von O_D
So, das ist sie, meine Songfic ĂĽber eines der heiklesten Themen ĂĽberhaupt - ich muss sagen, dass ich relativ zufrieden bin.
Ich widme sie Nicman, dem Leser der ersten Stunde, der mir schon unzählig viele und aufbauende Reviews hinterlassen hat - Danke!
Bevor es anfängt, möchte ich feststellen, dass Parallelen zum Buch \'Das Versprechen\' von Friedrich Dürrenmatt durchaus gewollt sind - es war einfacher, sich an bereits bekannte Verhaltensmuster zu halten, als ganz neue zu erfinden.
Wer das Buch nicht kennt, sollte es sich dringend zulegen - ein wahres Meisterwerk!
So, jetzt gehts auch schon los - bin gespannt, was ihr dazu sagt...
***
Der scharlachrote Zug, der vor kurzem den Bahnhof in Kings Cross von Gleis 9¾ verlassen hatte, ratterte schwerfällig die Bahngleise in Richtung Hogwarts entlang.
In einem einsamen Abteil saß eine angehende Hogwartsschülerin, die der Schule für Zauberei und Hexerei wie alle anderen auch entgegen fieberte – bloß, dass Hogwarts für sie das Ende eines langen Leidensweges bedeutete, gewissermaßen die Flucht vor der harten Realität des Alltags, die sie in der Muggelwelt erleben hatte müssen. Beim Gedanken an diese immer wieder kehrenden Martyrien lösten sich viele einzelne Tränen aus ihren Augen – doch sie DURFTE jetzt einfach nicht daran denken. Eine neue Welt bedeutete gleichermaßen einen neuen Anfang für sie.
Fort mit dem schüchternen und innerlich zutiefst verletzten Mädchen – sie war nun Hermine Jane Granger, eine Hexe, die ihre Vergangenheit vergessen konnte.
Und trotzdem kehrten ganz von alleine die Schreckensbilder der vergangenen fĂĽnf Jahre in ihren schlauen Kopf zurĂĽck...
*-FLASHBACK-*
Hinter abgesperrter Zimmertüre saß Hermine Granger, der Sonnenschein ihrer Eltern, an ihrem Schreibtisch und umklammerte mit ihren kleinen Händen krampfhaft einen Buntstift, an dessen Ende sie wie hysterisch herum biss.
Auf der Schreibtischplatte lag eine Zeichnung – eine von vielen, welche die Kleine ununterbrochen schuf. Und jedes Mal zeigten die Zeichnungen, die Hermine gut vor ihren Eltern versteckte, ein und dasselbe Motiv: Ein kleines und hilfloses Mädchen mit buschig langen Haaren saß mitten im Wald alleine auf einem Stein, der von einem Mann umkreist wurde, der verlockende Schokoladetrüffel in der Hand hielt, die ausschließlich für Hermine bestimmt waren.
Hermine liebte diese Schokoladebonbons – sie sahen aus wie kleine Igel und schmeckten einfach wunderbar, so als hätten sie die Englein selbst angefertigt. Und so war auch den kleinen Igeln jedes Mal in den Zeichnungen des Mädchens ein sicherer Platz reserviert – schließlich waren sie trauriger Ausgangspunkt für das Kommende.
In der anderen Hand des Mannes befand sich eine kleine Puppe, über deren Kunststücke, welche der nette Mann hinter seinem langen, schwarzen Mantel wie im Kasperltheater aufführte, die kleine Hermine herzlich lachen konnte. Immer wieder hätten Passanten die erfreuten Quietschgeräusche des Mädchens hören können – doch der geheime Platz im Wald, den nur sie und der Fremde kannten, war so weit abgelegen, dass sich nie ein Spaziergänger dorthin verirrte. Denn sonst hätten sie auch die Schreie des kleinen Mädchens hören müssen, die gar nicht mehr erfreut klangen, und immer dann ertönten, wenn das Theater und die Verspeisung der Schokoladentrüffel vorbei war – schließlich forderte jeder Dienst auch Bezahlung.
