von Winkelgassler
Vor ihnen lag eine Lounge, ganz im Stil des restlichen Flughafens, wenn nicht sogar noch ein wenig futuristischer, doch bevölkert mit einem Anblick der letzten beiden Wochen.
Hunderte Menschen, deren Kleidung sie eindeutig als Zauberer identifizierte, standen in Warteschlangen an Schaltern und saßen auf größeren Versionen der Sitzbänke, die auch im restlichen Flughafen überall zu finden waren. Eine Art Zaun mit bewachten Durchgängen trennte die Lounge auf, und auf der anderen Seite warteten neben weiteren Bänken ein Bistro, ein kleiner Laden, eine große Garderobe wie aus einem Theater und auch einige Umkleidekabinen.
Es war offenbar für alles gesorgt. Kaum dass sie den Raum betreten hatten trat eine uniformierte Angestellte an sie heran, die nach einem Blick auf die Tickets auf eine der Schlangen verwies. Während des Wartens erklärte ein freundlicher und äußerst unmagisch aussehender Mitarbeiter den drei Diplomaten ein wenig über diese Einrichtung.
»â€¦ als die Muggel diesen zweiten Terminal neu gebaut haben wurde dann diese Lounge abgezweigt und für unsere Zwecke umgebaut. Im offiziellen Flughafenplan ist sie verschwunden, die von Terminal 1 denken hier wäre schon 2, die von Terminal 2 legen sie zu 1. So können wir erstmals eine speziell auf Zauberer zugeschnittene Betreuung anbieten. Wunderbare Sache, so viel wie heute war hier aber noch nie los. Seit heute Morgen steht auch endlich der Anschluss an das Flohpulvernetzwerk, nun ist die Anreise viel einfacher, und unauffälliger.«
Die Schalter selber waren eine seltsame, aber offenbar sehr effiziente Mischung aus Magie und elektrischer Muggeltechnik. Es gab einen Bildschirm und eine Tastatur, doch darauf tippten anstelle von Fingern mehrere springende Murmeln herum, so dass das Personal jede Menge Zeit hatte sich um die mitunter widerspenstigen Gepäckstücke zu kümmern. Die Koffer und Taschen wurden auf deren Verhalten in Muggelscannern untersucht und falls nötig in eine magische Starre gehext, damit sich keiner der Kofferzauber während eines Fluges oder bei der Handhabung durch das Bodenpersonal selbstständig machte. Danach verpufften sie in einem Rauchwölkchen, um direkt irgendwo am Flughafen in die Ladung des jeweiligen Flugzeuges eingereiht zu werden. Dabei schien ein Schalter zwar immer dieselbe Zielregion, hier Fernost, aber durchaus dutzende Flüge abzudecken, zumindest wechselte der Monitor immer wieder die Fluglinie und die Flugnummer. Alles in allem eine Meisterleistung der hiesigen Zauberer.
Nach einem kurzen Hinweis auf die Sicherheitskontrollen und die angebotenen Erstfliegerkurse ging es weiter zur nahesten Sicherheitsschranke.
»Guten Tag, bevor sie eintreten dürfen muss ich sie bitten alle magischen Gegenstände ihres Handgepäcks hier abzulegen, Stäbe, Brillen, Hörrohre…«
Alle drei legten ihre kleine Auswahl an Dingen in jeweils ein Körbchen, die anschließend mit einem Werkzeug aus allerhand Antennen, Drähtchen und Hölzchen untersucht wurden. Mit besonderen, einstudierten Bewegungen führte der Beamte das Gerät über Babelschnecken, Insektatoren und die magisch erweiterten Reisepässe der drei, auf alle Formen von schwarzer und für den Flug gefährlicher Magie prüfend. Doch für ihre Zauberstäbe nahm er sich besonders Zeit.
Mit bloßen Händen befühlte er sie, beklopfte sie mit seinen Fingernägel und horchte auf irgendeine Art in die Hölzer hinein.
