von Tonx
Harry war nicht direkt zum Haus gerannt, sondern hatte sich rechts gehalten um einen Blick darauf erhaschen zu können, was vor dem Fuchsbau vor sich ging. Er hatte allerdings zu spät abgebremst und stand nun nur ungefähr zwanzig Meter entfernt vom offiziellen Hauseingang. Erschrocken blieb er stehen. Hermine sah, wie Harry in einem kurzen Moment des Schocks wie erstarrt stehen blieb, doch war das so ungefähr das Unklügste, was er hätte tun können. Hermine, Ginny und Ron standen versteckt hinter einem Busch und Hermine, die dicht hinter Harry stand, hatte das Geschehen vor dem Haus genau im Blick: Einige Todesser standen, in schwarze Mäntel und Masken gehüllt und die Zauberstäbe bereit haltend, in einem Halbkreis um den Eingang herum. Etwas weiter vorn und nicht in den Halbkreis eingereiht entdeckte Hermine eine sich am Boden krümmende Gestalt und eine große, dünne daneben, von der sie nicht wollte, dass sie ihr den Kopf zuwandte. Sie war sich sicher, wer es war und als die von schwarzem Samt umspielte Figur, die sich undeutlich vom dunklen Nachthimmel abhob, langsam den Kopf in ihre Richtung drehte, zitterte sie leicht. Und dann sah sie ihn. Lord Voldemord. Er trug keine Maske. Seine roten Augen leuchteten durch die Finsternis und Hermine glaubte schlitzartige Nasenlöcher zu erkennen. Ihr stockte der Atem. Er hatte sie entdeckt. Harry würde jetzt keine Chance bleiben… Sie hatten nicht einmal alle Horcruxe… Sie waren so gut wie verloren. Hermine hätte Harry am liebsten am Kragen gepackt und ihn wenigstens außer Sichtweite gezogen, aber sie war unfähig auch nur den kleinsten Teil ihres Körpers zu bewegen. Sie starrte einfach nur zu den funkelnden Augen hinüber und wartete, dass sich etwas tat. Doch es geschah nichts. Harry machte vorsichtig ein paar Schritte rückwärts und noch immer machte Voldemord keinerlei Anstalten einen Fluch auf sie loszuhetzen oder ihnen in irgendeiner Weise etwas anzutun.
„Er kann uns nicht sehen…“, murmelte Harry, der mittlerweile neben Hermine stand, leise.
„Aber… aber…“, stammelte Ginny.
„Ich glaube, Malfoy hat ausnahmsweise mal seine Klappe gehalten“, beantwortete er die Frage, die allen gerade durch den Kopf schwirrte und grinste höhnisch dabei. Dann wandte er sich an seine Freunde.
„Egal, was ihr tut: Geht auf keinen Fall aus diesem Haus raus!“
Er hatte nicht laut gesprochen, aber mit einer Bestimmtheit, dass niemand der drei auch nur wagte ihm zu widersprechen. Hermine konnte wieder die Kraft spüren, die ihren besten Freund umgab und wie durch ein Wunder legte sich ihre Angst etwas.
„Ginny, ich liebe dich“, murmelte Harry dann, sah Ginny aber nicht in die Augen. Dann rannte er in Richtung der Terasse davon. Ron und Hermine, die die etwas perplexe Ginny hinter sich herzog, folgten ihm so gut es ging. Als sie sich dem Garteneingang in den Fuchsbau näherten, konnten sie immer wieder die Schreie von Innen hören. Hermine vernahm außerdem Geräusche, die sich anhörten wie ein Hund, als sie keuchend die Türschwelle übertrat und in ein völlig zerstörtes Wohnzimmer traten, dass nicht mehr allzu viel mit einem solchen gemeinsam hatte. Das einzige, was noch hing, war die alte Uhr mit den zwölf Zeigern. Alle Zeiger zeigten auf „Tödliche Gefahr“ – alle bis auf einen: Ginnys Zeiger war schlicht und einfach auf „Zu Hause“ gerichtet. Hermine betrachtete die Uhr einen Moment überrascht, besinnte sich dann aber schnell wieder, mit was sie es hier eigentlich zu tun hatten und das dies wohl ein ungeeigneter Moment war, einer etwas ältlichen, sich irrenden Uhr ihre Aufmerksamkeit zu schenken und folgte Harry, der sich zwischen den Trümmern zum Eingang schlängelte, von woher die sehr beunruhigenden Geräusche kamen.
