von Noble Scarlet
Serena nahm noch einen Schluck von ihrem Tee, stellte die Tasse zurück auf das Tischchen und strich eine Strähne ihres weissen Haares hinters Ohr. Sie schaute Leonie eine Weile gedankenverloren an, dann begann sie endlich zu erzählen:
„Nun gut, ich erzähle euch die Geschichte meiner besten Freundin Lenora Pevensie. Lenora wurde im Jahre 1924 als Tochter von Edward und Leslie Pevensie geboren. Ihre Familie konnte einen langen, reinblütigen Stammbaum vorzeigen, welcher bis ins Mittelalter zurückführte und dessen Anfang bei der Schwester von Rowena Ravenclaw lag. Lenora war somit eine Erbin der Familie Ravenclaw und wurde vom Sprechenden Hut in dieses Haus eingeteilt. Unsere Schuljahre verliefen gut, bis in der fünften Klasse, als die Kammer des Schreckens geöffnet und ein Mädchen aus unserem Haus getötet wurde. Der Mörder wurde jedoch gefunden und so konnten wir für das sechste Schuljahr nach Hogwarts zurückkehren. In diesem Schuljahr verliebte sich Lenora. Oh, wie süss sie war! Ich konnte ihr die Gefühle regelrecht vom Gesicht ablesen, wo sie sich doch sonst Jungen gegenüber eher uninteressiert verhalten hatte. Aber es war offensichtlich, sie hatte sich in Tom Riddle aus Slytherin verliebt.“
„Tom Riddle?!“, unterbrach Harrys erstaunter Ausruf die Erzählung.
„Moment“, Leonie blickte fragend zu Harry, „Ich habe diesen Namen jetzt schon so oft gehört, vielleicht könnte mir ja mal jemand erklären, was so besonders daran ist? Wer war Tom Riddle?“
“Leonie!”, Harry schaute sie irritiert an, “Habe ich dir das nicht erzählt?”
„Nein.“
„Tom Volorst Riddle ist Lord Voldemort. Das ist sein wahrer Name!”
Serena zuckte zusammen.
„Wirklich?“, Leonie wollte es nicht glauben.
Lenora hatte sich in Voldemort verliebt?
„Genug!“, Serena hob eine Hand, „Erstens will ich diesen Namen nicht in meinem Haus hören und zweitens habt ihr mich unterbrochen.“
Die Geschwister murmelten eine Entschuldigung.
„Also, Lenora verliebte sich in ihn und er erwiderte ihre Liebe scheinbar, denn sie wurden ein Paar. Das perfekte Paar, wie viele sie nannten, denn Lenora und Tom waren beide gutaussehend, intelligent und beliebt. Aber dann geschah diese Gräueltat... Eines morgens wurde ein Vertrauensschüler, der Nachwache gehabt hatte, tot in einem Korridor aufgefunden. Die Lehrer versuchten uns zu beruhigen, doch wir hatten alle den selben Gedanken: Gab es einen zweiten Erben Slytherins? War die Kammer wieder geöffnet worden? Wir wussten es nicht. An jenem Morgen sprang Lenora plötzlich erschrocken vom Frühstück auf und stürzte aus fluchtartig aus der Grossen Halle. Ich wusste nicht warum, dachte aber nicht weiter darüber nach, denn Lenora hatte ja schon immer ihre Launen gehabt. Der Unterricht fiel an diesem Tag aus und als ich gegen fünf Uhr im Gemeinschaftsraum sass und sie sich noch immer nicht hatte blicken lassen, da begann ich mir Sorgen zu machen. Wo war sie nur so lange? Warum hatte sie mir nicht gesagt, wohin sie gegangen war und warum hatte sie so erschrocken gewirkt? Ich beschloss nach ihr zu suchen und begann die Korridore und Klassenzimmer zu durchforsten. Einmal lief ich Tom über den Weg, doch auch er wusste nicht wo Lenora war. Er sah mich mit einem seltsam gehetzten und verängstigen Blick an... Doch so schrecklich es auch war, ich fand sie schliesslich. Glaubt mir, bis zu meinem Tod werde ich diesen Moment nicht vergessen. Im Korridor im zweiten Stock stiess ich auf ein verschlossenes Klassenzimmer. Ohne mir viel dabei zu denken, öffnete ich die Tür mit einem Alohomora-Zauber und trat ein. Nur langsam drang in mein Bewusstsein vor, was ich dort sah. Lenora lag auf dem Boden, den Zauberstab neben sich und die dunkelblauen Augen leer und starr zur Decke blickend. Als ich begriff, was mit ihr geschehen war, stiess ich einen lauten, schrillen Schrei des Entsetzens aus, welcher die Lehrer herbeirief. Ich stand unter Schock, konnte mich nicht mehr rühren und begann stumm vor Trauer zu weinen. Sie war tot. Meine beste Freundin war tot.“
Serenas Hände verkrampften sich in ihrem Schoss und sie schwieg, erfüllt von alter Trauer.
