurückzukommen, bevor Severus, wenn überhaupt, zum Mittagessen kam.
Noée wartete am nächsten Morgen ungeduldig, bis sie Severus in der Küche hantieren hörte. Sie traute sich nicht, ebenfalls in die Küche zu gehen aus Angst, er könnte ihr an den Augen ablesen, was sie vorhatte. Sie zweifelte nicht daran, dass er es merken würde, ganz egal wie sehr sie versuchen würden, an nichts zu denken.
Als sie hörte, wie Severus die Wohnung verließ, stand sie auf und ging eilig duschen. Danach trank sie einen starken Kaffee, was zur Folge hatte, dass sie zu zittern begann, weil sie starken Kaffee nicht gewohnt war. Eine Weile starrte sie vor sich auf den Tisch, schob Brotkrumen hin und her, dann stand sie entschlossen auf und zog Tonks’ Hexengewand an. Sie atmete ein paar Mal tief durch, zog einige Grimassen, um ihre Gesichtsmuskeln zu entspannen, drückte langsam die Türklinke und schielte vorsichtig auf den Korridor hinaus. Es war kein Mensch zu sehen. Wahrscheinlich waren alle im Unterricht.
Noée war noch nie alleine im Schloss gewesen. Es war unheimlich. Sie beeilte sich, aus dem düsteren Keller hinaufzusteigen; sie wusste, dass Severus dort unten, praktisch gegenüber der Wohnung unterrichtete, und wollte ihm nicht begegnen. Sie wusste auch in etwa, wo sie Remus suchen musste. Tonks hatte ihr gesagt, er habe seine Räume im zweiten Stockwerk, von da sei die Aussicht wesentlich schöner als aus dem Kerker.
Noée blieb bewundernd in der großen Eingangshalle stehen und warf einen Blick auf die vier riesigen Stundengläser, die mit verschiedenen Farben gefüllt waren und sonderbare Namen trugen: Gryffindor, Ravenclaw, Hufflepuff und Slytherin. Die Namen kamen ihr vage bekannt vor, vielleicht hatte Severus sie einmal erwähnt oder sie hatte sie im großen Buch Geschichte der Magie gelesen. Schnell eilte sie die Marmortreppe hoch und fragte sich, ob das nun bereits das erste Stockwerk war oder ob erst hier mit Zählen begonnen wurde, da es in der Eingangshalle nicht viel mehr gab als zwei Türen und die Treppe in die Kellergewölbe hinunter.
Noée blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Sie würde noch eine Treppe hochsteigen und den Korridor entlang gehen, erst links, dann rechts. Wahrscheinlich waren die Zimmer angeschrieben. Wenn sie Remus’ Klassenzimmer nicht fand, würde sie zurückkommen, eine weitere Treppe hochsteigen und nach derselben Vorgehensweise weitersuchen. War sie erfolglos, würde sie wieder in den Keller zurückgehen. So konnte sie sich nicht verlaufen.
Noée merkte bald, dass sie es sich einfacher vorgestellt hatte, als es war. Die Zimmer waren nicht angeschrieben, Noée versuchte, an den Türen zu lauschen oder durch das Schlüsselloch zu gucken. Als sie im linken Korridor zuhinterst angekommen war, sah sie eine Treppe, die in das nächste Stockwerk führte. Sehr gut, dann brauchte sie nicht den ganzen Korridor zurückzulaufen. Sie würde die Treppe hochsteigen, das ganze Stockwerk ablaufen und zum Schluss noch den zweiten Korridor im ersten Stock in Angriff nehmen … Leider begann die Treppe, kaum war Noée in der Mitte angekommen, zu rotieren und setzte sie schließlich unsanft in einem Säulengang über der Eingangstüre ab, wo es keine Zimmer gab, dafür weitere Treppen und große Fenster, die den Blick auf den Park freigaben.
Als Noée sich von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, folgte der zweite. Ein lauter Gong hallte durch das Schloss und kurz darauf hörte man überall aufgeregte Stimmen: Die Pause hatte begonnen. Noée stieg eine schmale, gefährlich ächzende Holztreppe hinunter und stand in einem weiteren Korridor, der irgendwie im rechten Winkel zu dem Korridor lag, den sie eigentlich hatte erreichen wollen.
