von Xaveria
Er fragte sich, ob es das war, was Potter gefühlt haben musste, als sie ein Stück der Seele seines besten Freundes genommen und in seine Narbe gestoßen hatte.
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Auf seinem Regal in Minervas Büro, rutschte der Sprechende Hut ein paar Zentimeter zur Seite. Wenn er gewusst hätte, wie man nach Hogsmeade appararierte, er hätte es getan.
Unter diesen Umständen jedoch, verzog er seine Krempe über seine Augen und betete für den Morgen.
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Severus rutschte auf den unbequemen Stufen und unter seinen Armen hervor blickte Hermine zu ihm auf.
Flüsternd, ohne ein Echo zu erzeugen, fragte er: „Werden Sie schlafen können?“ Seine Stimme hörte sich seltsam brüchig in seinen Ohren an.
Sie nickte, ihr Gesicht nahm wieder die strengen Züge an, vor denen sich ihre Schüler fürchteten.
Er gab vor, es nicht bemerkt zu haben. „Dann, eine gute Nacht“, sagte er mit einem knappen Nicken.
Hermine beobachtete sein abtauchendes Zurückweichen in den Schatten. „Gute Nacht“, flüsterte sie.
Ihre Stimme hallte im Treppenhaus und in seinem Kopf. Als er die unterste Stufe erreicht hatte, da spürte er mehr als dass er ihre angehängten Wörter wirklich hörte. „Süße Träume.“
Er knallte die Tür kraftvoll hinter sich zu.
Und das knallende Echo wuchs in seiner Kraft, als es die Treppe, wo Hermine regungslos stand, hinauffuhr.
Ohne zu wissen warum, als das Echo sie erfasst hatte, lächelte Hermine.
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Mit einem traurigen, langsamen Finger strich der winzige auf dem Boden sitzende Geist über den regungslosen Kopf des Drachen. Im trüben Licht war die Farbe des Filmes über seinen Augen dieselbe wie ihre eigene.
Die Fackeln flackerten, verkündeten Bewegungen vom Ende des Korridors, aber der kleine Geist blickte nicht auf.
Ein schweres Paar Lederstiefel erschien in ihrem Sichtfeld, das Leder an Stellen vom langen, vertrauten Tragen zerknittert.
Das Leder quietschte, als sich die Stiefel vom Boden abhoben und lange, blasse Hände den obsidianischen Staub auf dem Boden umschlossen. Dann warteten sie.
Schweigend blickte Severus in die blassen, flehenden Augen des kleinen Geistes, bis sie nickte und ihren Finger zurückzog, nach hinten flitzte und eine Spur von Pulver in dem Atem ihres Rückzuges in einer kleinen, wirbelnden Spirale aufwarf.
Der Geist sah dabei zu, wie sich der Drache neu formte, der Staub zu einem Schimmer von Flügeln verschmolz und Stück für Stück nahm sein gewundener, langer Schwanz wieder Gestalt an, die letzten Staubkörner formten die äußersten Spitze, die um seine Nase gekräuselt war.
Sie schaute zu dem in schwarz gekleideten Mann vor ihr auf und lächelte.
Er lächelte nicht zurück.
Sie senkte ihren Blick und sah, dass die winzigen Augen des Drachen noch immer von dem Film belegt waren.
Mit dem Film über seinen Augen sah er gar nicht mehr schlafend aus.
Mit fest verschlossenen Augen wandte sie ihren Kopf zur Seite. Einer ihrer langen Zöpfen fiel nach vorne, streifte den Kopf des Drachen.
Sie gab kein Geräusch von sich, aber rutschte den Flur hinauf, wo es fast so erschien, als würde sie von dem Schatten verschluckt werden.
Severus' Züge um seinen Mund verhärteten sich, aber seine Hand legte sich behutsam um die obsidianische Figur.
„Ich trage dieses Wunder nicht in mir“, murmelte er, als er seine Zimmer betrat.
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Poppy hielt ihre einsame Wache an Slughorns Seite.
Als sie die Blume welken sah, schreckte sie zurück und warf ihren Stuhl um.