„Wie... Mrs Shipley, wie ist sie gestorben?“, fragte Leonie vorsichtig.
„Ich weiss es nicht“, antwortete Serena traurig, „Sie war ermordet worden, aber keiner konnte sagen wie. Heute glaube ich, dass es ein Avada Kedavra Fluch gewesen sein muss, doch damals war dieser Zauber noch nicht sehr bekannt. Oder... das Monster der Kammer war zurückgekehrt.“
„Ist Ihnen etwas seltsames aufgefallen? Ich meine... sah Lenora irgendwie... anders aus?“
„Nein“, Serena schüttelte den Kopf, „Doch! Da war etwas! Ihr Armreif fehlte. Sie hatte von ihrer Mutter ein altes Erbstück der Familie, einen goldenen Armreif, zum Geburtstag bekommen. Er fehlte, ich habe ihn niemals wieder gefunden.“
„Tom Riddle“, stellte Harry fest.
“Was?”
“Denk nach, Leonie! Ein Armreif der Familie Ravenclaw! Riddle hat Lenora ermordet um an den Armreif zu kommen!“
„Nein“, Serena schüttelte wieder den Kopf, „Das ist unmöglich, er liebte sie! Er hat nach ihrem Tod nie wieder ein Mädchen auch nur angesehen! Er trauerte!“
„Woher wollten sie das wissen? Was wenn er nur geschauspielert hat?“
„Nein... Das glaube ich nicht... Ich bin ihm noch oft begegnet und er-“
„Wie wirkte er? Wie sah er aus?“
„Ich... Nun ja, man konnte nichts sehen... Es war mehr ein Gefühlt. Ja, man spürte etwas wie... wie...“, Serena rang nach Worten, „Kälte! Ja, Kälte war es!“
„Kälte...“, flüsterte Leonie und verspürte augenblicklich das Gefühl, welches sie überkam, wann immer sie auf Voldemort traf.
„Harry, er war es! Er muss es gewesen sein!“
„Ich verstehe nicht, wie ihr-“
„Mrs Shipley“, unterbrach Leonie die alte Frau, „trug Lenora diesen Armreif?“
Sie streckte ihr den rechten Arm entgegen und zog den schwarzen Ärmel ihres Kleides über dem Handgelenk zurück.
Serenas Augen weiteten sich, als sie das goldene Schmuckstück erkannte.
„Ja“, hauchte sie, „Ja, genau dieser... Aber wie...?“
„Das ist eine lange, beinahe unerklärliche Geschichte“, sagte Leonie, „und sie ist selbst jener unserer Grosstante in Grausamkeit weit überlegen.“
„Verstehe...“
„Lenora war unsere Grosstante, die Erbin Ravenclaws. Ihre Schwester, unsere Grossmutter, muss also erst nach ihrem Tod geboren worden sein... Sie war viel jünger.“
„Ja, Lenora lernte ihre Schwester niemals kennen.“
„Hat Lenora vielleicht ein Tagebuch oder so geschrieben?“, wollte Leonie plötzlich wissen.
„Ja, das hat sie“, Serena stand auf, ging zu einem Regal und zog ein Buch daraus hervor, „Hier, wenn ihr wollt, könnt ihr es lesen. Aber glaubt mir, es beinhaltet nichts wirklich nützliches.“
Sie reichte Leonie das Buch, diese schlug es auf und begann es durchzublättern. Da musste etwas sein, ein Hinweis, ein Wort, irgendetwas, das ihre furchtbare Vermutung bestätigen würde...
Liebes Tagebuch
Der Unterricht war heute ganz normal. Nichts wirklich interessantes. Aber ich kann diese gaffenden Jungen allmählich nicht mehr ertragen! So toll bin ich also auch wieder nicht, die sollten auf meine angekauten Fingernägel blicken... Wie kann Serena so etwas toll finden? Ich finde es einfach nur grässlich.
Liebes Tagebuch
Gracia ist wirklich eine miese Person! Kann die einen eigentlich nie in Ruhe lassen? Was habe ich ihr denn getan?
Liebes Tagebuch
Heute war ich mit Tom in Hogsmeade. Ja, mit Tom! Was soll ich tun? Ich bin verliebt, Serena hat Recht... Wir sassen auf einer Bank unter einem Baum im Park des Dorfes. Es war so wundervoll... Wie soll ich mein Glück beschreiben? Wirklich, ich finde mich schon selbst ganz kitschig... Er hat mir eine Geschichte von der Liebe zwischen Slytherin und Ravenclaw erzählt. Tom ist der letzte Erbe Slytherins, ob sich die Geschichte wiederholen wird? Er hat mich geküsst, zum ersten Mal... Ich bin glücklich, wirklich.
Leonie glaubte das Glück geradezu zu fühlen. Nein, sie fühlte es. Etwas stimmte nicht... Ihre Sicht trübte sich, ihre Gedanken verschwammen und etwas neues tauchte auf. Nein, es war nicht neu... Es war eine Erinnerung, so frisch, als erlebe sie die Szene von neuem.
