von Imobilus
Unbeobachtet? - Beobachtet?
Die Nacht verlief für Harry wie er es erwartet hatte. Erst fand er keinen Schlaf und dann träumte er lebhaft wie eh und je von seiner Vergangenheit. Deswegen wachte er schon um vier Uhr morgens auf ohne die Chance zu haben noch einmal einzuschlafen. Rastlos wälzte er sich hin und her bis er genug hatte und das einzige tat, was sinnvoll war. Er apparierte ins Büro um den Bericht über den Abend zu schreiben in der Hoffnung, dass ihm das helfen würde damit klar zu kommen und seine Alpträume wieder verbannen würde.
Dass er an seinem Schreibtisch beim Korrekturlesen eben dieses einschlief, merkte er erst als ihm der Duft von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase stieg. Etwas verwirrt schlug er die Augen auf und sah sich um.
Sein Vater saß schmunzelnd auf der Schreibtischplatte und hielt zwei Becher der nachtschwarzen Flüssigkeit in der Hand. „Seit wann bist du hier?“
„Halb fünf. Wie spät ist es?“, antwortete Harry und nahm den ihm angebotenen Becher entgegen.
„es ist kurz nach Acht“, sagte James. „Und du siehst aus, als hättest du eine miese Nacht gehabt.“
„Alpträume. Menschen sterben zu sehen macht mich fertig und weckt Erinnerungen, die ich lieber vergessen würde“, erklärte Harry wahrheitsgetreu.
„Das ist nie einfach“, sagte James und setzte sich auf seinen eigenen Stuhl, wobei Harry nicht entging, dass sein Vater sein Bein noch nicht wieder richtig belastete. „Und wenn du mich fragst, ich will mich nicht daran gewöhnen. Denn wenn man sich an so was gewöhnt, wird es einem gleichgültig. Man kann seinen Job nicht mehr gewissenhaft erledigen oder wird unaufmerksam. Und Unaufmerksamkeit kann einem das eigene Leben schneller kosten als man sich umsehen kann.“
Harry sah seinen Vater nachdenklich an. „Und wie wirst du mit dem fertig was passiert ist? Mit den Bildern von all diesen toten Menschen?“
Für einen Moment herrschte Schweigen und sein Vater schien darüber nachzudenken. „Gar nicht“, sagte er schließlich. „Nach Schlachten wie dieser hab auch ich Alpträume, weil ich das Gefühl habe, mehr hätte tun müssen.
Aber ich lasse nicht zu, dass mich das runterzieht. Für mich ist das mehr ein Ansporn besser zu werden. Es bringt mich dazu zu trainieren und beim nächsten Mal noch ein Stück besser zu sein und so einen Menschen mehr retten zu können.
Die Bilder der Opfer sind in gewisser Weise meine Kraftquelle um weiter zumachen und das Ende des Krieges zu erleben.“
Harry musste sich gestehen, dass diese Worte ihn beeindruckten. So hatte er noch nie versucht die Opfer zu sehen. Sicher, Sirius Tod hatte ihm den Mut gegeben aufzustehen und Voldemort die Stirn zu bieten und Dumbledores Tod hatte ihn erwachsen werden lassen. Aber in der Zeit danach hatte er all seine Freude verloren. Einfach alle. Und alles was er vom ihrem Tod mitgenommen hatte, war eine gehörige Portion Hass. Er hatte einfach nur noch Wut gegenüber Voldemort empfunden und das hatte der im Endkampf deutlich zu spürten bekommen. Harry hatte es hinterher richtig entsetzt, was er mit Voldemort gemacht hatte.
„Sehr weise Worte James, die wir uns alle zu Herzen nehmen sollten, um nicht zu verzweifeln“, kam es von der Tür her und als Harry sich umsah, wäre ihm fast der Becher aus der Hand gefallen.
Vor ihm stand Albus Dumbledore. Jünger als er ihn kannte, aber schon mit einem weißem langem Bart und heute in einer blau-funkelnden Robe gekleidet. Ein gütiger Blick traf ihn aus den klaren blauen Augen, die ihn über die halbmondförmige Brille hinweg interessiert musterten. Und gerade diese Musterung bereitete Harry Unbehagen. Es war der Blick den der Schulleiter ihm gegenüber immer aufgesetzt hatte, wenn er im Anschluss mehr wusste als Harry zu sagen bereit gewesen war.
„Professor Dumbledore, guten Morgen“, grüßte James und machte Harry dann mit ihm bekannt.