Stumme Tränen rannen ihr die Wangen hinab und benetzten das Papier, sodass die Konturen der Zeichnung immer mehr verschwammen.
Sie malt gern Bilder von sich selbst
und riesengroßen Männern in einer Zwergenwelt.
Sie weiß Geschichten, die sie nie erzählt,
die meisten davon hat sie selber erlebt.
Wie die vom bösen Wolf, der hin und wieder kommt
und jedes Mal danach von ihr verlangt,
dass sie niemals ein Sterbenswörtchen sagt,
weil er sie dafĂĽr sonst fĂĽrchterlich bestraft.
„Es gibt bald Essen, meine Kleine!“
Unsanft wurde Hermine aus ihren Gedanken gerissen. Sie zwang sich zu einem halbwegs fröhlich klingenden „Ja, Mami!“, versteckte die Zeichnung hinter einem kleinen Schrank, und wischte sich die letzten Tränen aus den Augen.
Als sie nach unten tapste, schloss ihre Mutter Hermine in die Arme, und trug sie in die KĂĽche, um Hermines Lieblingsspeise den letzten Schliff zu verpassen.
Obwohl in dem Kochtopf ihr absolut favorisiertes Essen kochte, war Hermine gar nicht zum Lachen zumute – viel lieber hätte sie losgeheult, und ihrer Mutter die ganze Wahrheit erzählt.
Doch wie immer zwang sich Hermine zur Selbstkontrolle, unterdrückte gnadenlos die aufkommenden Tränen, und sah mit getrübtem Blick in den Kochtopf, während sie wieder und wieder an den Mann – den bösen Wolf – denken musste.
Wenn ihre Mami sie in den Arm nimmt,
wĂĽrde sie am liebsten weinen und alles gestehen,
doch sie hat Angst und sie schämt sich.
Sie weiĂź keinen Rat und versucht wegzusehen.
Man konnte doch soviel Spaß haben mit dem Unbekannten – stundenlang alberten die beiden herum, spielten mit der Puppe und verspeisten die leckeren Schokoladentrüffel. Doch das Danach brachte Hermine immer wieder zur Verzweiflung – was stellte der Mann immer mit ihr an, das ihr so ein ungewohntes Gefühl in den ganzen Körper trieb? Welche Lanze schmerzte sie immer so sehr?
Sie wusste absolut keinen Rat und tat ihr bestes, um die „eine Tat“ des Mannes zu ignorieren und sich völlig auf die reizvollen Stunden mit ihm zu konzentrieren – bloß wollte das Wegsehen so schwer gelingen.
Ständig war sie im Wechselbad der Gefühle – auf der einen Seite liebte sie den Mann regelrecht, der ihr so spaßige Stunden bescherte. Auf der anderen Seite hasste sie ihn für die Stunden, die anscheinend nur ihm Spaß bereiteten.
Nach jedem Besuch beim bösen Wolf verabscheute sie ihn noch mehr – doch wenn er sie einige Zeit später wieder nett grinsend mit Schokoladentrüffeln bewaffnet abholte, war der ganze Groll gegen ihn vergessen, und das ewige Leid nahm einen neuen Anlauf – wie ein ewiger und unaufhaltbarer Kreislauf.
Wenn der böse Wolf hin und wieder kommt
und jedes Mal danach von ihr verlangt,
dass sie niemals ein Sterbenswörtchen sagt,
weil er sie dafĂĽr sonst fĂĽrchterlich bestraft.
Schweigend nahmen Mutter und Tochter ihr köstliches Mahl zu sich.
„Und wie schmeckt dir das, meine Kleine?“, fragte die Mutter mit gespielt kindlicher Stimme und sah Hermine, die in Gedanken noch immer ganz wo anders war, erwartungsvoll an.
„Sehr gut, Mami!“, antwortete sie zögerlich und wandte ihren Blick wieder dem Teller zu, auf dem noch fast die gesamte schwere Last des Essens lastete.
