Ermengarde Rosier saß schweißbedeckt, kerzengrade in ihrem Bett. Augenblicklich schlangen sich Leopolds Arme um sie herum, wogen sie vor und zurück und flüsterten ihr beruhigende Worte in ihr Ohr. Sie beruhigte sich recht schnell. Mr. Snape musste jetzt fast gar nicht zu ihr kommen, wenn Ermengarde irgendwelche Albträume hatte. Leopold war froh. Das war seine kleine Schwester; sie war seine Verantwortung. Und von niemand anderem.
„Albtraum?", flüsterte er. Sie nickte.
„War es wieder derselbe?"
Diesmal schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, nein, der war anders. Ich kann mich nicht einmal mehr richtig daran erinnern."
Leopolds Griff spannte sich kurz an und entspannte sich dann. „Ist das gut oder schlecht?"
„Ich weiß es nicht", antwortete Ermengarde. Bruder und Schwester saßen sehr lange in der Dunkelheit, hielten sich gegenseitig fest und schwiegen. „Leopold?", fragte sie schließlich leise und durchbrach damit das Schweigen.
„Hmm?"
„Was glaubst du macht Brigita jetzt?"
„Schlafen, hoffe ich."
„Aber was denkst du hat sie davor getan? In Hogwarts?"
„Ich wette… ich wette sie ist auf einen Hippogreif über den See geflogen. Genau wie Mr. Potter, als er dort war." Leopold wollte das wirklich sehr gerne glauben. Aber er hatte seit fast einem Jahr kein Brief mehr von ihr erhalten und sie war nach ihrem zweiten Jahr nicht mehr in den Sommerferien zu ihnen zurückgekehrt.
„Ich wette, Brigita hätte das gemocht."
„Ich auch."
„Leopold?"
„Hmm?"
„Magst du es hier?"
Er dachte lange und gründlich darüber nach, bevor er antwortete: „Ja, tue ich."
„Ich auch", seufzte Ermengarde. „Es ist wie zu Hause."
*~*~*
Es passierte alles ziemlich plötzlich.
Miss Granger hatte schon lange Peter Pan beendet und las jetzt Der geheime Garten, als plötzlich Margaret Macnair anfing zu zittern, schweigend, ohne Laute. Dann begann sie tief ein und aus zu atmen, aber so sehr sie es auch versuchte, sie schien keinerlei Luft einatmen zu können. Sie wusste nicht, woher es kam – in dem einem Moment ging es ihr noch gut und jetzt saß sie hier, ihre Brust war wie zugeschnürt, zitternd, keuchend, sie konnte nicht atmen, sie musste atmen…
Und dann begann sie zu schreien. Sie schrie aus voller Lunge. Schrie, bis ihr Hals brannte. Schrill, markerschütternde Schreie der Angst.
Das Schlimmste daran, sie hatte keine Ahnung warum.
*~*~*
Hermine erstarrte und blickte zu Snape auf, der augenblicklich aufgesprungen war und sofort das Zimmer durchquert hatte und jetzt neben Margaret kniete, um sie an seine Brust zu drücken und ihr beruhigend mit kreisender Handbewegung über den Rücken strich. Sie wusste, er konnte die Hilflosigkeit in ihren Augen sehen, als sie unbeholfen aufstand, um irgendetwas zu tun.
„Hat sie das jemals zuvor getan? Was tun Sie sonst immer?", fragte sie verzweifelt wegen der Schreie des Mädchens.
Snape schüttelte den Kopf. „Sie hatte noch nie einen so schlimmen Anfall gehabt."
Hermine biss auf ihre Unterlippe (eine Angewohnheit, für die sie Jahre gebraucht hatte, um sie abzulegen) und sah sich um. Die Kinder waren noch immer, offensichtlich verängstigt und zugleich schienen sie auch ruhig zu sein. Sie waren einfach nur… da. Sollten sie sich das überhaupt mit ansehen? Sollten sie nicht ins Bett gehen?
Snape schien ihre Gedanken zu lesen und verkündete dann mit ruhiger und besonnener Stimme: „Bett." Vierzehn Beinpaare setzten sich in Bewegung, um ihm zu gehorchen.
Hermine sah sich weiterhin im Zimmer um, als sie den Kamin bemerkte. Das Flohnetzwerk. „Luna!", sagte sie plötzlich. „Severus, sollen wir nicht lieber Luna herholen? Vielleicht kann sie ja helfen."
„Ich werde es tun." Niemand außer ihm konnte zur Zeit Lunas Wohnung über das Flohnetzwerk erreichen. Die Erwachsenen konnten von ihren und in ihre Wohnungen reisen, aber das war auch schon alles. Sie konnten nirgend woanders hin oder gar jemanden anrufen. Aus Sicherheitsgründen. Er hatte diese Schutzzauber selbst gesetzt.
Nachdem er sich von Margaret gelöst und ihr versprochen hatte, gleich wieder bei ihr zu sein, begann sie nur noch lauter zu schreien, während sich Snape mit seinem Kopf vornüber vor den Kamin kniete.
*~*~*
„Lovegood? Lovegood! Ich brauche Sie – oh, was, Longbottom? Was zum – auch egal. Ziehen Sie sich was an und kommen Sie augenblicklich her. Miss Macnair erleidet gerade eine schwere Panikattacke." Er zog schnell seinen Kopf aus dem Kamin und versuchte krampfhaft den Anblick von Longbottoms kreidebleichen, blanken Hintern zu vergessen.
Gottseidank hatte weder Granger, noch Margaret das Ende seiner Unterhaltung mitbekommen, als er sich wieder zu ihnen umdrehte und sie ruhig darüber informierte: „Sie wird in Kürze hier sein" als ob er nicht gerade etwas Ungewünschtes gesehen hatte. Granger nickte.
Mit zwei großen Schritten durchquerte Severus das Zimmer und zog das Mädchen wieder auf seinen Schoß. Sie klammerte sich fest an ihn, ihre Arme und Beine hatten sich um seinen Körper geschlungen, als sie weiterhin schluchzte und nach Luft schnappte. Er hielt sie fest, versuchte sie zu beruhigen. „Sshh, Maggie", flüsterte er so leise, das es nur für ihre Ohren bestimmt war. „Ich bin ja hier, ich habe dich. Ich werde mich um dich kümmern, ich werde nicht zulassen, dass dich jemand verletzt. Du bist sicher."
