von Xaveria
Er hatte so etwas erwartet. Aber es war noch schlimmer als er gedacht hatte.
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Wie gewöhnlich wachte Hermine jeden Morgen nichts ahnend auf – nichts ahnend von ihren Träumen, von der Hauselfe, die ihren Kissenbezug wechselte, nicht ahnend, dass sie bereits am Mittag wieder einen frischen scharlachroten Tintenfleck neben ihrem Ohr haben würde.
Wenn ihr bewusst war, dass der Wind höher stürmte, näher am Schloss, sich in jeden noch so kleinen Riss oder jeder Spalte in dem altertümlichen Stein ausbreitete, dann war es in ihrem Gesicht nicht zu erkennen, während ihre Absätze ihr geregeltes Vorankommen den Flur entlang, die Treppen hinunter und zum Frühstück in die Große Halle, kennzeichneten.
In ihrem Kopf, bereits den fortlaufenden Weg ihrer Nachforschungen für den heutigen Tag bemessend, hatte sie kaum bemerkt, dass das Schuljahr zu Ende war und die Schüler abgereist waren. Ein möglicher Durchbruch in ihren Nachforschungen hatte sich während der Nacht an sie herangeschlichen, wie es ihr manchmal passierte während sie schlief, und ihr Blick war belegt und fern, als sie ihr Frühstück zu sich nahm.
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Während Severus die Treppen zur Eingangshalle hinaufging, ertappte er sich müßig fragend, ob das Schloss angewiesen wurde seine Gemächer wiederherzustellen oder ob Minerva es einfach erlaubt hatte, dass sie, seitdem er die Schule verlassen hatte, ungenutzt und unverändert erhalten blieben.
Sein Blick durchsuchte den Korridor vor ihm nach jeglichen Anzeichen für die verärgerte Professorin Granger.
Aufgewühlt. Nicht verärgert, aufgewühlt.
Die letzten Stufen aus dem Kerker in die Eingangshalle emporgesteigend, versicherten ihm die Geräusche aus der Großen Halle, dass das Lehrerkollegium bereits beim Frühstück war. Er hielt inne, lehnte sich kurz gegen die Säule und ging noch einmal seine Erinnerungen an Hermine Granger durch.
Wenige Besonderheiten ergaben sich von selbst. Als seine Schülerin hatte er ihr kaum Beachtung geschenkt, ihre Arbeit war akzeptabel gewesen – herausragend nach den wenigen Standards, die ihm erlaubt waren seinen Schülern aufzuerlegen – aber seine Erinnerungen von ihr aus ihrer Schulzeit waren kaum mehr als unbewusst katalogisierte Eindrücke. Mugglegeborene wie Granger hatten nur seine geringste Aufmerksamkeit bekommen, nicht aus irgendwelchen Vorurteilen heraus, sondern einfach nur weil seine Schulterblätter nicht gejuckt hatten, wenn er ihnen den Rücken zugewandt hatte.
Bis auf...
Er war sich ziemlich sicher, dass er sie in dieser letzten Nacht, als er aus seinem BĂĽro eilte, bevor er den Korridor hinuntergerannt war, die Treppen zur Eingangshalle hinauf, auf seinem Weg zu... ja, dass er sie dort gesehen hatte.
Er schĂĽttelte seinen Kopf. Beunruhigend.
Aber -
Neid. Der eine Tag in der Winkelgasse.
Scham. Ihr Mantel, der stets hinter ihr herschlug.
Und dieser Ausdruck in ihren Augen, ein Echo wie aus einem Vakuum, zu lange gehalten, für ihn gerade lange genug, um etwas zu erkennen, ein Geräusch, eine Form, wo es weder Geräusch noch Form hätte geben sollen...
Poesie, schon wieder. Er schnaubte. Verdammt noch mal, Snape.
Das Kratzen von Stuhlbeinen gegen Stein hallte aus der GroĂźe Halle heraus und holte ihn wieder zurĂĽck. Er drehte sich um und ging rasch und lautlos die Stufen, die zur Bibliothek fĂĽhrten, hinauf.
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Das Objekt seiner Grübeleien ließ sich an ihrem üblichen Tisch nieder und ordnete ihre Ausarbeitungen präzise vor sich an. Mit einem kurzen Blick an die Decke strich sie sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und beugte sich über ihre Notizen vom letzten Abend, um sie noch einmal zu überprüfen.
