von Winkelgassler
Nach einer gefühlt ewigen Nacht, in der er von holländischen Rundfunksendungen, Fußball spielenden Hausgeistern und fliegenden Containerschiffen geträumt hatte, erwachte Neville mit salziger Seeluft in der Nase und dem Rascheln des Reetdachs über seinem Kopf.
Hannahs Bett war bereits leer und ordentlich gemacht. Nach dem Anziehen, dass an diesem ersten Morgen in der Fremde länger dauerte als normal, dank der unübersichtlichen Geräumigkeit des magisch vergrößerten Koffers, fand er sie draußen vor dem Haus, wo sie und Raloo entspannt auf einer Bank lehnten, Morgensonne tankten und auf ihn warteten.
»Da bist du Schlafmütze ja endlich. Nun lasst uns erstmal etwas frühstücken.«
Auf ihren Leihbesen schlossen sie sich dem gemächlichen Strom der schlaftrunkenen Schüler an und folgten ihnen zum Speisesaal. Dort fanden sie drei Platz am Tisch von den vier bekannten holländischen Gesichtern des Vortags. Und dieses Mal erzählten diese ihnen etwas von sich, von den Kursen die ihnen dieses Jahr bevorstanden, dem Glück keine Nachprüfungen schreiben zu müssen, und dem tollen Wetter, das absolut keine Selbstverständlichkeit sei. Manchmal wenn ganz schlimme Orkane über die Insel tobten fände kein Unterricht statt, stattdessen bliebe jede Hausgemeinschaft unter sich und kümmere sich um Hausaufgaben, Aufsätze und Referate. Deshalb war auch jedes Haus mit Bädern, Küche und Vorratskammer autark ausgelegt. Vor etwa zwei Jahren, im Winter, habe ein eisiger Orkan mit zugehöriger Sturmflut sie für anderthalb Wochen in den Häusern gehalten. Und schon nach dem vierten Tag hingen ihnen die Pfannkuchen zum Hals raus, und die „Kleinen“ sich gegenseitig an der Gurgel.
Als Abschluss tauschte man Adressen und endlich auch Namen aus, verabschiedete sich von Leentje, Milo, Hendrik und Joris, und begab sich abermals zum Haus des Professors.
Dort erwartete sie diesmal kein Rasen mähender Hauself, sondern ein Zettel, der über dem Gartentörchen schwebte.
Bin am Weststrand,
Heintje
stand mit hastiger Handschrift darauf gekritzelt. Wieder sattelten sie ihre Besen und folgten mit der Sonne im Rücken dem Pfad zum Deich hinauf. Dort bat sich im Vergleich zum Vortag ein leicht anderes Bild. Wie eine immerwährend galoppierende Herde weißer Pferde schäumte in der Ferne die Brandung, und davor lagen dank der Ebbe gefühlte zehn Kilometer glänzendes Watt, doch nicht nur das. Ein Priel schlängelte sich wie ein unstetes Flüsschen durch die Ebene und versandete vor ihnen am Strand. Genau dort wo ein anderer Besucher sich in den Sand gehockt hatte.
»Ahh, das wird Heintje sein, den Hut kenne ich.« sprach Raloo freudig und sauste mit seinem Besen die Düne hinab.
Als sie näher kamen wurde ersichtlich das Raloos Freund dort keine Muscheln sammelte. Aus dem Wasser des Priels lugte der schuppig grüne Kopf eines Wassermenschen, mit dem er im Gespräch vertieft schien.
»â€¦ mar de Europeeske Zuuwereii Gemiinschoft wol oan soksoarte bedriuwsaktiviteiten tenei gjin jild mear útjaan en sil besykje takende stipe yn te lûken as yllegale praktiken bewiisd binne, oh, meine Gäste haben mich gefunden.«
Erstaunlich dachte sich Neville, wie er mitten im Satz von was auch immer das vorher war zu makellosem Englisch gewechselt hatte. Professor Haakebeck machte auf den ersten Blick einen äußerst sympathischen Eindruck. Lotsenmütze und ausladender Walrossschnurbart passten eindeutig in diese Gegend.
