Just to be - Die Heilerin
von Xaveria
*~* Die Heilerin *~*
„Verdammt noch mal“, murmelte Severus, als er die Zeitung Harry aus der Hand riss. Das Einzige, was er bei diesem kleinen Ausflug um jeden Preis hatte vermeiden wollen, war öffentliche Aufmerksamkeit gewesen. Er wusste, er hätte nicht ins Ministerium gehen sollen. Er wusste, er hätte darauf bestehen sollen, dass sich die beiden unkenntlich machten.
„Sie sind es gewohnt uns im Ministerium zu sehen – niemand wird uns irgendwelche Aufmerksamkeit zollen“, hatten sie gesagt. Severus schnaubte. Das war das letzte Mal, dass er auf ihre Zusicherungen gehört hatte.
„Es ist wirklich nicht ganz so schlimm“, sagte Harry hastig. „Sie wissen nicht, was wir dort wollten oder warum wir da waren. Niemand außer Kingsley wusste, warum wir da waren und er sagte nur, es sei ein kleines Orden-Wiedersehen gewesen. Wirklich, der einzige Grund, warum es eine Neuigkeit ist, ist, dass sich Severus nach Jahren in die Nähe des Ministeriums begeben hat. Also war sein Anblick neben uns der Grund, was diesen Aufruhr ausgelöst hat.“
Severus war zu beschäftigt, um ihm zu antworten, da er gerade den Artikel überflog. Er würde entscheiden, ob es „schlimm“ war oder nicht. Nachdem er fertig war, stimmte er Harrys Einschätzung zu, aber nur so gerade eben. Ja, es war ein miserabler Artikel über Severus Snape, der flankiert von zwei Drittel des Goldenen Trios im Ministerium auftauchte. Es gab viele Spekulationen (Wurde Severus Snape nach allem dennoch angeklagt? Hatte Harry Potter ein Auge auf den Ministerposten geworfen? Was war mit Ronald Weasley, der keinen Kommentar abgeben wollte), aber es war nichts sachgerecht oder auch nur annähernd die Wahrheit wiedergegeben worden. Nur der gewöhnliche Müll. Der Artikel erwähnte nicht die Kinder, um die er sich kümmerte. Da erlaubte er sich etwas Erleichterung. Aber es hatte trotzdem ziemlich nahe – viel zu nahe – eingeschlagen.
Er reichte die Zeitung an Hermine weiter, damit sie es selbst lesen konnte. Sie überflog es schnell und schnaubte und las die Passagen vor, die sie beleidigte: „‘Obwohl das plötzliche Auftauchen des ehemaligen Spions und Schulleiters von Hogwarts durchaus Aufmerksamkeit im Ministerium erregt hat, kommt man nicht umhin, sich über seine Begleitung zu wundern, Hermine, die das letzte Mal ohne ein klärendes Wort einfach die Abteilung für Magische Strafverfolgung verlassen hatte. Wir vom Propheten fragen uns, ob diese beiden Zufälle irgendwie im Zusammenhang stehen und falls es so ist, in welcher Beziehung stehen die beiden zueinander?‘ Bäh!“ Sie zerknüllte das Papier und warf es ins Feuer, wodurch Asche auf den Boden fiel. Augenblick tauchte Kreacher mit einem kleinen Besen auf und murmelte etwas über dreckige Hexen (Harry hatte ihm verboten sein Lieblingswort zu benutzen), die das Haus verschmutzten. Sie ignorierten ihn.
„Harry hat recht, es könnte weitaus schlimmer sein“, sagte Severus, der nicht in der Stimmung war auf Hermines Empörung einzugehen. „Aber das war trotzdem viel zu knapp. Ich hätte auf meinen Instinkt hören und nicht mit euch dorthin gehen sollen. Wenn man uns jetzt jemals wieder zusammen in der Öffentlichkeit sieht, wird es Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das wäre das Letzte, was die Kinder gebrauchen können. Wir müssen uns für eine Weile bedeckt halten. Ich werde in nächster Zeit meine Abgänger alleine besuchen. Wenn ich nach Askaban oder andere bekannte Orte gehe, wird die Anwesenheit eines Begleiters nur Aufmerksamkeit erregen. Falls einer von euch in Bezug auf dieses Projekt irgendwohin gehen sollte, dann werdet ihr euch tarnen. Das wird schon vorübergehen, aber wir müssen uns etwas gedulden.“
Harry und Hermine nickten zögernd. Er war der Spion gewesen, er wusste, wie man die anderen manipulierte, er wusste, wie es wieder verschwinden würde. Sie mochten es nicht (er verurteilte sie praktisch zu Hausarrest), aber sie vertrauten in dieser Angelegenheit seinem Instinkt. Er hatte es seit fast zwanzig Jahren erfolgreich geschafft seine wahren Motive und Aktivitäten geheim zu halten, also konnte er das hier vermutlich im Schlaf.
Gerade als Kreacher damit fertig war, die Asche aufzufegen und wieder verschwand, loderte das Netzwerk mit grünen Flammen auf und Neville Longbottom stolperte hindurch. Dadurch verteilte er nur wieder neue Asche, wodurch Kreacher erneut auftauchte. „Morgen“, sagte er nervös. Offensichtlich hatte er nicht erwartet, sie alle drei zusammen zu sehen.
„Neville, was machst du hier? Hast du keinen Unterricht? Stimmt etwas nicht?“, fragte Harry drängend.
„Es ist Samstag“, sagte Neville. „Jedenfalls bin ich hier, um euch zu sagen, Poppy hat zugestimmt. Sie wird morgen oder übermorgen vorbeischauen und sie sich alle mal ansehen. Sie sagt, sie kann es erst einmal auch ohne ihre offiziellen Krankenakten tun, mit dem arbeiten, was wir hier haben und sie ihr erzählen werden. Sie würde gerne noch einmal vorher mit Ihnen reden, damit sie die Situation richtig einschätzen kann.“
„Madam Pomfrey, natürlich!“, rief Hermine aufgeregt. „Warum haben wir nicht schon vorher daran gedacht? Oh, das ist wirklich wunderbar.“
Severus saß ausdruckslos da und antwortete nicht. Sie würde morgen vorbeikommen und er würde sie sehen müssen. Er hatte sie nicht mehr gesehen seit… nun, seit damals nicht mehr. Und er wusste genau, was sie damals von ihm gehalten hatte.
