Just to be - Oh Heilige Nacht
von Xaveria
*~* Oh Heilige Nacht *~*
Heilig Abend lag Hermine weinend in der Dusche. Weinend wegen alle dem, was sie verloren, was sie gesehen hatte und vor allem, weinte sie für die Kinder.
Hermine erlaubte es sich nicht oft zu weinen; nur wenn sie zu überwältigt und absolut alleine war. Sie war einmal vor Severus zusammengebrochen und war entschlossen, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen. Er hatte es gehasst und sie hatte es gehasst. Es war schwach und es würde sie überwältigen.
Aber hier, in der Dusche, konnte sie ihr Schluchzen hinter dem Rauschen des Wassers verbergen, sich zusammenrollen und sich einfach nur fallen lassen. Wenn sie es erst einmal seelisch verarbeitet hatte, würde sie sich waschen und wieder hinaustreten. So, als wenn nie etwas geschehen wäre.
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ZWÖLF STUNDEN ZUVOR
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Miss Granger traf Leopold am Bahnhof und bot ihm als Begrüßung eine Umarmung an. Gryffindors, hatte Leopold entdeckt, mussten ständig jemanden umarmen. Sie konnten es einfach nicht vermeiden. Anscheinend würden sie sterben, wenn sie es mal nicht konnten. Also tolerierte er ihre Umarmung, auch wenn er den Handschlag von Mr. Snape vorgezogen hätte.
Snape. Sie mussten noch reden. Heute.
Miss Granger stellte ihm alle möglichen Fragen über die Fahrt und seine Freunde. Er antwortete ihr ehrlich, aber verschwieg ihr, dass er und Clara auf den ganzen Heimweg Händchen gehalten hatten. Das war privat.
Miss Granger hatte ihm ihre Hand angeboten und Leopold akzeptierte sie. Er hasste die Seit-an-Seit-Apparation, aber es war wirklich nützlich. Mit einem Pop erreichten sie die Tür vom Grimmauldplatz Nummer Zwölf.
Bevor er überhaupt verstand was passierte, fand er sich von einer Masse von lockigen, blonden Haaren und tränenerfüllten, blauen Augen umhüllt. Ermengarde hatte sich so fest um ihn geschlungen, dass er kaum noch atmen konnte. Er wusste nicht wann, aber irgendwann hatte auch er es geschafft sie genauso fest zu umarmen, ihr Haar zu streicheln und sie noch fester an sich heran zu ziehen. Er spürte Nässe auf seinen Wangen, aber ignorierte es für den Moment.
Ermengarde ihrerseits schluchzte und redete gleichzeitig. „Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen. Ich dachte, du würdest genauso wie Brigita verschwinden.“
„Niemals, niemals“, versicherte er ihr. „Ich werde dich niemals zurücklassen.“
Die beiden, Bruder und Schwester, jeder verloren in ihrer kleinen Welt, standen fest umschlungen, schluchzend im Eingangsbereich des Grimmauldplatz. Ob es nun für eine Minute oder ein paar Stunden war, wusste Leopold nicht. Er wusste nur, er war wieder da, wo er hingehörte, bei seiner Schwester und das war alles, was er brauchte.
*~*~*~*~*~*
Mitten in der Wiedervereinigung hatte Severus Hermine geschickt von ihnen entfernt und in die Küche geführt. Leopold und Ermengarde würden ein paar Minuten alleine haben wollen und er, der Mensch, der den Wert von Privatsphäre und Einsamkeit besser als wohl sonst wer schätzte, war nur allzu froh ihnen genau das zu geben.
„Sie hat wirklich geglaubt, er würde nie wieder zurückkommen“, wisperte Hermine.
Severus nickte. „Sie hat auch einen Grund, weißt du.“
Hermine erinnerte sich an Poppys Abschiedsworte vor ein paar Wochen, aber dennoch konnte sie die Worte nicht aufhalten: „Sie verdienen zu wissen, was mit ihrer Schwester geschehen ist, Severus. Leopold weiß, sie ist nicht mehr in Hogwarts, aber er will nichts zu Ermengarde sagen, bis er nicht genau weiß, was mit ihr passiert ist.“ Sie betrachtete ihn mit ihrem besten schneidenden, aber nicht allzu bösen Blick.
„Er ist erst elf, Hermine“, hob Severus hervor. „Und er ist der Älteste hier. Es gibt ein paar Dinge, die ein Elfjähriger niemals hören sollte. Und das ist eines davon.“
„Sie haben ein Recht, es zu wissen.“
Severus schloss seine Augen. Er wusste, sie dachte, sie könnte ihn bei diesem Thema kleinkriegen. Es würde nicht funktionieren. Sie sollte sich besser daran erinnern.
Alles, was er sagte, war: „Wir sollten sie jetzt nicht stören.“
Sie drehten sich beide bei dem Geräusch einer sich öffnenden Küchentür um. Hermines Hand glitt automatisch zu ihrem Zauberstab, aber sie hielt inne, als sie sah, wer es war. Leopold Clairemont stand im Türrahmen, seine Wangen feucht von Tränen und er starrte Severus drohend an.
„Mr. Snape“, sagte er mit einer ruhigen Stimme, die für einen elfjährigen Jungen viel zu gebieterisch war, „wir beide müssen uns unterhalten.“
*~*~*~*~*~*
„Wo ist meine Schwester?“, fragte Leopold ohne Umschweife.
Severus verschränkte seine Arme und betrachtete den Jungen argwöhnisch. Er hatte ihn zum Gespräch hinunter in den Keller geführt; seine mehrfachen Warnungen nicht den Raum zu betreten und ein permanenter Schweigezauber auf den Wänden sorgte dafür, dass sie vertraulich miteinander reden konnten.
„Sie ist genau dort, wo sie auch vorher war, bevor du verlangt hast mit mir zu reden“, antwortete Severus gedehnt, seine Stimme tropfte nur so vor Gleichgültigkeit. Diese Taktik war immer sehr effektiv bei jungen Gryffindors während seiner Lehrzeit gewesen, um ihren Mut zu untergraben und er hoffte, es würde ihn jetzt retten.
„Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Snape“, sagte der Junge. Nicht einmal Harry Potter hatte in seinem ersten Jahr solch eine Respektlosigkeit an den Tag gelegt. Auch Snape?, dachte Severus. Seit wann nennt er mich so? „Sie wissen, dass ich von Brigita rede. Sie wissen, dass ich weiß, dass sie nicht mehr in Hogwarts ist und das schon seit geraumer Zeit. Ich denke, Sie wissen, wo sie ist und ich will es jetzt von Ihnen wissen.“
„Deine Unterschwelligkeit lässt zu wünschen übrig“, spottete Severus. „Jetzt ist klar, warum du in Gryffindor gelandet bist.“
„Wechseln Sie nicht das Thema“, sagte Leopold mit drohender Stimme, die Severus mit einem Schauer an seinen Vater, Evan Rosier, erinnerte. Er musste es selbst gemerkt haben, denn plötzlich wurde seine Stimme kleiner und unsicherer. „Wissen Sie, wo Brigita ist?“
Severus atmete tief durch und betrachtete Leopold eingehend. Er verfluchte sich, es so weit kommen gelassen zu haben. Keiner der anderen hatte ihn jemals danach gefragt. Keiner. Er war vollkommen unvorbereitet. Für einen Augenblick überlegte er, dass Hermine vielleicht ja doch richtig gelegen hatte. Er wollte wirklich nicht glauben, dass Hermine wohlmöglich recht behalten hatte. Also rief er seine beste Professorenstimme und Blick herbei und starrte ihn über seine lange Nase hinweg an.
„Ich schulde dir keinerlei Erklärungen“, sagte er steif.
„Bitte…“, bettelte er, seine Wut verschwand und entblößte den traurigen Waisenjungen, der er wirklich war. „Meine Eltern sind tot und somit bin ich jetzt der Mann in der Familie und das bedeutet, ich muss wissen, wo meine Schwester ist.“ Er schluckte schwer. „Lebt sie überhaupt noch?“
Für eine sehr lange Zeit sagte keiner der beiden etwas. Nur wenige Erstklässler hatten es jemals gewagt, ihn mit einem Blick herauszufordern. Seltsamerweise oder vielleicht war es auch nicht ganz so seltsam, waren es allesamt nur Gryffindors gewesen.
Letztendlich war es Severus, der das Schweigen brach. „Sie lebt.“
„Ist sie in Sicherheit?“
Er zögerte, wog jedes Wort bedächtig ab. „Sie schwebt nicht in Gefahr.“ Das stimmte nicht vollkommen, aber es war wahr genug. Severus und Leopold lebten in einer Welt ohne Absolute, eine Welt voller Halbwahrheiten. Kriege taten so etwas.
Leopold blinzelte schwer und seufzte. Er riss seine blassen Augen von dem überragenden Mann und schaute hinunter auf den Boden.
In Severus’ Kopf tobte ein grausames Gewitter. Er wollte den Jungen vor dem Schicksal seiner Schwester beschützen und er wusste genug über die Gryffindor-Mentalität, um zu wissen, dass sie die schreckliche Angewohnheit hatten, kopfüber in irgendwelche Situationen zu stürzen, ohne vorher einen Moment darüber nachgedacht zu haben. Er wollte die Unschuld des Jungen nur noch etwas länger beschützen. Aber selbstverständlich hatte der Junge bereits vor Jahren seine Unschuld verloren.
Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung genoss Severus keine Grausamkeit. Er mochte es nicht, Kinder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wenn er es tat, dann machte er es zu ihrem eigenen Wohle. Und bevor Hermine sich in sein Leben gedrängt hatte, hätte er darauf bestanden, dass die Art und Weise, wie er mit Leopold gesprochen hatte, zu seinem eigenen Wohle gewesen wäre.
Bedauerlicherweise für Severus, war das der erste seiner Schützlinge, der nicht nach Slytherin sortiert worden war. Slytherins würden es verstehen. Slytherins würden keine Antwort verlangen, zumindest nicht sofort. Slytherins hätten sich zu allererst gar nicht erst so abhängig gemacht. Dieser Junge… er war ein Gryffindor. Gryffindors mussten anders behandelt werden. Hermine verstand Gryffindors. Und… Severus verstand Gryffindors besser als er jemals zugeben würde. Daher wusste er, je weniger Informationen ein Gryffindor bekam, desto dämlicher würde er sich verhalten. Ein Gryffindor, der im Dunkeln gelassen wurde, tendierte dazu noch irrationaler zu handeln als normal.
Severus wollte nicht daran denken, aber Hermine hatte vielleicht, aber auch nur vielleicht, einen Punkt, als sie sagte, der Junge hätte jedes Recht zu wissen, was mit seiner Familie passiert war. Im Moment hatte Leopold nur noch Ermengarde. Er hatte es verdient zu wissen, dass es dort draußen auch irgendwo noch Brigita gab. Selbst Severus musste sich eingestehen, es war grausam ihm weiterhin irgendwelche Informationen vorzuenthalten.
Stets der Slytherin blieb er zweideutig. Der Junge verdiente die Wahrheit und würde sie auch bekommen.
Aber nicht heute.
Severus kniete vor Leopold auf den Boden, damit er mit dem Jungen auf Augenhöhe war. „Leopold“, flüsterte er, „ich weiß, es ist schwer, aber bitte vertraue mir, deine Schwester lebt und ist sicher. Aber… im Moment ist es für dich einfach nicht sicher genug zu wissen, wo sie ist.“
„Ist sie in Askaban?“, wisperte der kleine Junge, der noch vor wenigen Minuten Nase an Nase mit dem gefürchtetsten Zauberer Englands gestanden hatte. Stets der kleine Gryffindor, dachte Severus.
„Nein“, antwortete Severus genauso leise. „Nein, nicht in Askaban. Nicht einmal in der Nähe von Askaban.“ Der Junge schien erleichtert zu sein, das zu hören.