Er blickte über die Schulter des Mädchens, um Granger ganz ruhig und still an der Wand neben dem Kamin stehen zu sehen. Ihr Gesicht und ihre Körperhaltung waren ruhig, aber in ihrem Blick lag nichts anderes als pure Angst. Keine Angst um sich selbst, da war sich Severus sicher, sondern Angst um das Kind. Seit den Monaten, in denen sie bereits am Grimmauldplatz waren hatte Granger noch keines der Kinder zusammenbrechen gesehen. Ariadne Carrow hatte einmal in ihrer Anwesenheit einen Albtraum gehabt, aber damit war sie leicht fertig geworden. Ariadnes Albträume waren nie dermaßen schlimme und sie konnte meistens immer innerhalb weniger Minuten wieder einschlafen. Sie hatte ihn, bis auf den einen Abend mit Potter, nicht mehr nach draußen zu den anderen begleitet. Sie hatte bisher keine Nacht mehr in ihrem alten Zimmer verbracht, obwohl er es für sie frei hielt, sollte sie es jemals wieder gebrauchen. Es war genau wie an dem Abend im Bordell – Granger, die helfen wollte, aber wenn sie mit Schmerz und Terror konfrontiert wurde, den sie persönlich noch nie erfahren hatte, war sie vollkommen unbeweglich und offengesagt für ihn nutzlos. Sie hatte es vermutlich nicht kommen sehen. Wahrscheinlich hatte sie bisher nur beeindruckende Berichte über den psychologischen, sozialen und erzieherischen Fortschritt der Kinder gehört.
Keiner von ihnen war abends oder nachts hier, nicht so wie er. Obwohl sich die Kinder bereits relativ gut angepasst und sich ihre Nachtängste verringert hatten (wofür er Lovegood leider wirklich dankbar sein musste), waren sie dennoch schwer traumatisiert und geschädigt. Granger war wie vor dem Kopf geschlagen und nicht in der Lage damit umzugehen. Das würde er noch richtig stellen müssen.
Durch die plötzlich smaragdgrün aufleuchtenden Flammen, trat Lovegood mit ihrem immer präsenten Lächeln und hellblauen Augen hervor. Ihre Lippen waren leicht geschwollen und ihr hüftlanges Haar leicht zerzaust. Longbottom folgte ihr bald, versuchte wild sein Haar zu glätten, während sein Blick gesenkt blieb und sein Gesicht die Farbe einer Tomate annahm.
„Guten Abend, Severus", begrüßte Lovegood freundlich, als ob er sie nicht gerade vor fünf Minuten auf frischer Tat ertappt hatte, was ihr die seltene Meisterleistung erlaubte, Severus unbehaglich fühlen zu lassen. Sie kniete sich auf Augenhöhe des noch immer schreienden, schluchzenden Kindes in seinen Armen. „Margaret", flüsterte sie und versuchte sich so gut es ging, um das Mädchen zu kümmern, die sich noch immer an Severus' Körper festkrallte und ihr Gesicht in seiner Brust vergraben hatte.
Longbottom stand im Wohnzimmer mit einem Blick, der besagte, er hatte keine Ahnung, wo er sich befand und was er hier tat. Er schaffte es nicht, Severus' Blick zu treffen. „Genau, ich bin dann nur…", begann er und drehte sich um, um ihn die Küche zu flüchten. Severus verdrehte seine Augen.
Nach kurzer Zeit brachte Lovegood Margaret dazu mit ihr zu atmen. Durch die Nase einatmen, durch den Mund wieder ausatmen, um dadurch ihre gesamte Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Einatmen, halten, ausatmen. Er spürte, wie ihr kleiner Körper um die Kontrolle kämpfte und er passte seine Atmung Lovegoods an, um das Mädchen weiterhin zu beruhigen. Die ganze Prozedur erinnerte Severus an seine Atemübungen, als er mit Okklumentik angefangen hatte. Es befreite den Verstand von irgendwelchen Gefühlen und zwang den Körper sich zu beruhigen, selbst wenn er sich in einem aufgebrachten Zustand befand. Es war ein Trick, den Körper Ruhe spüren zu lassen.
Da kam Severus der Gedanke, dass Okklumentik vielleicht eine Möglichkeit für die Kinder war; um die Dunkelheit der Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen, damit sie lernten nicht von ihren Gefühlen kontrolliert zu werden, was nur zu Problemen mit anderen Kindern in Hogwarts führte. Manchmal war es am Besten Okklumentik bereits in jungen Jahren zu erlernen. Es mussten weniger mentale Sonderheiten und gelernte Verhaltensformen überwunden werden.
Dann auch wieder zählten diese Kinder bereits zu den Älteren und in ihrer Vergangenheit befanden sich wahre Schrecklichkeiten.
Er erinnerte sich an sein Training mit Potter und an alles, was Potter bis dahin gesehen und durchlebt hatte und musste sich eingestehen, es war vielleicht nicht nur die Dummheit des Jungens und die Neigung sein Herz auf der Zunge zu tragen, die ihn davon abgehalten hatten auch nur eine grundlegende Begabung für diese Kunst zu entwickeln. Vielleicht war Okklumentik für diese Gruppe hier zu riskant. Er müsste noch darüber nachdenken.
Margaret atmete jetzt bereits viel ruhiger, gleichmäßigere Atemzüge, die Lovegood ihr beigebracht hatte und jetzt waren es nur noch die Tränen, die ihre Wangen hinunterliefen und sein Hemd durchnässten. Severus störte es kein Stück. Er hielt sie an sich gedrückt und summte leise, hoffentlich so leise, dass Lovegood es nicht hörte. Als er genau hinsah, bemerkte er, wie auch Grangers Augen mit Tränen gefüllt waren. Lovegood nahm eine kleine Hand des Mädchens in die ihre und flüsterte Phrasen wie: „Passiert jedem" und „mutiges Mädchen."
