von Winkelgassler
Weihnachten kam mit immer größeren Schritten näher. Der Schulalltag entspannte sich langsam, Mourecé's Lehreralltag ebenfalls, jetzt wo er dank seiner neuen Bücher endlich einen funktionierenden und ausfüllenden Lehrplan gebastelt hatte, der es nicht mehr bedurfte des nachts alte Zeitungen und ausländische Ministeriumsbrochüren zu wälzen - für ihn selber blieb mehr Zeit. So wie jetzt, an diesem klirrend kalten, aber sonnigen Mittwochvormittag. Er und sein Kurs des UTZ-Abschlussjahrgangs hatten gleich ihren nächsten Termin, wie üblich, im ehemaligen Schulratssaal, doch noch waren zwanzig Minuten Zeit. Und die wollte Mourecé nun endlich einmal nutzen um zu dieser dunklen Jahreszeit ein wenig Sonnenlicht zu tanken. Sonst kam er meist nur nach Sonnenuntergang vor die Tür dieser Tage. Für seinen Spaziergang erwählte er den Rand des Verbotenen Waldes als Ziel, unten bei Hagrids Hütte, wo seine UTZ Schüler, zumindest jene die es gewählt hatten, mit Pflege magischer Geschöpfe die aktuelle Schulstunde verbrachten.
Dick verpackt in seinen geerbten Pelzmantel stieg der junge Professor die vielen Stufen herab und stapfte dann dem getrampelten Pfad folgend durch den Schnee gen Waldrand, wo man schon von ferne die ebenso gut verpackten Schüler hantieren sah.
Doch was taten sie dort?
Wie ein expressionistisches Tanzballet gestikulierten sie, wischten durch die Luft, was, zugegeben, im leichten Schneefall recht künstlerisch aussah, aber sonst keinen Sinn ergab. Einige von ihnen blickten zu ihm als Gast herüber, nickten begrüßend, aber ablassen von ihrer Artistik tat niemand
Mourecé begab sich zu Hagrid, der etwas abseits der seltsam hantierenden Schülerschaft auf einem Wägelchen ein Wildschwein zerhackte. Erst als der junge Lehrer fast vor ihm stand blickte er von seinem Beil auf.
»Professor Malumé, sie seh` ich ja nun wirklich nicht oft hier bei mir. «
»Lassen sie das Professor weg, dafür fehlen mir noch Erfahrung und graue Haare. Mourecé ist gut. Was machen ihre und meine Schüler da für eine Pantomime? Sind das Trockenübungen für die Einhornpflege?“ lachte Malumé mit Blick über die Schulter. Doch Hagrid erwiderte den Witz nicht und ließ von dem Beil ab.
»Sie könn` nicht? - oh, das hätte ich mir denken können, wo sie doch die letzten Jahre nicht hier gewesen sind. «
»Was meinen sie? «
»Das is` keine Trockenübung, und in meinem Unterricht geht's grad nicht um Einhörner. Die Schüler da pflegen Thestrale, ganz besondere Tiere. Habe sie vor vielen Jahren hier angesiedelt für die Waldpflege und um die Kutschen zu zieh`n, sin` sehr verlässliche Arbeitstiere wenn man weiß wie man mit ihnen umgehen muss.«
»Aber ich sehe dort nichts.«
»Dann liegt das daran dass ihn` noch nie der Tod begegnet ist. Thestrale sind nur sichtbar für die die den Tod gesehen hab`n. Lange waren das hier nur die die schon viel im Leben erlebt hab'n, Männer wie ich, die Professoren und der ein oder andere Schüler ab und zu, aber seit diesem einen Jahr, da ist es seltener das sie jemand nich` sieht als dass er sie sieht, zumindest in den höheren Klassen. Hogwarts hat viel Tod gesehen, nachdem Dumbledore ermordet wurde. Ich weiß, er war krank und hat's selber irgendwie gewollt, aber-«
Der Wildhüter schluchzte und wischte sich mit dem Pelzrand seines Ärmels über die Augen. Hagrid war immer eine wahrhaft massive Erscheinung, aber in dem Halbriesen weilte noch immer ein ebenso großes, empfindsames Herz.