„Eines Tages“, fuhr Severus fort, „werde ich dich zu deiner Schwester Brigita bringen können. Aber jetzt hilfst du deiner Schwester Ermengarde am Besten, wenn du mir vertraust und in Hogwarts bleibst. Du hast recht – du bist ‚der Mann im Haus‘ und du musst dich um sie kümmern. Du tust ihnen Gutes, wenn du mir vertraust und deine Schulzeit beendest.“ Er hob das Kinn des Jungen an, damit sich ihre Blicke trafen. „Vertraust du mir?“
Leopold zögerte. Er blickte in die Augen des Mannes, so dunkel, wie seine hell waren, und nickte schließlich. „Ich bin dir sehr dankbar, Leopold“, sagte Severus. „Ich werde mich bemühen, weiterhin dein Vertrauen zu verdienen. Ich hoffe, wenn wir wieder darüber reden, du mir dann verzeihen kannst und es verstehen wirst.“
Leopold nickte. Er hatte jetzt Antworten, zumindest ein paar. Brigita lebte. Sie war nicht in Askaban. Fürs Erste würde das genügen müssen.
Er hasste Severus Snape dafür, nicht mehr mit ihm zu teilen, aber er akzeptierte es, zumindest vorerst. Er hatte ihm sein Versprechen gegeben, er würde Leopold schon bald, wenn die Zeit richtig war, mehr erzählen. Er glaubte dem Mann. Er war ein ehrenhafter Kriegsheld, der Held von Zauberengland, auch wenn er es nicht sein wollte. Solch ein Mann würde niemals sein Versprechen brechen…
Oder?
*~*~*~*~*~*
Er hatte sich mit Händen und Füßen gegen einen Weihnachtsbaum gewehrt. Hatte gesagt, zivilisierte Menschen stellten sich keine Bäume in ihre Häuser. Hatte gesagt, es war für eine Gruppe von reinblütigen Kindern, die nur die Traditionen der Zauberer kannten, zu muggel. Hatte gesagt, es würde nur törichte Gefühlsduselei hervorrufen. Hatte gesagt, es sei unhygienisch. Hatte gesagt, niemand, außer sie selbst, würde es genießen.
„Sei ein Schatz und hol einen Baum oder verkleide dich als Weihnachtsmann“, entgegnete sie ihm, nachdem ihm die Argumente ausgegangen waren.
Er hatte den Baum gekauft, aber da das Schmücken nicht Teil ihrer Vereinbarung war, überließ er es vollkommen ihr.
Severus lehnte sich im hinteren Teil des Wohnzimmers gegen die Wand und beobachtete Hermine und Lovegood (also schön, Luna – er hatte es Hermine immerhin versprochen) wie sie den Baum nach den bestimmten Wünschen der Kinder verzauberten und verwandelten.
„Verwandle das Feenlicht lila!“
„Lass Rosen auf den Zweigen wachsen!“
„Könnt ihr den Baum Musik spielen lassen?“
„Lass Schnee auf den Baum fallen!“
Das war ein Weihnachten, welches sich weit von denen der Jahre zuvor unterschied. Severus hatte sich da noch nicht einmal die Mühe gemacht, es überhaupt zu feiern. Er dachte, es war besser die Ferien zu ignorieren und es sie vergessen zu lassen, als ihre kleinen Gesichter in die Tatsache zu reiben, wie wenig das Ministerium sich um sie kümmerte. Als Erwachsener war er selbst keine Weihnachtsperson. In seiner Jugend war er es gewesen. Trotz Tobias Snapes Vorliebe alle Dinge durch seine Wutanfälle zu ruinieren und seiner scharfen Zunge (welche sein Sohn leider geerbt hatte), waren die Weihnachtstage in ihrem Zuhause immer etwas Besonderes gewesen.
Severus hatte Weihnachten geliebt, denn das war der einzige Tag im Jahr, wo seine Mutter Magie benutzt hatte. Sie war sehr gut darin gewesen. Er wünschte sich, sie hätte es gegen seinen Vater eingesetzt, damit sie ein besseres Leben hätten führen können. Aber sie war einfach nicht mit dem Herzen dabei gewesen. Aber an Weihnachten würde sie sich daran erinnern, wer sie war und was sie konnte und sie hatte ihrem Sohn gezeigt, wie wunderschön Magie sein konnte.
Tobias war für gewöhnlich gegen halb sieben auf der Couch eingeschlafen, und nachdem sie sich vergewissert hatten, dass er wirklich nicht aufwachen würde, hatte sie die Hand ihres Sohnes genommen und ihn nach draußen in den kleinen Garten geführt. Sie hatte eine große, dicke, blaue Eisfläche gezaubert, seine Schuhe in Schlittschuhe verwandelt und war mit ihm über das Eis geflogen. Herbeigezauberte Schneeflocken würden auf sie hinabrieseln und nur ein leises Läuten der Glocken war zu hören.
Er schluckte. So sehr sie ihn auch vernachlässigt hatte und wie schwach und deprimierend und geizig sie mit Zuneigung gewesen war, so war Eileen Snape noch immer seine Mutter und jedes Weihnachten erlaubte er es sich, sie zu vermissen. Hermine und Luna waren damit fertig den Baum nach den Wünschen der Kinder zu schmücken und machten sich daran sich um die Stimmung zu sorgen. Mit ein paar Handbewegungen zauberte sie hundert Kerzen herbei, die über ihren Köpfen schwebten, ähnlich wie die in der Großen Halle von Hogwarts hatte Leopold hervorgehoben. Sie hatten den Rest des Lichts ausgeschaltet, damit die Wirkung am besten war. Luna hatte sich zu Longbottom (ihn würde nichts umstimmen ihn bei seinem Vornamen anzusprechen, absolut nichts) auf eine Couch gesetzt und zauberte Zimtduft in das Feuer.
Plötzlich loderte es grün auf und zwei Personen traten hindurch. „Harry! Ginny!”, rief Luna fröhlich.
„Was macht ihr denn hier?“, fragte Hermine.