„Hast du denn keinen Hunger, mein Schatz?“, nahm die Mutter den Faden des Frage-Antwortspielchens, das sie in letzter Zeit immer öfter mit ihrer Tochter hatte spielen müssen, wieder auf.
„Doch, Mami, schau wie viel ich essen kann!“, erwiderte die Kleine und schob sich demonstrativ einen Löffel in den Mund – doch viel lieber noch, so musste sie sich eingestehen, hätte sie die Schokoladentrüffel des Unbekannten gegessen.
Qualvoll aß Hermine ihre Speise auf und bedankte sich auf ihre kindliche Art und Weise bei ihrer Mutter für die tolle Mahlzeit – sie hatte längst gelernt, gut zu schauspielern.
Hurtig setzte das Mädchen ein Bein vor das andere und war auch schon wieder in ihrem Zimmer verschwunden – langsam begann sich Hermines Mutter über das Verhalten ihrer Tochter zu wundern, fragte sich, ob sie nicht mehr mit ihr spielen sollte...
Aber wahrscheinlich machte ihre Kleine gerade einfach nur eine schwere Entwicklungsphase durch, die in Kürze wieder enden würde – und so schnell wie es gekommen war, war das schlechte Gewissen der Mutter auch schon wieder verschwunden.
-
Als Hermine in ihrem Zimmer angekommen war, versperrte sie abermals die ZimmertĂĽre und nahm eifrig wieder die Zeichnung zur Hand.
Am liebsten saß das schüchterne Mädchen doch in ihrem eigenen kleinen Reich, wo sie niemand störte, wo sie mit niemanden reden musste, sondern einfach nur nachdenken konnte – meist über IHN.
Sie ist so scheu wie ein Reh,
man nimmt sie kaum wahr, denn sie redet nicht viel.
Sie bleibt am liebsten fĂĽr sich allein,
betet zu Gott und wĂĽnscht sich dabei.
Dass der böse Wolf niemals wieder kommt
und mit festem Griff um ihren Hals verlangt,
dass sie keinem ein Sterbenswörtchen sagt,
weil er sie dafĂĽr sonst fĂĽrchterlich bestraft.
Gerade hatte sie den letzten Trüffel, das Symbol des Endes der fröhlichen Zeit, gezeichnet, als sie auch schon wieder an das Danach denken musste, an dieses unangenehme Gefühl, das jedes Mal durch ihren gesamten Körper ging.
Und schon war die Liebe zum Bösen Wolf verflogen, die sie eben noch beim Trüffelzeichnen empfunden hatte, und war der blanken Furcht gewichen – bis zur nächsten Trüffelzeichnung.
*-FLASHBACK ENDE-*
Völlig aufgelöst saß Hermine noch immer einsam in ihrem Abteil und musste bitterlich weinen, als sie an jenen Tag, der sich ebenso abgespielt hatte wie alle anderen auch, zurückdachte.
Ein paar Wochen nach diesem Tag war ein Mann in dunkelrotem Samtumhang vor ihrer Haustüre aufgekreuzt, um der zunehmend verzweifelten Mutter und dem kleinen Mädchen, das ebenso am Ende ihrer Nerven angelangt war, zu erklären, dass Hermine eine Hexe sei und ab nun in ein Internat weit weg von hier gehen würde, um das Zaubern zu erlernen. Alleine die beiden Worte ‚weit weg’ und dann auch noch ‚zaubern’ hatten Hermine damals das erste Lächeln seit Monaten ins Gesicht getrieben – sie würde den Mann erstmal weit hinter sich lassen, und irgendwann würde sie dann zurückkehren und ihn verzaubern, sodass er ihr nur mehr Gutes tun konnte – das liebte sie schließlich so sehr an ihm, dem großen Unbekannten, dem Bösen Wolf.
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Review nicht vergessen - schreibt mir, ob es euch gefallen hat oder nicht ;)
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