Hermine wollte gerade um die Ecke lucken, als auch schon ein rotfarbener Fluch an ihr vorbei flog und sie sich gerade noch an die Wand quetschen konnte, um ihm auszuweichen. Ron, der hinter ihr war, hatte sich geduckt und Ginny zu Boden gedrückt, die irgendwie immer noch nicht ganz klar zu sein schien.
Abermals schaute Hermine vorsichtig um die Ecke und der Anblick, der sich ihr bot, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren: Lupin, McGonagall, Bill und Tonks standen blutüberströmt an die Haustür gepresst und versuchten sich mit allen Mitteln eine Kreatur vom Leib zu halten, von der Hermine nicht ausmachen konnte, was genau es war. Das Wesen, stand auf zwei Beinen, war aber halb gebückt und strömte einen Geruch aus, der Hermine sehr an Blut erinnerte. Seine behaarten Hände, oder besser gesagt Klauen, mit den gelben Krallen kamen den vier Ordensmitgliedern immer wieder gefährlich nahe. Das Gesicht, wenn man es so nennen konnte, glich eher dem einer tierischen Bestie mit menschlichen Zügen, als einem Menschen und Hermine sah mit Ekel die gefletschten, durch das Blut rot gefärbten Zähne, die sich aus dem geöffneten Mund wölbten. Für Hermine gab es keinen Zweifel mehr - es konnte sich nur um Greyback handeln.
Harry hatte damit begonnen Greyback Flüche auf den Hals zu hetzen und versuchte ihn von der Tür wegzubewegen und Hermine, Ron und Ginny, die durch den Schreck wieder bei der Sache war, taten es ihm gleich. Es gelang ihnen zwar, das haarige Wesen von der Tür abzulenken, doch das hatte den Nachteil, dass dieses es nun auf sie abgesehen hatte. Es sprang in ihre Richtung und stürzte sich auf Ron, der schützend den Arm über sein Gesicht hielt, wodurch Greyback nur dessen Arm zu fassen bekam. Hermine ließ vor Schreck beinahe ihren Zauberstab fallen, doch von der Tür her kamen schon Flüche, um die Bestie von Ron zu verscheuchen, aber die Flüche hatten kaum Wirkung auf Greyback. Hermine stand nur da und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hätte gerne geschrieben, doch eine unbekannte Macht hatte ihr die Kehle zugeschnürt.
„Nein!“, schrie Harry Lupin zu, der gerade die Tür öffnen wollte. „Er ist draußen! Lass die Tür zu!“ Lupin hatte die Türklinke schon heruntergedrückt, doch ließ sie auf Harry Rufen sofort los und stolperte ein paar Schritte zurück, was ein grober Fehler gewesen war.
Greyback stürzte nämlich in genau dieser Sekund, wo die Tür ungeschützt war, auf die Türklinke und öffnete sie.
„Weg!“, schrie Harry und sie flohen in alle Richtungen. Hermine war Harry und Tonks in den Garten hinterher gerannt, dicht gefolgt von Ginny. Aus dem Augenwinkel hatte sie gerade noch gesehen, wie Ron von Bill und Lupin die Kellertreppe hinuntergezogen worden war. Sie hätte gern auf der Stelle kehrt gemacht, aber sie wusste, dass sie ihn dann erst recht nie mehr wieder sehen würde, da sie sich damit ihr eigenes Grab geschaufelt hätte. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als die Schreie und Rufe der hereinstürmenden Todesser hinter sich zu ignorieren und hinter den andern her in den Garten zu fliehen.
Im Garten allerdings versteckten sie sich nicht, wie Hermine es zuerst vermutet hatte, sondern Harry, Tonks und Ginny wandten sich um, mit erhobenem Zauberstab auf die nahenden Todesser wartend und Hermine tat es ihnen, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, gleich.