Der Gedanke erfüllte sein Herz mit mehr Verzweiflung als jeder Dementor es je könnte.
*~*~*~*
„Severus?“, fragte Hermine irgendwann spät abends, als sie aneinandergeschmiegt in seinem Bett lagen. Wer hätte gedacht, dass Severus Snape, von jedem Hogwarts Schüler in den letzten zwei Jahrzehnten gefürchtet, ein Schmuser war. Es war kein Besitzanspruch, sondern aus dem Verlangen Zuneigung zu geben und zu erhalten. Und er würde nie und nimmer zu geben, dass er es mochte. Also erwähnte sie es nie. Sie würden es einfach tun und er würde einfach so tun, als würde sie ihn dazu bringen, es zu tun und fertig.
„Hmm?“ Er klang verschlafen, aber Hermine wusste, er war noch wach, da seine Finger weiterhin mit ihren Locken spielten, sie lang zogen, um sie dann wieder zurückspringen zu lassen.
„Wegen Askaban…“
„Du willst wissen, was Mr. Gibbon getan hat?“ Hermine nickte. „Er ist in eine Muggel-Kneipe gegangen, in der er sich nicht nur betrunken hat, sondern auch noch ausfällig wurde und irgendwann in der Nacht hat er seinen Zauberstab benutzt, und drei Kunden in Schafe verwandelt.“
„Dafür ist er in Askaban?“ Barty Crouch Jr. hatte Draco Malfoy alleinig aus dem Grund in ein Frettchen verwandelt, um ihn öffentlich bloßzustellen und das hatte nicht für sonderlich viel Aufregung gesorgt, außer um Professor McGonagall zu verärgern. Es hörte sich ganz nach einem Streich an, den George und Fred Weasley ausgeheckt hätten. Wo sie jetzt darüber nachdachte, dann hatten sie Percy vermutlich…
Severus nickte. „Illegale Verwandlung eines Menschen, plus unautorisierte Benutzung von Magie eines Minderjährigen, plus den Status der Geheimhaltung zu brechen, plus das Kind eines Todessers zu sein.“
„Wegen all der Dinge haben sie ihn angeklagt? Das sind noch nur Vergehen – wie kann er dafür nach Askaban geschickt werden?“
Severus seufzte. „Das ist das Gesetz.“
„Die letzte Bestrafung, ein Kind eines Todessers zu sein, ist laut dem Gesetz keine Bestrafung.“
„Nicht offiziell. Aber es erlaubt dem Zaubergamot die höchste Strafe für kleinere Vergehen zu verhängen, genauso wie sie das fortlaufende Strafmaß bestimmen, damit sie so gerade eben das Maß für eine Verurteilung in Askaban erreichen.“
„Ich kann nicht glauben, dass sie das tun.“
„Ich glaube es, aber ich will es nicht. Ich bin die ganze Zeit im Gerichtssaal gewesen. Es war keine unvoreingenommene Verhandlung. Sein zugeteilter Verteidiger hat kaum hinter ihm gestanden.“
Hermine schüttelte nur den Kopf. „Das macht es nur noch deprimierender, dass Kingsley nichts unternehmen will.“ Sie stützte sich auf ihren Ellbogen ab, damit sie ihn ansehen konnte. „Severus, wenn das Ministerium nicht bereit ist zu helfen, dann müssen wir etwas tun, um sie von diesen Orten fernzuhalten. Bitte, ich kann mir das nicht noch einmal ansehen.“
„Dann begleite mich nicht noch einmal“, sagte Severus. „Es wäre für die absehbare Zukunft so oder so besser, wenn du mich nicht dorthin begleiten würdest.“
„Du weißt, was ich meine“, erwiderte sie. „Was bringt schon all das hier, wenn sie das dort draußen erwartet? Ich mag vielleicht eine Schwäche für die hoffnungslosen Fälle haben, aber ich will dennoch für sie etwas, irgendetwas tun. Ich weiß, ich kann sie nicht, ohne alles zu riskieren, herbringen und ich weiß auch, es gibt sonst nicht viel, was wir tun können und ich weiß auch, sie werden weiterhin ihre eigenen Entscheidungen treffen, aber bitte, denke einfach noch einmal darüber nach?“
Severus seufzte und wandte seinen Blick ab. „Es geht nicht darum, ob ich noch einmal darüber nachdenke“, flüsterte er. „Ich kann nichts für sie tun. Ich kann ja wohl kaum einen Gefangenen aus Askaban holen, oder? Xavier Yaxley kann nicht hier sein, solange er von den Betäubungsmitteln abhängig ist. Ich kann das nicht in ihre Umgebung bringen und ich bin nicht dafür ausgerüstet, ihn zu entgiften. Diejenigen an diesem… diesem einen Ort… du weißt, warum ich sie nicht herbringen kann. Ich habe es immer wieder und wieder versucht sie dort herauszuholen und immer wieder und wieder habe ich versucht sie einzugliedern und jedes Mal ist der Versuch gescheitert. Ich werde nicht zulassen, dass sie weiterhin für meine Fehler bestraft werden.“
„Was meinst du damit?“
„Das bedeutet, sie, nicht ich, bezahlen den Preis, wenn versteckte Kameras sie in kompromittierenden Positionen mit Ministerangestellte zeigen, bevor ich sie rausholen kann. Es bedeutet, sie, nicht ich, bezahlen den Preis, wenn sie mit Portschlüsseln an diesem schrecklichen Ort entdeckt werden, wo diese gar nicht funktionieren dürften. Es bedeutet, sie, nicht ich, bezahlen den Preis, wenn ich versuche sie in kleine Tiere zu verwandeln, damit sie flüchten können. Sie, nicht ich, bezahlen den Preis für meine Fehlschläge. Die Bestrafung ist grauenhaft und, nein, ich werde nicht sagen, was es ist. Nicht mehr.“
Hermine fehlten die Worte.
