von Xaveria
Heute Nacht schwoll der Wind an und von dem Ort, an dem ihr ihr Name fremd war, unter ihren Träumen, heute Nacht spürte sie es aufkommen.
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Die Schulleiterin sah von ihrem Schreibtisch auf, als ein sanftes Läuten von der Wendeltreppe ihr die Gegenwart eines der Geister des Schlosses signalisierte. Sie straffte die Schultern und beobachtete die Tür. „Herein.“
Als sie den Blutigen Baron erblickte, stand sie leicht auf, aber er schüttelte nur mit dem Kopf und deutete ihr an, dass sie sich wieder setzen sollte. „Ihm geht es nicht schlechter.“
Leicht seufzend ließ sie sich zurück in den Stuhl fallen. Der Hauslehrer von Slytherin hatte seinen Zustand vor allen geheim gehalten, hatte eine zunehmend komplexere Reihe von Zaubertränken gebraut, wodurch es ihm gelang die schlimmsten Symptome auszuhalten und weiterhin zu unterrichten, aber letztendlich war er kurz vor Beginn des neuen Schuljahres zusammengebrochen.
„Vergeben Sie mir, Minerva“, hatte er gesagt, als Poppy einen Schritt vom Bett zurücktrat und ihren Blick erhaschte. Es waren keine Worte nötig gewesen; sie beide hatten schon zu viel gesehen. „Ich habe es so genossen zu unterrichten...“ Er hatte sich zurück in seine Kissen fallen lassen, ein leichtes Lächeln entspannte seine Gesichtszüge, als der Schmerzzaubertrank seine Wirkung zeigte.
„Der Wind wird stärker, Schulleiterin.“
Die Stimme des Blutigen Barons brachte sie wieder zurück in die Gegenwart und Minerva bedachte ihn für einen Moment mit einem skeptischen Blick. „Sie klingen wie ein Zentaur.“
Der Baron schnaufte, schwebte leicht zurück. „Sie spürt es.“ Er glitt zu einem der großen, schmalen Fenster. „Sie spürt es, selbst wenn sie nicht weiß, was es ist. Es wird nicht mehr lange dauern.“
„Sind Sie sich sicher?“ Die Tonlosigkeit in ihrer Stimme betrog die plötzliche Kälte in ihrem Bauch.
Er nickte.
Minerva stütze sich auf die Armlehnen, ihre Finger begannen automatisch den abgetragenen Einkerbungen der Schnitzereien zu folgen. „Aber wenn er stirbt, dann sollte...“
„Es wird noch davor passieren, wie Sie sehr wohl wissen“, fuhr der Baron leise fort, sich nicht vom Fenster abwendend.
Während sie dem Kreis der Schnitzerei folgte, bemerkte Minerva, dass der Ring, den sie trug, sich dieses Jahr viel leichter drehen ließ; der Stein fiel schwer gegen ihre Finger, als sie nachdachte. Das Geräusch, welches durch den Aufprall auf das Holz verursacht wurde, war leise, aber real und zum ersten Mal hielt sie ihre Hände willentlich still. „Dann denke ich, ist es an der Zeit.“
Der Baron drehte sich zu ihr um, glitt ein paar Meter zur Seite, als er seinen nächsten Satz mit Bedacht formulierte. „Die Tatsachen sind unanfechtbar.“ Er zögerte für einen Moment, immer noch schwebend. Als Minerva nicht antwortete, fügte er hinzu: „Sie ging geradewegs durch mich hindurch.“
Die Schulleiterin schloss ihre Augen und atmete aus. „Absolut keine Anzeichen dafür, dass sie Ihre Gegenwart gespürt hat?“
„Nein. Keine.“
„Ihre Nachforschungen befinden sich in einer kritischen Phase, vielleicht -“
„Nein“, erwiderte der Baron und schwebte ein paar Meter näher. „Es war weder Ablenkung, noch war sie in Gedanken vertieft gewesen, nein.“
Ein Teil von Minervas Gehirn missbilligte den charakteristischen, schlangenartigen Satzbau des Barons und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. Nur den Bruchteil einer Sekunde, aber er bemerkte die Gesichtsregung und die Bedeutung, die sie hatte und er flog zu ihrem Stuhl.