Schon bald klang das Geräusch ihrer Feder, die über das Pergmanet kratze, in ihren Ohren ab, während in ihrem Kopf ihre Nachforschungen – die empordrangen, um in einem ständig schärfer werdenden Schwerpunkt herumzuwirbeln – Gestalt annahmen.
Halb verborgen zwischen den Säulen der Bibliothek, beobachtete Severus sie bei ihrer Arbeit und erkannte die äußeren Anzeichen von völliger Hingabe. Während der Morgen voranschritt, analysierte er sie, auch wenn es nur wenig gab, was zu bemerken war; sie konzentrierte sich noch aufmerksamer und ihre Feder, die ihre Gedanken in Worte faste, hetzte über das Pergament. Er war so vertieft in seiner Beobachtung, dass er blinzelte, erschrocken, als das Kratzen verstummt war.
Ihre Hand zögerte – Beinahe, nicht ganz – dann drei weitere Markierungen und sich zurücklehend, legte sie ihre Feder nieder und atmete aus.
Etwas, das der Stille folgte, schärfte Severus Aufmerksamkeit.
Während sie ihre Arbeit noch einmal las, zeichneten sich auf ihrer Stirn mehrere Falten ab, ihr Blick unkoordiniert, dann – Jetzt kommt es – dann verspannte sie sich und ihr Blick glitt hinauf zur Decke.
Seine Beobachtung hatte sich ausgezahlt; auch wenn er es jetzt noch nicht völlig verstand. Etwas in ihrem Blick erinnerte ihn an... etwas. Halb verärgert, halb...
Er versuchte noch immer diesen Blick einzuordnen, als Hermine eine Haarsträhne hinter ihr Ohr strich.
Narcissa, dachte Severus und hatte endlich den Blick identifiziert. Den Blick, den der Professor immer zur Decke warf war voll und ganz Narcissa Malfoy. Die Art und Weise, wie sie ihren Mann angesehen hatte, als sie sich ihres Standes innerhalb des Inneren Kreises unsicher war und sich zu Hause vor Lucius sicherer Vergeltung gefĂĽrchtet hatte. Nur in Narcissas Blick hatte er immer diese besondere Kombination aus Arroganz, Resignation und Schrecken gesehen.
Dann erblickte er den scharlachroten Fleck, der durch ihre unbewusste Geste zurückgelassen wurde und er schnappte scharf nach Luft; all seine Gedanken an Narcissa wurden durch seinen Verdacht, dem er einen Schritt näher kam und der um einige Nuancen dunkler wurde, verbannt.
Seine Gedanken, ein hetzender Wirbel aus sich wieder einordnenden Prinzipien und Lehrsätzen; in seiner Brust verfestigte sich eine eiserne Sicherheit.
Granger, dachte er und holte besorgt Luft, was haben Sie nur getan?
Er hatte jeden ihrer Artikel, den sie veröffentlicht hatte, gelesen und er kannte keinen Weasley, dessen Ohren nicht scharlachrot auflodern würden, wenn sie es nach Stunden verstanden hatten.
Eingeständnis. Dieses Wort hallte ungebeten aber zuverlässig in seinem Kopf.
Nickend wandte er sich entschieden von ihr ab, zog sich durch die Säulen zurück und kehrte zum Tresen der Bibliothek zurück.
„Professor Snape!“, quietschte Hannah zusammenzuckend.
„Madam...ah...“
„Abbott, Sir. Hannah Abott“, stotterte sie.
„In der Tat.“ Ein kleines Lächeln, welches Hannah vielleicht als freundlich erkannt hätte, wenn sie von seiner Erscheinung nicht so zu Tode erschrocken gewesen wäre.
„Ich... ich bin hier jetzt die Bibliothekarin, Sir“, sagte Hannah und versuchte sich wieder zu sammeln.