„Außer sie aus diesem Gebäude zu apparieren, und glaube mir, ich kann es nicht und ja, ich habe es bereits versucht, gibt es keine Möglichkeit sie dort raus zu holen, ohne die Aufmerksamkeit der Wachen auf sie zu ziehen, die dann auch die Bestrafungen ausführen. Ich… ich fühle mich so dermaßen hoffnungslos, Hermine“, sagte er mit gebrochener Stimme. Sein Akzent brach durch, wie es immer der Fall war, wenn seine Verteidigung zusammenbrach.
„Ich… ich hatte keine Ahnung.“
„Ich weiß“, sagte er. Er drehte sich mit einem flehenden Blick zu ihr um. „Ich bin mir durchaus bewusst, wie ich sie im Stich gelassen habe, Hermine. Es wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen. Alles, was ich versuchen kann, ist, die Fehler nicht zu wiederholen und die Kleinen von ihnen nicht durch meine Finger gleiten zu lassen. Bitte, bitte, vertrau mir einfach nur und frag mich nicht noch einmal.“
Sie betrachtete ihn traurig und nickte dann kaum merklich. Sie legte sich zurück und schmiegte sich wieder an ihn, atmete seinen Duft ein, während er seine Arme um sie schlang.
„In Ordnung“, sagte sie. „Werde ich nicht.“
*~*~*~*
Leopold freute sich schon auf die Weihnachtsferien. Er hatte seit seiner Abreise nach Hogwarts Ermengarde nicht mehr gesehen, selbst wenn sie sich mehrmals wöchentlich eine Eule schickten. Miss Granger schrieb ihm wöchentlich und Mr. Snape einmal im Monat. Er freute sich besonders darauf Mr. Snape wieder zu sehen. Sie mussten noch einiges besprechen.
Leopold hatte in seinem tiefsten Inneren gewusst, dass Brigita nicht mehr in Hogwarts war. Auch die letzten zwei Jahre nicht mehr. Da hatten ihre Briefe aufgehört. Sie war offenbar nicht mehr dort und, um nicht aufzufliegen, konnte er nicht fragen. Er hatte Mr. Snape fragen wollen, aber wusste es besser. Wenn er ihn hätte warnen wollen, dann hätte er es getan. Er war vielleicht nach Gryffindor sortiert worden, doch Leopold war sich noch immer nicht sicher, ob er auch wirklich ein Gryffindor war, aber der aller beste der Slytherins hatte ihn aufgezogen. Er wusste, es hatte seine Vorzüge bis zum richtigen Moment zu warten, um die richtigen Fragen zu stellen. Und während der Weihnachtsferien mit Mr. Snape persönlich darüber zu reden, würde der richtige Zeitpunkt sein.
*~*~*~*
Severus hatte gesagt, die Kinder hätten zuvor noch nie richtig Weihnachten gefeiert. Er hatte nicht die Mittel es zu tun und das Ministerium hatte nie das Geld erübrigen können. Hermine, für ihren Teil, entschied diese Situation jetzt zu ändern.
Glücklicherweise kannte sie die Inhaber eines der beliebtesten Geschäfte in der Winkelgasse.
George und Ron waren sehr entgegenkommend, nach Ladenschluss noch im Geschäft zu bleiben und die Ware mit einem Erstarrungszauber zu belegen, damit sie keine plötzlichen Geräusche von sich gaben. Das hatten sie auf die harte Tour gelernt, nachdem sie einen sehr starken Reductio auf ein herumhüpfendes Frettchen (Gott sei Dank kein lebendiges Frettchen) gezaubert hatten, welches sie erschreckt hatte.
Sie umarmte die Weasley-Brüder innig und setzte sich für ein kleines Gespräch hin, während sie dankend eine Tasse Tee von George annahm. Nachdem sie alle auf den neusten Stand waren (Hermine lauschte gutmütig Georges spitzen Bemerkungen über Severus, inbegriffen seinen Spekulationen, ob er wirklich kopfüber von der Decke hing und wenn das der Fall war, konnte man in dieser Position dann auch Sex haben? – Ernsthaft! Aber sie war froh, alle Weasleys schienen ihre Beziehung zu akzeptieren), kam sie zum Geschäftlichen.
„Wie würde es euch gefallen dieses Jahr eine gemeinnützige Spende für ein paar sehr hilfsbedürftige Kinder an Weihnachten zu tätigen?“, fragte sie die beiden. George, immer der Geschäftsmann, war sehr interessiert. Spenden waren immer gut für das Geschäft.
„Haben Ron oder Harry dir von der Sache erzählt, an der wir arbeiten?“
George nickte. „Nur kurz, keine Details, aber wir wissen, du arbeitest mit ein paar Kriegswaisen, die das Pech haben, die Sprösslinge von Todessern zu sein.“
Dankbar darüber, dass er sie zuerst als Waisen und erst dann als Kinder von den Todessern betrachtete, forderte sie ihr Glück etwas heraus. „Wie du vermutlich schon erraten hast, haben sie nicht sonderlich viele glückliche Weihnachtstage in ihren kurzen Leben gehabt, besonders dann nicht, als sie zu Schützlingen des Ministeriums wurden. Dieses Weihnachten bin ich in einer Position das zu ändern und ich hatte gehofft, du würdest für sie ein paar Weasley-Produkte spenden. Falls du das nicht willst, wollte ich dich fragen, ob du sie mir zum Einkaufspreis verkaufen könntest.“
George winkte ab. „Entspann dich, Granger. Es ist ein Beitrag für etwas an dem Harry arbeitet. Es ist jetzt vielleicht schon zehn Jahre her, aber ich habe nicht vergessen, dass es sein Geld war, welches unser Startkapital darstellte. Du könntest auch einen Gedenkstein für Du-weißt-schon-wen bauen lassen und du könntest mich um alles bitten, solange Harry ein Teil des Projektes ist. Also gut, das vielleicht nicht, aber ansonsten so ziemlich alles, das hier mit einbeschlossen. Also natürlich sind wir mit dabei. Was schwebt dir vor?“
Nach einigen Diskussionen verließ Hermine voll beladen mit Tüten das Geschäft. Mit ihrer Hilfe hatte sie bedächtig Dinge ausgesucht, die sicher, unterhaltsam und nicht zu laut oder gefährlich waren oder einfach herausspringen und sie erschrecken würde. Etwas… Dezenteres. Ron und George kannten ihr Geschäft und suchten genau die Dinge aus, die funktionieren könnten.