Sanft ließ sie die Hand des Mädchens wieder los und flüsterte: „Ich bin gleich wieder da." Sie stand auf und deutete Severus an ihr zu folgen. Nur widerwillig ließ er von dem Mädchen ab und befahl Granger sich auf die Couch zu setzen.
„Nur einen Moment, Maggie", wisperte er. Er setzte das Mädchen auf Grangers Schoß, von wo aus sie seine dunkle Gestalt mit ihren Augen verfolgte, als er das Zimmer durchschritt. Er achtete darauf dort zu stehen, wo sie ihn sehen konnte.
„Ist ihr das schon vorher passiert?", fragte Lovegood.
Severus schüttelte mit dem Kopf, seine Hand begann über die Augenbrauen zu reiben. Er war nicht überrascht, Schweiß auf seiner Stirn zu spüren. Das war wirklich anstrengend gewesen. „Sie hatte schon vorher Panikattacken gehabt, aber niemals in solch einem Ausmaß. Normalerweise kann ich sie innerhalb weniger Minuten beruhigen und es ist jetzt so, als ob es niemals geschehen war. Ich habe sie noch nie in solch einen Zustand gesehen. Noch nicht einmal, als sie noch… dort waren."
Lovegood nickte. „Verstehe."
„Was denken Sie?"
„Ihr geht es schon besser, seit ich hier bin, aber ihr geht es noch nicht gut. Ich bin mir nicht sicher, was es ausgelöst hat und ich bin mir nicht sicher, ob sie es überhaupt weiß, manchmal passieren solche Dinge einfach." Sie senkte ihre Stimme noch weiter und lehnte sich etwas näher zu ihm hin. „Sie sollte das ausschlafen. Ist sie zu jung für den traumlosen Schlaf?"
Severus schüttelte mit dem Kopf. „Nicht für eine sehr geringe Dosis. Ich werde es für sie mit etwas Kürbissaft vermischen."
Lovegood nickte lächelnd und Severus verschwand in der Küche.
Longbottom saß am langen Küchentisch, betrachtete seine Kaffeetasse, als ob sie die Antworten auf all seine Lebensfragen enthielt und er richtete sich auf, als er Severus sah. „Keine Sorge, Longbottom, ich bin nicht hier, um mich zu Ihren erbärmlichen Anfängertechniken zu äußern. Niemand wünscht sich mehr als ich, diesen Anblick zu vergessen. Und unglücklicherweise für Sie, da ich durchaus weiß, dass man Ihnen nicht einmal Grundtechniken beibringen kann, kann ich Ihnen auch keine weiteren Verbesserungsvorschläge geben, außer die Hoffnung, dass Miss Lovegood bisher noch keine Möglichkeit hatte Vergleiche anzustellen."
Er war sich nicht sicher, wie es passieren konnte, aber plötzlich stand er mit seinem Rücken gegen die Tür gepresst und Longbottom befand sich nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, sein Zauberstab stieß unangenehm in Severus' Nacken. Er lächelte.
„Es gibt nur wenige Dinge in meinem Leben, auf die ich stolz bin", sagte Longbottom durch zusammengepresste Zähne. „Was ich hier mit Luna habe, ist eines dieser Dinge. Und ich werde nicht zulassen, dass ich auch nur eine verdammte Sekunde anfange an mir zu zweifeln. Haben Sie mich verstanden?"
Severus hob in gespielter Unterwerfung seine Hände und Longbottom zog seinen Zauberstab zurück und kehrte aufgebracht zu seinem Stuhl am Tisch zurück.
Severus nahm die Phiole und ein paar Tropfen fielen in die Tasse und vermischte sie mit einem großzügigen Anteil von Kürbissaft. Er überlegte, so zerbrochen der Krieg ihn auch zurückgelassen hatte, hatte es Longbottom doch in einen Mann verwandelt. Ein Mann, der sich und das, was ihm wichtig war, verteidigte.
Widerwillig konnte Severus nicht anders als ihn dafür zu respektieren.
„Sie wissen schon, Longbottom, hätte ich mich verteidigen wollen, dann hätte ich es auch getan?"
„Weiß ich."
„Und auch sollten Sie jemals wieder Ihren Zauberstab in mein Gesicht stecken, ich dann mehr tun werde als Sie nur zu entwaffnen?"
Longbottom nickte.
„Solange wir uns gegenseitig verstehen."
*~*~*
Snape setzte das Mädchen wieder auf seinen Schoß und überredete sie sanft dazu den Saft zu trinken, sagte ihr, sie würde sich danach besser fühlen und leichter einschlafen. Margaret folgte langsam seinen Anweisungen, ohne auch nur einmal ihren Blick von ihm abzuwenden. Wenige Sekunden später fiel sie gegen seine Brust, leise wimmernd, während er ihr sanft über ihre Haare fuhr. Nach nur wenigen Minuten wurde ihre Atmung gleichmäßig und sie glitt in einen tiefen Schlaf.
„Ich werde sie nach oben bringen", bot Luna an und zog das schlafende Kind aus seinen Armen. Zu ihrem schneidenden Verständnis, ihren grenzwertigen Überzeugungen und ihre Unfähigkeit sich über irgendetwas aufzuregen, verfügte Luna über die Kraft eines ausgewachsenen Mannes. „In welchem Zimmer schläft sie?"
„Dritte Etage, zweite Tür auf der rechten Seite", antwortete Snape und ließ nur widerwillig von Margaret ab. Es war deutlich wie sehr er damit kämpfte gelassen zu wirken. Er täuschte niemanden. „Sind Sie sicher, dass ich sie nicht lieber doch hochtragen sollte?"
„Nein, ich denke, Sie haben hier unten noch etwas zu erledigen", flüsterte Luna fröhlich, so leise, dass nur Severus es hören konnte. „Keine Sorge, Neville und ich werden gleich verschwunden sein und dann habt ihr beide das Haus für euch alleine."
Snape warf ihr einen mörderischen Blick zu, aber Luna lächelte lediglich zurück und drehte sich zur Treppe um, wo noch immer Hermine stand.