Die Hände, mit denen sie den Stuhl wieder aufstellte, waren feucht, aber mit ihrem Mund zu einer Linie verzogen, setzte sie sich, entschlossen, dass kein Patient unter ihrer Obhut alleine übertreten sollte, wieder hin.
Sie hatte es aufgegeben, die gegensätzlichen Ergebnisse ihrer regelmäßigen Untersuchungen des regungslosen Slughorns zu verstehen. Er lebte und auch wieder nicht.
Sie konnte es nicht erklären.
Auf einem Niveau, von dem sie kaum wusste, dass es existierte, war sie erleichtert, dass solche Erklärungen weit außerhalb ihrer Verantwortung lagen.
Auf einem anderen, dessen sie sich vollkommen bewusst war, zitterte sie und könnte nicht, wenn ihr Leben davon abhängen würde, damit aufhören.
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Nur zwei Menschen im Schloss schliefen diese Nacht fest, alle anderen, die schlafen konnten, taten es ruhelos, ihre Stunden gestört durch Träume von dunklem Wind, der zwischen noch düsteren Bäumen wehte, von einem leisen Zittern, tief, tief im Untergrund, schon fast zu leise, um es zu bemerken.
Die zwei tief und fest Schlafenden spürten nur ein tiefes, grollendes Summen, wo es unter dem stillen Schlummerlied des Windes getröstet, schlafend, schweigend und sicher in seinen Armen gehalten wurde.
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Als Hermine am nächsten Morgen aufwachte, machte sie ganz automatisch selbst ihr Bett, wie sie es schon seit zweiundzwanzig Jahren nicht mehr getan hatte.
Die Hauselfe brachte ihr den Tee, als sie sich hinsetzte, um ihre Haare zu bürsten. Hermine schaute auf, als eine Tasse an ihrem Ellbogen auftauchte. „Danke“, sagte sie.
Rasch blinzelnd, quietschte die Hauselfe: „Sie ist sehr willkommen, Professor, Miss.“
Hermine sagte nichts weiter und die Hauselfe tapste hinüber zum Bett und kletterte darauf, um den Kissenbezug zu wechseln.
Die Augen der Hauselfe wurden großen. Mit ihren Ohren verwirrt wackelnd, strich ihre Hand über das makellose Weiß, so unberührt wie neuer windgepeitschter Schnee.
Über ganz England klirrten die Tassen, Geräte schepperten, während Ohren wackelten, wedelten und flatterten.
Nicht eine Hexe oder ein Zauberer dachten daran, diese Minute in ihrem sonst so gewohnten, reibungslosen morgendlichen Ablauf zu hinterfragen.
Es gab keine Buchführung für Hauselfen. Seltsame Wesen.
Aber sinnvoll.
Fast gleichzeitig griffen Hexen und Zauberer zu ihrem Tagespropheten und lächelten, als sie Harry Potter mit einem Arm um seine hübsche Frau gelegt sahen, der ihnen schon fast schüchtern von der Titelseite aus zulächelte; Seine drei strahlenden Kinder lachten um ihn herum.
Er hatte seinen Rücktritt aus dem Quidditch und seine Kandidatur für das Ministerium bekannt gegeben.
In ganz England seufzten Hexen und Zauberer glücklich, sich seines Wahlerfolges, bevor er überhaupt begonnen hatte, bereits sicher.
Es war so sicher wie der Morgentee.
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Zwei Hauselfen stellten ein klirrendes Tablett mit Tee vor dem Feuer im Büro der Schulleiterin auf einen niedrigen Tisch und als sich Severus nach vorne beugte, um die Tasse anzunehmen, die Minerva ihm eingeschenkt hatte, spürte er ein scharfes, heißes Messer in seiner Hüfte – und die Erinnerung, die Hitze von Hermines Bereitwilligkeit unter seinen dringlichen Händen, errötete seine Haut. Seinen Stuhl richtend, fegte ihr Haar in und über seinen Verstand, als sein Leder leicht den Holzstuhl streifte. Der stechende Schmerz in seiner Hüfte sank zu einem dumpfen Pochen und er entspannte seinen Rücken an der Lehne des Stuhls, sein geheimnisvolles Lächeln hinter der Teetasse verborgen.