„Ihr beiden seid die Besten“, strahlte sie.
Wieder winkte George nur ab. „Wie ich bereits sagte, ich bin an Bord, selbst wenn mir die Bevölkerungsschicht, der du da hilfst, nicht sonderlich sympathisch ist.“ Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Entschuldige, aber nach allem, was passiert ist…“
„Ich verstehe es“, sagte Hermine. Sie hatte schon vor langer Zeit akzeptiert, dass die Weasleys in den letzten beiden Kriegen zu viel verloren hatten, um von dem, was sie tat, begeistert zu sein, aber sie liebte sie dafür, sie für das, was sie tat, nicht zu beurteilen und verurteilen. Die Weasleys waren wahrlich eine unvergleichbare Familie.
„Werden wir dich dieses Weihnachten im Fuchsbau sehen?“, fragte Ron mit geheuchelter Gelassenheit.
Weihnachten im Fuchsbau war seit Freds Verlust einfach nicht mehr dasselbe. Molly, die noch immer in ihrer Depression steckte, war einfach nicht in der Lage oder gewillt so viel zu kochen, wie sie es immer getan hatte. Ihre Hauptbeschäftigung, wie viel wer der Anwesenden aß, war verschwunden und die allgemeine Stimmung war getrübt.
Hermine schüttelte ihren Kopf. „Nein, danke. Ich werde die Feiertage am Grimmauldplatz verbringen. Ich bin mir sicher, sollte ich Severus mit dem Weihnachtsbaum und allem alleine lassen, hätten wir am Ende vermutlich einen schwarz geschmückten Baum.“ Sie lächelte. „Aber du wirst alle ganz lieb von mir grüßen.“
„Mum würde dich liebend gerne wiedersehen“, sagte Ron. „Sie vermisst dich.“
„Ich vermisse sie auch“, sagte Hermine. Ihre Beziehung zu Molly war nach ihrer Trennung von Ron etwas angespannt gewesen, nicht bis zu einem Grade, wo Funkstille herrschte, aber auch nicht so, wie sie vorher gewesen war. Sie wusste, Molly machte sich um alle zu viele Sorgen und es würde sie beruhigen, Hermine irgendwann mal wieder zu sehen. „Ich verspreche, ich werde bald mal vorbeischauen.“
Ron und George schienen damit zufrieden zu sein und so verabschiedete sie sich, verkleinerte die Tüten und steckte sie in ihre Taschen, bevor sie zum Grimmauldplatz disapparierte.
Severus konnte seine Augen nicht von Hermine nehmen, als sie eintraf. Sein Blick war unergründlich. Luna lächelte sie lediglich verträumt an und sagte: „Ich mag es.“
„Was?“
Severus lächelte mit einem Augenrollen. „Hat dir einer der Weasley-Brüder etwas zu trinken angeboten?“
„Nun ja, George hat mir eine Tasse… oh nein.“ Sie wirbelte ihre Hand, um einen kleinen Spiegel auf einen der Wände zu zaubern und sah, wie ihr Haar drastisch die Farbe wechselte; von lila zu pink zu rot zu orange zu gelb… nur um alle Farben des Regenbogens wiederholt zu durchlaufen. Oh, diese beiden! Sie versuchte den Finite Incantatem, aber nichts änderte sich. Sie wirbelte zu Severus herum, welcher hinter ihr stand, um ihr neues Erscheinungsbild voll und ganz in sich aufzunehmen. „Kannst du irgendwas machen?“
Er lachte kopfschüttelnd. „Wenn du es oral eingenommen hast, ist es ein Farbveränderungstrank und solche Tränke haben keine Gegenmittel, sie müssen verstoffwechselt und aus dem System gespült werden.“ Er betrachtete gedankenvoll ihr Haar. „Farbveränderungstränke sind nicht leicht zu brauen, besonders die, die nach einer Einnahme ihre Farbe ändern. Im Grunde benötigt man eine Kombination aus Zaubern und Zaubertränken in einem äußerst komplexen Prozess, der nicht von jedem gemeistert werden kann. Ich muss schon sagen, ziemlich fortschrittliche Arbeit; nur meine UTZ-Schüler haben es je wirklich hinbekommen. Ich schätze, ich habe es doch geschafft, den Weasleys die eine oder andere Sache beizubringen.“
Hermine gab ein verzweifeltes Geräusch von sich. „Hör auf beeindruckt von ihnen zu sein. Wie lange wird das noch anhalten?“
Severus begutachtete (und würdigte) behutsam ihr neues Haar. „Morgen früh solltest du wieder dein liebevolles Mausbraun zurückhaben.“
Hermine starrte ihn an. „Mausbraun?“
„Ja, mausbraun, aber mach dir keine Sorgen“, flüsterte er in ihr Ohr. „Ich gestehe, ich habe eine besondere Schwäche für Frauen mit mausbraunen Haaren.“ Er trat einen Schritt zurück. „Ich nehme an, du hast bekommen, was du wolltest?“ Sie nickte. „Dann war es das wert.“
Damit hatte er sich einen Blick verdient, der seinem eigenen Blick Konkurrenz machen könnte.
*~*~*~*
Severus blickte hinunter auf seine Hände und sah, wie das Pergament, welches er gerade noch gehalten hatte, jetzt in hundert Einzelteile zerrissen war. Er ließ sie auf den Tisch fallen, zauberte einen schnellen Reparo und legte es zurück auf seinen Platz zu den Krankenakten.
