von Imobilus
25. Verloren?
Harry gelang es nur mühsam aus seiner geistigen Lähmung aufzutauchen. Er fühlte sich hundeelend. Durch jede Faser seines Körpers zog sich ein dumpfer ziehender Schmerz und seine Arme und Beine fühlten sich an als hätte irgendjemand Bleigewichte an sie gehängt.
Einen Moment lang fragte er sich von wem er sich dermaßen hatte zurichten lassen, schließlich war Voldemort tot. Dann aber begannen seine kleinen grauen Zellen langsam wieder richtig zu arbeiten und ihm fiel ein wo er war, in welcher Zeit und was zuletzt geschehen war. Die Bilder der Sekunden vor seiner Ohnmacht tauchten aus seinem Geist auf und Wut schäumte in ihm hoch.
Diese kleine verlogene Ratte Pettigrew. Es wurde Zeit, dass ihm das Handwerk gelegt wurde, ehe er alles versaute.
Dann wurde Harry aber erst bewusst, dass es vollkommen dunkel um ihn herum war. Tiefste Schwärze umgab ihn und einen Moment lang fragte Harry sich, ob er vielleicht tot war.
Im nächsten Moment schalt der Zeitreisende sich aber auch schon einen Narren. Im Jenseits gab es sicher Einiges, aber bestimmt keine Schmerzen, egal in welcher Form. Schließlich nahm man seinen Körper nicht mit. Folglich konnte man auch keinen heftigen Muskelkater spüren und demnach konnte er auch nicht tot sein.
„Okay. Schluss mit der Philosophie“, rief Harry sich gedanklich zur Ordnung und begann seine Umgebung genauer zu untersuchen. Wo war er und wie kam er hier weg? Das galt es als Erstes heraus zu finden.
Er lag auf weichem Untergrund und fror nicht. Also konnte er nicht mehr im Büro sein. Vermutlich war er im Krankenhaus und demnach lag er in einem Bett. Automatisch stellte sich Groll bei ihm ein. Er mochte weder Krankenstationen noch ganze Krankenhäuser.
Dann bemerkte er, dass er nicht allein war. Zwei Personen waren in der Nähe und unterhielten sich.
„… ihn nicht wenigstens kurz wecken? Ich möchte doch nur ein paar Worte mit ihm wechseln.“
Es war eindeutig eine Frauenstimme. Sie klang besorgt, aber auch irgendwie vertraut und Harry überkam ein Gefühl von Geborgenheit.
„Auf keinen Fall Miss Evans. Wenn Sie wollen, dass Ihr Bruder wieder gesund wird, müssen wir das seinem Körper überlassen. Alles andere könnte schwerwiegende Folgen haben.“
Ein Mann hatte das gesagt, vermutlich der Heiler.
„Kann ich ihm sonst irgendwie helfen? Irgendetwas tun um das zu beschleunigen? Es ist wirklich wichtig für mich, dass ich mit ihm rede.“
Neben der Verzweifelung die Harry bewusst wurde, fragte er sich, warum diese Frau ihn für ihren Bruder hielt? Henry Evans war ein Einzelkind. Also, was in Merlins Namen ging hier vor?
Harry versuchte die Augen zu öffnen, doch zunächst wollte ihm das nicht gelingen. Aber er schien die Aufmerksamkeit seiner Besucher auf sich zu ziehen.
„Mr. Evans?“, wurde er von dem Mann im Raum angesprochen.
Harry sammelte seine Kräfte zusammen. Er wollte erst wissen wer da bei ihm war, ehe er auch nur daran dachte mit einem von ihnen zu reden. Es gelang ihm aber zunächst nur mühsam die Kontrolle über seinen Körper zurück zu gewinnen.
Im Zimmer war es hell. So hell, dass es etwas dauerte bis er einen Mann hageren Mann mit angegrauten Haaren erkannte, der gerade seinen Zauberstab über ihn bewegte und irgendwelche Zahlen studierte.
Auf der anderen Seite des Bettes stand seine Mutter. Sie hatte den kleinen Harry auf dem Arm und wirkte irgendwie erleichtert und gleichzeitig nervös und angespannt. „Schön, dass du wieder wach bist Brüderchen“, sagte sie und lächelte leicht, während gleichzeitig eindeutig ein Flehen um Stillschweigen in ihren Augen lag.