„Na ja, morgen haben wir unser großes Zusammensein bei den Weasleys und für Heiligabend, da wäre es ganz schön, es mit meiner anderen Familie zu verbringen“, sagte Harry glücklich, als er zu Hermine blickte. Sie strahlte ihn an. Sie umarmten sich innig und küssten sich gegenseitig auf die Wange. Ginevra Potter betrachtete sie und hielt ihren Sohn auf ihrem Arm, während sie mit der anderen Hand über ihren gewölbten Bauch streichelte. Severus war sehr stolz darauf, die anderen Menschen einfach deuten zu können und doch konnte er ihren Blick nicht ganz zuordnen. Sie war nicht unglücklich, aber wirklich glücklich war sie auch nicht. War es… Resignation? Das würde Sinn machen. So sehr Harry auch seine Frau liebte, seine Beziehung zu Hermine war etwas ganz Besonderes.
Severus konnte nicht anders, als manchmal etwas eifersüchtig auf Potter zu sein. Er wusste, ihre Beziehung glich der von Geschwistern und nach seinem besten Wissen, war es das auch immer gewesen. Sie waren beide alleine in der Zauberwelt und fanden Trost in dem jeweils anderen. Harry verstand Hermine besser als so ziemlich jeder, selbst als Severus, wie er nur ungern zugeben musste.
Er und Lily waren nie an diesen Punkt gelangt, überlegte Severus. Nicht so wie Harry und Hermine.
Vielleicht, wenn sie mehr Zeit miteinander verbracht hätten, dann wären sie auch dort angekommen. Er hatte das Gefühl, Harry und Hermine bügelten noch immer die Falten ihrer Freundschaft aus und anders als er und Lily, waren sie erfolgreich.
Er war zufrieden mit seiner Beziehung zu Hermine. Sie hatte Gefühle in ihm belebt, von denen er nicht gedacht hätte, dass er sie jemals wieder spüren könnte und sie beeinflusste ihn. Wenn es ihr schlecht ging, ging es ihm schlecht. Wenn sie glücklich war, war er… nun, nicht unbedingt glücklich, aber zumindest auch nicht unglücklich. Niemand sonst hatte ihn dermaßen beeinflussen können, allerdings hatte Severus auch noch nie in einer Beziehung mit jemandem gelebt. Vielleicht war es normal. Lily und er waren ihre gesamten Leben in getrennten Häusern gewesen, sowohl in Hogwarts, als auch außerhalb. Vielleicht war das der Grund, warum er ihre Stimmungsschwankungen nicht wahrgenommen hatte.
„Severus!“, rief Harry fröhlich durch das Zimmer. Er bahnte sich seinen Weg zu ihm hinüber. „Fröhliche Weihnachten.“
„Ihnen auch“, antwortete Severus freundlich, aber knapp. „Wir haben euch nicht erwartet.“
„Wir hatten auch nicht erwartet vorbeizuschauen, aber es fühlte sich einfach… nun… nicht richtig an, nicht hier zu sein. Wissen Sie, was ich meine?“
„Nein.“ Das tat er wirklich nicht.
„Es ist schwer zu erklären“, sagte Harry, als er merkte, wie Severus das Thema nicht weiter erörtern wollte. „Es sieht wirklich schön hier drinnen aus.“
„Hermine und Luna sind dafür verantwortlich.“
„Sicherlich haben Sie auch Ihren Teil dazu beigetragen und wollen es nur nicht zugeben.“ Seine Stimme wurde leiser und er rückte etwas näher. „Wo ich Sie schon einmal hier habe, da gibt es etwas, was ich Ihnen gerne sagen möchte. Denken Sie, wir können mal eben in die Küche gehen?“
Severus nickte, argwöhnisch, welche Hölle Harry Potter ihm diesmal vorschlagen würde. Harry deutete seiner Frau an ihnen zu folgen und sie verschwanden alle drei in der Küche.
„Also es ist nicht so einfach, es zu sagen“, begann er.
„Nein, das ist es wirklich nicht“, stimmte ihm seine Frau zu und sah ebenfalls etwas nervös aus. Bisher fühlte sich noch keiner der Weasleys in seiner Nähe wohl.
„Aber, nun, wie Sie vermutlich bereits wissen, erwarten wir einen weiteren kleinen Jungen…“
Severus hatte es nicht gewusst und er hatte wirklich keine Ahnung, worauf er hinaus wollte, noch kümmerte es ihn sonderlich.
„Und wir wollen ihn nach zwei Männern benennen, die, neben meinen Eltern, uns während des Krieges wirklich beschützt haben“, fuhr Harry fort. „Also hatten wir geplant, unseren Sohn Albus zu nennen.“
Grund gütiger, dachte Severus.
„Und als Zweitname“, redete Harry nervös weiter, „wollten wir Severus benutzen. Albus Severus.“
Sie sahen ihn erwartungsvoll an, als ob sie irgendeine Dankbarkeit von ihm erwarten würden.
Zu sagen, er sei geschockt wäre eine Untertreibung. So schnell, wie Severus seine Fassung verloren hatte, hatte er sich auch wieder gefasst und setzte seinen besten, finsteren Blick auf und sagte mit einer tiefen und gefährlichen Stimme: „Nein.“
„Was soll das heißen, nein? Das ist unsere Art Sie zu ehren!“, sagte Harry.
Severus schüttelte mit dem Kopf. „Auf gar keinen Fall.“
„Gin?“ Ginny verstand den Hinweis ihres Mannes und verschwand, wodurch Harry jetzt mit Severus alleine in der Küche war. „Severus… helfen Sie mir. Ich weiß, Sie denken, man kann mir nichts beibringen, aber bitte helfen Sie mir es zu verstehen.“
Severus seufzte. „Harry Potter.“ Er deutete zwischen ihnen beiden hin und her. „Wir sind keine Freunde.“
Harry lächelte dämlich, als er antworte: „Selbstverständlich sind wir das.“
„Nein“, entgegnete Severus gefährlich. „Sind wir nicht. Ich toleriere Sie und Sie haben eine verzerrte Wahrnehmung von mir. Das ist auch schon alles.“
„Ich weiß, Sie hassen den Gedanken, aber wir sind Freunde.“
„Nein.“
„Severus…“
„Sie haben gehört, was ich zu diesem Thema zu sagen habe“, sagte Severus eisern. „Ich hoffe, ich muss mich nicht noch einmal wiederholen.“ Damit marschierte er aus dem Zimmer.