Wenn das das Vermächtnis ihrer Berührungen war, dann soll es so sein.
„Sie sagten, dass Sie noch weitere Informationen benötigen, Severus?“ Minerva hatte nicht gut geschlafen und in ihrer Stimme schwang der stumpfe Schmerz, der sich hinter ihren Augen verfestigt hatte.
Nickend stellte Severus die Tasse vorsichtig auf den Nebentisch. „Ist seit dem Krieg irgendjemand im Schloss gestorben?“
Wissend, dass sie keine Erklärung für seine letzte der anscheinend zufälligen Fragen bekommen würde, machte sich Minerva keine Mühe nach einer zu fragen. „Ja, Argus Filch ist vor einigen Jahren verschieden.“
Etwas in Severus' Augen flackerte auf und Minerva beschlich der flüchtige Gedanke, dass etwas in ihrer Antwort ihn verärgert hatte. „Und Hermine... hat sie zu diesem Zeitpunkt hier gewohnt?“, fragte er.
Sein leicht gelangweilter Ton täuschte die Schulleiterin nicht darin, dass es sich dabei um eine beiläufige Frage handelte. Minerva griff nachdenkend nach ihrem Ring. „Nein... ich glaube sie war in England, um sich um den Nachlass ihrer Eltern zu kümmern.“
„Ah“, bemerkte Severus zufrieden. „Der Erste dann also. Kein Wunder...“
Der Schmerz in Minervas Stirn wurde stechender, als ihre Unterhaltung mit ihrem ehemaligen Kollegen wieder einmal den Weg der verdrehten Unklarheiten einschlug. „Severus, ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass Ihre Frage passend und für Ihre Nachforschungen durchaus relevant ist“, sagte sie scharf mit einem vorausschauendem Frust.
Ein langsames Lächeln zeichnete sich auf Severus' Lippen ab. „Ist es denn nicht offensichtlich, Minverva?“
„Natürlich ist es nicht offensichtlich, Snape, oder ich hätte Sie nicht gefragt“, schnappte Minerva, „Eine Tatsache, der Sie sich auf unerträgliche Weise durchaus bewusst sind.“ Ihr Ring klirrte gegen die Teetasse.
Der Blutige Baron schwebte durch die Decke und blieb dort hängen.
Aus Gründen, die sie nicht ganz verstand, kam ihr die Ankunft des Geistes der Slytherins zeitlich besonders gut abgepasst und wie ein beunruhigendes, aber passendes böses Omen vor – von was, das wusste sie nicht. Aber es verunsicherte sie und sie musste sich zwingen auszuatmen.
„Dann ist also sonst niemand gestorben während sie hier war?“, fragte Severus.
Sie schnaubte. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, nein.“
„Sie sind sich dessen absolut sicher?“
„Absolut, Severus. Ich begreife nicht-“
„Nein, Minerva, das tun Sie nicht. Und darin liegt Ihre Antwort.“ Mit einem Lächeln streckte er ein mit Leder gekleidetes Bein von sich und genoss auf verdorbene Art den Schmerz in seiner Hüfte – der Schmerz, das Verstecken, die erfolgreiche Täuschung und am allermeisten die Erinnerung wie es gegen die Stufe rieb. Oh ja, atmete er innerlich. So soll es sein, Hermine. Ohne auch nur ein Stück der gesprochenen Unterhaltung verpasst zu haben, fuhr er fort: „Es erklärt sich wirklich von selbst.“
Minerva gab ein spöttelndes, verärgertes Geräusch von sich und Severus lieferte ihr eine Erklärung. „Ihre Arithmantikprofessorin ist viel weiter gegangen als jemals jemand vor ihr, die Mechanismen der menschlichen Seele zu verstehen.“
Etwas raschelte in der Nähe der Decke und Minerva schaute auf, um den Baron langsam nicken zu sehen. Durch ihn hindurch sah sie das Glitzern von Licht auf Albus' Brille.