„Das war genau wie für sie auch für dich ein Schock. Ich denke, du solltest heute Abend nicht alleine sein", flüsterte Luna. „Ich meine, in einer leeren Wohnung. Ich weiß, ich würde es nicht wollen." Hermine sah sie fragend an, als Luna die Treppe hinaufging.
*~*~*
Luna hatte vermutlich recht, sie sollte nach diesem Abend nicht in ihrer einsamen Wohnung schlafen. Sie würde so schon genug zu tun haben, um überhaupt zu schlafen und die markerschütternden Schreie des kleinen Mädchens hatten unangenehme Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit wach gerufen.
Manchmal, so wusste Hermine, war es einfach das Beste in der Nähe eines warmen Körpers zu schlafen, selbst wenn sich dieser auf der anderen Seite des Flurs befand.
Sie ging in eine dunkle Ecke und zauberte heimlich ihren Patronus. Harry mochte es noch immer gerne zu wissen, wo sie sich befand, einfach nur um sich zu vergewissern, dass sie auch sicher war. „Harry, nur damit du es weißt, ich bleibe heute im Grimmauldplatz. Grüße Ginny ganz lieb von mir." Der Otter wirbelte herum und sprang aus dem Fenster in die Dunkelheit. Sie schielte über ihre Schulter; Snape schien in seinen Gedanken verloren zu sein und es nicht mitbekommen zu haben. Gut. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war einer seiner bissigen Kommentare darüber, sich alle fünf Minuten mit Harry kurzzuschließen. Normalerweise genoss sie ein Rededuell mit ihm, aber heute Abend war sie zu erschöpft.
In diesem Moment kam Luna die Treppe wieder hinunter. „Sie schläft jetzt", verkündete sie freudig. „Ihr wird es gut gehen, aber vielleicht sollten Sie ihr morgen etwas mehr Aufmerksamkeit widmen", sagte sie, als sie sich an Snape wandte. Er nickte.
„Neville?", rief Luna. Nur langsam, ohne in Severus' Richtung zu blicken, kam Neville aus der Küche. Er nahm Lunas ausgestreckte Hand, sie schmissen etwas Puder in den Kamin und verschwanden für die Nacht. Snape ging zum Feuer und schwang seinen Zauberstab darüber.
„Wofür ist das?", fragte Hermine.
„Ich schließe ihn. Aus Sicherheitsgründen", antwortete er.
„Warum?"
„Ich sichere jeden Abend alle Ein-und Ausgänge", antwortete Snape. „Sie waren vorher nur nie so lange hier gewesen, um es mitzubekommen."
Hermine nickte. „Nein, war ich wohl nie." Sie zögerte bei ihren nächsten Worten. „Wo wir gerade davon reden, nach allem heute Abend, fühle ich mich nicht besonders gut dabei jetzt zu gehen, also denke ich… ich denke, ich werde heute Nacht in meinem Zimmer schlafen."
Sie bat nicht um Erlaubnis. Snape nickte. „Wie Sie wünschen."
„Ich meine", fuhr Hermine fort. Warum musst du immer weiterreden? „Es ist nur… manchmal fühlt es sich einfach falsch an alleine zu sein. Wissen Sie, was ich meine?"
Snape nickte. „Tue ich." Nachdem er sie überlegend betrachtet hatte, fragte er: „Werden Sie jetzt zu Bett gehen?"
Hermine schüttelte mit dem Kopf. „Normalerweise tue ich so etwas nicht, aber ich glaube, ich brauche jetzt etwas zu trinken, um mich zu beruhigen. Haben Sie etwas hier?"
Wieder nickte er. „Unter uns gesagt, habe ich das Gefühl, ich brauche fast jede Nacht einen Drink. Ich habe eine Flasche Odgen im Schreibtisch meines Schlafzimmers. Leider ist das alles, was ich Ihnen anbieten kann, aber ich wäre bereit, es mit Ihnen zu teilen."
„Sehr gerne."
*~*~*
„Kann ich Sie wegen Margaret fragen?", erkundigte sich Granger. Sie saßen auf der Couch am Kamin und starrten in die Flammen, beide hielten ein fast leeres Glas Feuerwhisky in der Hand.
Es war gefährlich, das wusste Severus, mit einer anderen Person zu trinken. Feuerwhisky wirkte bei ihm genauso wie Veritaserum. Seine Verteidigung fiel und seine Mauern begannen zu zerbröckeln. Das letzte Mal, als er in Gesellschaft getrunken hatte, war im Büro des Schulleiters zum Ende des Krieges hin gewesen, dort hatte er Phineas Nigellus Black die Geschichte von ihm und Lily erzählt, etwas, was er sein gesamtes Leben bereuen würde. Das verdammte Gemälde erwähnte es jedes Mal, wenn sie sich sahen und jetzt war er gefangen in diesem Haus mit dem anderen Porträt des grinsenden Slytherins. Severus hatte sich damit geholfen einen Schweigezauber auf das Gemälde zu legen und ihn in den Keller zu verbannen.
Er würde sehr vorsichtig sein müssen.
„Severus?"
Grangers Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Margaret?", wiederholte sie.
Severus nickte. „Warum sie diese Panikattacke hatte?" Granger nickte. Severus nahm einen langen Schluck aus seinem Glas und tippte mit seinem Zauberstab dagegen, um es wieder aufzufüllen.
„Die Todesser waren eine der bösesten und grausamsten und widerwärtigsten Gruppe von Menschen, die je auf dieser Erde gewandelt sind und ich schäme mich, dass ich mich jemals als einen von ihnen gesehen habe.
„Trotz allem waren einige von ihnen wundervolle Eltern. Sie erinnern sich vielleicht noch daran, Narzissa Malfoy hatte sogar noch im letzten Moment den Dunklen Lord verraten, um ihren eigenen Sohn zu beschützen. Sie war nicht die Einzige. Überraschenderweise befanden sich unter ihnen einige sehr gute Eltern."
„Leider befanden sich Walden Macnair und seine Frau nicht unter dieser Gruppe. Sie wollten einen Sohn und haben es jahrelang versucht, bevor sie dann eine Tochter bekamen und er schämte sich so sehr für sie, dass er ihr einen Muggel-Namen gab. Das ist übrigens die größte Demütigung, die ein Todesser seinem Kind aufbürden kann. Sie wurde misshandelt und dann wurden ihre Eltern getötet und das Ministerium hat sie noch als Kleinkind weggenommen. Ich gehe davon aus, Sie verstehen, was ich Ihnen sagen will, ohne es noch weiter auszuführen."
Granger schüttelte mit dem Kopf. „Was für ein herber Schlag", flüsterte sie. „Harry wuchs in einem nachlässigen und ich denke, auch missbräuchlichen Haushalt nach dem Verlust seiner Eltern auf, aber zumindest hatte er die Möglichkeit zu etwas Besseren zu flüchten. Und er hatte sich und tut es noch immer, sehr an das Wissen geklammert, von seinen Eltern geliebt worden zu sein. Noch nicht einmal das zu haben…" Sie verstummte.
„Sie scheinen… betroffen zu sein", bemerkte Severus letztendlich.
Granger nickte. „Erbärmlich, nicht?" Sie wollte es dabei belassen, aber Snapes Blick signalisierte ihr, sich zu erklären und so fuhr sie fort. „Ich habe viel im Krieg gesehen. Ich habe Freunde sterben sehen, Feinde sind gefallen, ich habe eine Zeit lang in vollkommender Isolation und absoluten Chaos gelebt. Und dann hörte alles so plötzlich und gänzlich auf und ich habe es einfach verpackt, um mich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Aber diese Kinder jetzt zu sehen, was sie jeden Tag durchstehen müssen, es wirklich zu sehen… es ist… es ist schwer. Es zerrt all die Dinge wieder an die Oberfläche, von denen ich geschworen habe, sie zu vergessen.
„Ich schätze, es ist wie eine Verletzung", überlegte sie, während sie die bernsteinfarbene Flüssigkeit in ihrem Glas kreisen ließ. „Wenn man ernsthaft verletzt wird, dann wird der Körper den Schmerz unterdrücken, damit man überleben und sich in Sicherheit bringen kann. Erst später, wenn man wieder in der Lage ist, darüber nachzudenken, erlaubt es der Körper einen den Schmerz zu fühlen und zwingt einen dazu, sich damit auseinanderzusetzen. Im Krieg war all der Schmerz und der Verlust… ich konnte es einfach vergessen und weitermachen. Ich musste es. Ich glaube, ich wäre sonst zerbrochen und hätte es nicht überlebt. Und ich schätze, nach dem Krieg, um dort zu überleben, musste ich meine Gedanken beisammen haben und ich musste den Schmerz verdrängen und einfach weitermachen. Ich habe mir bisher nie die Zeit genommen, um darüber nachzudenken, aber ich vermute, seit den letzten sechs Jahren habe ich nichts anderes getan, als mich durch den Schmerz zu drängen, ohne zu wissen, dass ich ihn noch immer fühlen kann. Den Schmerz."
Sie drehte sich zu ihm um, ihre braunen Augen waren durch das Feuer und die späte Stunde und dem Alkohol leicht belegt. „Ich denke, dafür muss ich Ihnen danken."
„Ja, ich scheine dieses besondere Talent zu besitzen Menschen Schmerzen zuzufügen", entgegnete Severus monoton.
„Nicht Sie, sondern die Umstände", sagte Granger. „Ich meinte es, als ich Ihnen gedankt habe. Es gibt so viel, was ich verdrängt habe und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass ich mich damit befasse. Oder mir zumindest eingestehe, dass ich es bisher noch nicht getan habe."
Severus überraschte Grangers Offenheit. Sie war normalerweise recht reserviert, wenn es um ihre Ängste und Gefühle ging, zumindest laut Potter. Er vermutete, der Alkohol hatte ihre Lippen etwas gelöst. Diese Lippen, die jetzt im Schein des Feuers glitzerten, während sie sprach. Es löste auch seine. Das war der Grund, warum er nie in Gegenwart anderer trank. Sein Verhalten, seine Gestik, seine Gesichtsausdrücke, seine Worte lagen dann frei. Zu unbeschützt.
„Verspüren Sie irgendwelche… verbleibende Nachwirkungen?", fragte Severus in der Hoffnung, sie würde es verneinen, aber sehr wohl wissen, ihre Antwort wäre ein Ja.
Granger nickte. „Ich bin mir sicher, Sie haben sicherlich bemerkt wie Harry und ich etwas… schreckhaft sind, sollten irgendwelche plötzlichen Geräusche ertönen. Es war noch viel schlimmer als das; wir haben uns immer auf den Boden geschmissen, wenn Krummbein einen Stift auf den Boden schmiss. Jetzt ist es mehr eine Reaktion, nicht den Kopf zu verlieren. Mein Zauberstab ist immer bereit, selbst jetzt hätte ich ihn, falls nötig, in den Bruchteil einer Sekunde gezückt. Ah… ich glaube, ich habe in den letzten Jahren nicht eine Nacht durchgeschlafen, ich meine, ohne die Hilfe eines Trankes und noch immer leuchtet eine Lampe oder zumindest das Feuer. Ich muss jederzeit wissen, wo sich Harry und Ron aufhalten und sie müssen wissen, wo ich bin. Falls ich ein paar Tage lang nichts von ihnen höre, beginne ich mir Sorgen zu machen. Selbst wenn ich weiß, dass es vermutlich nichts ist, will ich mich dennoch vergewissern."
Sie nahm einen weiteren Schluck von ihrem Glas und redete weiter. „Die Weasleys… also, sie sind nicht mehr die Menschen, die sie mal waren. Sie scheinen jetzt irgendwie hohl. Fred zu verlieren war… es hat sie zerbrochen. Ron und Molly und besonders George. Also habe ich das Gefühl auch meine andere Familie verloren zu haben und Harry war erschüttert. Im ersten Jahr hatte er sehr viel getrunken, in dem Versuch alles zu vergessen. Ginny hat ihm beim Aufhören geholfen und jetzt rührt er das Zeug nicht mehr an. Ich vermute sogar, dass er auch ein paar Drogen ausprobiert hat, aber da bin ich mir nicht sicher. Falls es der Fall war, dann nur sehr kurz und damit hat er auch jetzt aufgehört. Und ich… ich hatte in meinen Leben noch nie viele Freunde gehabt, aber seit dem Ende des Krieges habe ich keine neuen Freundschaften mehr geschlossen. Wollte es nicht. Außer Sie."