»Man sieht das sie Brite sind,« kommentierte er Nevilles Stab. »Das ist eines von Mister Ollivanders Kunstwerken. Kirsche, spannbar und stark, ein schöner Stab. Aber der ihre verwirrt mich etwas. Ich wusste nicht das Ollivander auch Haselnuss verwendet.« richtete er dagegen an Hannah und drehte ihren Stab zwischen seinen Fingerspitzen.
»Oh, das weiß ich nicht, aber meiner ist nicht von ihm. Ich habe ihn aus Barcelona von einem kleinen Zauberstabmacher.« äußerte sie. Die Augen ihres Gegenübers wurden groß.
»Doch nicht etwa von Christiano Tallista? Hui, die sieht man nur so selten, ein so revolutionärer Meister seines Fachs. Welchen Kern hat er?« plauderte der Beamte voll Verzückung und streichelte die schnörkellosen 11 Zoll Haselnussholz dabei regelrecht.
»Ähm, einen Strang aus Mondträne, so ein Harz aus Mondkalbblut. Ich wusste nicht dass das was Besonderes ist, wir sind damals im Urlaub zufällig in seine Werkstatt gestolpert.« entgegnete Hannah überrumpelt.
»Doch doch, sehr sogar! Ich verfolge die Stabmacherzunft schon sehr lange, Talistas Stäbe sind etwas ganz originelles. Und dann Mondträne, so temperamentvoll -« schwärmte er zunächst weiter, hielt dann aber angesichts Raloos hochgezogener Augenbraue und seiner ausgestreckten Hand inne.
»9 Zoll, Olive, von Xylokópos aus meiner Heimat, gut eingearbeitet.« quakte der Grieche und nahm seinen Stab entgegen. »Ist ja alles ganz spannend hier, aber ich glaube wir sind hier heute leider nicht die einzigen die rein möchten.«
Und zeigte auf die Schlange an Fluggästen, die hinter ihnen noch warteten. Peinlich berührt lies der Beamte sie ziehen. Ein Blick auf die Uhr verriet dass das Beeilen eigentlich überflüssig gewesen war, gerade einmal halb Acht hatte es. Ohne Gepäck fanden Raloo, Neville und Hannah sich vor den Fenstern mit Blick auf das Getümmel des Rollfeldes wieder, wo Hannah recht erfolglos versuchte Neville zu erklären wie und warum ein Flugzeug überhaupt flog. Der am anderen Ende der Lounge angebotene und sehr gut besuchte Erstfliegerlehrgang ging auch weniger auf dieses Thema, als vielmehr auf das richtige und möglichst muggelhaftigste Verhalten an Bord ein.
»â€¦bei den Getränken empfehle ich ihnen sich genau an die Listen zu halten, die ihnen zu Beginn ausgeteilt wurden,« erklärte ein junger Mann in Stewarduniform und zeigte eine Seite jenes Heftchens. »Es mag unglaublich erscheinen, aber in der Muggelwelt haben sich so normale Getränke wie das gute Butterbier und der Kürbissaft nicht durchgesetzt, und sie werden sie nicht bekommen können. Aber es gibt natürlich Alternativen! Anstelle des Butterbieres können sie Malzbier probieren, und für Freunde des Kürbissaftes gibt es allerhand andere Fruchtsäfte zur Auswahl. Für die ganz mutigen empfehle ich Tomatensaft. Diesen genießen viele Muggel ausschließlich an Bord eines Flugzeuges. Vermutlich wird ihm eine glücksbringende Kraft zugeschrieben.«
Wieder klappten die Gesichter herunter in die Fibel, und so mancher Student schien die Aussprache der fremdartigen Namen zu üben.