Harry beunruhigte das sehr, riss sich aber zusammen und lächelte ebenfalls. „Hey Schwesterherz“, grüßte er sie leise. Sein Mund war staubtrocken und die Worte kratzten im Hals.
„Mein Name ist Michele Luigiani. Ich bin der Stationsheiler“, stellte sich der Mann ihm vor.
Harry nickte nur und versuchte sich dann etwas aufzurichten. Das war es, was er am allermeisten hasste. Die Beten waren unbequem wenn man zu lang in ihnen lag.
Der Heiler griff ihm sofort unter die Arme, stopfte ihm ein Kissen hinter den Rücken und setzte sich dann selbst aufs Bett.
„Erinnern Sie sich, was geschehen ist?“, fragte er dann.
Harry warf kurz seiner Mutter einen Blick zu, ehe er nickte. „Ich bin zusammengebrochen.“
„Ja. Jemand hat Ihnen Farnnelkenkraut unter den Tee gemischt.
In der Heilkunst wird es in sehr geringen Mengen in Salben und Pasten verwendet um Schmerzen zu lindern. In höheren Dosen, aufgebrüht mit Wasser und in Verbindung mit Zucker ist die Wirkung jedoch lebensbedrohlich. Es lähmt Nerven und Muskeln und zersetzt sie. Sie hatten wirklich Glück, dass so schnell Hilfe da war und Sie nicht allein waren.“
Harry war im ersten Moment schockiert, dann schloss er aber resigniert die Augen. Er musste Voldemort wirklich gewaltig auf die Füße getreten sein. Wusste der dunkle Lord vielleicht sogar schon, dass er auf der Suche nach den Horkruxen war? Hoffentlich nicht, anderenfalls hätte er ein ziemliches Problem.
„Keine Panik, Mr. Evans. Wir haben diese giftige Wirkung neutralisieren können und die Heiltränke wirken.
Es wäre aber sehr hilfreich, wenn wir etwas über Ihre Vorgeschichte wüssten: Allergien und frühere Verletzungen. So könnten wir die Behandlung intensivieren und den Heilungsprozess beschleunigen. Ihre Regierung weigert sich allerdings die Krankenakte auszuhändigen“, erklärte der Heiler.
„Geheimhaltung“, war das einzige was Harry dazu einfiel. „Soweit ich weiß habe ich auch keine Allergien. Vermeiden Sie es nur mir zu viel Brennnesselkraut zu geben, egal in welcher Form. Ich werde leicht reizbar wenn die Dosis zu hoch ist.“
Es war eine Kleinigkeit die nach dem Endkampf ans Licht gekommen war. Tränke oder Pasten mit Brennnesselkraut waren für einen geschundenen Körper die schonendste Heilmethode.
In Überdosierung wurde er allerdings zu einer Furie wenn ihm einer auch nur irgendwie ansatzweise krumm kam. Die Heiler damals hatten Glück gehabt, dass diese Wirkung zwei Tage nach dem Endkampf aufgetreten war. Er war zu geschwächt gewesen, um sich gegen vier ausgewachsene und kräftige Männer zur Wehr zu setzen, nachdem sie ihn entwaffnet hatten. Aber jetzt, in einigermaßen guter Verfassung, war er eine unberechenbare tickende Bombe.
„Gut. Dann werde ich für Sie einfach keine Krankenakte anlegen“, erklärte der Heiler und ließ Harry mit seiner Mutter allein, nachdem der Zeitreisende erklärt hatte nichts mehr zu brauchen.
Dann wartete er noch, bis der Heiler verschwunden war und beobachtete kurz wie Lily die Hände des kleinen Harry beschäftigte, während sie bei ihm auf dem Bett saß.
„Meine Schwester also“, sagte Harry schließlich und seine Mutter sah auf. „Ich hätte nichts dagegen eine Schwester haben, aber ich würde schon gern den Grund dafür wissen.“
„Ich wollte nicht, dass die Heiler wissen, dass ich die Frau von James Potter bin“, sagte Lily leise.
Harrys Augen weiteten sich leicht. „Warum denn das?“, Harry überkam das Gefühl etwas verpasst zu haben und auch das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.
„Weil… sie James für den Attentäter halten“, flüsterte Lily deutlich den Tränen nahe. „Sie haben das Kraut in seinem Schreibtisch gefunden und… ihn gestern nach Askaban gebracht. Ich wollte nicht, dass irgendwer auf die Idee kommt ich würde sein Werk vollenden wollen.“
Harry gefror bei diesen Worten das Blut in den Adern.
Sein Vater. In Askaban. Bei den Dementoren. Das durfte doch nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein. Das hier war ganz sicher ein Traum und er würde gleich aufwachen.
„Henry bitte“, flüsterte Lily flehend. „James würde das nicht tun. Er ist kein Mörder! Und schon gar kein Todesser!
Wir arbeiten gegen Voldemort. Dreimal sind wir ihm schon knapp entkommen und er ist deswegen furchtbar wütend.
Irgendwer will James das alles nur anhängen.“
Harry zerriss es das Herz seine Mutter so aufgelöst zu sehen, während in ihm erneut die Wut auf Peter hoch schäumte. Es kostete ihn alle Mühe nicht sofort aus dem Bett zu springen und sich diese Ratte vorzunehmen.
„Wir... wir müssen ihn da heraus holen“, fuhr seine Mutter mit zitternder Stimme fort. „Die Dementoren unterstehen Voldemort, auch wenn es das Ministerium nie zugeben würde. Sie sind außer Kontrolle. Wenn Voldemort erfährt, dass James vor der Nase seiner Schoßtiere sitzt…“
„Niemals“, flüsterte Harry. „Ich werde das nicht zulassen.“
„Henry…“, begann seine Mutter völlig entsetzt. „Ich schwöre dir, James würde nie…“
Der Zeitreisende legte einen Finger auf die Lippen seiner Mutter und sah ihr fest in die Augen. „Ich verspreche dir, ich werde nicht zulassen, dass die Dementoren James etwas antun. Niemals. Deswegen gibst du mir jetzt auch meine Kleider.“
„Was… was hast du vor?“, Seine Mutter war offensichtlich vollkommen überrascht.
„Ich werde mit Crouch reden. Er kennt nicht alle Details und genau das werde ich ändern. Er wird hinterher keine andere Wahl haben als James gehen zu lassen“, sagte Harry.
„Du willst aufstehen?“
„Einem Brief wird Crouch nicht glauben“, sagte Harry nur und setze sich auf die Bettkante. Leichter Schwindel überfiel ihn und es war nun schon abzusehen, dass er das nicht allzu lange durchstehen würde. Aber hier ging es um seinen Vater, um das Leben seiner Familie. Er würde eher tot umfallen als das Geschehen zu lassen, was seine Mutter prophezeit hatte.
Eine halbe Stunde später betrat Harry das Ministerium. Er hatte dem Heiler erst damit drohen müssen ihn persönlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn James Potter starb. Dass dabei ein knisternder Zauberstab auf die Brust des Heilers gerichtet war, war aber wohl eher das ausschlaggebendere Argument gewesen. Doch das war Harry egal.
Er war jetzt im Ministerium, hatte einen Aufpäppeltrank bekommen und auch ein Schmerzmittel in der Tasche. Die Ratschläge sich nicht zu überanstrengen, würde er aber erst befolgen, wenn sein Vater wieder auf dem Festland war. Weit weg von diesen Biestern.
Im selben Moment wie Harry an Crouchs Bürotür klopfen wollte, wurde diese von innen aufgerissen und ein sichtlich entzürnter Crouch komplimentierte Albus Dumbledore hinaus.
„Nicht einmal Sie können die Beweise gegen James Potter wegdiskutieren. Egal wie groß Ihr Einfluss im Gamott auch sein mag und es spielt auch keine Rolle, dass Sie James Potter als Schüler kannten. Er ist kein Schüler mehr.“
Harry beobachtete, wie die Mine von Albus Dumbledore ernst wurde. Aber dann entdeckte er ihn und Harry schüttelte leicht den Kopf, um dem Mann zu bedeuten einfach still zu sein.
„Mr. Evans. Ihnen scheint es doch besser zu gehen, als man mir weiß machen wollte“, begrüßte der Schulleiter ihn und so wurde auch Crouch auf ihn aufmerksam.
„Ich bin erst vor einer halben Stunde aufgewacht“, erklärte Harry. „Allerdings hätten mich keine zehn Hippogreife im Krankenhaus halten können, nachdem ich erfahren musste was meinem Kollegen vorgeworfen wird. Unhaltbare Anschuldigungen wie ich feststellen darf, auch wenn die Beweise etwas anderes sagen.“
Harry hatte sich auf dem Weg hier her in etwa zurechtgelegt was er sagen wollte. Höflichkeit war wohl das Maß aller Dinge, so sauer er auf Crouch auch war.
„Was soll das heißen, unhaltbare Anschuldigungen. Wir haben das Tatwerkzeug in seinem Schreibtisch gefunden!“, platzte der Chef der Auroren heraus.
„Könnten wir das vielleicht in Ihrem Büro besprechen, Sir? Es muss doch nicht jeder hier oben das mitbekommen. Außerdem würde ich mich wirklich gern setzen“, bat Harry.
Crouch nickte leicht. „Gut. Ich werde mir die Beweise ansehen“, sagte Crouch und fügte ein strenges: „Allein!“ hinzu, als Dumbledore Anstalten machte, sich ebenfalls wieder im Büro nieder zu lassen.
Als schließlich die Tür geschlossen war, musste Harry erst Crouch musternden Blick über sich ergehen lassen. „Wer war bei Ihnen und hat Ihnen davon berichtet?“
„James Frau und Sie können ihr das nicht übel nehmen. Sie liebt ihren Mann und hat Angst um ihn“, sagte Harry.
„Sie müssen nicht alles glauben was man Ihnen erzählt. Die Dementoren stehen absolut unter unserer Kontrolle. Es wird keine ungewollten Hinrichtungen geben“, schnappte Crouch.
Harry hätte am liebsten laut gelacht und Crouch eines besseren belehrt. Doch er konnte sich gerade noch so zusammenreißen.
„Es wäre auch ein allzu beunruhigender Gedanke, wenn diese Viecher auf der Seite von Voldemort stünden. Nicht auszudenken was dann alles geschehen könnte“, sagte Harry. „Da aber allein die Nähe zu einem dieser Kreaturen einen schon um den Verstand bringen kann, sollten wir uns dem aktuellen Problem zuwenden. Immerhin macht sich ein fälschlicherweise beschuldigter Auror und Familienvater nicht gerade gut auf der Bewerbung zum Zaubereiminister.“
Einen Moment lang sah Crouch ihn verwundert an, dann verengten sich dessen Augen. „Woher wissen Sie davon?“
„Menschenkenntnis. Sie sind der Typ Mensch der alles gern unter seiner Kontrolle hat. Sie wollen die Regeln bestimmen und es ist Ihnen zuwider wenn etwas nicht so läuft, wie Sie es sich vorstellen. Folglich kann Ihr Ziel nur der Chefsessel sein und in diesem Fall, der Sessel der Ministerin.“
Crouch sah ihm kurz tief in die Augen, ehe er sich hinter den Schreibtisch setze und die Hände auf der Tischplatte legend ineinander verschränkte. „Erzählen Sie, warum Sie der Meinung sind, dass Mr. Potter unschuldig ist.“
„Nicht erzählen. Ich werde es Ihnen lieber gleich zeigen. Das erspart uns Zeit und mir die Worte“, sagte Harry griff dann nach einer der leeren Teetassen auf dem Tisch. Mit einem kurzen Zauber war sie sauber und wenig später schwamm eine silbrige Flüssigkeit darin, die Harry kurz umrührte und dann dazu brachte aufzusteigen.
Die Erinnerung zeigte die letzten Szenen, die Harry vor seiner Ohnmacht wahrgenommen hatte. Zu seinem Leidwesen war nicht gut zu erkennen wie Peter im Büro erschienen war. Es war wohl das Wissen um seine Animagusfähigkeit, dass hier einen Teil der Wahrnehmung beeinflusst hatte. Aus dieser Perspektive sah es eher so aus, als sei er aus dem Nichts erschienen und auch darin wider verschwunden.
Für Harry war in diesem Moment allerdings viel wichtiger, dass man deutlich sah wer es war und dass sich Peter am Schreibtisch seines Vaters zu schaffen machte.
„Reicht Ihnen das als Beweis?“, fragte Harry nachdem die Erinnerung wieder in sich zusammengesunken war.
Crouch war blass geworden ehe er die Ministerin zu sich bat, damit diese sich das auch noch einmal ansah.
Diese war zunächst etwas geschockt über Harrys Anwesenheit, doch Crouch ließ sie dazu keine Fragen stellen. Harry musste die Erinnerung noch einmal abspielen.
„Ist das die Lade in der das Kraut gefunden wurde?“, erkundigte sich die Ministerin schließlich sichtlich besorgt.
„Ja“, antwortete Crouch knapp, der sich inzwischen die entsprechende Akte zur Hand genommen hatte.
„Machen Sie umgehend die Entlassungspapiere fertig“, wies die Ministerin an und fünf Minuten später hielt Harry das begehrte Stück Pergament in der Hand, auf dem nach seiner Bitte Sirius und sein Name eingetragen worden waren, als diejenigen, die James Potter abholen würden. Eine Sicherheitsmaßnahme, damit die Todesser nicht mit falschen Papieren Anhänger aus dem Gefängnis holten.
Die Erinnerung war in einer beschworenen Phiole verstaut. Zumindest vorerst.
Im Büro unterhielt sich Sirius mit Dumbledore und Lily, während der kleine Harry dabei war sich an der Robe des alten Mannes hochzuziehen. Doch als Harry eintrat, richteten sich alle Blicke auf ihn. Sirius musternd, Lily flehend und Dumbledore durchaus neugierig.
„Wie kommen wir nach Askaban?“, fragte Harry seinem Paten die Pergamentrolle zuwerfend.
Der Hundeanimagus entrollte mit ungläubiger Miene die Pergamentrolle, während Lily ihm schluchzend um den Hals viel und einen Kuss auf den Mund gab.
Harry war davon so überrumpelt, dass es ihn nicht einmal störte rückwärts gegen die Tür zu stolpern und sich den Kopf zu stoßen.
Sein kleines Ebenbild gluckste aus irgendeinem Grund vergnügt.
„Was hast du gesehen?“, fragte Sirius.
Harry atmete noch einmal durch und lächelte seine Mutter an, die ihn nun doch etwas verlegen drein schaute. Dann aber sah er Sirius an.
„Die Antwort wird dir nicht gefallen fürchte ich. Außerdem ist es wohl erst wichtiger James von dieser Gefängnisinsel holen, ehe die Dementoren an seiner Seele zu naschen. Egal wie sehr mir Crouch auch versichern mag, dass diese Bestien noch vom Ministerium kontrolliert werden.“
Sirius wirkte noch einen Moment nachdenklich, ehe er nickte und verschwand. Harry nutzte die Gelegenheit um sich auf dessen Stuhl zu setzen und sein kleines Ebenbild zu mustern, das inzwischen bei Dumbledore auf dem Schoß saß und an dessen Bart zupfte.
Lily unterdessen studierte die Entlassungspapiere. „Du willst mit nach Askaban fahren?“, fragte sie dann erstaunt.
„Ich hab dir versprochen James da heraus zu holen und ich halte meine Versprechen“, antwortete Harry.
„Aber die Wirkung der Dementoren wird auf Ihren gesundheitlichen Zustand keine Rücksicht nehmen“, bemerkte Dumbledore. „Fühlen Sie sich dem wirklich gewachsen?“
„Sie machen sich Sorgen um meine Gesundheit?“, fragte Harry ehrlich verwundert. Er hatte nämlich mit vielem gerechnet, aber ganz sicher nicht damit.
„Jeder Kämpfer für die richtige Seite verdient es, dass man sich Sorgen um sein Wohlergehen macht. Außerdem bin ich nicht unwesentlich Schuld an Ihrem Zustand.“
Nun runzelte Harry leicht die Stirn. „Es wäre mir neu, dass Sie mir dieses Kraut untergemischt haben.“
„Sie haben meine Schüler beschützt und waren gezwungen sich mit Tom anzulegen. Eine Aufgabe, die eigentlich von Anfang an meine gewesen wäre. Er ist dadurch auf Sie Aufmerksam geworden und empfindet Sie als Bedrohung“, erklärte Dumbledore.
„Er wäre so oder so auf mich aufmerksam geworden, denn ich bin hier um ihm das Handwerk zu legen. Früher oder später wäre er also sowieso auf mich aufmerksam geworden. Sie trifft daran keine Schuld“, sagte Harry, sich ganz fest darauf konzentrierend, dass es auch so meinte. Nach wie vor fühlte er sich in der Gegenwart des Schulleiters nicht wohl. Er fühlte sich jetzt sogar noch unwohler als sonst, da er zu befürchten hatte, dass der alte Mann ihm auf die Spur kam.
Nüchtern betrachtet war das vielleicht nicht schlimm. Immerhin versuchte er die Zukunft zu retten. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass Dumbledore diesen Weg nicht gutheißen würde. Der alte Mann wäre ganz sicher nicht begeistert von dem was er tat und würde ihm womöglich noch dazwischen funken. Ganz zu schweigen davon, dass Dumbledore niemals gutheißen würde, dass Harry für diesen Zweck auch auf die dunklen Künste zurückgriff.
„Das Boot legt in 30 Minuten ab. Wir brauchen maximal zehn zum Hafen. Also genug Zeit mir zu erklären, was mir an der Geschichte nicht gefällt“, sagte Sirius, das Büro wieder betretend.
„Du würdest meinen Worten keinen Glauben schenken“, sagte Harry und rollte die Phiole über den Tisch. „Deswegen sollst du es dir selbst ansehen.“
Keine zwei Minuten später konnte Harry in sprachlose und entsetze Gesichter sehen.
Lily war ganz blass geworden und drückte den kleinen Harry an sich. In Sirius Augen spiegelte sich Wut, aber auch ein kleiner Funke Erkenntnis. Nur der Blick des Schulleiters war nichtssagend. Dafür war er auch der Erste der sprach.
„Ich nehme an Mr. Crouch hat bereits rechtliche Schritte in die Wege geleitet?“
„Ich habe ihm gesagt was ich weiß. Nur den Namen des Verdächtigen“, antwortete Harry wahrheitsgemäß. Liebend gern hätte er Crouch zwar noch viel mehr erzählt, doch das hätte einige Schwierigkeiten nach sich gezogen, die er nicht in Kauf nehmen wollte. „Ich gehe davon aus, das Crouch alles notwendige unternimmt.“
„Das wird James nicht schmecken“, stellte Sirius fest. „Das wird ihm absolut nicht gefallen.“
„Ich fürchte, da hast du Recht. Deswegen solltet ihr es ihm nicht gleich auf dem Rückweg erzählen. Gib ihm die Stunde Zeit um sich wieder zu sammeln“, sagte Dumbledore.
Sirius nickte nur und sah dann Lily an. „Du solltest nicht nach Hause gehen. Nicht solange niemand bei dir ist. Wenn Peter mitbekommt, dass wir Bescheid wissen, könnte das gefährlich werden.“
„Ich werde Lily begleiten. Wir können die Zeit nutzen und uns schon einmal ein paar Gedanken über mögliche Schutzzauber machen“, bot Dumbledore sich an und Harrys Mutter war einverstanden. Sie schien immer noch geschockt zu sein von dieser Offenbarung.
„Lass uns gehen“, meinte Sirius dann und musterte Harry mit einem kritischen Blick, als dieser sich nur mit etwas Mühe aus dem weichen Stuhl erhob. Doch er behielt jeden Kommentar für sich und holte stattdessen eine angebrochene Tafel Schokolade aus dem Schreibtisch.
Nicht ganz zehn Minuten später war Harry auf einem umgebauten Fischerboot, das sie nach Askaban bringen würde. Als er die wenigen steilen Stufen unter Deck hinter sich gebracht hatte, blieb er zunächst erst überrascht stehen. Zwei große Sofas fanden sich um einen marmorverzierten Tisch, die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet, auf dem Boden lag ein smaragdfarbener Teppich.
„Dass nenne ich einen Gefangenentransporter“, murmelte er schließlich und ließ sich in die weichen Polster fallen, sofort merkend, dass er allein kaum wieder herauskommen würde. „Wie lange fahren wir?“
„Etwa eine Stunde“, antwortete Sirius und setze sich ihm gegenüber. „Ich hoffe für dich, du bist wirklich so stark wie du gerade tust. Das hier wird nämlich kein Spaziergang.“
„Mit ein paar Dementoren werde ich schon fertig“, sagte Harry möglichst selbstsicher klingend und damit absolut gegen sein wirkliches Gefühl. Denn ihm wurde gerade bewusst, dass er seit der Vernichtung Voldemorts keinen Patronus mehr gebraucht hatte. Genau genommen hatte er ihn auch vorher nicht wirklich gebraucht.
Wenn er es mit Dementoren zu tun bekommen hatte, waren immer andere da gewesen, die ihm diese Viecher vom Hals gehalten hatten. Er hatte sich immer auf die Duelle konzentrieren können oder was auch immer gerade anstand. Und in dieser Zeit hatte er ihn auch noch nicht gebraucht.
„Weck mich wenn wir da sind“, bat Harry und machte es sich auf dem Sofa so bequem, dass Sirius nicht sah, welche Sorge sich gerade in ihm breit machte. Wie sollte er einen Patronus beschwören? Es gab keine glücklichen Erinnerungen mehr. Sie waren alle mit seinen Freunden gestorben. Außerdem, die Gestalt seines Patronus war die Animagusgestalt seines Vaters. Wenn es ihm wirklich gelang ihn zu beschwören, dann würde er sich doch verraten? So blind konnte Sirius gar nicht sein.
Allzu lange konnte Harry aber nicht über dieses Problem nachdenken. Das Schaukeln des Schiffs und die weiche Couch ließen ihn schnell ins Reich der Träume versinken, wobei an einen erholsamen Schlaf allerdings nicht zu denken war.
Seine Vergangenheit holte sich ein. Er träumte von Ginnys Tod, vom Tode aller die ihm so viel bedeuten. Und je näher sie Askaban kamen, desto mehr mischten sich seine aktuellen Ängste darunter. Kurz bevor Sirius ihn weckte musste er mit ansehen wie seinem Vater und seinem Paten die Seelen ausgesaugt wurden, weil er nicht in der Lage war einen Patronus zu rufen.
„Du siehst ziemlich beschissen aus. Willst du dir das wirklich antun?“, fragte Sirius.
Harry brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen und zu beruhigen. „Ich schaffe das“, sagte Harry zuversichtlich und schloss einen Moment die Augen um sich zu sammeln und Mut zu machen.
Dann spürte er plötzlich eine warme Hand auf seiner Schulter. „Es ist keine Schande schwach zu sein. Jeder hat eine Schwäche. Eine Schande ist es, eine Schwäche nicht zuzugeben“, sagte Sirius mit ungewohnt sanfter Stimme.
Harry wurde dabei angenehm warm ums Herz und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Nicht weil Sirius Recht hatte. Gut, er hatte es, aber das war nicht der Grund für Harrys Lächeln. Ohne es zu wissen hatte Sirius Harry gerade klar gemacht, dass er durchaus schöne Erinnerungen besaß. Er hatte seine Eltern kennen gelernt und für ihn war jede Minute die er mit seinen Eltern verbringen durfte, eine schöne Erinnerung. Und er war hier um alles zu ändern. Es gab keinen Grund um Ginny zu trauern. Oder um Ron und Hermine. Sie alle würden wieder bei ihm sein wenn er das hier hinter sich gebracht hatte.
„Ich schaffe das“, sagte Harry, diesmal auch wirklich überzeugt. Dann runzelte er allerdings leicht die Stirn. „Und du? Du siehst… irgendwie so grün um die Nase aus.“
Sirius grinste verkniffen ehe er leicht stöhnte als das Schiff ziemlich ins Schwanken gerat. „Ich bin nicht gerade seetauglich.“
Harry nickte verstehend, innerlich schmunzelnd. Dann erhob er sich mit Sirius Hilfe aus dem Sofa und kletterte nach oben.
Ein feuchter kalter Wind zerrte an seinen Sachen sobald er im Freien war und dichter Nebel verhinderte jede Sicht auf die Umgebung. Alles war eine kalte graue Suppe, aus der immer wieder die Gischt der kalten Nordsee spritzte und es wurde immer kühler.
Fünf Minuten lang standen sie hier draußen, in denen Sirius sichtlich mit der Übelkeit kämpfte und Harry die ersten Dementoren spürte. Nicht nur seine Kleider waren schnell feucht und kalt, sondern auch eine innere Kälte ergriff ihn. Dann endlich tauchte aus dem Nichts eine schwarze Wand vor ihnen auf. meterhoch, kalt und abweisend.
„Askaban. Die Hölle auf Erden“, sagte Sirius mit belegter Stimme, kurz bevor sie hart gegen einen Anlegesteg stießen und Harry sich gerade noch festhalten konnte.
Mit Sirius Hilfe kletterte er vom Boot und sah sich erst einmal um. Und immer mehr Hochachtung überfiel ihn. Hochachtung vor dem Sirius aus seiner Zeit, der es geschafft hatte von hier zu entkommen.
„Komm. Lass uns sehen, dass wir rauf kommen. Ich will hier nämlich ganz schnell wieder weg“, sagte Sirius und führte ihn zu einem steilen Kiesweg.
„Ich will einen Besen“, murmelte Harry als er schon nach wenigen Schritten auf dem feuchten Kies ausrutschte.
„Der Wind würde dich aufs offene Meer wehen“, meinte Sirius und half ihm dann den kurzen Weg nach oben zu einer eisernen Tür. Dort klopfte er kräftig an.
Harry kam es wie Stunden vor, die es dauerte bis jemand erschien. Ihm war furchtbar kalt und er hatte einige Dementoren entdeckt die über der Insel kreisten.
Schließlich waren die Formalitäten erledigt und sie betraten das Gefängnis. Harry musste Sirius zustimmen. Hier wehte wenigstens kein Wind, aber das machte es nicht wirklich angenehmer. Es war trotzdem kalt und es wirkte trostlos. Als hätten die Mauern die Fähigkeit der Dementoren übernommen.
Ein alter Mann mit schütterem grauen Haar, mager und sich auf einen Stock stützend führte sie durch enge verschlungene Gänge. Viele Zellen waren besetzt, die Insassen bettelten nach einer Zeitung, etwas frischem Wasser oder frischem Obst. Harry mochte sich gar nicht vorstellen wie die Hygiene hier aussah oder das Essen.
Mehrere Treppen mussten sie hinauf und je höher es ging, desto mieser fühlte Harry sich.
„Klapp mir hier jetzt nicht zusammen“, murmelte Sirius dicht neben ihm, als Harry sich gegen eine Wand lehnte, weil seine Knie ihn einfach nicht mehr tragen wollten.
Der Wärter grinste gehässig. „Da ist wohl einer empfindlich gegenüber unseren Wachen.“ Dabei sah man deutlich, dass ihm einige Zähne fehlten.
Harry schloss einen Moment die Augen und sammelte sich. Nicht nur seine Erinnerungen und seine Kräfte, sondern auch seinen Willen. Den Willen seine ganz persönlichen Dämonen zu bezwingen. Er hatte Angst vor der Angst selbst, doch das würde ihm nicht jetzt zum Verhängnis werden.
„Es geht schon“, sagte Harry und stieß sich von der Wand ab. „Lass uns das schnell erledigen und dann nichts wie weg hier.“
Sirius nickte leicht und gemeinsam folgten sie dem Wärter um zwei weitere Biegungen, wo der Mann eine Eisentür aufsperrte. Eine Welle aus eiskaltem Wasser schien sie zu überrollen und Harry stolperte gequält aufstöhnend einige Schritte zurück. Und offensichtlich nicht nur er. Auch Sirius war zurück gewichen.
Fast am Ende des Ganges waren zwei Dementoren die wohl gerade dabei waren sich Zugang zu einer Zelle zu verschaffen. Harry überkam schon die Angst auch noch Zeuge einer Hinrichtung zu werden, als er hörte was der Wärter sagte: „Das… ist die Zelle von Mr. Potter.“
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