Verfluchter Junge.
*~*~*~*~*~*
Je weiter der Abend verlief, desto ruhiger und gesonnener wurden alle in dem abgedunkelten Raum, die Luft und Atmosphäre gefüllt mit Weihnachten. Hermine gesellte sich zu Severus, wo er gegen die Wand gelehnt stand. Sie zeigten keine äußerliche Zuneigung (die Kinder wussten es alle, aber sie sahen keinen Grund darin das Thema anzusprechen), aber sie riskierten es kurz, ihre Finger zu streicheln und sie kurz zu drücken.
Severus bemerkte das Glitzern in Hermines Augen, sie reflektierten das lila Licht und die Kerzen. Mit einem leichten Kopfneigen und einer hochgezogenen Augenbraue fragte er, ob alles in Ordnung war. Sie nickte und sagte nur: „Ich denke, ich brauche eine Dusche. Verwandlung laugt mich immer ganz schön aus.“ Sie wünschte allen noch einen schönen Abend und ging die Treppe hinauf.
Er sah ihr nach, debattierte mit sich, ob er ihr folgen sollte oder nicht. Sie schien ziemlich aufgewühlt zu sein und so sehr er auch wusste, dass Hermine ihn glauben lassen wollte, dass sie gut darin war, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, war es doch allzu einfach zu wissen, wann sie etwas bedrückte.
Er drehte sich wieder zu dem Zimmer um, und sah, wie Luna vor ihm stand.
„Ich weiß, Sie kämpfen mit sich, ob Sie zu ihr hinaufgehen sollen. Ich denke, sie ist etwas aufgebracht. Sie wird etwas Zeit alleine brauchen, aber dann denke ich, wünscht sie sich, Sie wären ihr gefolgt.“
Severus schüttelte mit seinem Kopf. Wie machte sie das nur? Der beste Okklumentiker in ganz Zauberengland, vielleicht sogar der gesamten Welt, und sie konnte seine Gedanken so einfach lesen wie Severus die Gefühle von Gryffindors.
Luna wandte sich von ihm ab, um wieder zu Longbottom auf die Couch zurückzukehren, als Severus sie aufhielt.
„Luna…“ Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Wie machen Sie das?“ Er wusste, sie würde wissen, wovon er sprach.
Sie lächelte. „Ich mache nichts Besonderes. Ich sehe Sie einfach nur.”
„Sehen? Wie eine Seherin?“
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein. Ich sehe Sie einfach nur als Mensch. Sie sagen sehr viel mit Ihren Augen. Sie offenbaren alles, was ein Mensch wissen muss, um Sie zu kennen, wenn man denn bereit ist, auch hinzuschauen.“
Er überdachte ihre Worte.
„Ich weiß, Sie denken Sie seien ein unverwüstlicher Mann, Severus, und ich schätze auf vielerlei Weise sind Sie das sogar. Sie vermuten, nur weil weder Voldemort noch Dumbledore, zwei der größten Legilimentoren der heutigen Zeit, es jemals geschafft haben Sie wirklich zu lesen, seien Sie daher unlesbar. Aber wenn Sie mal darüber nachdenken, Dumbledore hatte sich immer mehr auf seine eigene Agenda konzentriert und so lange Voldemort das gehört hatte, was er hören wollte, hatte er vermutlich nicht sonderlich nachgehakt.“
Lieber Gott, dachte Severus, es ist, als ob diese Hexe während alle dem an meiner verdammten Seite gestanden hätte.
„Aber keine Sorge“, sagte Luna fröhlich mit ihrem typischen verträumten Blick, „wir alle können Sie hier sehen und Sie müssen sich vor uns nicht fürchten.“
*~*~*~*~*
Severus hatte seine Dusche so verwandelt, dass das Wasser nicht länger aus der Brause fiel, sondern wie ein Regenschauer von der Decke. Für einen Mann, der noch vor zwei Tagen behauptet hatte, ihm würde keine Wildnis in sein Haus kommen, schien er dennoch eine Dusche, die wie ein Regenschauer war, zu bevorzugen. Es war auf jeden Fall viel angenehmer, wenn sich mehr als eine Person in der Dusche befand (und sie hatten es ausgiebig getestet). Es war auch eine nette Realitätsflucht – wenn Hermine ihre Augen schloss, dann konnte sie sich vorstellen, draußen zu sein.
Es hatte sie jedes Bisschen Selbstkontrolle gekostet, nicht während der Dekoration zusammenzubrechen. Sie konnte ihre Entfremdung zu ihren Eltern an jedem anderen Tag im Jahr verkraften, aber zu Weihnachten war es einfach zu viel. Zu viele glückliche Erinnerungen an frühere Zeiten, aus ihrer Kindheit, zu viele, aus ihren letzten Jahren. Die letzten paar Weihnachten im Fuchsbau waren wundervoll gewesen, aber zugleich hatte es auch die Tatsache untermauert, dass sie keine eigene Familie mehr hatte.
Ihre Tränen flossen beinahe zeitgleich mit dem verzauberten Wasser von der Decke. Erst stand sie nur unter dem Sprühregen, Kopf nach hinten gelehnt und ließ den Tränen freien Lauf, damit sie sich mit den Regentropfen vermischten. So konnte sie es verstecken. Dann war es in ein Schluchzen übergegangen.
In einem Haus gefüllt mit Menschen, einem, welches sie mit ihrem Geliebten teilte, fühlte sie sich vollkommen alleine. Sie bereute nicht einen Moment, die Erinnerungen ihrer Eltern gelöscht zu haben. Selbst, nach sieben Jahren, war Hermine sich nicht sicher, ob sie versuchen sollte, ihre Eltern zu kontaktieren. Dann auch wieder fürchtete sich Hermine noch immer davor, sie würde sich nie wieder komplett sicher fühlen. Nicht nach allem, was sie gesehen hatte. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte die Zauberwelt über den Fall von Tom Riddle frohlockt. Beinahe vierzehn Jahre später war er wieder zurückgekehrt. Hermine würde es sich erst wieder erlauben sich sicher zu fühlen, wenn denn wieder vierzehn Jahre vergangen waren. Sechs geschafft, acht kommen noch.