»Kokakola! Klingt wie eine chinesischer Beschwörung.«
Danach wurde zu der Fibel noch ein weiteres Utensil ausgeteilt: Eine unscheinbare Ausgabe der aktuellen Financial Times. Doch das biedere Äußere sollte nur neugierige Muggel vom Ausborgen der Zeitungen abhalten. Im Inneren, nur sichtbar für den magisch begabten Leser, gaben die bekannten sich bewegenden Illustrationen und Texte passend zur aktuellen Flugsituation Erklärungen, und ein jedes seltsame und verstörende Brummen, Vibrieren und Röhren sollte mit einem Blick hinein gedeutet sein. Neville verstand zwar nicht genau was damit gemeint war, aber er nahm dankend eines der Exemplare entgegen.
»Ich gebe zu, wäre ich alleine unterwegs würde ich wahrscheinlich in zwei Drittel der Fettnäpfchen treten, die er da vorne gerade aufzählt.« gestand er sich ein.
»Aber zum Glück hast du ja zwei erfahrene Flieger dabei, nicht war Hannah?« erwiderte Raloo munter.
»Naja, die paar Urlaubsreisen, das waren alles nur kleine Hopser im Vergleich zu diesem-«
»Siehst du, die weiß alles. So, ich brauch jetzt was zu trinken.«
Mit offenen Armen sammelte er Hannah und Neville ein und schob sie, ohne Widerworte zuzulassen, mit zum Bistrobereich der Lounge.
»Madam, einen Löffelkrautkaffee bitte! Wer weiß wann ich das nächste Mal einen bekommen kann! «
Seine beiden Begleiter begnügten sich mit stattdessen mit einer heißen Schokolade und einem kleinen Snack, schließlich war es ein beinahe neun Uhr abends, und zumindest Hannah hoffte darauf während des Fluges ein wenig zu schlafen.
Nachdem sie für alle deren Fremdwährungen in Hong Kong Dollar umgetauscht hatte vertrieb Hannah sich die Zeit mit dem Beobachten der anderen Gäste. Sie kannte seit jeher beide Welten, die der Muggel und die der Zauberer, aber an keinem Ort zuvor hatten sich beide auf so kuriose Art überschnitten. Allein dieses Bild von Magiern mit langen bunten Umhängen und Spitzen Hüten, die aus den bodenlangen Fenstern hinaus auf das mit abertausenden bunten Lichtern übersäte Rollfeld auf die Wunderwerke magieloser Technik blickten. Zwar gab es einige Gäste wie jenen in der Warteschlange, denen man Flugerfahrung ansah, und die von den tausenden Muggeln hier am Flughafen sowohl in Kleidung als auch Gelassenheit nicht zu unterscheiden waren, aber die meisten wirkten einfach absolut fehl am Platz. Wie der Zauberer mit eindeutig osteuropäischem Schlag, der gerade erst die Sicherheitsschleuse durchquert hatte und von einem Mitarbeiter begrüßt wurde.
Er hatte sich den Ratschlag, sich ordentlich und vornehm für den Flug zu kleiden, zu Herzen genommen, und war in einem viel zu großen Frack nebst Zylinder erschienen. Wie ein faltiger Pinguin schlurfte er nun zum anderen Ende der Lounge, um sich an der dortigen Garderobe etwas passenderes für seinen Flug zu leihen. Neville studierte währenddessen weiterhin die Erstfliegerfibel und wurde mit fortschreitendem Warten sichtlich nervöser.
Kurz vor Elf wurde es dann ernst. Der junge Mann, der zuvor auch den Unterricht in Verhalten an Bord übernommen hatte, rief die doch recht große Gruppe zusammen, die sich nun zum Boarding für Flug CX 023 nach Hong Kong begeben musste. Inzwischen waren auch die letzten in ihre Verkleidungen geschlüpft, und wahrscheinlich erinnerte nur Hannah die Gruppe nun, mit all den monochromen Anzügen und farbenfrohen Krawatten, an eine Prozession aus Börsenmaklern.
Sie verließen die Lounge und folgten einem langen schmalen Gang, der sie direkt hinter den Metalldetektoren und Röntgengeräten in die Menge der anderen, „normalen“ Fluggäste entließ. Dank eines leichten Desillusionierungszaubers kümmerte sich keiner von denen um die plötzliche Flut von Anzugträgern, und so reihten sie sich vor dem Eingang der Fluggastbrücken ein. Ein letztes Mal zeigten sie ihre Flugtickets vor, und dann ging es hinein in den fensterlosen Schnorchel zum Flugzeug.