„Sie sah mich nicht einmal. Sie kann mich nicht sehen, Minerva. Sie kann niemanden mehr von uns sehen.“
Minervas Hände verkrampften sich in ihrem Schoß und ihr wurde ganz kalt, als seine Worte schwer in der Luft lagen, aber sie weigerte sich strikt den Blick abzuwenden.
Er schwebte neben ihr, zog die Wärme aus der Luft, bis er sich sicher war, dass sie ihn verstanden hatte. Erst dann entfernte er sich auf eine angemessene Distanz.
Der Umgang mit der Wärme war eines der Dinge gewesen, die er den Schülern aus dem Zug gelehrt hatte.
Sich erinnernd seufzte Minerva und schaute dann bestimmt zu einen der Portraits auf. „Albus?“
Im schattigen Schein nahe der gewölbten Decke, schien Dumbledores Portrait leicht zu verblassen. „Ich habe meinen Zweifeln bezüglich dieses Vorgehens mehr als einmal Ausdruck verliehen, Minerva.“
„Aber, Albus, sicherlich sehen Sie-“
„Viel mehr als Sie, befürchte ich“, sagte er. In der Tat, von seinem Platz aus hoch oben an der Wand konnte er leicht das Quidditchfeld überblicken. Er hatte sich gewünscht, dass sein Portrait aus diesem Grund umgehängt werden würde.
Die Tatsache, dass sein Blickfeld sich jetzt auch über den Verbotenen Wald ausbreitete, war Minerva nicht entgangen. Sie drängte ihn weiter. „Was kann man sonst noch tun?“
„Warum, nichts, natürlich“, sagte er ruhig.
„Dann...“
Er senkte sein Kinn, um sie über den Rand seiner Brille hinweg anzusehen, und ihre Worte starben unausgesprochen. Mit einer trügerisch ruhigen Stimme fuhr er fort. „In jedem Fall, Minerva, sollte man immer handeln, jedoch folgen einem nicht unbedingt diejenigen, die es sollten.“
Sie bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, mit dem sie immer solche Äußerungen begegnete. „Wie sollen wir dann entscheiden-?“
„Es liegt vielleicht nicht an uns, es zu wissen.“
Sie betrachtete ihn kühl, er begegnete ihren Blick ruhig, aber er sprach nicht weiter.
Nach wenigen Minuten räusperte sich der Baron höflich. „Schulleiterin, wenn Sie weiter nichts benötigen...“ Er ließ den Satz unfertig im Raum stehen. Auf ihr Nicken hin verschwand er durch die Wand. „Ich werde Sie bezüglich Slughorns Verfassung morgen früh informieren. Gute Na-“ Das Wort war nur halb beendet, als er durch die feste Mauer verschwand.
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Falten waren nicht erlaubt und die Laken waren weich. Und die Kissen unter ihren Haaren sanft... keine Kanten, keine Steine, keine Schritte, keine Echos.
Und sie spürte, wie sich ihre Gesichtszüge entspannten und sie glitt an den Ort der schattigen, halben Gedanken, wo die Träume halb gestaltet waren, wo sie unter den ewig wehenden in Mondlicht getauchten Ästen verstummten. Keine Worte, kein Körper...
... keine Gedanken.
Sie war frei.
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Minerva schritt im Lampenlicht auf und ab.
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Allzu bald schlief sie.
Sie wollte Ron nicht ansehen, wollte nicht sehen, wo er hin geschleudert wurde, niedergeschlagen. So nahe. Sie wollte nicht...
Harry – seine Augen – und sie spürte wie er schwächer wurde, wie er fallen würde.
„Hermine“, keuchte Ron, als er darum kämpfte sich auf einen Ellbogen zu stützen, um sie direkt anzusehen.
Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, einen Schritt zurückweichend schüttelte sie ihren Kopf, ihr Mund geöffnet in einem stummen Protest.
„Hermine, bitte.“ Sein Blick war verzweifelt.
„Ich kann nicht!“ Ein Flüstern, ein Schrei; beides, keines von beiden; aber sie wusste, dass er sie gehört hatte und sein Blick blieb hart.
„Du musst es tun. Du bist die Einzige, die-“, keuchte er – ein Krampf durchzuckte seinen Kopf und er fiel zurück. Sein Kopf schlug auf den Boden, starrte hinauf in den Himmel, sein verstummter Mund formten die Worte: „Du kannst es.“
Sie riss ihren Blick von ihm weg zurück zu Harry, sie sah, was sie nie gehofft hatte zu erblicken – tief in seinen grünen Augen loderte ein roter Schimmer – leuchtend, wachsend...