Freilich, die Beziehung zwischen ihr und ihren Eltern war schon seit Jahren, noch vor ihrem siebten Jahr, angespannt gewesen. Die Beziehung zwischen Muggelgeborenen und ihren Eltern war oft eine der „haben“ und „nicht haben“ Situationen und mit dem „nicht haben“ wurde die Familie der Kinder langsam neidisch auf ihre Fähigkeiten. So viel von ihrer Welt war ihren Eltern nicht bekannt gewesen; sie würden niemals Hogwarts sehen können, ganz zu schweigen davon es zu besuchen und einige ihrer Geschichten hatten sich vollkommen ohne ihr Wissen abgespielt. Sie hatten nicht gewusst, dass ihre Tochter seit ihrem zwölften Lebensjahr ein Ziel einer Terrororganisation gewesen war. Sie wussten nicht, dass Verwandlung viel schwieriger als Zauberkünste war oder warum die gemischten Zutaten bei ihnen keinen Zaubertrank ergeben würden.
Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Zeit hatte sie mit den Weasleys anstatt mit den Grangers verbracht. Auch das bereute sie. Was für ein anderes Leben hätte sie geführt, wenn die Magie nie da gewesen wäre? Sie wusste, ihre Beziehung zu ihren Eltern wäre um einiges inniger gewesen. Sie konnte sich manchmal nicht entscheiden, ob die Magie das wirklich alles wert gewesen war.
Sie dachte an Severus und was er alles durchgestanden hatte. Ihr eigener Egoismus brachte sie zum Weinen, weil sie ihn nicht lieben wollte. Sie würde seine Begleiterin und Liebhaberin sein, aber Liebe war noch immer beängstigend. Sie weinte wegen ihrer eigenen Eifersucht, weil sie immer nur die Nummer zwei sein würde, im Schatten einer Frau, die während Hermines ganzen Lebens auf einem Podest gestanden hatte. Wenn man Fleisch und Erinnerung gegenüberstellte, gewann immer die Erinnerung und das war, was Lily jetzt war – eine Erinnerung. Es war nicht gesund mit so jemandem eine Beziehung zu führen, intellektuell wusste sie das. Sie sagte sich, als sie weinte, dass sie einfach schon viel zu tief in diesem Projekt drinsteckte (ja, nenn es Projekt), um jetzt, ohne jede Menge Menschen zu verletzten oder verdammt viele Versprechen zu brechen, auszusteigen. Severus hatte ihr nicht leichtfertig, aus freien Stücken, vertraut, und sie würde dieses Vertrauen jetzt nicht missbrauchen. Sie betrachtete es nur als reinen Zufall, dass sie sich bei ihm komplett fühlte, sowohl im wörtlichen als auch übertragenden Sinne, kompletter als je zuvor in ihrem Leben.
Hermine verbrachte jeden anderen Tag im Jahr damit, diese Gedanken wegzuschieben. Heute Abend, einem Abend, den sie normalerweise mit ihren Eltern verbracht hätte statt mit achtzehn Kriegswaisen, wäre es eine andere Welt, da erlaubte sie es sich, darin zu ertrinken.
*~*~*~*~*~*
Severus fand sie zu einem Ball zusammengerollt auf dem Boden der Dusche. Sie gab Laute von sich, die er nie von ihr hören wollte. Qual. Angst. Traurigkeit. Verzweiflung. Und das zu Weihnachten. Blitzartig entledigte er sich seiner Kleidung, kniete sich unter den verzauberten Regen, schloss seine Arme um sie und zog sie an sich heran.
Er schwieg, da er wusste, sie war in der Dusche, um sich vor der Welt zu verstecken. Er wusste, sie wollte alleine sein, aber er dachte, es wäre besser, wenn sie es nicht war. Also hielt er sie, wog sie vor und zurück, platzierte leichte Küsse auf ihren Kopf und strich einzelne Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. Jede Bewegung war ein Akt der Verehrung für die Frau, die innerhalb einer sehr kurzen Zeit sein Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hatte.
Aus vielerlei Gründen hatte Severus in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine Mauer um sein Herz aufgebaut. Der Schmerz Lily zu verlieren war zu viel gewesen. Alleine der Gedanke, dass er jemand anderes, den er lieben könnte, in Gefahr brachte, nur weil dieser jemand an seiner Seite war, war genug, um sich erst gar nicht auf jemanden einzulassen. In den letzten Jahren hatte es daher nur eine Handvoll von rein körperlichen Begegnungen gegeben (immerhin war er auch nur ein Mann). Nach dem Krieg war er verloren gewesen. Hermine erzählte ihm ständig, was für ein Anker er für die Kinder gewesen war, aber in Wirklichkeit waren sie sein Anker gewesen. Sie hatten ihm einen Grund und eine Richtung und ein Ziel gegeben. Severus ging darin auf, Ziele, die er sich gesetzt hatte, zu erfüllen. Indem er versucht hatte ihnen zu helfen und sie zu heilen, hatte er versucht, sich selbst zu helfen und zu heilen.
Dann war Hermine Granger hereingebraust und hatte alles verändert. Er hatte es erst abgewehrt. Er hatte es bekämpft. Jetzt, wo er auf die schluchzende Frau in seinen Armen blickte, war der einzige Gedanke, der ihn durch den Kopf schoss: Gott sei Dank hat sie das getan.
Die Mauern waren mit ihr in der Nacht, in der sein Patronus sie zu einem seiner verängstigten Schützlingen gelassen hatte, um diesen zu trösten, gefallen. Jetzt standen beinahe keine mehr. Wenn sie denn wollte, dann konnte sie ihn komplett zerstören. Seit Lily hatte niemand mehr solch eine Macht über Severus‘ Leben und seinem Herzen gehabt.
