"Unfassbar. Seht ihn euch an, jetzt schaut er aus, wie ein Engel!", entrüstete sich Flora Corner. Lily blickte zu dem kleinen Anthony hinüber, der sich in seinem Tragesitz befand und mit einem seligen, winzigem Lächeln auf den Lippen schlief. Man konnte wirklich kaum glauben, dass Floras Sohn noch vor weniger als fünfzehn Minuten einen Wahnsinns Terz veranstaltet hatte. "So sind sie, die Knirpse", erwiderte Joceline Davies, Lilys beste Freundin, altklug, "ich sprech da aus Erfahrung. Immerhin bin ich das Zweitälteste von vier Kindern." Sie strich sich ein paar blonde Locken aus dem Gesicht. "Und du hast bestimmt genau in Erinnerung behalten, wie Florentin sich als Säugling verhalten hatte, mit deinen damals stolzen zwei Jahren.", spottete Fred Weasley und Jo rollte mit den Augen.
Sie saßen im Mutter- Kind- Heim für Hexen in Floras Zimmer. Sie hatte es im Janauar diesen Jahres bezogen, nachdem ihre Eltern sie in den Winterferien hinaus geschmissen hatten, als sie erfahren hatten, dass ihre siebzehnjährige Tochter schwanger war. Flora hatte ihre Mutter nur noch einmal kurz nach der Geburt ihres Sohnes, am 23. April, gesehen, sie hatte es einen 'Anstandsbesuch' genannt, was wohl auch zutraf, denn seitdem herrschte wieder Funkstille. Nun, beinahe zwei Monate später, war der einundzwanzigste Juli. Lily war gerade am Vortag von ihrer Segelwoche mit Damian heimgekehrt und hatte den anderen ausführlich davon berichtet. Anschließend hatte Joceline von ihrem und Cedrics Campingtripp erzählt, war dann aber von Anthonys Geplärre unterbrochen worden.
"Ich bin ja mal gespannt, ob Liv ein sanfteres Gemüt an den Tag legen wird", sagte Lily und grinste. Flora sah sie stirnrunzelnd an: "Liv wer?" "Flower, hast du es noch nicht gelesen? Lily ist gestern Tante geworden!", antwortete Fred und lachte über den verdutzten Gesichtsausdruck seiner Freundin. Lily bewunderte die Liebe und Begeisterung, die er Flo's Sohn schenkte, denn Anthony war nicht sein leibliches Kind. Er und Flora waren erst im Februar zusammen gekommen, als Letzere bereits im siebten Monat schwanger gewesen war. "Ach wirklich?", fragte Flora, nach wie vor verblüfft. "Warte, ich hole die Zeitung.", kicherte Joceline und stand auf, um das Zimmer zu verlassen. "Nimmst du noch ein paar Weintrauben mit?", fragte Fred, doch Jo entgegnete nur frech: "Hol sie dir selber!" Noch ehe Lilys rothaariger Cousin ihr einen Spruch hinterherwerfen konnte, war sie aus dem Raum geflüchtet und hatte die Tür geschlossen. "Doofe Kuh.", murmelte Fred und tat beleidigt. Lily boxte ihm spielerisch in die Seite und lachte.