Er hob ihr Kinn mit der Hand an und schaute ihr in die Augen.
Sie hob ihrerseits eine zitternde Hand und fuhr mit den Fingerspitzen den Schwung seiner Lippen nach.
Was dachte er? Was würde er mit ihr machen? Welches war sein wirkliches Ziel?
Doch all diese Fragen verblassten in ihrem Kopf, als er sich näher zu ihr hinabbeugte und seine Lippen mit den ihren zu einem wundervollen, kühlen Kuss verschmolzen.
„Leonie, bist du in Ordnung?“, Harrys Stimme holte sie zurück in das Wohnzimmer, zu ihm und Serena, welche sie verwundert ansah. Leonie ignorierte sie und las den nächsten Eintrag:
Liebes Tagebuch
Heute habe ich Tom ein Lied geschrieben. Der Text passt ja nicht wirklich, aber er mag doch die alte Sage von Ravenclaw und Slyhterin und da dachte ich mir, ich schreibe ein Lied aus Ravenclaws Sicht. Es ist etwas seltsam... Ich weiss auch nicht... Aber es hat ihm gefallen!
Sparkling angel I believed
you were my saviour in my time of need.
Blinded by faith I couldn't hear
all the whispers, the warning so clear.
I see the angels,
I'll lead them to your door.
There's no escape now,
no mercy no more.
No remorse cause I still remember
the smile when you tore me apart.
You took my heart,
deceived me right from the start.
You showed me dreams,
I wished they would turn into real.
You broke the promise and made me realise.
It was all just a lie.
Sparkling angel, I couldn't see
your dark intentions, your feelings for me.
Fallen angel, tell me why?
What is the reason, the thorn in your eye?
I see the angels,
I'll lead them to your door.
Alle There's no escape now,
no mercy no more.
No remorse cause I still remember
the smile when you tore me apart.
You took my heart,
deceived me right from the start.
You showed me dreams,
I wished they would turn into real.
You broke the promise and made me realise.
It was all just a lie.
Could have been forever.
Now we have reached the end.
This world may have failed you,
it doesn't give you reason why.
You could have chosen a different path in life.
The smile when you tore me apart.
You took my heart,
deceived me right from the start.
You showed me dreams,
I wished they would turn into real.
You broke the promise and made me realise.
It was all just a lie.
Could have been forever.
Now we have reached the end.
Langsam liess Leonie das Tagebuch sinken, klappte es zu und legte es auf das Tischchen. Ihr Magen hatte sich schmerzhaft verkrampft und sie spürte einen Kloss im Hals. Die Vermutungen wurden immer mehr und schienen allesamt zu Wahrheiten werden zu wollen. Wie eine Raupe waren sie verpackt in ihrem Kokon, um dann allmählich ihre Schale abzuwerfen und ans Licht zu kommen. Geboren als schöner, schwarzer Schmetterling, welcher durch die Dunkelheit flattert und sich auf einem Grabe niederlässt.
„Mrs Shipley...“, Leonie zögerte, „Hatte... Hatte Tom Riddle eine Art Lenora zu rufen? Gab er ihr einen Kosenamen?“
„Lass mich nachdenken... Es kommt mir so vor als ob...“, Serena runzelte die Stirn, „Ja! Aber natürlich! Er nannte sie Prinzessin.“
Leonies Tasse fiel klirrend zu Boden und zersprang zu hundert Teilen weissen Porzellans.
„Verzeihung, ich...“
„Keine Bange, das haben wir gleich“, Serena schwang ihren Zauberstab, „Reparo!“
Die Tasse fügte sich wieder zusammen und hüpfte auf das Tischchen. Leonie ballte ihre zitternden Hände zu Fäusten. Was geschah hier nur? Warum sie? Warum?
Prinzessin... Komm zu mir, Prinzessin...
„Ich hätte noch eine letzte Frage an Sie“, sagte Harry, „Sie sind doch die letzte Erbin Hufflepuffs. Befindet sich zufälliger Weise ein goldener Becher mit eingraviertem Wappen Hufflepuffs in ihrem Besitzt?“
„Leider nein, ich habe einen, musste aber feststellen, dass es sich um eine Fälschung handelt... Ich weiss nicht, was mit dem Original geschehen ist. Oh, Leonie, möchtest du ein Glas Wasser? Du bist ja ganz weiss im Gesicht!“
„Es geht schon, danke.“
Aber Leonie log, denn es ging überhaupt nicht. Eine eisige Kälte machte sich in ihr breit und sie fühlte, wie ihr Geist gegen einen anderen anzukämpfen begann.
Prinzessin, antworte mir! Sofort! Wo bist du? Ich habe dir gesagt, was du tun sollst! Warum bist du nicht dort, wo du zu sein hast?!
Leonie konzentrierte sich darauf ihn zu verdrängen, aber er war so viel stärker als sie und der Treueschwur verband sie immer mehr mit ihm...
„Harry...“
Leonie taumelte, dann fiel sie von ihrem Sessel und blieb reglos liegen.
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