Einige Schüler, alle in dieselben langen Gewänder wie Noée gekleidet, kamen ihr entgegen. Noée fasste Mut. Sie lächelte die Kinder – sie waren schätzungsweise zwölf oder dreizehn Jahre alt – freundlich an und fragte: „Könnt ihr mir sagen, wo ich das Klassenzimmer von Professor Lupin finde?“
Die Schüler wirkten nicht erstaunt – ihre Tarnung musste tatsächlich sehr gut sein, dachte Noée erleichtert –, sie deuteten den Korridor hinunter. „Nach der Statue von Milena der Schüchternen führt eine Treppe hoch. Man verfehlt sie gerne, weil sie sich oft hinter der Statue versteckt. Danach müssen Sie nach links abbiegen. Es ist die sechste Türe auf der rechten Seite.“
Noée bedankte sich und eilte weiter. Sie wunderte sich, wie sich eine Treppe verstecken konnte, fand sie aber glücklicherweise direkt hinter der Statue einer Frau, die sie aus großen, angstgeweiteten Augen ansah. Noée eilte die Treppe hoch und wäre auf der Hälfte beinahe in Ohnmacht gefallen, als ihr von oben plötzlich ein Geist entgegenkam. Noée hatte noch nie einen Geist gesehen, sie hatte bisher auch nicht an Gespenster geglaubt, aber eine andere Bezeichnung fiel ihr für die durchsichtige Gestalt, die herunterschwebte, nicht ein. Die Gestalt grüsste höflich und schwebte dicht an Noée vorbei durch die Wand. Noée begann zu rennen, bog oben um die Ecke – links hatten die Schüler gesagt –, und prallte gegen jemanden, der in eben dem Moment die Treppe herunterkommen wollte.
Noée verlor beinahe das Gleichgewicht. Geistesgegenwärtig griff sie nach dem Arm der älteren Dame, die sie angerempelt hatte und die ebenfalls gefährlich ins Wanken gekommen war. „Tut mir leid, ent–entschuldigen Sie“, stammelte Noée. Sie vergewisserte sich, dass die Frau wieder sicher auf den Beinen stand, und bückte sich schnell nach den Unterlagen, die ihr aus den Händen gefallen waren. Als sie aufstand und ihr den Papierstapel wieder in die Hand drückte, sah diese sie überrascht an, dann verfinsterte sich ihr Blick schlagartig. Noée blickte in das strenge Gesicht einer älteren, groß gewachsenen Frau mit einer kleinen Brille auf der Nase und säuerlichem Gesichtsausdruck. „Es tut mir wirklich leid, ich habe Sie nicht gesehen“, entschuldigte sich Noée erneut.
Erst jetzt schien ihr Gegenüber die Sprache wiedergefunden zu haben. „Was machen Sie denn hier?“, fragte die Frau.
Noée überhörte die Betonung auf dem Sie und antwortete mit einem schüchternen Lächeln: „Ich suche Remus Lupin. Ich bin seine Cousine und war gerade in der Gegend, da dachte ich –“
„Lügen Sie mich nicht an, Miss Gallaudet“, unterbrach sie die Hexe schroff. Bevor Noée fragen konnte, woher sie ihren Namen kannte, packte die Frau sie am Arm und zog sie entschlossen hinter sich her den Korridor entlang, aus dem sie gerade gekommen war. Für eine Frau ihres Alters, hatte sie einen ziemlich kraftvollen Griff und einen Stechschritt, den ihr Noée nicht zugetraut hätte.
Der Korridor endete vor einer massiven Holztüre, die wie von selbst aufsprang, als die Frau „Hippogreif“ rief. Sie zerrte Noée hinter sich her in einen großen Raum. Ein halbes Dutzend Augenpaare sahen sie überrascht an. Noée erkannte zu ihrer Erleichterung Remus. Doch bevor sie oder Remus etwas sagen konnten, rief die Hexe: „Severus!!“
Severus saß auf einem Stuhl über eine Zeitung geneigt. Noée sah ihn erst, als er sich eilig umdrehte. Er stellte scheppernd seine Tasse auf den Tisch und stand auf.
Inzwischen war Remus herangekommen. Er versuchte wohl, die Situation zu entschärfen, und begrüßte Noée mit einem herzlichen „Was für eine Überraschung! Schön dich zu sehen“, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass eine Muggel hier hereinplatzte.