Sobald die schwarzen, vermummten Gestalten in reichweite waren, feuerten beide Seiten wild drauf los, wodurch in den Reihen der Todesser schon einige zusammen sackten und bewegungslos im Gras liegen blieben, da die hinteren ohne auf die Kumpanen vor ihnen zu achten einfach Flüche abgeschossen hatten.
Als letztes trat die große, hagere Gestalt durch die Terassentür hinaus in die lauwarme Nacht, dicht gefolgt von der Schlange Nagini. Ohne auch nur einen Moment zu überlegen, schoss Hermine einen Fluch auf die Schlange ab, doch Voldemord, der von dem allgemeinen Durcheinander kurz etwas abgelenkt gwesen zu sein schien, wehrte ihn mit einer lässigen Bewegeung seines Zauberstabs ab und befahl seine Schlange mit der Hermine so fremd klingenden Sprache wieder zurück ins Haus. Dann sah Voldemord Hermine direkt in die Augen und sein dünner Mund formte sich zu einem höhnischen Grinsen. Einen kurzen Augenblick standen sie so da, dann, blitzschnell, kam ein Fluch aus seinem Zauberstab geschossen und ein Schmerz jenseits allem, was Hermine je gespürt hatte, durchdrang ihren Körper. Sie schrie. Sie konnte nicht anders, als zu schreien. Sie konnte nicht mehr denken. Das einzige, was ihr durch den Kopf ging, war, dass es aufhören sollte. Sie wollte lieber sterben, als diesen Schmerz eine Sekunde länger zu ertragen. Dann hörte er endlich auf. Hermine lag regungslos am Boden, stark keuchend und wollte sich keinen Zentimeter mehr von der Stelle rühren.
„Hermine, steh auf!“, schrie Ginny. „Steh auf, mach schon!“ Dann spürte sie, wie eine starke Hand sie am Kragen packte und in eine aufrechte Stellung beförderte. Es war Harry gewesen, der nebenher gerade noch einen Todesser geschockt hatte. Er schien während der nächtlichen Ausflüge Übung bekommen zu haben und stand den anderen Ordensmitgliedern, was Duellieren anging, in keinster Weise nach. Als er Hermine wieder auf die Beine gebracht hatte, flüsterte er ihr ins Ohr: „Hermine, Nagini gehört dir. Beeil dich! Geh vorne rum!“
Und mit diesen Worten stieß er sie sanft von sich weg, worauf Hermine kurz stolperte, aber dann in Richtung des vorderen Teils des Hauses davonrannte. Drei Flüche sausten knapp an ihr vorbei, als sie zum andern Ende des Gartens lief.
Bevor sie um die Ecke bog, kniete sie sich hinter dem Busch nieder, von dem aus sie ein paar Minuten vorher das erste Mal in das schreckliche Gesicht Voldemords geblickt hatte. Ihr schauderte noch einmal kurz, doch dann widmete sie ihre ganze Konzentration wieder dem Auftrag, den ihr Harry erteilt hatte.
Vor dem Haus waren noch drei Todesser postiert, die unruhig umhergingen und sich immer wieder hektisch umsahen, dann wieder kurz stehen blieben um zu lauschen, um dann wieder ihren Gang fortzusetzen.
Hermine überlegte kurz, wie sie sie am besten erledigen konnte, nahm dann ihren ganzen Mut zusammen, zauberte sich in einen schwarzen Umhang mit tiefer Kapuze, ging ein paar Schritte zurück und rannte dann so schnell es ging um die Ecke, laut keuchend.
„Schnell, hinter mit euch!“, schnaufte sie mit verstellter Stimme. Die Todesser hatten sich zu ihr umgewandt und sie konnte erahnen, dass sie sie durch ihre Masken misstrauisch anstarrten.
„Macht schon!“, rief sie, doch die drei Gestalten bewegten sich nicht und Hermine wurde mulmig zumute. Fest umklammerte sie ihren Zauberstab und wartete, was geschehen würde.
Wenn Du Lob, Anmerkungen, Kritik etc. über dieses Kapitel loswerden möchtest, kannst Du einen Kommentar verfassen.
Zurück zur Übersicht - Weiter zum nächsten Kapitel