Sie hatte ihn einen Freund genannt. Er hatte sie nicht verbessert.
Granger hatte während ihres Monologes in das Feuer gestarrt, aber jetzt drehte sie sich zu Severus um und neigte leicht ihren Kopf. „Ich denke, es ist großartig, was Sie hier tun. Mit den Kindern", baute sie die Überleitung auf.
Severus seufzte. „Ich weiß nicht, ob es so großartig ist. Ich versuche es. Aber ich habe das Gefühl jeden Tag der letzten fünf Jahre versagt zu haben."
„Wie können Sie so etwas sagen?"
„Wie kann ich es nicht? Meine Schützlinge sind in Bordellen oder im Gefängnis oder auf der Straße gelandet. Das ist wohl kaum eine Erfolgsgeschichte."
„Sie gaben ihnen eine Chance nicht dieses Leben zu wählen", sagte Granger. „Aber Sie können nicht ihre Handlungen oder Entscheidungen kontrollieren, wenn sie nicht mehr unter Ihrer Obhut stehen."
„Ich kämpfe eine verlorene Schlacht. Ich gegen die gesamte Zauberwelt. Leider ist dies eine Position, die mir nur allzu vertraut ist, was bedeutet, ich weiß sehr genau, wie trostlos die Aussichten auf Erfolg sein werden."
„Das glauben Sie nicht wirklich", bemerkte Granger flüsternd.
„Das tue ich durchaus, Granger", sagte er.
„Hermine. Und ich weigere mich zu glauben, dass Sie das glauben. Wenn Sie es denn tun würden, warum kümmern Sie sich dann überhaupt noch um sie?"
Er hielt inne, bevor er antwortete. Der Alkohol bewirkte seinen Zauber. Das knisternde Feuer und die späte Stunde halfen ebenso. Er konnte spüren, wie seine Schilde sanken, und erkannte, dass es ihm egal war. „Weil ich nicht das Gefühl habe, eine andere Wahl zu haben."
„Das ist mehr, als nur eine Verpflichtung. Ihnen gegenüber sind Sie nicht verpflichtet. Sie wissen das und ich weiß das."
„Granger, sollten Sie jemals ein Kind zum Waisen machen und ich hoffe wirklich, dass Sie das niemals tun werden, dann werden Sie verstehen, was ich meine."
„Sie denken, ich weiß nicht, wie es ist ein Leben zu nehmen? An die Menschen zu denken – die Familien und die Kinder – die ich für immer beraubt habe?" Granger setzte sich auf und sah ihn direkt in die Augen. „Severus Snape, ich habe vielleicht nicht Ihre Erfahrung, aber denken Sie nicht, ich wäre aus diesem Krieg mit sauberen Händen hervorgegangen."
Beide schwiegen für eine sehr lange Zeit. Sie tranken ihren Whisky und schauten ins Feuer. Severus rief die Flasche herbei und füllte ihnen nach und sie tranken weiter.
„Warum sind Sie eine Revisorin geworden?", fragte Severus schließlich.
„Ich wollte eigentlich in die Abteilung für magische Strafverteilung und das war die einzige freie Position." Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist ein erster Job, und bestimmt nicht der Letzte. Ein Fuß in der Tür, wenn Sie so wollen."
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet Sie einen Fuß in der Tür des verdammten Ministeriums benötigen. Mit all Ihrem Ruhm und ihrem Ruf und Ihrer Beziehung zu Shacklebolt", sagte Severus.
„Die Wege der Bürokratie sind unergründlich", antwortete Granger mit einem falschen Lächeln.
„Sie verschwenden dort nur Ihre Talente."
„Nein, tue ich nicht. Wenn ich erst einmal ein hohes Amt innehabe, kann ich an den wirklich politischen Themen arbeiten, wie die Pro-Reinblütler-Gesetze zu ändern, die bereits vor dem Krieg existierten. Von da aus, kann ich Einstellungen ändern und verhindern, dass noch einmal so ein Konflikt entsteht. Nachdem Grindewald besiegt war, hat jeder erleichtert aufgeatmet und dann hatten wir Voldemort-"
„Sagen Sie nicht seinen Namen!"
„Und wer weiß schon, wer als Nächstes kommt? Ich muss das hier tun, wenn ich die Einstellung der Menschen ändern kann, dann kann ich das aufhalten. Ich muss es einfach."
„Wenn Sie denken, Sie können irgendetwas im Ministerium verändern, dann habe ich all die Jahre wirklich Ihre Intelligenz verkannt." Er setzte sich auf und lehnte sich zu ihr, um seinen Standpunkt zu betonen, sein Blick traf direkt den ihren. „Sie wurden nicht dazu geboren eine Bürokratin zu sein, Hermine. Ich habe in unserer sogenannten schönen, neuen Welt einige Enttäuschungen erlebt, aber die größte ist es, zu sehen, wie Sie sich vergeuden. Ihre Karriere dort zu verbringen ist eine Verschwendung Ihrer Talente und Intelligenz."
Er wandte seinen Blick ab und nahm einen großzügigen Schluck von seinem Whisky. Er hatte nicht vorgehabt ihren Vornamen zu benutzen. Er wusste, sie hatte es bemerkt. Vermutlich auch, dass er ihr ein echtes Kompliment gezollt hatte. Vielleicht hatte er mehr getrunken, als er vermutet hatte. Vielleicht verriet er zu viel von dem, was er am liebsten geheim gehalten hätte. Und doch rief er keinen Ausnüchterungstrank herbei. Er blieb dort, mit ihr, auf der Couch sitzen. Er saß nahe genug, um ihren Oberschenkel zu berühren, ohne sich wirklich anstrengen zu müssen. Wenn er es denn wollte.