Die Hexe warf Remus einen flüchtigen Blick zu, wandte sich dann aber an Severus, der schweigend zu ihnen getreten war. „Ich will dich unverzüglich in meinem Büro sprechen!“, sagte sie mit herrischem Tonfall. „Remus, bring Miss Gallaudet in ihre Räumlichkeiten zurück, wo auch immer ihr sie untergebracht habt.“ Sie warf Noée einen letzten, kühlen Blick zu und rauschte aus dem Raum. Severus schenkte Noée einen nicht weniger eisigen Blick und folgte der Hexe, ohne ein Wort zu sagen.
Noée wollte ihm folgen, doch Remus hielt sie am Arm fest. „Komm“, sagte er ruhig, „ich bringe dich zurück.“
Noée folgte Remus schweigend durch Korridore und Treppen hinunter, bis sie wieder im Keller waren. Sie öffnete die Tür zu Severus’ Wohnung und Remus folgte ihr ins Wohnzimmer. Endlich wieder in der gewohnten Umgebung erwachte Noée aus ihrer Schockstarre. Sie sank schluchzend auf die Couch.
Remus betrachtete sie einen Augenblick ratlos, dann rief er: „Winky!“ Der kleine Hauself erschien mit einer tiefen Verneigung mitten im Zimmer. „Bring Miss Gallaudet einen Beruhigungstee, etwas Süßes zum Knabbern und ein Taschentuch.“ Winky verneigte sich erneut und war gleich darauf verschwunden. Dafür stand Augenblicke später das Gewünschte auf dem Tischchen vor Noée. Remus setzte sich neben sie und reichte ihr wortlos das Taschentuch.
Noée nahm es schluchzend und wischte sich damit über das Gesicht, während sie versuchte, sich wieder zu fassen.
„Wieso bist du alleine im Schloss unterwegs?“, fragte Remus. Noée hatte das Gefühl, leichte Irritation in seiner Stimme wahrzunehmen.
„Es tut … tut mir leid“, antwortete sie und putzte sich die Nase. „Ich dachte … mit dem Kleid … ich suchte dich, aber es war wohl doch keine sehr gute Tarnung, das Kleid. Sie hat sofort gesehen, dass ich keine Hexe bin.“
Remus legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter. „Du hattest einfach nur Pech, genau Minerva in die Arme zu laufen. Sie kennt dich.“
„Sie kennt mich?“, rief Noée geschockt. „Wieso kennt sie mich?“
„Aus dem Krankenhaus. Als wir euch gefunden hatten, schickten wir ihr umgehend eine Nachricht. Sie kam sofort, um nach Severus zu sehen. Als er erwachte, fragte er als erstes nach dir. Natürlich ging Minerva dich sofort besuchen, das passiert ja nicht alle Tage, dass sich Severus um irgendwen Sorgen macht. Du warst noch am Schlafen.“
Noée konnte ihr Pech nicht fassen: Da lief sie in diesem riesigen Schloss der einzigen Person in die Arme, die sie kannte. „Sie ist die Schulleiterin?“, fragte sie.
Remus nickte.
„O Gott, sie wird ihn umbringen. So wie sie aussah …“
Jetzt musste Remus lächeln. „Das glaube ich nicht. Sie hängt sehr an ihm. Er hat viel für Hogwarts und die Zauberwelt getan. Bestimmt wird auch Dumbledore ein gutes Wort für Severus einlegen.“
„Dumbledore?“, fragte Noée erstaunt. „Albus Dumbledore? Das weiße Grabmal … Er ist doch … tot, oder?“
„Ja, aber er mischt sich trotzdem immer noch gerne in die Belange von Hogwarts ein, glaub mir“, antwortete Remus.
Noée sah ihn verwirrt an und wollte gerade etwas fragen, als Remus fortfuhr: „Du hast das Grabmal gesehen?“ Er nahm den Arm wieder von Noées Schulter und rückte etwas zur Seite, um sie besser ansehen zu können.
„Severus hat es mir gezeigt. Der Mann muss ihm viel bedeutet haben.“
„Hat Severus über ihn gesprochen?“, fragte Remus interessiert.