Hermine hatte bisher noch nicht auf seine Anwesenheit geantwortet, sondern sich einfach nur ohne Gegenwehr von ihm halten lassen. Nach einiger Zeit schlang sie ihre Arme um ihn und rutschte näher an ihn heran, während der Regen auf sie beide herabrieselte. Schniefend schaute sie zu den Augen ihres Liebhabers auf und sah in seinem Blick solch ein Mitgefühl und Mitleid, das ihr erneut Tränen in die Augen stachen. Bei ihm fühlte sie sich so umsorgt und doch wusste sie, weiter als das würde es nicht gehen. Schweigend beugte er sich einfach nur nach vorne und küsste einmal sanft ihre Lippen, bevor er sie in eine noch festere Umarmung zurückzog.
„Ich vermisse sie“, sagte sie schließlich mit belegter Stimme. „Heute vermisse ich sie.“
„Ich weiß.“
„Vermisst du sie jemals?“
Seufzend schloss er seine Augen und nickte. „Heute tue ich es.“
„Ich bin versucht dein Angebot anzunehmen“, flüsterte sie.
„Entscheide es nicht heute Abend“, flüsterte er zurück.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, ich kann nicht klar denken und würde vermutlich später alles, was ich sage oder tue, bereuen.“
„Und das von einem Gryffindor – welch ein Fest für meine Ohren“, sagte er lächelnd.
„Du bringst mir schlechte Angewohnheiten bei“, murmelte sie.
„Ich fürchte, das Lehren ist tief in mir verwurzelt“, sagte er. „Sollen wir?“ Sie nickte. Er löste sich aus ihrer Umarmung, aber anstatt aufzustehen, schlang er erneut seine Arme um sie und hob sie vom Boden auf. Als er sie einmal sicher in seinen Armen hielt, küsste er liebevoll ihre Lippen.
In diesem Moment kam es ihn in den Sinn, wenn man ihm vor vierzehn Jahren gesagt hätte, er würde eines Tages eine Dusche mit Hermine Granger in Sirius Blacks Familienhaus an Weihnachten teilen, zudem mit Harry Potter und fünfzehn Kindern von Todessern in der unteren Etage, er hätte es niemals geglaubt. Er hätte sich sehr stark dagegen gewehrt, hätte alles in seiner Macht stehende getan, um es zu vermeiden.
Was für ein Trottel er doch gewesen wäre.
*~*~*~*~*~*
Er schlich sich spät, ohne Hermine zu wecken, hinaus. Sie wusste, wo er hingehen würde. Sie wäre vermutlich gerne mitgekommen. Er hätte es ihr untersagt.
Er warf sich seinen dunkelsten Mantel über und schlich aus der Haustür, um in die Nokturngasse zu apparieren, wo er auf das heruntergekommene Gebäude zulief, sein Zauberstab das richtige Muster tippte und er schließlich das Bordell betrat.
„Mr. Snape“, begrüßte ihn Madam Lyudmila. Sie küsste ihn auf beide Wangen und er antwortete ihr auf die gleiche Weise mit einem überzeugenden Lächeln auf den Lippen. „Ich habe sie alle für Sie fertig.“
„Genau wie im letzten Jahr?“
„Genau wie im letzten Jahr.“
„Ausgezeichnet“, sagte er und drückte ihr noch ein paar Münzen in die Hand. „Für Ihre Umstände“, flüsterte er.
„Keine Umstände wegen Ihnen, Mr. Snape“, mokierte sie sich und wies ihn zu den Treppen. „Niemals wegen Ihnen.“ Es war ruhig heute Abend, beinahe leer. Familienväter oder Männer mit Partnerinnen hätten es heute Abend schwer sich davonzustehlen, aber einige schafften es immer. Severus Snape war nicht wie die meisten Männer. Er hatte jedes Jahr sein Ritual wiederholt, hatte immer mehr Mädchen auf seiner Liste hinzugefügt, als er immer mehr Mädchen an diesen schrecklichen Ort verloren hatte. Er hatte sie sich alle vorbestellt, hatte die Premiumgage bezahlt, um sie für die Nacht „beschäftigt“ zu halten und besuchte dann jede Einzelne von ihnen.
Er erreichte das erste Zimmer, in dem sich Brigita Rosier befand. Ihr wässriges Lächeln grüßte ihn und sie fiel in seine Arme. Er führte sie zu dem Bett und setzte sich neben sie, hielt sie, während sie sich einfach nur an ihn klammerte und weinte.
Niemand sollte an Weihnachten alleine sein, schon gar nicht die Mädchen hier.
Materielle Besitzgüter blieben nie lange an solch einem Ort, wie er recht schnell gelernt hatte. Gestohlen von Kunden oder Türsteher oder von Madam Lyudmila selbst, es war sinnlos ihnen irgendetwas zu schenken. Er konnte ihnen keine Heilungstränke dalassen, ohne alles zu riskieren. Er konnte ihnen heute Abend nur zwei Dinge geben: Aufmerksamkeit und Freiheit. Er hatte jedem Mädchen für diese Nacht ihre Freiheit gekauft und würde sie auch mit ihr verbringen. Sie würden weinen, reden oder einfach nur dort sitzen und nichts tun, froh sein nichts tun zu müssen.
Jede von ihnen war anders und er besuchte sie alle nach der Reihe und verbrachte mit jeder ungefähr eine Stunde. Er bereute, dass es nicht mehr sein konnte. Das hier als Gruppe zu machen war keine Option. Sie brauchten Zeit alleine mit ihm, mit seiner vollen Aufmerksamkeit nur auf sie alleine gerichtet. Madam Lyudmilla würde sich nur auf insgesamt sechs Stunden einlassen. Es war nicht genug, nicht einmal ansatzweise genug, aber heute Abend würde es genügen müssen.
„Es tut mir leid“, wisperte Brigita.
„Nicht so wie mir“, flüsterte Severus zurück. „Es tut mir so schrecklich leid, Brigita.“
„Sie haben es versucht. Ich war nicht stark genug.“
„Du solltest es nicht sein.“ Er zog sie nahe an sich heran, als er merkte, wie ihre Tränen sein Hemd durchnässten. „Ich sollte dich beschützen.“ Er drehte sie in seinen Armen und sah sie direkt an. „Brigita, wenn ich dich hier raus holen könnte, dann würde ich das tun, das weißt du, oder? Das weißt du doch, nicht?“
Sie nickte. „Das tue ich. Ich weiß, Sie tun alles, was Sie können.”