»Darf ich vorstellen? Visstick, Botschafter der Nebler Niederungen. Visstick, dies sind mein alter Freund und Kollege Raloo Moustakis und zwei Besucher aus England.«
Für einen Moment war Neville sich unsicher, wie man einen Wassermenschen richtig begrüßte, ob man ihm wohl die Hand reichen sollte, doch da jener seine Arme unter Wasser behielt und dann mit einem Nicken und einem Flattern der wie ein Spitzbart aussehenden Tentakeln unter seiner Nase auf die Vorstellung antwortete, tat Neville es ihm gleich, nur ohne das Flattern.
»Jana und Merill, richtig? Mein Hauself hat mir von ihrer Ankunft berichtet, als ich von Læsø zurück war. Ist Mr Felbermayr auch da?« sprach der Professor.
»Hannah und Neville heißen die beiden, Levon konnte leider noch nicht.«
»Hmm, das ist schade, hatte mich darauf gefreut ihn mal wieder zu treffen.«
»Tja, Termine Termine .. du hattest mir geschrieben dass du große Fortschritte mit deinem Projekt gemacht hast.«
»Ja, allerdings!« strahlte Prof Haakebeck zurück. »Wie du gerade gesehen hast funktioniert jetzt alles so wie es soll. Und dazu noch viel platzsparender.«
Er drehte seinen Kopf zur Seite und zeigte dabei auf sein Ohr. Dort zierte ein kleiner Stecker sein Ohrläppchen, nicht größer als ein Fingernagel, in Form einer kleinen perlmuttfarbenen Schneckenmuschel.
»Hui, das ist echt besser. Die letzte Version die ich gesehen hab war noch so groß wie eine Teetasse.«
»Ja richtig, aber zwischen der und dieser hier liegen noch drei andere, man geht eben immer Schritt für Schritt vor, wie das immer so ist. Ich hab viel experimentiert, ein paar von meinen Schüler sind mir kräftig zu Hand gegangen…«
»Jaja..«
»Entschuldigung«, unterbrach Neville das Gemauschel.
»Worum geht es hier? Was macht dieses kleine.. Ding?«
»Achso«, bellte Prof Haakebeck erschrocken, als hätte er die beiden anderen Gäste wieder vollkommen vergessen. »Dies ist eine Erfindung von mir, bei der mir Mister Moustakis einst geholfen hat. Dieses kleine Ding wird die weltweite Kommunikation revolutionieren wenn es endlich vollkommen marktreif ist. Ich habe sie Babelschnecke getauft!«
»Hey, die Idee für den Namen hatte immer noch ich!« warf Raloo ein. »Also, dieses kleine Ding was er dort trägt ist eine vollkommen neue Art von Übersetzungapparat.
Ihr erinnert euch vielleicht an die großen Hörrohre, die man zum Beispiel bei den großen Sportveranstaltungen bekommen kann? Die funktionieren immer nur für die paar Sprachen, für die sie verzaubert wurden, und das nicht sonderlich gut, bei der letzten Quidditch-WM gab's welche die überall Schimpfwörter eingebaut haben, hat zu einigen Tumulten geführt-«
» - und weil diese Übersetzungszauber so unzuverlässig und beschränkt sind, bin ich einen anderen Weg gegangen.« übernahm der Professor wieder das Wort.
»Es gibt hier in der Nordsee eine besondere magische Schneckenart, die die hiesigen Wassermenschen seit jeher für ihre Zauberei verwenden. Mit ihnen als Grundlage habe ich - Wir die Babelschnecke entwickelt. Sie funktioniert vollkommen anders - am besten probiert ihr es einfach mal aus. Dafür seit ihr ja schließlich hier, nicht wahr?«
Und dann begann er mit seinem halben Arm in einer Innentasche seines Umhangs zu wühlen. Darum hatte sie Raloo also zuerst hier hin gebracht: Um Versuchskaninchen zu spielen. Wofür sich ihre lange Reise aber natürlich ausgesprochen anbot.
»Welche Sprachen kann das Ding denn übersetzen?« fragte Neville in die Runde. Professor Haakebeck überlegte erstaunlich lange, und antwortete dann, immer noch mit dem Arm im Umhang versenkt:
»Alle, wenn man es genau nimmt. Weiß nicht wie es bei Troll ist, hatte noch nie die Chance mit Schnecke mit einem zu sprechen.«
»Alle!?« rief Hannah erstaunt.
»Ja, weil es eigentlich kein Übersetzungszauber ist - hier, probiert sie einfach aus.«
In seiner ausgestreckten Hand lagen zwei weitere kleine Muschelstecker. Hannah nahm sich ihre ohne zu zögern, doch Neville hielt sich zurück.