"Jetzt ehrlich, Fiona hat gestern ihr Kind bekommen?", kam Flo aufs Thema zurück und Lily nickte bestätigend. "Die Kleine hatte vielleicht ein Timing drauf- ich war gerade zur Tür herein, appariert vom Hafen- hatte noch die Tasche in der Hand- da flatterte auch schon Albus Eule ins Haus und brachte diese umwerfende Neuigkeit. Also gestern war wirklich reichlich Trubel." "Ich bin mal gespannt, wann bei den beiden die Hochzeitsglocken läuten werden!", grinste Joceline, die in dem Moment zur Tür hinein schlüpfte. Sie stellte einen Teller mit Weintrauben auf den Tisch, grinste Fred spitzbübisch zu und ließ sich erneut neben Lily auf dem kleinen Ecksofa nieder. Dann breitete sie in aller Ruhe die Zeitung aus und las laut vor:
"21.Juli.2026
ALBUS SEVERUS POTTER IST VATER GEWORDEN
Am Abend des zwanzigsten Julis kam Albus Severus (19) Tochter Liv Potter zur Welt! Er und seine Freundin Fiona (20) hatten schon den ganzen Monat voller Aufregung auf dieses Ereignis- ja, man kann es als Wunder bezeichnen- gewartet. "Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dein eigen Fleisch und Blut im Arm zu halten.", erzählte Albus, als er das Krankenhaus verließ. "Deine Tochter zu betrachten und sie als perfekt anzusehen. Und sie hat auch noch Fionas Augen geerbt! Da ich weiß, wie machtvoll dieses braunfunkelnde Augenpaar ist, bin ich mir schon jetzt sicher, dass ich der Kleinen später kaum etwas abschlagen kann- diesen Augen kann man nicht widerstehen!" Und was sagt der berühmteste Zauberer der Welt zu seinem ersten Enkelkind? "Es gibt keine Worte, die umschreiben können, wie ich mich gerade fühle.", war Harry Potters (45) Kommentar. "Sagen wir es mal so, ich habe noch nie ein schöneres, vorgezogenes Geburtstagsgeschenk erhalten." Auf die jungen Eltern wird jetzt sicherlich eine spannende aber auch harte Zeit zukommen. Dennoch besteht kein Zweifel, dass sie diese Zeit gemeinsam meistern werden und dabei viele bezaubernde Momente mit ihrer Tochter Liv verbringen werden. Wir wünschen dem Paar alles Gute zur Geburt ihres ersten Kindes!
Diana McDonald für die Spinx"
"Wer hätte das noch letzten Sommer erwartet?", grinste Flora. "Niemand. Aber das letzte Schuljahr kam mit einigen Überraschungen um die Ecke", antwortete Joceline. "Das ist richtig.", stimmte Lily zu. Es war wirklich unheimlich viel passiert im vergangenem Schuljahr- ihr Abschlussjahr auf Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. Sie war nach einigem Hin und Her und nicht wenigen Turbulenzen mit ihrem Schulsprecherkamerad aus Slytherin- Damian Flint- zusammen gekommen und hatte dafür den begehrten, gutaussehenden Gryffindor-Quidditchstar Sean Mcmillan verlassen (wobei sie sie sich aufgrund genannter Turbulenzen eher gegenseitig verlassen hatten). Inzwischen waren sie und Damian seit vier Monaten zusammen. Joceline und Cedric Wood- Seans bester Freund- waren ein Paar geworden, nachdem Erstere so getan hatte, als wäre sie mit Lilys Ex-Freund Robin zusammen, um Ced eifersüchtig zu machen (entgegen ihrer Erwartung hatte der Plan funktioniert. Robin hatte aus demselben Grund mitgespielt- allerdings ging es ihm nicht um Cedric, sondern um Lily- diese jedoch hatte ihm, nachdem die Scheinbeziehung aufgelöst war, eine Abfuhr erteilt).
Lily hatte gemeinsam mit Damian im vorherigen Dezember den 'Golden Cauldren Competition' gewonnen, ein weltbekannter Zaubertrankwettbewerb. Noch heute erinnerte sie sich an das triumphale Gefühl von damals und an die unglaubliche Tatsache, dass sie und Damian die jüngsten Gewinner dieses Wettkampfes waren. Zwar hatten sowohl sie als auch Damian ein leidenschaftliches Talent für Zaubertränke, doch dass dieses so ausgeprägt war, hätte sie zum damaligen Zeitpunkt nicht erwartet. Diana McDonald, die Reporterin, die auch Albus nach Livs Geburt interviewt hatte, hatte sie sogar gefragt, ob sie ihr Talent später als Beruf ausüben wollte. Doch Lily hatte seit Jahren einen konkreten Berufswunsch vor Augen, und diesen auch erhalten; sie würde jetzt am ersten September ihre Ausbildung als Vampirologin beginnen.
Damian hatte einen Platz an der Jainkaits- Akademie in Irland bekommen- bei dieser konnten sich ausgebildete Hogwartsschüler noch fortbilden. Dort würde er ab dem ersten August Zaubertränke studieren, um sich in drei Jahren den Titel 'Meister der Zaubertränke' zu erwerben und die offizielle Lizenz als Zaubertrankbrauer zu erhalten, mit der es ihm ermöglicht wurde, frei zu forschen und für alle möglichen Unternehmen und Institutionen zu brauen. Auch, wenn Lily sich sehr für Damian freute, bedeutete dieser Umzug nach Irland eine ganze Menge für ihre Beziehung. Sie und Damian stand eine dreijährige Fernbeziehung bevor und sie hatte keine Ahnung, wie sie das auf die Reihe kriegen sollten, wenn man bedachte, dass sie ihren Freund bereits jetzt schrecklich vermisste, obwohl sie erst am gestrigen Tag auseinander gegangen waren.
"Für mich hat das letzte Jahr auch eine gewaltige Umstellung mit sich gebracht.", riss Flora Lily aus ihren Gedanken. "Endlich hatte ich es zugelassen, mein Herz zu vergeben. Und ich hatte einen kompletten Wandel durchlebt, von einem Teenager, der entsetzt über die Folgen einer heißen Nacht war, zu einer sorgenden Mutter...", sie stoppte lächelnd und blickte zu ihrem Sohn hinab, der noch immer friedlich schlief. Behutsam strich sie ihm über den Kopf. Lily beobachtete die Szene nachdenklich. Wenn ihr jemand letzten Oktober erzählt hätte, dass Flora einmal eine feste Bindung eingehen und ein Kind bekommen würde und sie, Lily, sich nicht vorstellen könnte, länger als zwei Tage von Damian getrennt zu sein, dann hätte sie demjenigen geraten, mal ins Stand Mungo zu gehen. Denn Flora hatte die Kerle zu dem Zeitpunkt nur so vernascht, ohne auf ihre Gefühle zu achten und sie besser kennen zu lernen und Lily und Damian hatten sich nicht ausstehen können. Unglaublich, wie sich die Dinge entwickeln konnten.
In dem Augenblick sagte Joceline mit leiser aber eindringlicher Stimme: "Und das schmerzlichste Geschehen, was in uns allen ja eine gewaltige Bestürzung ausgelöst hatte, war natürlich Bens Tod..." Lily schluckte. Noch immer war es nicht einfach, darüber zu sprechen, auch, wenn sie es geschafft hatte, ihren besten Freund loszulassen. Er war bei dem großen Werwolfüberfall im März durch die Hand des Rudelanführers ums Leben gekommen . Dieser saß zusammen mit seinen Mitstreitern inzwischen hinter Gittern, aber Ben würde für den Rest ihres Lebens an ihrer Seite fehlen.
"Ja, das war wirklich eine schlimme Zeit.", bemerkte Flo und ihr liebevoller Gesichtsausdruck für Anthony hatte sich zu einem ernsten gewandelt. "Ich denke heute noch beinahe täglich an Ben.", gestand Jo. "Das tue ich auch.", murmelte Lily. "Es wäre auch der total falsche Weg, ihn zu vergessen.", entgegnete Fred. "Immerhin lebt er in euch weiter." "Ganz bestimmt", flüsterte Flora, "das Leben ist seltsam. Hier verlierst du einen Freund... und dort-", sie stockte und streichelte Anthonys Gesicht, "-schenkst du neues Leben." "Das ist wahr.", schloss Lily sich an. Kurz senkte sich Stille über sie.
Plötzlich richtete Joceline sich auf und sagte mit bewegter Stimme: "Benjamin Bones war ein fürsorglicher, gerechter und treuer Freund, stets hilfsbereit und mit einem Lächeln auf den Lippen. So und nicht anders wollen wir ihn in Erinnerung behalten und seine guten Wesensmerkmale und seine hingebende Art bewahren." Sie lächelte matt. "Ich glaube, ich habe Professor McGonagalls Rede in meinem Herzen gespeichert. Denn sie ist so wahr." "Und so, wie sie es sagte, soll es sein.", antwortete Fred . Die anderen stimmten nickend und lächelnd zu. "So soll es sein."
Es war, als hätten sie mit diesem Zuspruch, dieser Bestätigung, einen unsichtbaren Pakt vereinbart. Sie würden ihren Freund nicht vergessen, sondern die Erinnerung an ihn wahren, so, wie er es verdient hatte.
Das darauffolgende Schweigen war unheimlich tröstlich.
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TBC
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