Ein unfreiwilliger Blick zu der Stelle, wo Voldemort lag und dann wieder zurück zu Ron; sein Blick gen Himmel gerichtet, seine Lippen formten noch immer die Worte, „Du kannst es...“
Wie in einem wilden, kindlichen Wunsch schloss sie die Augen, sie wünschte sich einfach nur woanders zu sein, irgendwo anders, irgendwer anderes zu sein, geboren für etwas anderes als das hier.
Und die Stimme in ihrem Kopf begann zu flüstern...
Als sie ihre Augen öffnete, kniete sie nach Luft schnappend auf dem Boden, ihr Zauberstab zerbrochen und Rons Augen waren weit aufgerissen, starrten sie an, glasig, gleichgültig.
Aber Harrys Augen waren grün, nur grün und die Fesseln des Ordens waren gebrochen und dann kehrten die Geräusche plötzlich wieder zurück an ihre Ohren und sie waren alle an ihr vorbei zu Harry gestürmt und sie hatte ihnen dabei zugesehen.
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Die Lampe im Büro der Schulleiterin war fast herunter gebrannt, die Wärme schwand von den Wänden, als Reihe um Reihe die Portraits der ehemaligen Schulleiter von Hogwarts im Schatten verschwanden und dennoch schritt Minerva immer noch auf und ab, während sie eine Falte ihres Gewandes endlos zwischen ihren Fingern gleiten ließ.
Abrupt blieb sie stehen und zog ihren Zauberstab.
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Ein silberner Blitz schoss an seinem Fenster vorbei und Severus Snape sah von seinem Pergament auf. Es war bereits über zwanzig Jahren her, dass er das letzte Mal eine Nachricht durch einen Patronus erhalten hatte, aber sein Gesicht verriet keine Überraschung, als er Minervas Boten gestattete herein zu kommen.
Alles, was es sagte, bevor es verschwand, war: „Sie werden gebraucht.“
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er rollte die Pergamente, die er gelesen hatte, in eine ordentliche Rolle, legte sie in eine wartende Reisetasche, rief seinen Besen herbei und sandte seinen eigenen Patronus hinaus in die Nacht.
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Sie warf ihren Kopf wild auf ihrem Kissen hin und her. Unter ihrem feuchten Haar schimmerte ein rosaroter Fleck.
Am Morgen würde die Hauselfe – mit ihrem wässrigen Blick – die man ihr zugewiesen hatte, ihren Kissenbezug wechseln. Normale Tintenflecken waren Routine für die Hauselfen in Hogwarts, aber aus Gründen, die niemand genauer hinterfragte, war dieser bestimmte Tintenfleck zusammen mit diesen bestimmten Tränen geblieben. Und die abgelegenen Kissenbezüge hatten seit langem jede Hauselfe in England bekleidet. Wenn sich ein aufmerksamer Vorsteher oder eine aufmerksame Vorsteherin bezüglich dieses Flecks erkundete, würden die Elfen ihre Augen aufreißen, aber sie würden ihre Köpfe schütteln und untypischerweise nicht antworten.
Keine Hexe oder kein Zauberer dachte je daran ein zweites Mal nachzufragen.
Am Morgen würde die Hauselfe traurig ihren Kopf schütteln, während sie die Kissenbezüge wechselte, so wie sie es jeden Morgen seit zwanzig Jahren tat.
Die Professorin, die sich ihr Gewand anzog, würde es nicht bemerken, wie sie es schon seit langem nicht mehr getan hatte.
Aber jetzt war es noch immer nachts und ein kleines, wortloses Flüstern stieg aus ihren Träumen hervor, nicht mehr als ein Hauch von Rauch. Es stieg, leise, beharrlich...
„Nein“, murmelte sie.
Jedes Portrait im Schloss zuckte zusammen und auf dem Regal in dem Büro der Schulleiterin presste der Sprechende Hut fest seine Augen zusammen.
Und, neun Etagen weiter unten in Slughorns Zimmer Wache haltend, sah der Blutende Baron auf. Er hatte sie gehört, so deutlich als ob sie geschrien hätte.
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