Noée schüttelte den Kopf und zog die Nase hoch. „Aber man hat ihm angesehen, wie sehr es ihn aufwühlte, das Grab zu sehen.“
Remus nickte nachdenklich. „Ja, ich denke, dass Albus für Severus eine sehr wichtige Person war. Albus glaubte an Severus, als alle anderen an ihm zweifelten. Er vertraute ihm gefährliche und wichtige Missionen, letzten Endes sogar sein Leben an.“ Remus seufzte tief. „Er hat Severus sehr viel zugemutet … Noée, weshalb hast du mich gesucht?“
„Ich … ich wollte dich bitten, ob du mir … von Severus erzählen kannst. Du kennst ihn schon so lange. Er ist so schweigsam, erzählt praktisch nichts von sich. Ich frage mich manchmal, ob er vielleicht ein schreckliches Geheimnis hat …Manchmal“ – sie zögerte, plötzlich kam es ihr lächerlich vor, dass sie Remus wegen so etwas suchen wollte – „wirkt er so … bedrohlich.“
„Severus?“ Remus sah sie besorgt an. „Hat er dir etwas getan?“
„Nein, nein“, antwortete Noée schnell. „Das darfst du nicht denken. Bitte, denk nicht schlecht von ihm!“
„Dasselbe wollte ich dir gerade raten“, erwiderte Remus. „Denk nicht schlecht von ihm. Er wirkt manchmal finster und ist sehr verschlossen, aber das ist nur eine Maske, hinter der er sich versteckt.“
„Ja, das habe ich gemerkt. Aber warum? Weshalb ist er der Welt gegenüber so misstrauisch? Was hat er alles erlebt, dass er so schweigsam ist? Du kennst ihn doch schon so lange, Remus. Kannst du mir nicht helfen, ihn etwas besser zu verstehen?“
Remus sah nachdenklich ins Feuer. „Ich verstehe nicht genau, was du von mir willst. Du kannst ihn alle diese Dinge doch selbst fragen.“
Noée wurde rot, als ihr bewusst wurde, wie dumm die ganze Aktion von ihr gewesen war. Sie konnte doch Remus unmöglich erzählen, wie nahe Severus und sie sich gekommen waren, dass er sie geküsst und umarmt hatte, bis sie plötzlich Angst bekommen hatte. Sie verbarg das Gesicht in den Händen. „O Gott, was denkt er jetzt nur von mir? Er muss schrecklich wütend sein, weil ich ihn in eine so unangenehme Situation gebracht habe. Er bringt mich um.“
„Das bestimmt nicht“, erwiderte Remus. „Vielleicht verwandelt er dich in eine Nacktschnecke …“
Noée sah ihn entsetzt an.
Remus schmunzelte. „Das war ein Scherz. Trink den Tee, der wird dir gut tun. Severus ist bestimmt sehr wütend, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er dich gerne hier hat.“
Noée runzelte die Stirn. „Meinst du?“, fragte sie zweifelnd.
„Er mag sich erfolgreich hinter seiner Maske verbergen, aber es ist nicht einmal Minerva entgangen, dass er in letzter Zeit weniger grimmig war als normal. Du –“ Remus brach mitten im Satz ab, als die Türe mit einem Knall aufflog. Severus betrat den Raum. Er sah die beiden einen Augenblick stumm an und meinte dann kühl: „Minerva will dich sprechen, Remus. Sie erwartet dich in ihrem Büro.“
Remus erhob sich seufzend. Noée warf ihm einen flehentlichen Blick zu, der heißen sollte „Lass mich jetzt nicht alleine“, aber Remus lächelte sie aufmunternd an, nickte Severus zu und verließ den Raum.
Noée stand auf, obwohl ihr die Knie zitterten.
Severus kam schweigend auf sie zu. Er wirkte unheimlich und Noée wich instinktiv zurück, bis sie gegen die Wand neben dem Kamin stieß. Severus folgte ihr und blieb dicht vor ihr stehen.
„Kannst du mir erklären, was das sollte?“, fragte er mit eisiger Stimme.
Noée konnte vor Angst nicht sprechen. „Ich … Severus, bitte … Du machst mir Angst“, flüsterte sie. „Könntest du … einen Schritt zurück?“
Severus’ Stirnfalte vertiefte sich, er zögerte, trat dann aber einen halben Schritt zurück.