Er zog eine Augenbraue hoch und sie erblasste. Hufflepuff, erinnerte sich Snape mit einem inneren Seufzen. „Ich bin hier, um mich nach früheren Ausgaben des Ars Necronomica zu erkundigen.“
Hannahs Mund formte ein geschocktes, stummes O. Sie schüttelte mit dem Kopf. „Wir führen das nicht einmal in der Verbotenen Abteilung, Sir.“
„Daran erinnere ich mich“, entgegnete er mit weicher Stimme. „Dennoch erinnere ich mich, dass Irma gewisse Quellen für die Lehrkräfte aufgehoben hatte.“
Für einen Bruchteil riss Hannah ihre Augen auf und ihre Hände verrieten ein sehr leichtes Zittern. „Ich – ich bin mir nicht sicher, Sir. Wir hatten nur wenig Verwendung dafür seitdem Sie.... ich meine, seit...“ Sie errötete wütend, nicht wissend wohin sie ihren Blick wenden sollte.
„Natürlich“, sagte er gütig. Mit einer bewusst weichen Stimme fuhr er fort. „Ich denke, sie hatte sie in dem Schrank in ihrem Büro aufbewahrt. Kennen Sie den Zauber, der ihn öffnet?“
Die Bibliothekarin nickte. „Ich habe noch nie... ich... ja, Sir.“
„Ich suche die Bände aus den Jahren, in denen ich in Askaban gewesen bin.“
Hannah starrte ihn einfach nur an.
„Ich nehme an, Sie wissen welche Jahre das waren“, zog er die Worte in die Länge.
Sie gab ein kleines, schrilles Geräusch von sich, das ein „Ja“ hätte sein können und zog sich in die Sicherheit ihres Büros zurück.
Severus drehte sich um, um einen Ellbogen auf den Tresen abzustützen, ein schwaches dunkles Lächeln zeichneten seine Lippen. Er hatte nur wenige Belohnungen im Unterrichten gefunden, aber da hat es ein oder zwei gegeben, die er genossen hatte.
Auf der anderen Seite der Bibliothek hatte die Professorin bei dem Klang seiner Stimme, als sie von schrägen Steinen und durch die Säulen hallte, aufgeschaut. Snape? Seiner zum größten Teil einseitigen Unterhaltung mit der Bibliothekarin lauschend, saß sie aufrecht, ihr Blick alarmierend.
Seine Stimme schien das raschelnde FlĂĽstern von Pergament auf Pergament mit sich zu bringen, sie versprach ein Urteil von Metall auf Stein.
Bei den Worten Ars Necronomica schärfte sich Hermines Blick und sie beförderte ihre Unterlagen in ihre Tasche.
Severus hörte ihre sich zurückziehenden Schritte. Sein Lächeln verschwand und sein Blick war wie versteinert.
Einen Augenblick später kehrte Hannah zurück, vor ihr schwebten einige dünne Bände.
Er nickte und nahm die Ausgaben aus der Luft. Bei ihrem schockierten Ausdruck beugte er sich über den Tresen und sprach mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. „Sie können einen nicht durch die Haut vergiften, Madam Abbott.“
Eine leichte Röte stieg in ihrem Gesicht auf und ihr Blick härtete sich etwas.
Er beugte sich noch ein Stück weiter zu ihr und fuhr fort. „Nur, wenn sie den Verstand berühren.“
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In seinem Gemach nahe des Slytherin Gemeinschaftsraum, entspannten sich Horace Slughorns Gesichtszüge als Madam Pomfrey ihm ihr stärkstes Beruhigungsmittel verabreichte.
Der Blutige Baron warf ihr dunkle, leere Blicke zu und sie schĂĽttelte den Kopf.
„Ich kann nicht mehr tun als sein Leiden zu lindern“, sagte sie, „aber ich kann dafür sorgen, dass er schläft.“
„Wird es dann heute passieren?“
Die Heilerin legte nachdenklich ihren Kopf zur Seite, schüttelte ihn dann bestimmt. „Nein. Morgen vielleicht; vermutlich eher übermorgen.“
Der Blutige Baron schwebte zur Tür. „Ich sollte dann die Schullei -“
Madam Pomfrey seufzte als seine Worte den Raum verließen, bevor es der Rest von ihm tat. Von allen Schlossgeistern war er ohne Frage der Geschickteste darin, im Einhalten von angemessenen Abständen ohne es scheinbar wirklich zu tun, aber er hatte vollkommen vergessen, dass die Lebenden nicht durch Wände hören konnten.
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