Es kam nicht oft vor, dass Severus Snape nervös war. Er war der Herr seiner Gefühle und somit niemals nervös; entweder war er vorbereitet oder unvorbereitet (für gewöhnlich Ersteres, nur sehr selten Letzteres), aber niemals nervös. Jetzt… er wusste nicht, wem er die Schuld geben sollte, Hermine oder den Kindern oder dieser verdammte Harry Potter, der unbedingt seine Freundschaft wollte oder Luna Lovegood und ihre erschreckend genauen Einsichten, aber jetzt war Severus nervös.
Er und Poppy hatten sich nicht unbedingt im Guten getrennt. Während des gesamten letzten Jahres des Krieges hatte sie ihm als einen kaltherzigen, mordenden Todesser gesehen, der über die Schule regierte und die Kinder terrorisierte und genau das sollte sie auch sehen. Als er sterbend im Bootshaus gelegen hatte, hatte jemand (vermutlich Hermine, obwohl sie es noch zugeben musste) Poppy benachrichtigt und sie war nach der Schlacht hinunter ins Bootshaus gekommen und hatte ihn dort in seiner eigenen Blutlache liegen gesehen, wie er sich an sein mickriges Leben geklammert hatte.
Für alle anderen war er bewusstlos gewesen, aber in Wahrheit hatte er alles um sich jederzeit mitbekommen. Er hatte Poppys Hereinkommen, ihr leises Fluchen gehört. Er hatte gespürt, wie sie sich neben ihn gekniet hatte, eine zögernde, warme Hand hatte die andere Seite seines Halses, die die nicht von Wunden durchlöchert gewesen war, berührt, um nach einem Puls zu suchen. Als sie dann einen gefühlt hatte, hörte er sie leise seufzen.
„Severus Snape“, flüsterte sie kaum hörbar. „Ich… weiß wirklich nicht, was ich noch glauben soll.“ Sie versorgte seine Wunde, ließ ihn auf eine Trage schweben und hatte ihn hinauf in die Große Halle gebracht, wo auch all die anderen Verletzten lagen und darauf warteten, nach St. Mungos verlegt zu werden. Der Weg hinauf zum Schloss war lang und hauptsächlich ruhig. Kurz bevor sie die Halle betraten, hörte er, wie Poppy zu sich selbst sagte: „Nutzlos. Nutzlos.“
Sie hatte von seiner Rettung geredet, das wusste er. Nutzlos ihn wieder zurück zu bringen, nach allem, was er getan hatte. Nutzlos, weil sie ihre Zeit damit verschwendet hatte, nur einen komatösen Körper zu holen, der wahrscheinlich nicht einmal die Nacht überstehen würde. Nutzlos einen Mann zu retten, der entweder sein Leben in einem Krankenhausbett dahinfristen oder den Dementoren Kuss erhalten würde. Nutzlos einen Mann zu bemitleiden, der bereits so gut wie Tod war. Nutzlos überhaupt einen zweiten Gedanken an ihn zu verschwenden.
Nutzlos. Nutzlos.
Der Kamin loderte grün auf und Severus stoppte seine Schritte. Er hatte es noch nicht einmal mitbekommen. Mit einem Zischen stand plötzlich Longbottom vor ihm und streckte seine Hand aus, um ihr durch den Kamin zu helfen, Poppy Pomfrey.
Severus nutzte seine beste Okklumentiktricks und sein bestes Training als Spion, um sein Gesicht vollkommen ausdruckslos zu halten. Sie würde nicht die Genugtuung bekommen, ihn panisch zu sehen. Niemand hat ihn jemals in Panik gesehen, nicht einmal Hermine. Schieb die Gefühle weg, lege sie in eine Schachtel, verschließe die Schachtel und vergrabe sie ganz tief im Boden. Frieden. Severus wollte nicht der Erste sein, der das Wort ergriff, aber wenn er wartete, wirkte das vielleicht schwach. Nein, stumm zu bleiben würde sie nervös machen. Das hatte seit Jahren unzählige Schüler nervös gemacht. Ja, er würde einfach nur dort stehen, mit seinen Armen vor seiner Brust verschränkt, seinem besten, finsteren Blick und einfach etwas abwarten. Er versuchte die nagende Stimme in seinem Hinterkopf zu ignorieren, die ihm sagte, sie war hier, weil sie ihm einen Gefallen tun wollte. Heute würde es nichts bringen darauf zu hören.
Poppy traf seinen Blick, stand ihm direkt gegenüber. Nur wenige Menschen wagten es sich auf einen Wettkampf der Blicke mit Severus Snape einzulassen. Sie war mutig genug, es zu versuchen.
Letztendlich war es Longbottom, der das Schweigen brach: „Muss ich, äh, euch erst gegenseitig vorstellen?“
Severus und Poppy drehten sich gleichzeitig mit einem finsteren Blick zu Longbottom um. Mit einem dummen Lächeln murmelte er etwas davon, Luna Hallo zu sagen und rannte die Treppe hinauf.
Poppy verdrehte ihre Augen. „Ich finde es noch immer schwer ihn als einen Kollegen zu sehen“, überlegte sie, während ihr Blick Longbottom die Treppe hinauf folgte. „Irgendwie ist er immer noch der pummelige, kleine Junge, der bedeckt mit Stinksaft zu mir in den Krankenflügel kam. Es ist immer schwer, wenn ein ehemaliger Schüler zurück nach Hogwarts kommt, um zu unterrichten. Man will ihn immer noch als Kind betrachten und nicht als den Mann, zu dem er geworden ist. Er ist immer noch dort drinnen, irgendwo im Gesicht des Mannes versteckt.“
Sie drehte sich zurück zu Severus um und diesmal war ihr Blick gutmütig. „Manchmal, Severus, selbst in diesem letzten Jahr, konnte ich nichts weiter als den kleinen, dürren Jungen sehen, der öfter bei mir im Krankenflügel war als Harry Potter. Der kleine Junge, der keine Medizin, sondern Zuneigung gebraucht hatte. Die Vielzahl an Missständen, die es vielleicht behoben hätte… den Schmerz, der vielleicht geheilt worden wäre…“
Tränen stachen in Poppys Augen und Severus musste all seine Selbstkontrolle sammeln, um seinen Gesichtsausdruck, nun, ausdruckslos zu halten.