„Die Mechanismen der Seele“, sagte Severus und stellte erneut seine Teetasse auf den niedrigen Tisch, „aber nicht ihre Aufgabe. Oh nein. Sie hat sich von der Aufgabe vollkommen abgeschottet.“ Er legte eine Hand auf sein Bein, fuhr mit seinen Fingern über das faltige Leder um sein Knie. Das Leder erwärmte sich zwischen seinen Fingern.
„Und wissen Sie, was die Aufgabe einer Seele ist, Severus?“, fragte Albus trocken von oben herab.
„Kann es jemand von uns vollkommen wissen?“, erwiderte Severus, aber der Baron hatte bereits zum Sprechen angesetzt.
„Es ist zu einem großen Teil eine Verbindung“, sagte er, als er zwischen den aufsteigenden Lamellen der gewölbten Decke herflog.
Alle Augen im Raum suchten den Baron und fanden ihn, als er zu ihnen herabsank. „Es ist, blind wie sie den Seelen gegenüber ist, warum sie mich als letztes von allen sehen konnte. Ich bin von allen am längsten tot, daraus folgernd ist meine Seele am wenigstens .... substantiell, aus Mangel eines besseren Wortes.“
Minerva antwortete nicht, ihr Kopf raste, um die verschiedenen Geheimnisse von Hermines Verhalten in die Möglichkeiten einzuordnen, die ihr durch die neue Information vorgeschlagen wurden. Aber keine von ihnen schien zu passen und sie kniff die Augenbrauen in ein Stirnrunzeln.
„Sie kann keine Seele sehen, ohne sie zerstören zu wollen, Minverva“, flüsterte Severus. „Sie ist sich nicht bewusst, wissentlich, dass es ihr Impuls ist, aber nichtsdestotrotz bleibt es eine Tatsache. Sie hat sich bewusst von den Geistern abgeschottet, zuerst und vor allem von denen, die sie als noch lebende Menschen gekannt hatte.“
„Und im Moment des Todes ist die Seele am verwundbarsten“, sagte Minerva langsam. Und als sie es sagte, wusste sie, dass es wahr war und Eiswasser strömte durch ihre Adern, rauschte zu ihren Kopfschmerzen, um genau zwischen ihr Augen zu stoßen. Sie erbleichte und keuchte: „Horace...“ Sie wandte sich mit großen Augen an Severus, nicht in der Lage den Gedanken zu Ende zu führen, geschweige denn ihn auszusprechen.
„Seine Verwundbarkeit war das, was ihr Handeln...“ Severus zögerte, „... ausgelöst hatte.“
„Was hat sie gegen Horace?“, fragte Minerva, hilflos ihre Hände hebend, nur um sie wieder fallen zu lassen. Der Ring, den sie trug, rutschte bis zu ihrem Knöchel und sie ballte die Hand zu einer Faust, um ihn zu stoppen. Der Stein fiel schwer, um in ihrer Handfläche liegen zu bleiben.
Severus bemerkte die kleine Bewegung und seine Mundwinkel spannten sich an. „Sie sollten die Größe anpassen lassen, Minerva, bevor Sie ihn noch verlieren.“
Der Baron schwebte schweigend.
„Er sollte sich normalerweise magisch dem Schulleiter anpassen“, murmelte sie. „Ich weiß nicht, warum...“ Leicht kopfschüttelnd kehrte sie wieder zum eigentlichen Thema zurück. „Zu was auch immer ihre Persönlichkeit nach außen hin geworden ist, Severus, ich kann nicht akzeptieren, dass Hermine das einem ihrer Kollegen – oder irgendjemand anderem - antut.“
„Die Hermine, die Sie einst mal gekannt haben, nein, natürlich nicht. Aber sagen Sie mir – oder fragen Sie sich zumindest selbst – wie gut kennen Sie sie jetzt wirklich?“
Severus' Worte rangen, wie eine stumme Herausforderung, in der Luft.
Minerva senkte ihren Blick und drehte den Stein zwischen ihren Fingern nach vorne und wieder zurück.