»Und die Kinder können einem leidtun, in dem Alter schon so belastet zu sein. Ich mein außen sin` die genauso lustig drauf wie ihre Vorgänger von vor zwei Jahr'n, aber tief drin sin` viele von denen viel ernster und erwachsener als sie es sein sollt'n, nach all dem was die unter den Carrows durchmachen mussten. Miss Robins da hinten hat mitansehen müssen wie der ältere Creevey von der Mauer fiel, als hier im Schloss gekämpft wurde. Hatte sich mit ihm wieder rein geschlichen um zu helfen, all ihre Freunde vom Quidditch war'n ja auch da, wollt` sie nicht allein lassen. Sie und Mr Cootes kommen immer mal wieder zum Tee zu mir, hab'n mir viel erzählt.« Hagrid schaute von seiner Arbeit auf.
»Glaub viele von den` haben das was sie da erlebt haben noch nicht verarbeitet, hab'n Alpträume, haben Angst vor manchen Orten im Schloss. Miss Robins hat Astronomie nur abgewählt weil der Weg dahin an dem Ort vorbeiführt wo der Creevey Junge heruntergestürzt ist. All den anderen geht es bestimmt ähnlich, wir wissen ja auch nich` was die außerhalb der Schule in dem Jahr noch alles durchgemacht haben. Auf der Flucht vor Greifern oder die Anhörungen mit der Umbridge. Da ist viel Erinnerung in den Kindern drin.«
»Da haben sie Recht. Dieser Generation hier wurde ganz schön viel aufgebürdet, und uns allen liegt es nun auf bei dieser Last zu helfen. Wenn man nix tut und wegsieht dann kommt sowas raus wie Mitte November.«
»Schreckliche Sache die da passiert ist.«
»Ja, und ich befürchte je weniger Zeitzeugen es in der Schülerschaft gibt, desto öfter wird so etwas geschehen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns - und vor allem vor mir mit meinem Fach.«
»Naja,« erwiderte Hagrid skeptisch und hob eine Augenbraue, »Ich glaub` es ist viel wichtiger ihn` zuzuhören als ihn` was zu erzählen. Wen außer uns Lehrern hab'n die Kinder hier in der Schule denn zum Reden wenn sie `nen Erwachsenen brauchen? Wir sind nicht nur Bücher mit Beinen.«
Da war etwas dran. Mourecé hatte sich großspurig vorgenommen das Fach Geschichte der Zauberei zu revolutionieren, aber zum Lehrersein gehörte so viel mehr das er erst noch erlernen musste. Dinge die Hagrid auf seine Art über die Jahre gelernt hatte, lange bevor er selber seine Lehrrolle annahm. Schon zu seiner eigenen Schulzeit war der Wildhüter immer ein Anlaufpunkt für Schüler gewesen, eine erwachsene Meinung und ein Abwechslung von den üblichen Lehrgesichtern. Anderswo in der Welt gab es Schulen für Lehrer, Universitäten, in denen man die Kunst des Lehrens studierte, hier in Hogwarts ließ man den Professoren ziemlich freie Hand.
Professor Malumé dreht sich wieder zur Schülerschaft um, und schaute genauer hin. Erst jetzt bemerkte er wie der leichte Schneefall um die unsichtbaren Gestalten herumfiel, abgelenkt wurde, bemerkte die Bürste in der Hand von Gwendolyn Rickett, die ihm am nächsten stand, die kleinen Flasche, die sie mit einer Schlaufe um den Hals trug. Ein besonderer, weihnachtlicher Geruch lag in der Luft.
»Wir bürsten sie mit Walnussöl ein, das hilft der Haut in der Kälte hier. Thestrale leben normalerweise nich` so weit im Norden.« erklärte Hagrid, schob die Fleischbrocken auf seinem Wägelchen zu einem Haufen zusammen, und klopfte dann dreimal mit dem Griff des Beils daneben auf das Holz. All die unsichtbaren Wesen schienen zu reagieren, denn die Schüler ließen von ihnen ab, und folgten mit ihrem Blick auf Hagrid und den anderen Lehrer.