Noée schluckte. „Es tut mir leid“, sagte sie tonlos. „Das war dumm von mir.“
„Allerdings“, antwortete Severus kalt. „Was wolltest du von Remus?“ In seiner Stimme schwang Eifersucht mit.
„Ihn etwas fragen … wegen Weihnachten. Ein Geschenk … für dich.“
Severus kniff die Augen zusammen. „Lüg mich nicht an!“, fuhr er sie barsch an. „Du weißt, dass ich die Wahrheit herausfinden kann, wenn ich will.“
Noée wandte den Blick ab und biss hart auf die Zähne. „Ja“, antwortete sie endlich trotzig, „das weiß ich … Ich kann dir nicht sagen, was ich Remus fragen wollte. Es wäre mir … total peinlich. Ich möchte es … für mich behalten.“ Sie starrte auf den Boden. „Ich bin mir bewusst dass du es herausfinden kannst, wenn du willst“, fügte sie tonlos hinzu, „und dass ich nichts dagegen tun kann.“ Sie biss auf die Zähne, hob den Kopf und sah ihm entschlossen in die Augen.
Severus schnaubte wütend. Noée hatte ihn in eine unangenehme Lage gebracht. Er hatte sich wissentlich über Gesetze hinweggesetzt. Minerva würde mit Kingsley sprechen, er würde entscheiden, was zu tun war. Was wenn Noée gehen musste? Wenn sie ihr Gedächtnis erneut manipulieren wollten? Selbst wenn es nicht soweit kommen sollte, wäre er von dem Tag an Minervas neugierigen Fragen ausgesetzt. Und all das nur, weil diese verantwortungslose Muggel sich über die eine Regel hinwegsetzte, die er zu ihrem Schutz aufgestellt hatte, und sich am helllichten Tag aus der Wohnung schlich? Und warum? Um mit Remus zu sprechen! Mit Remus! Was wollte sie von ihm?
Severus schnaubte wütend. Er war einen Augenblick lang versucht, in Noées Gedanken einzudringen, um zu erfahren, was sie vor ihm verheimlichte. Dass es nicht um Weihnachtsgeschenke ging, hatte er sofort gesehen. Doch eine leise Stimme in seinem Innersten warnte ihn: Noée würde es ihm nie verzeihen, wenn er in ihre Gedanken eindrang, obwohl sie ihm gesagt hatte, dass sie die Gründe für ihr Verhalten gerne für sich behalten wollte … Es war eine Frage des Respekts. Und des Vertrauens … Severus vertraute den Menschen prinzipiell nicht, aber er wusste, dass er Noée vertrauen musste, wenn er nicht wollte, dass sie ging. Er schnaubte noch einmal wütend, schüttelte andeutungsweise den Kopf und trat noch einen Schritt zurück.
Noée atmete hörbar aus.
„Du kannst bis auf weiteres hierbleiben“, erklärte Severus knapp. „Die Schulleiterin wird den Zaubereiminister informieren, der letztendlich entscheiden wird, wie es weitergehen soll.“
„Den Zaubereiminister?“
„Ich habe mich über Gesetze hinweggesetzt, als ich dich entführt und hierher gebracht habe.“
„Werden sie dich bestrafen?“, fragte Noée erschrocken.
Severus zögerte. Das konnte sich das Ministerium nicht leisten, nicht bei ihm; sie standen alle tief in seiner Schuld, und das wusste Kingsley genau. „Nein“, antwortete er mit Überzeugung.
„Und … mich?“
Severus wusste auch ohne Legilimentik, was Noée in dem Moment durch den Kopf ging: Würde man ihr ihre Erinnerungen erneut löschen und sie anschließend sich selbst überlassen? Es war unwahrscheinlich, da bereits das erste Mal katastrophale Folgen gehabt hatte. Ein weiterer Eingriff konnte die Sache nur verschlimmern. Daran konnte niemand ein Interesse haben. Er schüttelte den Kopf und wandte sich zum Gehen.
„Und jetzt?“, fragte Noée.
Severus drehte sich noch einmal zu ihr um. „… warten wir“, antwortete er und ging, um einen Zaubertrank zu brauen – alleine.
Noée blieb ratlos ihm Wohnzimmer stehen und sah ihm hinterher.
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