Harry reichte ihm höflich die Hand - immerhin kannten sie sich in dieser Zeit gar nicht - aber er wollte nicht allzu viel Zeit in der Gegenwart dieses Mannes verbringen, da er sehr gut wusste, dass Albus Dumbledore eine Nase dafür hatte, wenn es darum ging Dinge zu erfahren die er nicht wissen sollte. Das war auch der Grund warum er sofort seinen Geist geleert hatte, als der alte Mann ihm in die Augen gesehen hatte.
Er hatte es bisher nie ganz geschafft die Okklumentik zu meistern, aber er konnte es gut genug um sich Angreifer für einen kurzen Moment vom Hals zu halten. Und das hatte gegen Voldemort gereicht, da er seinem Erzfeind nicht viel Zeit gelassen hatte, zu erlesen welche Flüche er nutzen wollte. Er hatte es einfach getan. Zwar war das die anstrengendere Methode, aber er hatte nicht umsonst trainiert wie ein Besessener und er war ja auch erfolgreich gewesen.
Allerdings wollte er auf keinen Fall länger als unbedingt nötig mit Dumbledore in einem Zimmer bleiben. Also verabschiedete er sich schnell in die Kerker, um sich dort mal mit ein paar Todessern zu unterhalten. Dass er gerade damit das Interesse des alten Mannes weckte, konnte Harry nicht ahnen.
Im Büro dagegen ließen sich Albus Dumbledore und James Potter noch einen Moment Zeit und sprachen über belanglose Dinge, ehe sie sich auf dem Weg in ein Lokal gegenüber machten. Ein magisches Lokal wohlgemerkt, andernfalls hätten sie bei dem Aufzug des Schuldirektors wohl eines auf aufsehen erregt.
„Du siehst nicht gut aus James“, stellte der Schulleiter fest, nachdem sie sich gesetzt hatten.
„Nur noch etwas angeschlagen von dem Angriff gestern. Ich nehme an, die Informationen haben sie schon erreicht?“ sagte James und bestellte ihnen beiden dann einen Tee.
„Alastor hat mich informiert. Er erwähnte auch das man dich gefoltert hat.“
James Potter seufzte. „Ich weiß ihre Sorge zu schätzen, Professor, aber würde ich nicht in der Lage sein, mich effektiv zu verteidigen wäre ich nicht hier. Ich habe es Lily geschworen, dass ich nur zur Arbeit gehe, wenn ich mir dessen sicher bin.“
„Du weißt, dass du mich nicht Professor Nennen sollst. Deine Schulzeit ist schon lang vorbei“, bemerkte der Schulleiter leicht lächelnd, um die Anspannung etwas zu lösen.
„Und sie wissen, dass ich sie immer noch als das sehe“, konterte James.
Dumbledore nickte leicht. „Du hast mit deinem Neuen Kollegen schon über die Geschehnisse von gestern gesprochen?“
„Hab ich und für seine Einstellung ist sein Handeln durchaus gerechtfertigt. Außerdem ist er nicht von hier und wir sind es ja gewohnt, dass die Amerikaner etwas drastischer sind in ihren Mitteln. Ich kann es also nachvollziehen“, sagte James und seufzte dann leise. „Ich hab ihm gestern indirekt Freundschaft angeboten. Wir wollen uns mehr vertrauen entgegen bringen. So wie ich es bisher gehandhabt hatte, wäre es ohnehin nicht weiter gegangen und mein Gefühl sagte mir einfach, dass der Junge ok ist.“
Dumbledore schwieg, den jungen Mann eingehend musternd. „Er verbirgt etwas“, sagte er dann. „Seine Augen spiegeln unendlich viel Leid und Schmerz wieder, versteckt hinter wilder Entschlossenheit und Macht.
Ich kann deinen Entschluss nachvollziehen, doch solltest du dennoch auf dich acht geben. Tom ist gerissen und zu vielem bereit. Es erschien mir schon ungewöhnlich, dass er als einziger überlebt haben soll. Mein Gefühl sagt mir das da mehr dahinter steckt.“
James nickte leicht und bereute seinen Entschluss von gestern ein klein wenig. Hatte er doch Falsch gelegen? Hatte er sich auf ein Spiel mit dem Feuer eingelassen. Merlin, wenn Evans ihm wirklich in den Rücken viel und seiner Familie etwas antat, dann konnte niemand mehr diesen Kerl schützen.
„Ich weiß nicht was es ist James“, sagte Dumbledore. „Sei einfach nur etwas vorsichtig. Beobachte ihn, studier ihn. Vielleicht ist es harmlos, oder anders als es den Anschein erweckt. Aber Vorsicht ist sicherlich besser als das Unglück zu beschwören.“
„Sicher sir. Ich werde aufpassen.“
Harry merkte in den Kerkern sehr schnell, dass er nicht weit kam. Zumindest nicht ohne irgendwem einen Fluch auf den Hals zu jagen. Etwas das man sicher in der Zentrale nicht gern sehen würde. Nicht mal in Amerika wurde Folter angewandt, um jemanden zum reden zu bringen. Aber seine Wut auf das Geschehene war immer noch zu groß, als das er sich lange würde beherrschen können.
Seine Moral hatte wohl wirklich unter dem Krieg gelitten und seine Hemmschwelle auf ein besorgniserregendes Maß sinken lassen. Dabei hatte er doch geschworen, dass das nicht geschehen würde. Er würde sich wohl was einfallen lassen müssen, um das in den Griff zu bekommen. Aber für heute war es wirklich zu viel und er ging eine Weile an die frische Luft, um sich dort wieder zu beruhigen.
Auch in den nächsten tagen blieben die Alpträume. Harry begann also mehr und mehr zu arbeiten oder zu trainieren, um so müde wie möglich ins Bett zu fallen. Das sein Vater ihn nun wirklich in die Arbeit mit einbezog kam ihm dabei sehr zu Gute. Harry wurde mitgenommen wenn es darum ging Verdächtige zu befragen oder zu observieren, aber auch in die Winkelgasse gingen sie zusammen, um dort für ein paar Stunden Wache zu schieben und der Bevölkerung etwas mehr Sicherheit zu geben.
Für das letzte Wochenende des Januars hatte Harry sich vorgenommen mit seinem Auftrag zu beginnen. Er hatte für sich recht schnell beschlossen, dass seine Hemmschwelle wohl nur wieder gehoben werden konnte, wenn er sie in einem echten Duell befand. Und da er so etwas wohl nicht aus dem Stegreif provozieren konnte, schon gar nicht alle paar Tage, musste er sich Gedulden. Und während er das tat, würde er einfach schon mal damit beginnen weswegen er hergekommen war.
Also saß er nun saß er am Küchentisch seiner Wohnung, gebeugt über mehrere Pergamente, auf denen er alles notiert hatte was die Horkruxe betraf. Vor allem die Schutzzauber und die Wege sie aufzuheben. Aber auch die Fundorte und alles was sonst noch damit in Verbindung stand. Wenn ihm so irgendwas geschah, was seine Erinnerungen beeinträchtige, wäre etwas da auf das er würde zurückgreifen können. Wer wusste schon, was seine Zukunft in dieser Zeit noch brachte.
Als er die Pergamentblätter noch mal durchgehen wollte, um sich er zu gehen, dass er auch alles wirklich aufgeschrieben hatte, läutete es an der Wohnungstür. Misstrauisch, da er eigentlich niemanden erwartete öffnete er sie, doch es war nur Sirius in lockerer Freizeitkleidung. Ziemlich ungewohnt, wenn man bedachte das Harry ihn sonst nur in Uniform oder in seiner Zeit, ziemlich geschniegelt oder in Fetzen kannte.
„Wir sind auf der Suche nach einem vierten Mann für ein paar Runden Poker. Hast du Lust?“
Im ersten Moment war Harry ziemlich verwundert über diese Einladung, aber nickte dann leicht, dankbar dafür das sein alter Ego ihm auch das beigebracht hatte, denn das war es was die amerikanischen Auroren gern spielten, auch wenn es ein Muggelspiel war. Und es war etwas, was er tatsächlich einigermaßen konnte.
„Ja… warum nicht. Ich komme gleich rüber. Ich mach nur eben den Ofen aus“, meinte er und verschwand wieder in die Küche wo er schnell mit einem Sammelzauber die Papiere zusammenraffte und dann sicher in eine Schublade einschloss. Eine kurze Unterbrechung würde nicht schaden. Vor allem konnte er dann morgen noch einmal ganz von vorn alles durchlesen und übersah nicht einfach irgendwelche Fehler, weil er glaubte zu wissen was er geschrieben hatte.
Als er Sirius Wohnung betrat, war das erste was er wahrnahm Zigarettenrauch. Und dieser führte ihn in die Küche, wo sein Vater schon Tisch saß und mit den Karten spielte.
Der dritte Mann weckte in ihm allerdings einiges an Unmut, wenn nicht sogar Hass. Denn es war nicht wie angenommen Remus sondern Peter Pettigrew. Der war es auch, der eine Zigarette in der Hand hatte.
Am liebsten wäre Harry sofort wieder gegangen, weil er nicht wusste, wie lange er es mit diesem Verräter an einem Tisch aushielt, aber dann riss er sich zusammen. Immerhin wollte er Peter überführen ehe seine Eltern starben. Und das ging nur, wenn er ihn kannte und etwas fand, das man ihm zur Last legen konnte.
Deshalb begrüßte er ihn so höflich es ging und verbannte jeden Gedanken an dessen Verrat in die hinterste Ecke seines Gehirns. Dass Peter aber offensichtlich etwas nervös war, erfüllte ihn mit ein klein wenig Genugtuung. Mit drei Auroren an einem Tisch, wäre ein falsches Wort aber wohl auch reichlich fatal, egal ob zwei davon seine Freunde waren. Und eine leise Stimme in seinem Kopf hoffte inständig darauf, dass Peter irgendetwas tat, das man dazu verwenden konnte, ihn zu überführen.
Aber diesen Gefallen wollte ihm die Ratte leider nicht tun. Eher im Gegenteil. Je länger sie sich über Frauen und Quidditch unterhielten, desto ruhiger wurde Peter. Allerdings musste Harry gestehen, dass dieser Peter noch nicht viel mit dem Peter gemein hatte, den er kannte. Dieser hier war irgendwie selbstbewusster und nicht ganz so kriecherisch. Vielleicht steckte er ja noch nicht ganz so tief in den Fängen der Todesser. So ertappte Harry sich sogar einen Moment bei dem Gedanken auch Peter zu retten. Ein Gedanke für den er sich am liebten geohrfeigt hätte. Der Mann hatte seine Eltern auf dem Gewissen. Er hatte sie bewusst Voldemort ausgeliefert. Aus reiner Feigheit.
„Sag mal Harry“, meinte sein Vater plötzlich, „du scheinst dich ja sehr für Quidditch zu interessieren. Hast du nicht Lust mit mir Ende Februar auf ein Ligamatch zu gehen? Die beiden Banausen hier müssen nämlich arbeiten und Remus hat auch keine Zeit.“
Harry war für einen Moment perplex, aber dann nickte er. „Wer spielt?“
„Caerphilly Catapults gegen die Wimbouner Wespen. Ist das Saisoneröffnungsspiel und beides sind Teams, die immer um die ersten Plätze der Liga mitspielen. Wird also sicher ziemlich spannend“, begann James zu schwärmen und Harry schmunzelte.
„Na dann komm ich gern mit“, hatte er dann auch schon zugestimmt, ehe er wirklich darüber nachdenken konnte. Aber viel falsch konnte daran nicht sein. Denn auch wenn er später sicher häufiger mit seinem Dad zu solchen Spielen gehen würde, er wollte das auch jetzt einmal erleben. Immerhin brauchte er auch hier die Kraft Voldemort zu vernichten. Und selbst wenn sein Vater ihn nicht als seinen Sohn erkannte, er konnte es sich wenigstens einreden. und allein das tat schon irgendwie gut.
Es war kurz nach Mitternacht als Harry sich dann in sein Bett verabschiedete. Am nächsten Morgen kam er gerade noch rechtzeitig ins Büro, was sein Vater mit einem leichten Schmunzeln zur Kenntnis nahm.
„Amüsier dich ruhig, du bist so was sicher gewohnt“, meinte Harry und machte sich erst mal einen Tee. Allerdings keinen einfach beschworenen. Er hatte sich Teebeutel besorgt und zauberte lediglich heißes Wasser herbei, da er ihm so einfach besser schmeckte.
„Wir haben solche Treffen ein- oder zweimal im Monat, je nachdem was unsere Dienstpläne dazu sagen. Wobei für gewöhnlich auch Remus dabei ist. Und auch sonst komm ich eigentlich eher spät ins Bett. Immerhin hab ich einen kleinen Sohn, der sehr hungrig ist“, erklärte James. „Wir haben übrigens nachher wieder Patrouille. Frank hat mich gebeten zu tauschen, weil er und sein Partner etwas dringendem nachgehen müssen.“
„Ok. Dann verschieb ich diese Akte hier auf morgen“, sagte Harry und legte den Order beiseite um sich statt dessen eine dünnere vorzunehmen. Es ging dabei um einen Mordfall den sein Vater schon seit einer Weile bearbeitete. Er hatte Harry gebeten sich die Sachen auch noch einmal alle anzusehen. Nicht nur damit er auf dem Laufenden war, sondern auch um sich selbst zu kontrollieren. Denn auch ihm konnte es schließlich mal passieren, dass er etwas übersah.
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Es war kurz nach zehn Uhr am Abend als Harry seine Wohnung auf leisen Sohlen verließ. Lange hatte er darüber nachgedacht welchen der 5 Horkruxe er sich zuerst holen würde und am Ende war seine Wahl auf den Kelch von Helga Hufflepuff gefallen. Der war der einzige, von dem Harry wusste wo er zu finden war, wie er an ihn heran kam und wie er ihn vernichten konnte. Bei allen anderen fehlte immer mindestens eins dieser Kriterien.
Sein Ziel war demnach Little Hangleton. Dort war der Becher auf dem Gut der Riddles versteckt. Da er aber niemanden überraschen wollte und ihm auch nicht der Sinn danach stand heute Nacht noch Gedächtnisse verändern zu müssen, apparierte er lediglich an den Stadtrand und nahm den Fußweg durch den kleinen Ort gern auf sich. Außerdem, je später der Abend desto weniger mögliche Zuschauer.
Allerdings waren auch die schon recht spärlich gesät wie er feststellen musste, war es doch klirrend kalt.
Und die wenigen Menschen hier schien es nicht mal zu interessieren, dass er einen Umhang trug anstelle einer eigentlich üblichen Winterjacke.
Kurz beobachtete Harry ein sich küssendes Pärchen in einem Hauseingang, ehe er die nächste Straße links abbog um den Ort wieder zu verlassen. Dieser Weg würde ihn mehr oder weniger direkt zum Riddlehaus führen.
Doch zunächst musste er am Standrand noch an einem Friedhof vorbei, an welchem Harry einen Moment lang inne hielt.
Als er das letzte Mal mit Ginny und Hermine hier gewesen war, hatte ihn der Schlag getroffen. Nie hatte er damit gerechnet den Friedhof wieder zu sehen, auf dem Cedric sein Leben gelassen hatte. Allerdings hatte es ihm auch die Erkenntnis gebracht, dass dies der Ort war, an dem Voldemort 1995 wiederauferstanden war.
Jetzt schockte es ihn nicht mehr. Es erfüllte ihn eher mit einer grimmigen Genugtuung heute an diesem Ort zu stehen. Etwas mehr als 16 Jahre vor Cedrics Tod. Noch so ein Ereignis, dass nie stattfinden würde - wenn er denn erfolgreich war.
„Ich werde Erfolg haben“, sagte er leise aber bestimmt und ging dann weiter den geschwungenen Pfand hinauf, direkt auf das alte Haus zu. Mit einem kleinen Zauber sorgte er aber auch dafür, dass seine Spuren sofort wieder verschwanden sobald er den Fuß aus dem Abdruck genommen hatte.
Alles war so wie er es in Erinnerung hatte. Die schmutzige Fassade des Hauses, welche vom Licht des fast vollen Mondes in ein milchiges weißgraugrün getaucht wurde, so dass es schon gespenstisch wirkte. Von den grünen Fensterläden blätterte die Farbe, einige hingen sogar schief in den Angeln. Im Erdgeschoss waren zwei Scheiben eingeworfen und notdürftig mit einem Stück Holz vernagelt worden. Eine kühle Briese ließ Fensterläden quietschen und Harry leicht frösteln.
Im Stillen wünschte er sich nun vor einen knisternden Kamin mit einer heißen Tasse Schokolade in der Hand und einem guten Buch auf dem Schoß. Doch erst musste er das hier erledigen. Alles andere würde man später sehen.
Kurz ließ Harry seinen Blick über das verwilderte Grundstück wandern und atmete einmal tief durch, als müsste er sich für die nächsten Schritte Mut machen.
Alles lag unter einer dicken Schneedecke und so sah man von dem eigentlichen Chaos das hier herrschte so gut wie gar nichts. In seiner Zeit war Harry im Sommer hier gewesen. Das Gras war so hoch, dass jeder Rasenmäher wohl versagt hätte und das Unkraut wucherte überall. Seine Tante hätte einen Ohnmachtsanfall bekommen.
Langsam schob Harry das knirschende Gartentor auf und ging dann vorsichtig, seine Umgebung im Auge behaltend, auf die dunkle Haustür zu, welche sein erstes Hindernis sein würde.
Mit einem kurzen rundum Blick vergewisserte er sich noch einmal allein zu sein, ehe er seinen Zauberstab hervor holte.
Die Haustür öffnete sich nach dem Aufheben des komplexen Verschlusszaubers genauso knarrend wie in nicht ganz zwei Jahrzehnten. Nur die fauchende Katze jagte Harry einen Schrecken ein, hatte er damit doch nicht gerechnet.
„Mistvieh“, schimpfte er, ehe er hineintrat und die Tür wieder schloss.
Sein Weg führte ihn durch das staubbedeckte Foyer in Richtung Treppe. Die Möbel waren alle abgedeckt, Spinnweben sah man wohin man blickte. Tapeten schälten sich von den Wänden, Putz bröckelte aus der Decke.
Er konnte Ginny neben sich spüren und hörte wie sie darüber scherzte, dass Ron niemals freiwillig auch nur einen Fuß in dieses Haus gesetzt hätte. Eine angenehme Wärme machte sich in ihm breit und er flüsterte leise: „Wir werden uns wieder sehen, Ginny. Und dann wird uns nichts mehr trennen.“
Damit schüttelte er die Erinnerung ab und lenkte seine Schritte, die vom Staub gedämpft wurden, Richtung Treppe.
Ginny und Hermine hatten nicht verstehen können, wie man ein so schönes Haus so verkommen lassen konnte. Oben gab es mehrere Schlafzimmer, ein großes Arbeitszimmer und einen Salon. Hier unten waren eine riesige Küche und noch einen großer Salon in dem sogar ein Klavier stand. Und das Grundstück war riesig.
Aber das war doch nichts im Vergleich zum Familiensitz der Potters. Das Haus hatte seinen ganz eigenen Flair. Einen magischen und der fehlte diesem Haus einfach und damit meinte er nicht das Haus in Goderic's Hollow, sondern eine große Villa etwas außerhalb dieses Ortes.
Harry blieb stehen und schloss die Augen. „Hör auf zu denken“, befahl er sich leise. „Das macht es nur schwerer.“ Helfen würde diese Ermahnung aber wohl kaum etwas, das wusste er kaum nachdem er sie ausgesprochen hatte.
Vor so harmlos wirkenden, schmutzigweißen Wand aus Holz unter der Treppe angekommen blieb Harry erneut stehen. Hinter ihr verbarg sich das was er suchte. Oder zumindest der Zugang dazu. Drei Tage lang hatten Hermine, Ginny und er jeden Winkel dieses Hauses abgesucht, ehe er hier im Flur einen Wutanfall bekommen hatte, weil ihm sein Gefühl sagte, dass der Horkrux hier war, sie ihn aber nicht finden konnten.
Dabei war ihm ein wenig die Kontrolle über seine Magie entglitten und er hatte die Fenster des Hauses gesprengt und auch die Wände hatten Risse bekommen. Nur diese Holzvertäfelung nicht. Weil darauf einige mächtige Schutzzauber lagen, die dies verhinderten.
Vorsichtig glitten Harrys Finger über das Holz und mit halb geschlossenen Augen versuchte er die Magie dieser Zauber zu erspüren. Etwas das alles andere als einfach war, brauchte man dazu doch sehr viel Feingefühl und Erfahrung. Letzteres fehlte ihm in erster Linie. Er hatte ein halbes Jahr gebraucht um das Feingefühl überhaupt zu entwickeln und viele Gelegenheiten zum üben hatte es nicht gegeben.
Hermine dagegen war auch auf diesem Gebiet ein Naturtalent. Sie hatte nicht mal einen Monat gebraucht um weit genug zu kommen, dass sie ihm an dieser Stelle hatte helfen können.
Er konnte es praktisch vor sich sehen wie sie erst hochkonzentriert die Wand abgesucht und dann gegenüber einer bestimmten stelle ihren Zauberstab gehoben hatte und eine lange Formel sprach. Der letzte Zauber, den seine Freundin in ihrem Leben hatte sprechen sollen.
„Ich hoffe, dass wir später einmal wieder Freunde werden“, flüsterte Harry leise, als er ebenfalls die Stelle gefunden hatte, wo die Zauber aktiv waren.
Einen Schritt zurücktretend sammelte Harry erst seine Kräfte, um dann mit gezogenem Zauberstab eine komplizierte Schlangenlinie zu ziehen und dazu eine längere Formel zu murmeln.
Die Wand vor ihm begann dabei zu leuchten und langsam durchsichtig zu werden und mit seinen letzten Worten war sie verschwunden und gab den Weg frei zu einer steinernen Treppe, die in einen gesicherten Keller führte.
Langsam ging er voran während Fackeln an den Wänden grün aufloderten und ihm Licht spendeten.
Die Stufen waren steil und gingen tief hinunter. Bedächtig setzte Harry einen Fuß vor den anderen um nicht zu stürzen, so wie es Ginny beim letzten Mal passiert war.
Die Wände links und rechts neben ihm waren ebenso aus kaltem Stein wie der Boden und die kleine Halle unten in der sich eine weitere Tür befand. Ein auf Parsel gesprochenes Passwort gab ihm auch diesen Weg frei. Den Weg in den Raum, der Hermines Grab geworden war.
Eine große Halle aus grünen und silbernen Fliesen, an dessen Wänden alte Runen gezeichnet waren, erwartete ihn. In der Mitte stand ein kleines Podest und auf diesem der goldene Pokal von Hufflepuff.
Als wäre es gestern gewesen, sah er seine Freundin auf die Wände zugehen und diese genau studieren. Er selbst war mit Ginny zu dem Becher gegangen und hatte alles nach Fallen abgesucht, aber keine entdeckt. Ein tödlicher Irrtum, wie sich herausstellen sollte.
Bis heute wusste er nicht, was für eine Falle es gewesen war und jetzt stand er hier allein. Vor ihm der Kelch, der zum Gefäß eines Seelenteils geworden war. Einen Moment haderte Harry tatsächlich mit sich. Einen winzigen Moment lang wollte er herausfinden was er übersehen hatte.
Im Gegensatz zu damals hatte er einiges dazu gelernt. Die letzen Wochen in dieser Zeit hatten ihm auch noch etwas mehr beigebracht als er gedacht hatte. Und dann fiel ihm noch ein weiterer Grund ein. Wenn dieses Haus zerstört werden würde, würde der Voldemort dieser Zeit vielleicht auf ihn aufmerksam werden. Und er hatte eigentlich nicht vor, sich mit ihm erneut ein Wettrennen zu liefern. Außerdem wusste er nicht wie mächtig der dunkle Lord in dieser Zeit schon war.
Also zog Harry seinen Stab und untersuchte alles noch einmal gründlich. Sehr gründlich. Und er fand ihn. Es war im Grunde ein sehr einfacher Zauber. Aber er gehörte zur hohen Kunst der Magie. Er band einen leblosen Gegenstand an eine Umgebung. Würde man versuchen ihn von dort zu entfernen, hätte da denselben Effekt wie die eines Luftzugs auf ein Kartenhaus. Die totale Vernichtung dieser Umgebung.
Und das Problem war, Harry hatte keine Ahnung wie man diesen Zauber aufheben konnte. Er war sich nicht mal sicher, ob es einen Weg gab diesen Zauber wieder umzukehren.
Nachdenklich starrte Harry den Becher an. Nein. Er würde jetzt nicht aufgeben. Er würde nicht unverrichteter Dinge abziehen. Dieser Becher würde heute Nacht in seinen Besitz übergehen. Egal wie.
Ein Geräusch aus Richtung der Tür sorgte dafür dass Harry sich umsah. Doch dort war niemand zu sehen. Und er konnte auch keine magische Aura wahrnehmen. „Du hast Halluzinationen“, murmelte er sich selbst zu ehe er den Becher anstarrte.
„Na gut du dummes Ding. Dann machen wir eben doch ein Haufen Schutt aus dem Haus“, sagte Harry und zog ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche das nach einem kurzen Zauber zu einem Ebenbild des Bechers wurde. Reine Vorsicht und die Hoffnung Voldemort zu täuschen.
Mit einem schnellen Handgriff tauschte er den gegen den echten aus, im selben Moment wie hinter ihm wer sagte. „Was zum Teufel geht hier vor?“
Harry wirbelte herum, im selben Moment wie er die Magie aufwallen spürte und die ersten Deckenteile runterfielen. Für einen Moment starrte er den alten Mann, der in der Tür stand an. Er kannte ihn irgendwoher, doch es war zu spät. Unter einem Krachen lösten sich die ersten Deckenteile und Harry disapparierte in letzter Sekunde. Niemals hätte er es geschafft den Alten zu erreichen, ebenso wenig wie er Hermine je hätte erreichen können.
Harrys Ziel war eine Straße nicht weit weg vom Haus gewesen. Jene Straße, über die er erst vor wenigen Minuten das Haus betreten hatte. Von hier aus sah er zu wie das alte Herrenhaus unter einem ohrenbetäubenden Krachen in sich zusammenstürzte und eine Menge Staub aufwirbelte.
Harry seufzte leise. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt Muggel damit hinein zu ziehen. Aber das Schicksal meinte es offensichtlich hart mit ihm. Anderenfalls würde es ihn kaum so oft auf die Probe stellen und den Tod von Unschuldigen mit ansehen lassen.
Dann viel sein Blick wieder auf den Becher. Und es widerte ihn irgendwie an, ein Stück von Voldemorts Seele in den Händen zu halten. Deshalb ging er auch wieder hinauf zu dem Haus und warf den Becher über den Gartenzaun in den Schnee, um dann mit dem Zauberstab auf ihn anzulegen.
Im Grunde war es einfach Horkruxe zu vernichten. Man musste nur den Gegenstand, an den die Seele gebunden war, in seiner Struktur zerstören. Nur genau da begann auch schon das Problem.
Es waren Gegenstände der Gründer von Hogwarts, die für Voldemort die Horkruxe bildeten. Gegenstande denen bereits eine gewisse Magie inne wohnte und sie so resistenter machte.
Einige Male atmete Harry tief durch, während er vom Dorf her schon die ersten Sirenen der Polizei hören konnte. Doch das war egal. Er sammelte seine Kräfte und sprach dann klar und deutlich den stärksten Sprengzauber der ihm bekannt war.
Unter einem ohrenbetäubenden Knall zersprang der Becher in tausend Teile, die selbst der beste Reparo nicht wieder hätten zusammenfügen können.
Noch einen Moment länger sah Harry auf die Stelle wo der Becher gerade eben noch gelegen hatte. Den ersten Schritt hatte er getan. Der erste von fünf Horkruxen war vernichtet. Blieben nur noch vier.
Mit einem leisen Plopp disapparierte er ohne weiter auf das zu achten was geschehen würde. Er wusste, dass er erfolgreich gewesen war. Und er musste nicht zusehen wie Voldemorts Seelensplitter sich auflöste.
Doch jemand anderes starrte mit fasziniertem Entsetzten auf die Szene. Remus Lupin hatte sich gerade von seiner Freundin verabschiedet, als er diesen ohrenbetäubenden Lärm vom Hügel gehört hatte. Eine riesige Staubwolke war empor gestiegen und hatte ihn etwas Grausames ahnen lassen.
„Du bleibst hier Stephanie, egal was passiert“, wies Remus seine Freundin an und schob sie zurück ins Haus.
Dann war er an den Ort des Geschehens appariert und fassungslos stehen geblieben. Henry Evans stand dort, mit erhobenem Zauberstab, zufrieden lächelnd und dann verschwand er einfach.
Vom Dorf her schallten schon Sirenen zu Remus herüber, doch diese konnten ihn nicht davon abhalten auch das Folgende noch zu beobachten.
Eine schwarze Rauchfahne zog sich zusammen, schien einen Schatten bilden zu wollen, doch ehe sie eine wirkliche Gestalt annehmen konnte wurde sie unter einem Aufschrei in Fetzen gerissen.
Fassungslos schüttelte Remus den Kopf und disapparierte, ehe das erste Auto der Polizei eintraf.
Sein Ziel war das Treffen des Ordens des Phönix in Aberdeen. Und er war schon reichlich spät, wenn man es genau nahm. Aber bei dem was er da gerade hatte beobachten können, würde sich niemand groß darüber Gedanken machen. Er musste nur eine plausible Erklärung abliefern, warum er sich verspätete. Aber auch das war nicht wirklich weiter schwer, solange ihm der Schulleiter von Hogwarts diese auch abkaufte.
Und das tat er, denn jeder wusste das Remus hilfsbereit war und man sich auf ihn als Freund verlassen konnte. Also glaubte Albus Dumbledore ohne offensichtliche Einwände, dass er bei der Muggelbekannten eines Freundes gewesen war, die seltsame Geräusche im Haus hörte, welche verdächtig nach magischen Wesen klangen.
Und das Entsetzten, das seinem Bericht über die zufällige Beobachtung folgte, wischte diese kleine Vorgeschichte sowieso allen aus dem Gedächtnis.
„Evans kann so ein großes Haus unmöglich allein zerstört haben“, brummte Moody. „Das schafft keiner allein.“
„Unter normalen Umständen würde ich dir recht geben Alastor, aber ich fürchte die Umstände sind nicht normal“, erklärte Albus Dumbledore ruhig und sagte teilte dann auch dem Orden seinen Eindruck von dem jungen Mann mit.
Remus Gedanken gingen derweil ihren eigenen Gang. Auch er hatte Evans nur einmal gesehen und er hatte auch ein seltsames Gefühl bei ihm. Allerdings war dies anderer Natur, als das des Schulleiters. Für ihn hatte Evans irgendwas Vertrautes an sich. Doch was es war, konnte der Werwolf einfach nicht einordnen. Er war sich absolut sicher, dass sie sich noch nie begegnet waren, noch nicht mal den Namen hatte er vorher gehört. Und es machte Remus nervös. Er vergaß eigentlich nie einen Geruch und wo er hingehörte.
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