Granger sah gedankenverloren und angespannt aus und sah ihn nicht an. „Mir geht's gut mit meinen Entscheidungen", sagte sie schließlich.
„Wirklich?"
„Ja. Mit jeder Einzelnen."
„Niemand ist glücklich mit jeder seiner Entscheidungen", erwiderte Severus. „Wenn Sie das behaupten, dann belügen Sie nicht nur mich, sondern auch sich selbst."
„Wenn Sie mich jetzt darum bitten, hier zu sitzen, mit einem Drink in der Hand, mitten in der Dunkelheit, um meine Entscheidungen zu bereuen, dann ist die Antwort nein. Ich grüble nicht."
„Darum bitte ich Sie auch nicht."
„Um was bitten Sie mich dann?"
„Ich bitte Sie, ehrlich zu sein."
„Ich bin ehrlich. Bin ich glücklich mit jeder meiner Entscheidungen? Natürlich nicht. Würde ich etwas anders machen, wenn ich es könnte? Absolut. Aber ich habe meinen Frieden mit den Dingen geschlossen, die ich getan habe. Ich glaube nicht daran herumzusitzen und alles, was passiert ist, zu bereuen. Ich kann nicht alles ändern. Reue ist etwas, was ich versuche aus dem Weg zu gehen. Es ist nicht sonderlich produktiv und regelrecht depressiv."
Ein weiteres Schweigen folgte.
„Was wollen Sie dann, was ich mit meiner gesegneten Intelligenz anstelle?", fragte Granger nach geraumer Zeit.
„Alles, nur nicht für diese korrupte Abteilung zu arbeiten", antwortete Severus augenblicklich, weiterhin in das Feuer blickend. Der Feuerwhisky befand sich jetzt auf jeden Fall in seinem System und der nordische Akzent, den er immer versucht hatte zu unterdrücken, brach jetzt durch. „Sie waren eine der talentiertesten Schülerinnen, die die Hallen von Hogwarts geschmückt hatte – selbst ich muss das zugeben. Sie als einen niedergestellten, Papier schiebenden Bürokraten zu sehen, ist vermutlich eine der größten Enttäuschungen, seit ich aus dem Koma aufgewacht bin.
„Sie wären eine gute Lehrerin – Sie können die Aufmerksamkeit und Konzentration einer Gruppe von besonders bedürftigen Kindern halten, also wäre eine typische Klasse gefüllt mit den gewöhnlichen Dummköpfen kein Problem für Sie. Sie würden sich auch gut in der Forschung und Entwicklung machen. Ihre Aufsätze in meinem Unterricht waren vielleicht pedantisch und Sie haben sich immer zu viel auf die Bücher verlassen ohne einen eigenen Gedanken zu fassen, aber es gibt einige Industriezweige, wo solche ‚Fähigkeiten' durchaus von Vorteil sind.
„Also wirklich, Granger", sagte er, als er sich an sie wandte. „ich wäre ehrlich gesagt mit allem zufrieden, solange Sie dabei nur Ihr lästiges, überaktives, besserwisserisches Gehirn benutzen. Denn im Moment bezweifle ich im höchsten Maße, dass Sie das überhaupt bei Ihrer Arbeit tun können."
Er hatte noch nie so ehrlich, so lobend mit jemandem gesprochen, zumindest nicht seit seinen jüngsten Erinnerungen und schon gar nicht ohne irgendwo irgendeine sarkastische Bemerkung oder Beleidigung einzubauen, um seine Bemerkung zu untermauern. Severus beschuldigte das Feuer, wie ihre Lippen darin glitzerten oder das Leuchten ihrer Augen, beschuldigte den späten Abend, wodurch ihre Stimme so leise und verführerisch wurde und er beschuldigte den Whisky, dass seine Schutzwände niedergerissen worden waren.
Und doch bereute er nicht ein Wort, welches er ihr gesagt hatte.
Granger saß ruhig da, verarbeitete noch immer seine Worte. „Es war einfach", sagte sie dann. „Es war ein Job, in dem ich gut sein und aufsteigen würde. Ein Job, wo ich auf einfachen Zuspruch für meine Arbeit stoßen könnte. Ich brauchte Zuspruch. Nach all den Herausforderungen glaubte ich nicht noch einer Forderung in meinem Leben nachkommen zu können." Sie traf seinen Blick und schenkte ihm ein trockenes Lächeln. „Ich schätze, ich habe vorher noch nie wirklich darüber nachgedacht."
Sie leerte das Glas und lehnte sich etwas näher zu ihm. „Aber dann, Severus, waren Sie schon immer derjenige gewesen, der mich dazu gebracht hat die Welt und mich selbst zu hinterfragen und meinen überaktiven, besserwisserischen Verstand zu benutzen. Nicht wahr?"
Severus leerte ebenfalls sein Glas und stellte es mit etwas zu viel Kraft als vermutlich nötig gewesen wäre, auf den Tisch ab. „Ich denke, der war ich", flüsterte er. Er beugte sich noch etwas mehr in ihre Richtung.
Granger lächelte. „Es kann sehr gefährlich sein jemanden zum Denken anzuregen", wisperte sie.
„Dann werde ich wohl aufpassen müssen." Abwesend strich er eine verirrte Locke aus ihrem Gesicht. „Was wollen Sie, Hermine? Wenn Sie alles sein könnten, und Sie können alles sein, ohne die Sorge an irgendeine Herausforderung oder die Umsetzung dessen, was würden Sie sich dann aussuchen?"
Granger seufzte und sprach mit einer Stimme, die Schmerz und Ehrlichkeit verriet. „Ich will… einfach nur sein…" Sie verstummte. Ihr schienen die Worte zu fehlen, als ob sie nicht über das Ende des Satzes nachgedacht hatte. Nach einem Moment lächelte sie erneut und sagte: „Das. Genau das. Einfach nur sein."