Er zuckte bei ihrer resignierten Stimme zusammen. Kein so junges Kind sollte sich so anhören. „Wir finden einen Weg“, murmelte er. Es war Weihnachten. Heute Nacht konnte er sich das Träumen erlauben. Er zuckte kurz seinen Zauberstab und der ferne Gesang von Weihnachtsliedern erfüllte das Zimmer.
„Fröhliche Weihnachten, Brigita.“
„Fröhliche Weihnachten.“
Fünfeinhalb Stunden später schlich ein vollkommen erschöpfter Severus Snape zurück in den Grimmauldplatz. Er zog sich bis auf seine Unterhose aus und schlang sich um seine Hexe, atmete den Duft ihrer Haare ein.
„Wie war es?“
Er schüttelte nur mit seinem Kopf und vergrub seine Nase tiefer in ihren Nacken. „Ich will nicht darüber reden.“
*~*~*~*~*~*
Am Morgen des ersten Weihnachtstages taten sie so, als ob er nicht gegangen wäre und sie lediglich den Morgen da fortsetzen würden, wo sie letzte Nacht aufgehört hatten.
„Severus?“
„Hmm?“
„Ich habe noch etwas darüber nachgedacht. Meine Eltern.“
„Und?“
„Ich… ich kann es nicht tun.“
„Schreib den Gedanken nicht komplett ab.“
„Nein, ich… ich denke, ich muss es“, sagte sie traurig. „Es sind jetzt sieben Jahre vergangen seit ich ihre Erinnerungen und Identitäten verändert habe. Das ist beinahe ein ganzes Jahrzehnt. Wenn ich jetzt zu ihnen gehen würde, mit dir an meiner Seite, und würde es dann rückgängig machen… wäre es dann nicht viel zu traumatisch für sie?“
„Also wenn es richtig gemacht wird-“
„Und was ist mit ihrem Verstand?“, beharrte Hermine. „Sie haben Jahrzehnte falsche Erinnerungen und versteckt sind Jahrzehnte von wahren Erinnerungen. Wenn die plötzlich aufeinandertreffen, würde ihnen das nicht schaden? Würde ihr Verstand in der Lage sein, das zu verarbeiten?“
„Wenn es von einem trainierte Legilimentor-“
„Und“, fuhr Hermine unbeirrt fort, „würde es nicht schrecklich selbstsüchtig von mir sein? Würden sie überhaupt noch eine Beziehung zu mir haben wollen? Ihre Tochter, die nur mit einer Zauberstabbewegung einfach so Leben nehmen und geben kann. Sie könnte es wieder tun, oder nicht, wenn sie zum Beispiel wütend wäre? Sie könnte es genauso leicht mit einem bösen Hintergedanken, wie mit einem gut gemeinten tun. Und was könnte sie noch alles mit ihnen anstellen?“
„Hermine…“
„Du weißt, ich habe recht, nicht? Ich weiß, wir könnten sie wieder zurückholen, aber zu ihrem Wohle weiß ich wirklich nicht, ob wir es tun sollten.“
Severus überdachte dies. Es gab Möglichkeiten lang verlorene Erinnerungen wieder zurückzuholen, besonders bei denen, wo auch die Identität verändert worden war. Aber Hermine hatte einen Punkt – je länger man wartete, desto größer war das Risiko für einen ernsthaften Schaden.
„Hermine… sagst du das alles wirklich, weil du dich um ihr Wohlergehen sorgst, oder willst du lediglich eine unangenehme Konfrontation vermeiden?“
Sie schüttelte mit ihrem Kopf. „Seit vielen Jahren war das wirklich der Grund gewesen und du hast mich dazu gebracht lange und gründlich darüber nachzudenken. Aber… sie haben jetzt ihr Leben und ich bin kein Teil davon. Ich habe zu lange gewartet und ich denke, es würde mehr Schaden als alles andere zufügen. Ich bereue es… so sehr.“ Ihre Stimme begann zu brechen. „Das ist eine Reue, mit der ich jetzt für mein restliches Leben auskommen muss.“
„Ich weiß ein oder zwei Dinge über Reue“, flüsterte Severus. „Ich will nicht sehen, wie du so dein Leben verschwendest.“
„Ich auch nicht“, antwortete sie traurig. „Aber du weißt, ich habe recht, oder? Du hast ja keine Ahnung, was es mir bedeutet zu wissen, dass du mir helfen würdest, aber… ich denke, ich schulde es ihnen, damit sie in Frieden und Sicherheit leben können. Obwohl“, fügte sie dann mit sicherer Stimme hinzu, „ich würde sie gerne sehen. Irgendwann, wenn meine Anwesenheit hier nicht mehr so oft benötigt wird, werde ich nach Australien gehen und sie sehen, mit meinen eigenen Augen. Aus der Ferne.“
„Wird das reichen?“
Sie seufzte. „Das wird es müssen.“
„Das Angebot wird immer stehen, Hermine“, sagte Severus. „Immer. Selbst wenn du ich… obwohl ich das nicht beabsichtige… aber sollten wir uns… dann würde ich dir dabei zur Seite stehen.“
Sie zog ihn für einen innigen Kuss an sich heran. „Und das, Severus Snape, ist der Grund, warum ich dich liebe.“
Sie schnappte nach Luft und wich, sobald die Worte ihren Mund verlassen hatten, von ihm zurück.
Liebe?
Liebe?
Sie erstarrte.
Er erstarrte.
*~*~*~*~*~*
Im nächsten Kapitel: Das Nachspiel, ein Besucher und der wahre Grund, warum Severus den Todessern beigetreten ist.
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Freitag, 02.06.
Mittwoch, 24.05.
Der Tod ist in allen sieben Büchern ein ganz bedeutendes Thema.
Joanne K. Rowling