„Sie hat Horace Seele zerstört, Minerva. Unbewusst.“
Ohne ihren Blick von dem Ring zu nehmen, fragte Minerva: „Warum?“
„Ohne sie zu fragen, können wir das nicht wissen, und selbst dann, welche Erklärung könnte sie schon liefern, die auch nur annähernd der Wahrheit entsprechen würde? Ich vermute ihr Handeln stammte zum Teil aus reiner, unbewusster, amoralischen Neugierde – ihre Theorie außerhalb der Grenzen zu testen, von dem was ihr bewusster, gesitteter Verstand als akzeptabel erachten würde.“
Minervas Augen zogen sich zusammen, aber sie antwortete nicht.
Sein eigener Blick vertiefte sich. Ihr Mangel an Antworten auf die viel schmackhafteren Teile seiner Erklärung verhieß nichts Gutes für die Zukunft die Arithmantikprofessorin. „Des Weiteren“, begann Severus, aber Minerva unterbrach ihn. „Es gibt noch mehr?“
„Des Weiteren“, wiederholte Severus, seine Stimme so leise, dass sie Minervas Aufmerksamkeit forderte, „kann sie sich nicht gegen die Versuchung der Dunklen Künste wehren. Die Versuchung ist zu stark für sie, um ihr, ungeschult wie sie ist, zu widerstehen.“
Noch immer den Ring drehend und durch ihre Kopfschmerzen hindurchsehend, versäumte Minerva die Anschuldigung in seiner Stimme.
Ein Rascheln von oben jedoch, bestätigte, dass die Anschuldigung genau dort gelandet war, wo er es beabsichtigt hatte.
Schließlich schüttelte Minerva mit dem Kopf. „Ich gestehe, Severus, dass ich nicht verstehe, was Sie mit Versuchung meinen.“
„Nein“, stimmte er ihr zu ruhig zu.
Alarmiert schaute sie auf und fragte plötzlich: „Kann sie aufgehalten werden?“
„Das habe ich bereits getan.“
Die Schulleiterin warf ihm einem skeptischen Blick zu. „Was auch immer Sie getan haben, Severus, es war nicht erfolgreich. Poppy sagt mir-“
Der Klang von Severus' Faust, die auf den Tisch knallte, tauchte das Büro der Schulleiterin in Schweigen. Mit dem Blick fest auf Minervas geschocktes Gesicht gerichtet, sagte er langsam: „Ich habe sie aufgehalten. Aber 'aufgehalten' bedeutet nicht 'beendet'.“
Die Schulleiterin gab nicht nach. Genauso langsam sagte sie nur ein Wort. „Wie?“
Der Blick in seinen Augen warnte sie, nicht zu fragen.
„Wie?“, verlangte sie zu wissen, die volle Kraft ihrer Persönlichkeit füllte ihre Stimme.
Zu ihrem Entsetzen begann Severus leise, dunkel zu lachen. „Der Orden existiert nicht mehr, Minerva. Ich stehe nicht länger unter Ihrem Kommando.“
Minerva setzte sich steif auf und ihre Augen füllten sich mit Frost. „Können Sie es denn beenden? Ein angemessenes Ende?“
Severus Hüfte füllte sich mit heißem Stahl, als er aufstand und innerlich konzentrierte er sich auf den Schmerz, bevor er antwortete. „Es ist weitaus besser, wenn sie es selbst beenden würde, angemessen oder nicht.“
Ein leises Schnauben von Dumbledores Portrait war zu hören.
Mit einem eisigen Blick zum Portrait, richtete Severus seine Worte nach oben. „Einst, Albus, war ich gewillt, sogar erpicht darauf gewesen für Ihren Orden zu sterben. Aber Ihre Kurzsichtigkeit hat sie zu etwas weitaus schlimmeren verurteilt als den erlösenden Tod, von dem wir beide gedacht haben, dass er mein Schicksal sein würde. Seit zweiundzwanzig Jahren widersteht sie ganz alleine einer Versuchung, die schlimmer ist, als es sich hier irgendwer von Ihnen vorstellen kann. Ich weiß, was sie ertragen musste, besser als sie selbst. Wie es sie geprägt und verdreht hat. Sie hat ihre Unschuld geopfert, um die Welt zu schützen, Albus – für jeden, außer für sich selbst.“
Albus seufzte. „Leider ist es manchmal so. Aber was sie getan hat war mehr als nur unverzeihlich, Severus, und-“
Severus sah das Portrait jetzt direkt an, seine Augen funkelten gefährlich. „Ja. Wie pragmatisch von ihr, nicht wahr?“
„Hermine hat die Welt gerettet?“, ging Minerva dazwischen.