Einfach nur sein. Er konnte diese Ansicht verstehen. Er stellte sich all die Möglichkeiten vor, die ihr Schweigen hätte füllen können. Einfach nur normal, zufrieden, anonym in der Menge und ruhig zu sein. Einfach frei davon sein, sich immer bergauf kämpfen zu müssen, nur um mit leeren Händen wieder hinunterzulaufen. Sich einfach nur erfolgreich um diese Kinder kümmern zu können, ohne dabei zusehen zu müssen, wie sie davonliefen und unter den Rissen der Gesellschaft verschwanden. Einfach nur der Mann zu sein, den diese Kinder brauchten und verdienten. Einfach nur etwas anderes, als Schmerz oder Reue oder Enttäuschung fühlen zu können. Einfach nur sein eigener Herr sein. Einfach nur Frieden haben. Einfach nur jemand anderes als Severus Snape zu sein. Was würde er darum geben einfach nur zu sein?
„Was ist mit Ihnen, Severus?", fragte Granger. „Was würden Sie sich aussuchen?"
Seine Antwort überraschte sogar ihn selbst.
„Das hier. Ich habe mir das hier vielleicht nicht ausgesucht, aber ich bin genau dort, wo ich weiß, wo ich sein sollte und wo ich sein möchte."
Ob er es wegen dem Schein der Flammen oder der späten Stunde oder der Alkohol oder die nackte Ehrlichkeit war, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, konnte er nicht sagen. Er rückte noch etwas näher und berührte ihre Wange, sein Daumen fuhr über ihr Kinn und er drückte sanft seine Lippen auf die ihren.
Granger zog sich nicht zurück. Sie antwortete ihm. Es war kein betrunkener oder leidenschaftlicher oder sogar dringender Kuss. Es war ein ehrlicher Kuss.
„Hermine", flüsterte Severus, als sie sich nicht allzu weit voneinander entfernten. „Bist du betrunken?"
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein."
Er wusste, sie kannte sich gut genug, um ihm eine ehrliche Antwort zu geben.
„Gut."
Er lehnte sich wieder vor, damit seine Lippen ihre berühren konnten. Hermines Lippen, die, die im sterbenden Schein des Feuer so geglitzert hatten.
„Hermine…", flüsterte er. Heute Nacht, nach heute Nacht, würde sie nicht mehr Granger sein. Was auch immer als Nächstes zwischen ihnen passieren würde, sie war und würde immer Hermine sein.
„Ja?"
Es war bereits so, so unglaublich lange her, seit er das letzte Mal mit einer Frau in dieser Situation gewesen war und er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte das hier nicht versauen, so wie er sonst alles in seinem Leben versaut hatte. Sie hatten eine Partnerschaft aufgebaut und wagte er es zu sagen, vielleicht sogar eine Freundschaft. Wie würde das hier das verändern? Severus öffnete seinen Mund, um zu sprechen, aber die Worte blieben in seinem Halse stecken. Was, wenn sie Nein sagte? Könnte er die Zurückweisung ertragen? Noch schlimmer, was, wenn sie Ja sagte? Welche Auswirkungen würde das haben? Welche Auswirkungen würde das, was auch immer das hier war, auf sie beide haben?
Sie schien seine Nervosität zu bemerken und versuchte zusehend ihre eigene zu verbergen, als sie aufstand und ihre Hand ausstreckte. Er nahm sie, folgte ihr, als sie ihn schweigend zu den Treppen führte, dankbar, dass ihm jemand die Entscheidung abgenommen hatte.
„Schlafen sie alle die Nacht durch?"
„Nicht alle, nicht jede Nacht."
Sie hielt an. „Sollte ich…?"
Er schüttelte seinen Kopf. „Nein. Ich werde zu ihnen gehen, sollten sie mich brauchen. Sie kommen nicht zu mir, selbst wenn wir alleine sind."
„Fürchten sie sich?"
„Nein, sie wissen, ich werde da sein, wenn sie mich brauchen."
„Und das bist du immer, nicht wahr?"
Er nickte.
Sie lächelte. „Du bist ein guter Mann, Severus Snape."
Er schüttelte nur mit dem Kopf und öffnete im Protest seinen Mund, aber bevor er eine Möglichkeit hatte, fing sie ihn mit einem weiteren Kuss ein.
„Hermine, ich…" Ich habe nicht sonderlich viel Erfahrung mit Beziehungen. Ich habe nicht sonderlich viel Erfahrung, Punkt. Es ist für mich schon sehr, sehr lange her. Ich will dich nicht enttäuschen.
„Es ist für mich schon lange her", flüsterte sie. „Vielleicht können wir es… langsam angehen lassen und sehen, wo es uns hinführt?"
Er entspannte sich bei ihrer Beichte. „Liebend gerne."
Er zauberte einen Patronus auf jede Etage und folgte ihr in ihr Schlafzimmer, schloss die Tür leise hinter sich und ließ sie für den Fall unverschlossen, sollte einer der Kinder ihn mitten in der Nacht brauchen.
Seit Stunden war ihm nicht aufgefallen, dass die nervende Stimme in seinem Kopf nicht einmal, während ihrer Unterhaltung, aufgetaucht war.
*~*~*
Hermine verbrachte seit Monaten ihre erste Nacht in ihrem Schlafzimmer im Grimmauldplatz und nach Empfehlung ihrer Freundin, verbrachte sie die Nacht nicht alleine. Luna hatte recht; es war genau, was sie gebraucht hatte. Am nächsten Morgen wachte sie sehr früh, noch vor Sonnenaufgang auf, nur um Severus neben sich liegen zu sehen. Ein Arm lag schlaff auf ihrer Hüfte und er beobachtete sie. Sie lächelte ihn verschlafen an und lehnte sich in seine Berührung. Er zog sie nahe an seine Brust und drückte einen Kuss auf ihre Schläfe.
„Also… was jetzt?"
*~*~*
Als nächstes: Der Morgen danach und noch einiges mehr.
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Manchmal ist es auch sehr schade, dass eine Figur verschwindet und im nächsten Band nicht mehr vorkommt. Dazu zählt beispielsweise Gilderoy Lockhart, den ich sehr mochte, weil er so furchtbar eitel war und ich mir einen Spaß daraus machte Leute aus dem Showbusiness mit seiner Charakterisierung zu veralbern.