»Die muss jetzt an mein Ohr?«
»Genau, wie ein normaler Ohrring. Wenn du noch kein Ohrloch hast musst du dir eben kurz eins zaubern. Ohne geht's nicht.«
Dann, offenbar weil er keine dritte Schnecke dabei hatte, nahm er seine eigene ab und reichte sie dem Griechen, der sie ohne zu zögern an sein rechtes Ohrläppchen steckte.
»Oh ja, das ist angenehmer, bei der alten hat man den Kopf irgendwann schräg gehalten weil sie so schwer war.« plauderte er und blickte sich um. Neville war noch kein Stück weiter.
»Na los Merill, sei kein Frosch!«
Zum ersten Mal überhaupt zog Raloo seinen Zauberstab aus der wohl für jenen gedachten Tasche seiner Lederhose. Mit dem kurzen bernsteinfarbenen Stab, nicht länger als 9 Zoll, zielte er gefährlich auf Nevilles Kopf.
»Ligu Trypitiosis!«
Und eine schmerzvolle Sekunde später spürte dieser das kleine Schneckenhaus am nun perforierten Ohrläppchen.
»Siehst du, war doch gar nicht so schlimm. Jetzt siehst du gleich viel wilder aus, wie ein Pirat, stimmt doch Hannah, oder? Ein bisschen Verwegenheit macht deinen Freund doch gleich viel attraktiver, nicht wahr?«
Glucksend ließ sie Raloos Frage unkommentiert, und tauschte stattdessen ihren eigenen linken Ohrstecker gegen die kleine Babelschnecke aus.
»Und, funktioniert deine Schnecke?« fragte sie der Grieche daraufhin präzise.
»Keine Ahnung, ich weiß nicht woran ich das merke.« erwiderte Hannah.
»Keine Sorge, sie funktioniert. Ich habe gerade in meiner Muttersprache gefragt, und du hast, für mich zumindest, in nur leicht englisch akzentuiertem Griechisch geantwortet. Muss schon sagen, ich bin beeindruckt! So sauber hat das ganze bisher noch nie funktioniert.«
»Wir können nun jeden verstehen, aber wie antworten wir, wenn das gegenüber keinen solchen Stecker hat?« fragte sie zurück.
»Das ist ja gerade das besondere an meiner Erfindung.« beantwortete Prof. Haakebeck ihre Frage freudig. »Es braucht nur einen. Eurer gegenüber wird das was ihr sagt immer verstehen, wenn ihr wollt und wisst das derjenige zuhört. Ich spreche gerade Friisk mit euch, und auch für mich erscheint eure Sprache als jene, einfach weil ich in dieser Sprache denke. Denn statt einfach den Schall zu übersetzen liest die Babelschnecke die Sprachgedanken mit und sendet sie an eurer gegenüber, alles andere an Gedankengut wird ignoriert. Und genauso empfängt sie die Sprachgedanken eures gegenüber. Aus dem Grund funktionieren sie nur im direkten Gespräch, ihr könnt damit nicht lauschen oder von ferne zuhören. So habe ich auch vorhin mit Visstick sprechen können, oder eher er mit mir. Im Verstehen von Friisk sind die Wassermenschen der Nordsee allesamt sehr fähig, nur umgekehrt ist es immer schwer … Meerisch eben .. deshalb habe ich meine Schmuckstücke ursprünglich ja entwickelt.«
»Das heißt wir können damit Gedanken lesen? Wie ein Telepath?«
»Nein, die Babelschnecken lesen und übertragen ausschließlich die Sprachgedanken, wenn ihr zum Beispiel denkt „die See ist ruhig“, dann denkt ihr ja nicht an die Bewegung von Zunge und Lippen, sondern habt ein mentales Bild, das ist der Sprachgedanke der gesendet wird. Unsere allerersten Prototypen hatten da noch Probleme mit, haben auch Gefühle und so gesendet, aber diese hier sind, soweit ich das testen konnte, einwandfrei. Mein Lehrposten hier erlaubt es mir leider nicht um die Welt zu reisen und sie in anderen Sprachräumen zu testen, vor allem der asiatische Raum dürfte interessant sein. Deshalb überlasse ich sie euch.«
»Vielen Dank, das wird uns eine sehr große Hilfe sein.« bedankte sich Neville stellvertretend. Und innerlich dankte er Raloo, das dieser an dieses kleine Detail mit dem Sprachproblem gedacht hatte. Daran dass nicht jeder auf der Welt Englisch verstände und spräche hatte er zugegebenermaßen nie wirklich gedacht, die bisherigen Erfahrungen in Hogwarts und im Ministerium waren einfach immer anders gewesen.