Der ehemalige Spion drehte sich nicht um, als er ihr antwortete, sondern starrte noch immer ohne zu blinzeln auf das Portrait. „Der junge Weasley hat ihr das Schwert gereicht; Sie hat es benutzt. Und im Gegensatz zu ihrem kleinen Helden, Albus, hat sie zumindest so viel Verstand über die Dinge, die sie nicht erklären kann, zu schweigen.“
„Niemand würde ihr glauben“, flüsterte Minerva. „Ich kann es selbst kaum glauben.“
„Allerdings nicht“, stimmte Albus überein. „Aber dennoch, ihre Loyalität zu unserer Welt sollte nichtsdestotrotz -“
Severus Stimme schnitt ruhig in welche Bemerkung Albus auch immer machen wollte. „Wirklich bezaubernd, Albus. Aber ich versichere Ihnen, ihre Loyalität liegt nicht in 'unserer' Welt.“
Albus blinzelte, sein Mund noch immer geöffnet, um zu sprechen.
„Und warum sollte sie auch?“, fuhr Severus fort, bevor das Portrait seine Gedanken sammeln konnte. „Welche Magie auch immer unsere Welt für eine Muggelgeborene halten mochte, ist für sie verschwunden, ersetzt durch eine Welt von Bequemlichkeit und Bürokratie, in der sie, von allen, nichts weiter als eine Verschwörung von Blindheit erkennen kann. Nein, Albus, ich beziehe mich auf ihre Loyalität zu Potter.“
Minerva raschelte mit ihren Händen und das kratzende Geräusch ihrer steifen Robe erregte Severus Aufmerksamkeit. „Potter?“ Die Unterhaltung hatte sich wieder einmal über ihren Horizont hinaus erstreckt.
Er drehte sich zu ihr um. „Sie haben selbst gesagt, ihre Probleme mit den Weasleys begannen erst mit der Hochzeit.“
„Ja, aber...“
„Minerva. Denken Sie nach.“
Aber ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
„Die Kinder, Minerva. Die Kinder.“
Der Ausdruck von dämmernden Verständnis auf Minervas Gesicht war schon fast zu privat, um es zu beobachten. Der Baron seufzte und verschwand durch die Wand aus dem Büro der Schulleiterin.
„Ihre Frage bezüglich Ginnys UZTe?“, wagte es Minerva.
„Ja. Sie hatte keine Probleme mit ihr gehabt, als sie noch Ginevra Weasley gewesen war.“
„Und... und über Lily Potter... ihrer Tochter. Oh... oh, lieber...“
Severus nickte einmal scharf und verlangte dann zu wissen: „Wissen Sie, wie Seelen funktionieren, Minerva?“
„Sie... sie kann nicht glauben... dass“, zögerte Minerva, einfach nicht in der Lage ihre Gedanken auszusprechen.
Severus wandte sich von ihr ab, ein schwarzer Umriss gegen die Scherben von Licht, die schräg durch das Fenster einfielen. „Sie weiß nicht, was sie glauben soll, Minerva. Wie könnte sie auch? Sie weiß, dass der Dunkle Lord durch den Horkrux in Harrys Kopf gewohnt hatte, aber nur während er noch immer seinen eigenen Körper, sein eigenes Bewusstsein besessen hatte. Wissen Sie wie viel Bewusstsein in einer Seele zurückbleibt? Wissen Sie es, Albus? Wie ein Teil einer Seele funktioniert, wenn der Körper gestorben ist?“
Schweigen.