„Als Harry Potter und Tom Riddle in der Großen Halle gekämpft haben, da hat Harry ein paar Dinge über Sie gesagt, die ich zwar schon lange vermutet, aber nie bestätigt bekommen hatte. Und es hat mich wie ein rasender Hippogreif getroffen – was Sie getan und warum Sie es getan haben. Die Dinge setzten sich zusammen und plötzlich waren sie mehr als offensichtlich. Wenn Sie wirklich auf ihrer Seite gewesen wären, warum dann alle Lehrer in der Belegschaft behalten? Warum uns nicht einfach rausschmeißen und umbringen lassen, damit neue Todesser unterrichten konnten? Warum alle Geheimgänge aus der Schule hinaus blockieren? Ich bin also hinauf zu Albus‘ Porträt gegangen; das gesamte Jahr über hatte er sich in Ihrem Büro versteckt gehalten und ich fand es schon immer verwunderlich, warum er nicht von Gemälde zu Gemälde und im Schloss herumgelaufen ist, um die Dinge im Auge zu behalten. Ich hatte mich gefragt, ob Sie das Gemälde irgendwie verflucht oder sogar zerstört hatten. Aber nach allem… nachdem es vorbei war… bin ich dort hinaufgegangen und habe zum ersten Mal seit einem Jahr mit ihm gesprochen. Er hat mir alles erzählt, Severus. Alles.
„Anschließend bin ich wie im Traum wieder hinuntergegangen. Überall um mich herum lagen verletzte Menschen, Menschen, die meine Hilfe brauchten und alles, an was ich gerade denken konnte, war das, was ich erfahren hatte. Dann kam Miss Granger-“
Ich wusste es, dachte Severus.
„- zu mir und sagte, Ihr Körper würde unten im Bootshaus liegen und sie fragte sich, ob sie zurückkehren und Ihren Körper holen sollte und da habe ich entschieden, ich würde gehen. Mir ist Blut oder Tod nicht fremd. Ich würde Ihren Körper reinigen und ihn dann hinauf in die Große Halle bringen – die Heimkehr eines Helden. Der Schulleiter, der starb, weil er seine Schule verteidigt hatte, hatte nichts Geringeres verdient. Sie haben so jung ausgesehen, als Sie dort gelegen haben. Sie haben so ausgesehen, wie ich es gewohnt war. Es erinnerte mich an den kleinen Jungen, der mit all den Verletzungen in seinem Gesicht und den Kratzspuren eines Werwolfes auf seinen Bauch zu mir gebracht worden war. Der kleine Junge, der über alles nur Trost und Mitleid brauchte und sich bei jeder Möglichkeit versuchte davon abzuwenden.“
„Und Sie lebten, Severus, Sie lebten! Gerade so eben, aber dennoch waren Sie noch bei uns. Es war… zu viel. Als ich Sie dann gereinigt und in die Große Halle gebracht habe, dachte ich an all das Potenzial in Ihnen, und wie es von einem Wahnsinnigen zerstört worden war. Ich dachte an Ihre Loyalität einem anderen Mann gegenüber und wie es Ihnen alles gekostet hat, was noch übrig geblieben war. Ich verstand da, selbst wenn Sie es jemals schaffen würden, war es absolut nutzlos, denn für was sollten Sie schon zurückkehren? Was hatte diese Welt Ihnen noch zu bieten? Würde Sie jemand auch durch meine Augen sehen können, oder würde ich alleine sein?“
Severus schluckte einen besonders großen Kloß herunter.
„Severus…“ Poppy ging langsam auf ihn zu. „Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll.“
Er lockerte seinen Kiefer, löste seine verschränkten Arme und stand einfach nur willenlos da. Er hatte von Poppy vieles erwartet, aber nichts dergleichen. Sie klang, als ob sie sich beinahe bei ihm… entschuldigen würde.
„Da gibt es nichts zu sagen“, murmelte er. „Nichts mehr zu sagen.“
Das Nächste, was er wusste, war, wie die Medihexe stürmisch ihre Arme um ihn schlang. Er war überrascht und wusste nicht so recht, wie er darauf antworten sollte.
„Ich bin so froh, dass Sie wieder zu uns zurückgekommen sind, Severus“, flüsterte sie. „Wenn jemand eine zweite Chance im Leben und auf Glück verdient hat, dann sind Sie das. Sie leben jetzt nur für sich selbst.“
„Das tue ich nicht“, flüsterte er genauso leise zurück und erwiderte vorsichtig die Umarmung. „Niemals für mich.“
„Für die Kinder?“, fragte sie.
Er nickte. „Für die Kinder.â€
Sie ließ von ihm ab und trat einen Schritt zurück, ihre Hände ruhten auf seinen Oberarmen und sie nahm sein Erscheinungsbild in sich auf. „Sie hätten früher zu mir kommen sollen, Severus. Erinnern Sie sich noch daran, was Albus immer gesagt hat? ‚Wer immer in Hogwarts um Hilfe bittet, wird sie auch bekommen.‘ Ich weiß, viele Dinge wurden getan und sind gesagt worden, aber Sie werden immer ein Teil der Hogwarts-Familie sein, sogar doppelt, als ein Lehrkörper und Schüler und als einen der wohl mutigsten Schulleiter, die die Schule je gesehen hat. Mir tut es nur leid, dass wir es zu der Zeit nicht geschätzt haben.“
„Das sollten Sie auch nicht“, murmelte Severus.
„Ja, und Sie können mir glauben, diesbezüglich habe ich bereits ein ernsthaftes Wort mit Albus gewechselt“, sagte Poppy.
„Ich gestehe, ich hatte nicht erwartet so etwas zu hören“, sagte Severus. Es war einfach mit Poppy zu reden. Das war es immer gewesen. Bis jetzt hatte er nicht erkannt, wie sehr er es vermisst hatte.