»Klingt vielleicht unglaublich, aber ich bin grade aufgeregter als vor der Schlacht.« sprach Neville über den beinah hörbaren Kloß in seinem Hals hinweg, als sie sich Schritt für Schritt der geöffneten Flugzeugtür näherten. Hannah lächelte nur, fasste seine Hand und tat mit ihm den letzten Satz in die Maschine hinein.
Im Inneren wurden sie von den trainiert lächelnden asiatischen Stewardessen empfangen, die ihnen wie allen Passagieren den Weg zu ihren Plätzen wiesen. In einem geordnete Chaos und der lebendigen Geräuschkulisse aus hunderten auf und zu klappender Gepäckfächer, Kindergeschrei und dem dumpfem Rauschen der Klimaanlagen fanden sie irgendwann ihre Plätze auf der rechten Seite, die ihnen einen schönen Blick auf die mit Klappen und Rudern übersäte Hinterkante des Flügels baten.
Raloo meldete sich freiwillig für den Platz am Gang, Hannah ließ sich den am Fenster nicht nehmen, und so setzte sich Neville zwischen beide. Mit Unsicherheit beobachtete er wie der Grieche die Tasche mit all ihrem Zauberequipment in der Gepäckablage verstaute. Worauf hatte er sich hier bloß eingelassen?
»Die brauchst du nicht, glaub mir,« kommentierte Raloo Nevilles panischen Blick. »Von allen Reiseformen die dieser Teil der Weltbevölkerung erfunden hat kommt das Fliegen nur ganz knapp hinter der Sänfte, was Komfort und Sicherheit angeht. Und hier wo wir jetzt sitzen, über dem Flügel, da wackelt es sowieso immer am wenigsten, weil hier die Rotationshaxe ist oder wie man das auch immer nennt. Und jetzt,« er ließ sich wieder in die Polster plumpsen, »haben wir erstmal etwas zu lachen!«
Neville war gar nicht nach Lachen zu Mute als unweit vor ihnen eine der kindlichen Stewardessen einer Marionette gleich die Funktionsweise der Schwimmwesten und Sauerstoffmasken vortanzte. Wie der in der Mittenreihe sitzende osteuropäische Zauberer griff auch Neville seine Ausgabe der Financial Times, doch deren Inneres wies ihn nur an, die Vorführung aufmerksam zu verfolgen. Auch der Inhalt des kleinen Präsentbeutels, bestehend aus Zahnputzutensilien, Kopfhörern, Schlafmaske und einem riesigen Paar Socken, aber leider auch zwei unmissverständlicher Papiertüten, sorgte nur sehr kurz für Ablenkung.
Endlose Minuten des Tanzes später, in denen Neville überlegte ob Apparation auch aus zehn Kilometern Höhe funktionierte, gingen die Stewardessen noch einmal durch die Reihen und überprüften die Gepäckfächer und Gurte der Passagiere.
»Wann geht's denn endlich los? Ich will's endlich hinter mir haben.« jammerte der junge Auror und Diplomat.
»Wir rollen schon seit zehn Minuten, und ich glaube gleich starten wir.« antwortete seine Nachbarin und drückte wieder besänftigend seine Hand.
Sie hatte Recht. In einer langen Kurve bogen sie auf die mit Lichtern übersäte Startbahn, wo das Flugzeug noch einmal kurz hielt, um dann nach dem Aufheulen der vier Motoren loszuschießen. Es drückte sie alle in die Sitze, alles vibrierte und heulte. Neville vergaß gar das Atmen, krallte sich mit seinen Händen in die schmalen Armlehnen und riss die Augen auf. Und wie schelmisch ihn Hannah dabei angrinste, unfassbar. Dann hob sich die Nase endlich in die Nacht, und das Rumpeln der Reifen verschwand.
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