In einer spöttischen Geste seine Handflächen öffnend, bat er: „Bitte, erleuchten Sie mich – und lassen Sie uns ihrer Qual ein Ende setzen.“
Noch mehr Schweigen.
„Sie wissen es also nicht. Nicht mehr als Hermine, die bereits seit zweiundzwanzig Jahren mit dieser Frage lebt. Und es ist nicht gerade so, dass sie – oder irgendjemand – die eine Person auf der Welt fragen kann, die die Antwort darauf hat. Wie würde solch eine Frage wohl aussehen? 'Wenn du deine Frau berührst, Potter, weißt du dann, ob dein bester Freund dabei zusieht? Kann er es fühlen, Potter, wenn du seine Schwester liebst?'“
„Das reicht!“, brüllte Albus.
In den Echos von Albus Wut saß Minerva im geschockten Schweigen da, die Haut um ihre Augen herum wurde blass. „Sie sind wahnsinnig.“
Severus' Blick bohrte sich schonungslos in das Portrait über ihn. „Nicht ich. Aber sie ist es vielleicht. Und wenn es das ist, was die Menschen um sie herum, die ihr am nächsten stehen sollten, denken, dann werfe ich ihr es jedenfalls nicht vor, wenn sie es ist.“
Minerva schaute weg, auf ihre Hände in ihrem Schoß, auf den Ring des Büros, der so lose um ihren Finger lag. Sie berührte den Stein und flüsterte: „Sie muss das Schloss verlassen, Severus. Noch bevor die Schüler eintreffen.“
Severus Lippen kräuselten sich. „Sie können es wohl nicht riskieren solch eine potentielle Gefahr in der Belegschaft zu haben, was, Minerva?“
Ihn mit großen Augen anstarrend, brauchte Minerva einen Moment, um ihre Stimme wiederzufinden. Als sie es tat, war sie hohl. „Meine erste Verantwortung ist der Schule und den Schülern gegenüber.“ Aber ihre Augen füllten sich mit einer unleugbaren Erkenntnis und sie schloss sie, bevor er sehen konnte, was ihr später, privat, noch Schmerzen bereiten würde, „Wie Sie sehr wohl wissen.“
Severus atmete aus, er hatte in ihrem flüchtigen Blick die Rückkehr ihres Gewissens erhascht. Sein Ton war seltsam sanft, als er antwortete. „Natürlich, die Unschuldigen müssen um jeden Preis beschützt werden... alle außer eine. Auch wenn sich alles verändert hat, so sind Sie sich jetzt zumindest ihrer Verzweiflung bewusst. Nein, Minerva“, sagte er, als Minvera zum Protest ansetzen wollte, „Ihre Loyalität ist perfekt innerhalb den strengen Grenzen Ihrer Verantwortung platziert. Aber wer, frage ich Sie, wer wird Hermine gegenüber loyal sein? Sie? Das Ministerium?“
Etwas in seiner Stimme ließ Minerva zu ihm aufblicken und in seinen Augen fand sie die Antwort auf seine Frage.
Schließlich nickte Severus einmal, bevor er das Büro verließ und die Tür leise hinter sich schloss.
Trotz des trostlosen Gefühls, welches schwer in ihrer Brust lag, zuckten Minervas Mundwinkel. Sie konnte einfach nicht anders.
Aber dann fiel Albus Urteil leise von den Wänden. „Dieser Junge hat schon immer einen Grund gebraucht.“
„Sie sollten es wissen, Albus. Sie haben es zu Genüge benutzt.“ Noch immer gestochen von dem Schlag der Wahrheit, die sie seit zweiundzwanzig Jahren nicht erkannt hatte, sprach die Schulleiterin scharf, schärfer als sie es je in ihrem Leben getan hatte.
Als Albus protestieren wollte, hielt sie eine Hand hoch. „Nicht jetzt, Albus. Grundgütiger Merlin, nicht jetzt.“
Zum ersten Mal seit Grindewalds Niedergang wurde Albus Dumbledore entlassen und er schaute hinaus aus dem Fenster über den Verbotenen Wald und fand, dass er nichts mehr zu sagen hatte.
Absolut nichts.
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