„Severus, die Schlange der Hexen und Zauberer, die Ihnen danken und sich entschuldigen wollen, zieht sich durch ganz England. Wenn Sie sich bisher noch nicht dran gewöhnt haben, dann sollten Sie langsam damit anfangen.“
Er verdrehte nur seine Augen. „Dieser verfluchte Potter. Hat mich in einen Märtyrer verwandelt. Überall nur falsche Heldenverehrung. Ich habe das getan, was nötig war. Nicht mehr und nicht weniger.â€
„Das ist nicht falsch, nur heldenhaft“, sagte Poppy bestimmt. „Jeder kann tun, was getan werden muss. Ein wahrer Held tut das, was getan werden muss und das, was niemand sonst tun würde und er tut es, wenn keiner hinsieht.“
Wenn Severus der Typ Mensch gewesen wäre, der gerne umarmt, dann hätte er sie jetzt umarmt. Aber das war er nicht, also tat er es auch nicht. Er nickte lediglich und Poppy nickte zurück und tätschelte seine Wange, als ob er wieder elf Jahre alt war und ein Stück Schokolade bräuchte, um einen schwachen Zauber zu heilen.
„Also ich glaube, hier gibt es ein paar Patienten, die ich mir ansehen sollte? Mr. Longbo – Professor Longbottom hat mich über das, was Sie hier tun, eingeweiht.“
Severus nickte. „Ich weiß, ich muss Sie nicht darum bitten, dies diskret zu behandeln.“ Poppy nickte. „Ich muss Sie allerdings warnen, einiges von dem, was Sie hören werden, ist grausam…“ Er führte sie in die Küche und schloss die Tür hinter sich.
*~*~*~*
Ohne Severus‘ und Poppys Wissen hatte Neville die anderen vor einem möglichen Duell gewarnt. Hermine und Luna hatten mitbekommen, wie angespannt Severus in Anbetracht ihres Besuches gewesen war und Luna und Neville hatten Poppys Wut während seiner Amtszeit als Schulleiter gesehen. Poppy könnte ihm gründlich ihre Meinung sagen und alte und gefährliche Erinnerungen wieder an die Oberfläche zerren. Severus würde dann vermutlich sauer werden und sich selbst verteidigen. Sie würden beide schreckliche Dinge sagen, die sie nie wieder zurücknehmen könnten. Sie würden vielleicht sogar ihre Zauberstäbe zücken.
Sie dachten, es konnte nicht schaden, wenn sie das Untergeschoss ebenfalls etwas im Auge behielten. Natürlich nur des friedenshalber. Zum Wohle der Kinder.
Also waren Neville, Hermine, Harry und Luna (die, die Kinder mit etwas Malmaterial oben gelassen hatte) hinunter zum obersten Treppenabsatz geschlichen und hatten hinter einem Bemerk-mich-nicht-Zauber den gesamten Austausch beobachtet.
Am Ende hingen sich Luna und Hermine in den Armen und Harry und Neville beschwerten sich über Kreachers Putzqualitäten, da sie jetzt irgendwas in ihren Augen hatten.
„Jungs“, murmelte Hermine lächelnd.
*~*~*~*
Poppy stellte ihre Notizen fertig und mit einem schweren Seufzen und Tränen in ihren Augen, blickte sie zu Severus auf. „Merlin, Severus…“, sagte sie. „Ich habe schon ziemlich viele schwierige Fälle in Hogwarts gesehen, aber das hier…“
Er nickte. „Was das Schlimmste ist, das ist bereits eine Verbesserung zu dem, als ich sie gefunden habe und in den letzten sechs Monaten, in dieser Umgebung, hat sich ihr Verhalten ebenfalls gebessert. Aber…“
„Aber sie haben es noch nicht geschafft“, beendete Poppy grimmig den Satz. „Severus, Sie dürfen sich nicht selbst dafür die Schuld geben. Sie tun alles, was Sie können.“
Er seufzte. „Es ist jedoch nicht genug, oder?“
„Sie versuchen Jahre der Vernachlässigung, des Missbrauchs und der Traumata rückgängig zu machen“, sagte sie. „Und bis vor Kurzem haben Sie es im Alleingang versucht. Die Tatsache, dass sie sich mit einer fremden Person in einem Raum aufhalten, sogar laufen und reden und essen und sogar manchmal lachen können, ist bewundernswert. Nicht alle von ihnen werden es komplett überwinden. Einige werden es schaffen und ein normales Leben führen; andere werden es nie schaffen. Ich weiß, Sie verlangen nichts Geringeres als Perfektion, sowohl von anderen als auch von sich selbst, aber in diesem Fall werden Sie sich mit ‚Das Beste, was ich tun konnte' zufriedengeben müssen.“
Er schüttelte mit dem Kopf. Alles weniger als Perfektion war ein Scheitern und langsam ermüdete ihn sein Scheitern in Bezug auf die Kleinen.
„Ich schätze, ich sollte sie dann jetzt wohl untersuchen, was?“, fragte Poppy, als sie aufstand. Severus nickte. Er und Lovegood und Hermine hatten Hermines altes Zimmer auf der ersten Etage in einen Untersuchungsraum verwandelt. Er führte Poppy hinauf und ließ ihr Zeit, ihre Utensilien aufzubauen, während er das erste Kind auf der Liste holte. Ambrose Avery. Hatte Probleme mit Krampfanfällen seit einer von Glastonburys „Freiwilligen“ ihn vor einigen Jahren hart gegen die Wand geworfen hatte. Seine Magie erschien unregelmäßig und war nur schwer zu kontrollieren, obwohl es in letzter Zeit keinerlei Zwischenfälle gegeben hatte.
Er ging hinauf zum Dachboden und fand dort alle vierzehn Kinder. Einige malten mit Lovegood und Longbottom, während andere Potter lauschten, wie dieser ihnen eine Geschichte aus seinen Heldentagen erzählte. Absolut typisch. Und andere saßen zusammen mit Hermine in einer Ecke und lasen.
Für den Moment bemerkte ihn niemand und so erlaubte er es sich gegen den Türrahmen zu lehnen und die Szene vor sich aufzunehmen und diese bezaubernde Kreatur dabei zu beobachten, wie sie ihnen mit sanfter, ruhiger Stimme vorlas.