»Nichts zu danken, berichtet mir einfach ab und an wie es euch mit ihnen ergeht. Bitte denkt daran sie abends vor dem Schlafengehen abzunehmen, und am besten auch wenn ihr vorher wisst das ihr sie nicht braucht.« fügte Prof Haakebeck an seine Erklärung an. »Wenn man die Schnecken zu lange trägt wird man irgendwie - komisch, man versteht zwar den Sinn des Gesprochenen, aber die Worte verschwimmen zu einem auralen Brei, nun ja, schwer zu erklären, fragt lieber nicht woher ich das weiß.« Und im nächsten Augenblick entfuhr ihm ein kurzes, piepsiges Lachen.
»Ich denke wir müssen dann langsam auch weiter, wir werden heute Mittag in Trier erwartet, und wir sollten uns nicht hetzen müssen. Dürfen wir wohl deinen Kamin benutzen?« sprach Raloo nach einem Blick auf seine Armbanduhr.
»Natürlich, fühlt euch wie zuhause.« bejahte er heiter. »Oder warte, ich komm mit. Jetzt wo du meine Schnecke hast kann ich mit Visstick eh schlecht reden.«
Er hockte sich wieder herunter zu dem Wassermenschen, dessen Kopf immer noch aus dem Priel lukte. Offenbar hatte der grüne Gast die ganze Zeit aufmerksam gelauscht.
»Ich versuche heute noch die Fischereikommission zu erreichen, mal sehen was die dazu zu sagen haben. Wir sehen uns dann morgen wieder hier, selbe Zeit?« sprach Prof Haakebeck ihn vermutlich auf Friisk an, das für sie Babelschneckenträger aber wie makelloses Englisch klang, schließlich wusste er das sie zuhörten.
Der Wassermensch nickte, zischte flüchtig ein bis Morgen durch den flatternden Tentakelbart, und verschwand anschließend lautlos im Wasser.
Mit dem Professor huckepack flogen sie wieder ins Inselinnere. Erst holten sie schnell ihr Gepäck, dann fanden sie sich wieder vorm seinem Haus ein.
»Ich bin ein bisschen Relaisstation zwischen den Zauberern hier und den Wassermenschen, vermittle zwischen ihnen. Wenn die Babelschnecken gut und verlässlich funktionieren wird das vielleicht eines Tages nicht mehr nötig sein.« erzählte er Hannah und Neville, während er die halben Dutzend Schlösser an seiner Haustür nacheinander aufschloss.
»Hab hier viele wertvolle Sachen drin. «
Doch auf den ersten Blick wirkte es in der guten Stube recht nüchtern. Eine Küchenecke, ein Esstisch, Bänke und Regale voller Bücher füllten diese Seite des Raumes, der von den offen stehenden Tragebalken der oberen Etage Struktur bekam. Der große Kamin wartete in der Mitte des Raumes am gemauerten Schornstein.
»Super, dann kann es ja weitergehen.« sagte Raloo und griff sich eine ordentliche Ladung Flohpulver. Er zog ein Stück Pergament aus der Hosentasche, und zeigte es seinem Freund. »Ähm, Heintje, die hier Adresse kam heute Morgen von Levon per Eule. Wie spricht man das aus?«
»Zeig mal … ah, das Rotkäppchenstüblein in Breitenhees, da war ich schonmal, ist gar nicht so weit von hier. Bei Trier ist das aber nicht.«
»Natürlich nicht, aber da in diesem Schtiebblein ist Levon grade.«
»Stüüüblein. Versuchs so kantig wie möglich auszusprechen. Und nimm die Babelschnecke eben ab, die stört dabei eher.«
Er tat wie geheißen und stellte sich mit Hannah und Neville in die Feuerstelle.
»Rooot-kääp-chen-Stüübb-lein-Breiten-heeees.«
Raloo folgte dem Vorgesprochenen so sauber und scharf er konnte, warf das Pulver unter sie auf die glimmenden Holzscheite, und ab ging es in einer grünen Flamme zur nächsten Zwischenetappe.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel