von MagicMarlie
Die Feder, die er in der Hand hielt, zitterte leicht.
Er sah hinab auf das Stück Pergament, das vor ihm auf seinem Schreibtisch lag. Was sollte er schreiben? Er war sich unschlüssig. Wie sollte er all seinen Gefühlen Ausdruck verleihen, ohne einen meterlangen Roman zu Papier zu bringen?
Er zermarterte sich das Hirn, doch jeder Gedanke an die letzte Begegnung mit ihr tat weh.
Als er nach einer halben Stunde immer noch kein Wort zustande gebracht hatte, stand er auf und ging zum Fenster.
Langsam brach die Dämmerung herein, die Sonne warf ihre letzten Strahlen über das Land, und der Mond schimmerte milchig weiß am Himmel. Es war ein schöner Tag gewesen, die Sonne hatte geschienen und das Land noch einmal, vielleicht zum letzten Mal für dieses Jahr, aufgewärmt. Für Severus aber war es alles andere als ein schöner Tag gewesen, und er war froh, dass die Nacht hereinbrach, denn das schöne Wetter war ihm wie Hohn vorgekommen.
Eine Weile noch stand er am Fenster und blickte hinaus auf die immer dunkler werdende Landschaft. Die Bäume warfen lange Schatten und der Mond spiegelte sich im ruhigen Wasser.
„Ich kann nicht mehr leben, wenn es ein Leben ohne dich ist.“, flüsterte er leise, und plötzlich wusste er, was er schreiben konnte.
Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und tauchte die Feder ins Tintenfass. Einige Tränen tropften dabei auf das Pergament, aber er beseitigte sie mit seinem Zauberstab.
Als er fertig war, atmete er tief durch und legte die Feder weg. Er stand auf und ging abermals zum Fenster. Vorsichtig öffnete er es und band den fertig versiegelten Brief seinem hübschen kleinen Waldkauz ans Bein. Er schob den Vogel zum Fenster hinaus und gab ihm einen sachten Schubs.
„Na los, flieg schon …“
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Mitten in der Nacht erwachte Lily Potter durch ein pochendes Geräusch. Als sie endlich richtig wach war, bemerkte sie, dass das Geräusch vom Fenster her kam.
Sie stand auf und öffnete es. Eine kleine Eule kam ins Zimmer geflogen, landete auf ihrem Bett und streckte ein Bein aus. Lily tapste zurück, band der Eule den Brief ab und ließ sich aufs Bett sinken.
Vorsichtig ritzte sie den Brief auf und fragte sich, wer denn um diese Zeit wohl den Schneid hatte, ihr eine Nachricht zu schicken.
Mit müden Fingern entfaltete sie das Pergament und begann zu lesen:
Lily,
Well I can’t forget this evening,
And your face when you were leaving,
But I guess that’s just the way the story goes.
You always smile,
But in your eyes your sorrow shows,
Yes, it shows.
Well I can’t forget tomorrow,
When I think of all my sorrow,
I had you there,
But then I let you go.
And now it’s only fair,
That I should let you know,
What you should know:
I can’t live,
If living is without you,
I can’t live,
I can’t give anymore,
I can’t live,
If living is without you,
I can’t live,
I can’t give anymore,
Well I can’t forget this evening,
And your face when you were leaving,
But I guess that’s just the way the story goes.
You always smile,
But in your eyes your sorrow shows,
Yes, it shows.
I can’t live,
If living is without you,
I can’t live,
I can’t give anymore,
I can’t live,
If living is without you,
I can’t live,
I can’t give anymore
I can’t live,
If living is without you.
S.S.
Eine einzelne Träne tropfte auf den Brief, als sie die Zeilen zu Ende gelesen hatte. Sie konnte nicht glauben, was da vor ihren Augen auf dem brüchigen Pergament geschrieben stand. Immer und immer wieder begann sie von vorn, doch kaum hatte sie den Brief zu Ende gelesen, huschten ihre Augen wieder über die Zeilen.
Sie musste sich stark konzentrieren, um ihren Tränen Einhalt zu gebieten, und ein lautes Schluchzen zu verhindern.
„Lily?“
Sie zuckte zusammen, James war aufgewacht.
„Ist etwas nicht in Ordnung? Komm, leg dich wieder hin.“
Seine Stimme klang verschlafen und nur mäßig interessiert.
„Ich ... gleich, James.“
Als sie vom Bett aufstand, ignorierte sie James’ verwunderten Blick und hoffte, dass er ihre Tränen nicht gesehen hatte.
Sie verließ das Schlafzimmer und ging in die Küche, wo sie sich leise an den Tisch setzte, nur um den Brief noch einmal zu lesen.
Dann war es also wahr. Es stimmte, was ihr Gefühl ihr die ganze Zeit über gesagt hatte. Dass Severus sie nicht aufgegeben, sondern im Gegenteil, weiterhin geliebt hatte.
Sie faltete den Brief mit zittrigen Fingern zusammen und legte ihn vor sich auf den Tisch. Mit der Hand strich sie geistesabwesend über ihren Bauch, und sie spürte den kleinen Jungen darin begeistert strampeln. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, aber es erreichte ihre Augen nicht.
Sie erlaubte ihren Gedanken, kurz abzuschweifen, zurückzukehren in die Vergangenheit. Wo wäre sie jetzt wohl gerade, wenn sie James nicht geheiratet, wenn sie nicht mit Harry schwanger geworden wäre, wenn sie sich stattdessen auf Severus eingelassen hätte?
Sie wusste, dass er immer in sie verliebt gewesen war, schon damals, als sie noch nicht einmal nach Hogwarts gegangen waren, das hatte er ihr erzählt. Aber sie hatte daran gezweifelt, als er sie ‚Schlammblut’ genannt, als er sich den dunklen Mächten hingegeben hatte, und als sie mit James ihrer Wege gegangen war.
Doch nun hielt sie seinen Brief in den Händen, der eindeutig das Gegenteil bewies. Der belegte, dass er sie immer noch liebte.
In all der Zeit, in der sie ihn nicht gesehen hatte, hatte sie weder einen Brief, noch sonst irgendeine Nachricht von ihm erhalten. Sie hatte geglaubt, dass er sich vollständig den dunklen Mächten verschrieben, und sie, seine Jugendliebe, vergessen hatte. Sie konnte sich an den kalten Ausdruck in seinen Augen erinnern, als er sie ‚Schlammblut’ genannt hatte. Sollte sie sich so sehr in ihm getäuscht haben?
Lily erhob sich und trat ans Fenster. Es war stockdunkel draußen, Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, sodass nichts mehr zu erkennen war. Dennoch blieb sie stehen und starrte durch das Glas nach draußen. Sie wusste nicht, dass mehrere hundert Meilen entfernt der Verfasser des Briefes, den sie jetzt wieder in den Händen hielt, ebenfalls am Fenster stand und gedankenverloren in die Nacht hinaussah.
Die junge Hexe versuchte, nicht daran zu denken, dass sie vermutlich einen Fehler begangen hatte. Dass sie vermutlich alles anders machen würde, könnte sie die Zeit zurückdrehen.
„Liebling?“ James müde Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Was ist denn los? Komm zurück ins Bett, du erkältest dich noch.“
„Es ist nichts, James. Geh schon mal vor, ich komme gleich nach.“
James betrachte sie misstrauisch, zuckte dann aber mit den Schultern, blies die Kerze aus, die Lily angezündet hatte, und kehrte zurück ins Schlafzimmer.
Lily sah ihm hinterher und legte sich die Hand auf den Bauch. Wieder strampelte der kleine Junge in ihr.
„Ich kann das doch nicht alles aufgeben ...“
Ihr leises Flüstern verlor sich in dem dunklen Raum. Sie war hier bei James und ihrem ungeborenen Sohn, in ihrem neuen Zuhause. Und Severus, ihre ganze gemeinsame Zeit, war so weit weg, lag so weit zurück, erschien so unwirklich. Und doch ...
Ein letztes Mal faltete sie den Brief auseinander und betrachtete ihn, obwohl sie seine Zeilen jetzt, da James das Licht ausgemacht hatte, nicht mehr lesen konnte.
Sie spürte, wie eine einsame Träne ihren Augen entwischte und auf das Pergament tropfte. Vielleicht verwischte sie die schwarze Tinte, löschte sie aus, als ob die Worte nie geschrieben, nie gesagt, nie gedacht worden wären.
Mit einer Handbewegung trocknete sie ihre Tränen und verließ die Küche. Auf dem Weg ins Schlafzimmer blieb sie vor ihrem Schreibtisch stehen, öffnete eine Schublade und legte den Brief in das Fach, in dem bereits einige kleine Dinge verwahrt waren. Sie erhaschte einen Blick auf die getrocknete Lilie, auf das Bild von sich und Severus, und auf die wunderschöne smaragdgrüne Kette, die sie nie getragen hatte.
Als der Brief sicher in der Schublade lag, verschloss sie sie mit dem kleinen Schlüssel, der im Schloss steckte, und zog ihn ab. Sie öffnete das nächste Fenster und zögerte einen kurzen Moment lang, doch dann holte sie aus und schleuderte den Schlüssel weit fort, hinaus in die schwarze Nacht.
Einen Augenblick sah sie nach draußen, dann aber schloss sie das Fenster und ging zurück ins Schlafzimmer. Von James sah sie unter der Decke nur die wirren, schwarzen Haare. Er sah nicht auf, als sie das Zimmer betrat, wahrscheinlich schlief er bereits wieder tief und fest.
Sie legte sich zu ihrem Mann ins Bett, zog die Decke hoch und hoffte, dass ihre trüben Gedanken am Morgen verschwunden wären. Durch ihre geschlossenen Lider drang eine letzte, silbrig glänzende Träne, floss über ihre Wange und versiegte schließlich in der Bettdecke.
„Es tut mir leid, Severus.“
Wieder verlor sich ihr Flüstern in dem dunklen Raum, wieder klang es leise und unwirklich.
Doch sie wusste, es war endgültig.
Ende
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