Poppy hatte recht; er war mit nichts außer Perfektion zufrieden.
*~*~*~*
„Ich bringe Sie nach draußen“, bot Hermine Poppy an, nachdem sie alle Kinder untersucht und Severus eine Liste mit schwachen Zaubertränken und Behandlungsmöglichkeiten gegeben hatte. Poppy lächelte und gemeinsam gingen sie die Treppe hinunter.
„Es ist so nett von Ihnen, hierher zu kommen“, sagte Hermine ernst. „Sie brauchten einen Heiler und niemand wollte es tun und Severus ist schrecklich darin sich zu bedanken, also was ich sagen wollte… also danke für alles.“
„Ein Danke ist nicht nötig. Ich bin froh es zu tun und mir tut es nur leid, dass Severus nicht früher gefragt hat“, antwortete Poppy. „Mein einziges Bedauern ist, dass die anderen, als sie noch in Hogwarts waren, nicht zu mir gekommen sind. Ich hätte helfen können. Und obwohl jeder, der Severus mal getroffen hat, weiß, dass es ihm schwer fällt, sich zu bedanken oder gar Hilfe anzunehmen, kann ich sehen, dass Sie ihn auf eine, sollen wir intimere Weise sagen, kennen?“
Hermine lief rot an. Neville und seine große Klappe.
„Oh, Sie brauchen nicht verlegen sein, Liebes, es stand euch mitten ins Gesicht geschrieben. Ich freue mich für euch beiden. Nach allem, was ihr durchgemacht habt, habt ihr Glück und Stabilität verdient und ich freue mich, dass ihr beide es in dem jeweils anderen gefunden habt.“
„Danke“, sagte Hermine jetzt lächelnd mit noch immer leicht geröteten Wangen. „Ich habe es und ich bin mir ziemlich sicher, er hat es auch.“
„Hat er, Liebes, das hat er.“
„Ich kam nicht drum herum Ihre Interaktion zu bemerken“, begann Hermine zögernd, „und Severus scheint Ihre Meinung ziemlich wichtig zu sein, nicht?“
„Ich schätze, so kann man es betrachten“, sagte Poppy. „Ich war eine der wenigen, die er während des Krieges an sich herangelassen hat. In Anbetracht dessen, dass ich kein Ordensmitglied war, war das ziemlich viel Vertrauen seinerseits.“
„Ich frage mich… nun, Sie müssen sich doch an einige der Waisenkinder der Todesesser, die sich ehemals in Severus‘ Obhut befanden und dann nach Hogwarts gingen, erinnern, oder?“
„Und alle von ihnen verschwanden ziemlich schnell. Schikaniert und bloßgestellt und oftmals auch verletzt. Ich habe sie nur gesehen, wenn sie so schwer verletzt waren, dass man sie zu mir gebracht hatte. Eine ziemlich böse Geschichte.“
„Viele von ihnen sind jetzt auf der Straße oder in Askaban oder in irgendwelchen Bordellen.“ Poppy schnalzte nur mit ihrer Zunge. „Ich habe Severus dazu ermutigt sie hierher zu bringen, zumindest ein paar von ihnen, um ihnen dabei zu helfen, ihre Leben wieder auf die Reihe zu bringen. Er sagt, das Risiko vom Ministerium entdeckt zu werden, wäre zu hoch, da sie ja technisch gesehen ihre Schützlinge sind. Und es ist unmöglich die Mädchen aus den Bordellen zu befreien ohne, dass sie dabei verletzt werden. Es ist nicht so, als ob ich ihm nicht glauben würde; ich meine, er hat mir über alles, was er bisher getan oder versucht hat, die Wahrheit gesagt. Er behauptet, er hat keine Möglichkeiten mehr, aber ich kann nicht glauben, dass das stimmt – wie kann das denn stimmen? Es muss noch eine andere Möglichkeit geben ihnen zu helfen, eine, die wir bisher lediglich nur noch nicht gefunden haben. Ich schätze, Sie verstehen es auch nicht oder könnten Sie vielleicht noch einmal mit ihm reden?“
Poppy schenkte Hermine ein trockenes Lächeln. „Sie waren schon immer Hogwarts Heilige für die verlorenen Fälle, nicht wahr?“
„Aber denken Sie, Sie könnten vielleicht seine Meinung ändern?“
Poppy schüttelte ihren Kopf. „Ich verstehe Ihr Dilemma, Miss Granger, aber eines wissen wir beide über Severus und das ist, wenn er etwas nicht tun will, dann kann vollkommen egal sein, was ist oder wer ihn fragt, er wird es nicht tun. Ich denke, nur Albus war in der Lage das von ihm zu verlangen und er hat es getan, indem er die Gefühle des armen Mannes manipuliert hat. Und ich weiß, das ist etwas, was Sie niemals tun würden.“
„Schon. Ich… ich verstehe es nur nicht. Einfach so aufzugeben. Das alles einfach als einen hoffnungslosen Fall abzuschreiben. Er geht dort hinaus und versucht, so oft es ihm möglich ist, sie zu sehen, aber es sind so viele dort draußen und er ist ganz alleine und ihm erscheint das alles so sinnlos.“
„Versuchen Sie es nicht zu verstehen, versuchen Sie ihn zu verstehen. Haben Sie Geduld. So wie ich ihn kenne, wird er es schon bald einsehen.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
Poppy griff nach etwas Flohpulver und lächelte ihren ehemaligen Schützling an. „Weil, Miss Granger, es das Richtige ist.“
Hermine sah sie fragend an, als sie in den Kamin trat. Poppy lächelte und ergriff noch einmal das Wort, bevor sie in den grünen Flammen verschwand.
„Man kann immer darauf zählen, dass Severus Snape das Richtige tut… nachdem er alle anderen Alternativen ausgeschöpft hat.“
*~*~*~*
Im nächsten Kapitel: Weihnachten steht vor der Tür.
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Samstag, 01.07.
Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Hermine hängt die Tweed-Röcke und Strickpullis von Oma in den Schrank und - darf ich es überhaupt aussprechen - trägt Jeans!
Emma Watson