»Hier kommen sie. Brauchen keine Angst zu haben, die tun keiner Menschenseele was.« sprach Hagrid nur zu Mourecé und begann das Fleisch im Halbkreis vor ihnen beiden in Schnee zu werfen. Fang bekam auch einen Brocken.
»Da, direkt vor ihnen.«
Abdrücke von Hufen stapften durch den Schnee von Gwendolyn herüber, hielten kurz inne, und zogen dann vor Mourecé vorbei. Vorsichtig streckte er seine Hand aus, und fühlte schließlich die ölige, ledrige Haut des Wesens. Das hatte er nun davon Pflege magischer Geschöpfe damals so früh wie möglich wieder abgewählt zu haben. Einen Moment ließ der Thestral ihn fühlen und tasten, um sich dann zu schütteln und weiter zu stapfen.
Ihm folgte jene rothaarige Schülerin aus dem Hause Hufflepuff, die Mourecé schon sehr ausgiebig `kennengelernt` hatte, ohne jedoch viele sinnvolle Worte abseits seiner Lehrerrolle mit ihr gewechselt zu haben. Von seinen Schülerinnen wirkte sie am erwachsensten, war ja auch ein Jahr älter als die meisten im Abschlussjahrgang, was wohl auch der Grund war das ihre kleine Affäre zustande gekommen war, aber bisher hatte Mourecé nie darüber nach gedacht ob mehr dahinter steckte.
»Du kannst sie sehen?« fragte er Gwendolyn, und überraschte sein gegenüber mit der Frage.
»Ja, das kann ich, seit zwei Jahren etwa.« antwortete sie und schaute ihn mit ihren großen braunen Augen an.
»Darf ich fragen… welcher Tod es bei dir war?« führte Mourecé vorsichtig weiter. »Ich muss gestehen dass ich selber die Thestrale nicht sehe, und dass es mich wundert dass jemand so junges wie du es kann.«
»Tja, bei mir ist es eigentlich nichts besonderes,« begann sie zu erzählen, »Vor zwei Jahren ist meine Großmutter verstorben. Sie war zu den Festtagen bei uns, trotz der Ausgangssperre, war vorher schon kränklich, und einfach alt, und sie verstarb drei Tage nach Weihnachten. War wahrscheinlich Scrofungulose, eigentlich nichts großes, hat sich aber nicht getraut nach einem Heiler zu schicken wegen ihrem Blutstatus, war muggelgeboren …aber sie war alt, hatte ein langes Leben. Ich war an ihrer Seite den Abend, und seit dem, tja.«
Achselzuckend und mit einem aufgesetzten Lächeln wies sie auf das unsichtbare Etwas neben sich, in dem gerade einige der Fleischbrocken verschwanden und blutigen Schnee zurückließen.
»Mein Beileid, das wusste ich nicht.« erwiderte Mourecé wie von selbst, und wollte sie am liebsten umarmen, hielt sich aber zurück, schließlich war er hier in diesem Moment ihr Professor und nicht die Bekanntschaft aus den Drei Besen. Gwendolyn hatte einen Tod nicht nur gesehen, sie hatte ihn begleitet, noch dazu bei jemandem der ihr, vermutlich, sehr nahe gestanden hatte.
»Verglichen mit Demelza oder Timothy, oder den Quirk Zwillingen ist meine Geschichte ziemlich harmlos, glaub ich.« führte sie fort.
»Die Quirks? Die beiden sind doch der Inbegriff von Fröhlichkeit.« erwiderte Mourecé, an die beiden jungen Damen denkend. Die er bis heute nicht auseinander halten konnte, trotz der unterschiedlichen Häuser.
»Tja, wenn man davor ein halbes Jahr auf der Flucht war… die beiden haben so einiges mit Greifern erlebt. Und die mit ihnen.« Gwendolyn schaute drein als hätte sie mehr Details parat, hielt sich aber zurück. Genau wie Professor Malumé, der es für die letzten Minuten beim schweigsamen Zuschauen beließ, bevor er mit seinen Schülern zu seinem Raum weiterzog.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel