von Wizardpupil
Hermine stand in einem vollkommen dunklen Raum. Sie wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. Sie hörte und spürte Viktor, der um sie herum ging. Ganz langsam. Und er redete auf sie ein, während sie nur dastand, sich nicht rührte …
„Der Weasley-Junge versteht dich nicht. Keiner versteht dich – außer mirr. Ich habe dich immer verstanden, Hermine. Du weißt das.“
Ja, dachte Hermine … Ich weiß das … Oder sprach sie das sogar laut aus?
„Du wirrst bei mirr sicher sein.“ Viktor legte seine Arme von hinten um sie. „Ich bin dein warrer Freund, nicht dieser Weasley.“
Hermine hatte das GefĂĽhl, sie wĂĽrde fallen, immer tiefer fallen, und wurde aber gleichzeitig gehalten von Viktor. Viktor, der sie unterstĂĽtzte, der fĂĽr sie da war.
Genauso schrecklich wie Voldemort …
Das war sie nicht. Und Viktor wusste das.
Harry starrte immer noch auf den Zauberstab, als müsse er sicher gehen, dass er wirklich da war. Dass sie einen Horkrux gefunden hatten – ohne jemanden zu verlieren. Niemandem war etwas passiert. Es war so einfach gewesen, so unglaublich einfach … Etwas konnte nicht stimmen.
„Severus …“, sagte Dumbledore. „Sie wissen, was das zu bedeuten hat?“
Harry wandte sich vom Zauberstab ab, als Snape nicht antwortete; und er sah, dass Snape nur nickte.
„Was bedeutet es denn?“, fragte Ginny neugierig; sie wusste natürlich nicht, was dieser Zauberstab war, warum sie überhaupt hier waren.
„Dass er versucht, zu vertrauen.“ Snape schnaufte. „Nach so langer Zeit versucht er, dazuzulernen.“
Und da verstand Harry auch, was Dumbledore meinte. Hier gab es keine Bannzauber, keine magischen Schutzvorkehrungen, wenn man von dem Anti-Apparierzauber absah. Lord Voldemort hatte den Zauberstab lediglich dem Gurg der Riesen überlassen, in der Hoffnung, dass sein sich nie ein Zauberer in die Nähe des Stammes wagen würde. Und wenn sich einer hier her verirrte, sollte er von den Riesen einfach plattgedrückt werden.
Das ging daneben. Die Riesen hatten sich stattdessen gegenseitig plattgemacht. Etwas, womit Voldemort sicher nicht gerechnet hatte.
Und dann fiel Harry noch etwas ein – Gryffindors Helm war in Gringotts, im Gewahrsam der Kobolde. Auch ihnen hatte er einen seiner Horkruxe einfach anvertraut! Warum ging er so leichtsinnig mit seinen wichtigsten Objekten um?
„Wo ist der Horkrux, den Sie bereits gefunden haben?“, fragte Snape plötzlich.
„Was – ach so! Der Kessel ist im Raum der Wünsche.“
Snape nickte. „Und wie sind die Kobolde aus Gringotts nach Hogwarts gekommen?“
„Durch ein Portal – der Eingang ist in einer Besenkammer im fünften Stock.“ Harry wusste, was Snape vorhatte.
„Ich werde beides holen“, bestätigte Snape Harrys Vermutung, „und komme euch dann hinterher.“
Harry runzelte die Stirn. „Hinterherkommen? Was meinen Sie?“
„Nach Askaban.“ Snape hob eine Augenbraue. „Ich vermute, Sie wollen dorthin, wenn der Kampf losgeht?“
„Aber die –!“
„Um die Horkruxe kümmere ich mich.“ Snape streckte seine offene Hand aus; offenbar erwartete er, dass Harry ihm den Zauberstab gab.
Aber Harry zögerte. Trotz allem, was er in dieser Nacht über Snape erfahren hatte, sagte ihm etwas, ganz tief in ihm, dass es falsch wäre, ihm den Horkrux zu einfach zu überlassen. Der Eindruck wurde noch verstärkt, als Harry in Snapes tiefe schwarze Augen blickte. Etwas schien darin zu funkeln, das ihm überhaupt nicht gefiel …
„Was?“ Snape ließ seine Hand sinken; und er schmunzelte. „Sie vertrauen mir immer noch nicht, Potter?“
Tu ich das?
„Ich bin mir nicht sicher“, sagte er.
„Sie sollten sich schnell entscheiden. Der Dunkle Lord ist in diesen Minuten, die wir hier verschwenden, dabei, die Schutzmauer um Askaban abzubauen und all Ihre Freunde in eine potentielle Falle zu locken.“
Etwas zuckte durch Harrys Körper. „Eine – eine Falle? Aber –“ Harry hob Dumbledores Schokofroschkarte auf Augenhöhe. „Warum haben Sie ihnen das nicht gesagt?“
„Weil es nichts gebracht hätte.“ Dumbledore schüttelte traurig seinen Kopf. „Selbst wenn unsere Freunde in Hogwarts geblieben wären, die Falle hätte trotzdem zugeschnappt. Es ist deine Aufgabe, Harry, so schnell wie möglich Lord Voldemort aufzuhalten.“
„Was hat er vor?“, fragte Harry; er zitterte. Warum hatte man ihm das bisher vorenthalten?
„Der Dunkle Lord“, sagte Snape, und Harry wandte sich wieder ihm zu, „hat mir einen Auftrag erteilt, den ich nicht ablehnen und auch nicht absichtlich falsch ausführen konnte. Ich sollte für ihn einen Trank brauen, der monatelang zubereitet werden muss.“
„Was für ein Trank ist das?“
„Ein Zaubertrank, den vor mir kaum jemand gebraut hat.“ Snape senkte seine Stimme. „Ein Zaubertrank, der dem Dunklen Lord eine Macht verleihen soll, die er zu brauchen glaubt.“
„Sie meinen – der Trank gibt ihm Unsterblichkeit? Aber er hat doch schon die Horkruxe!“
Snape schüttelte seinen Kopf. „Nicht Unsterblichkeit. Liebe.“
Es dauerte, bis Harry Snapes Worte verstanden hatte. Oder bis er glaubte, sie verstanden zu haben. Denn das konnte nicht richtig sein.
„Voldemort –“
„– sag nicht seinen Namen –“
„– hasst Liebe“, schloss Harry ohne auf Snape zu achten, in so nüchternem Tonfall, dass er sogar sich selbst ein wenig davon überzeugte, dass Snape sich vertan haben musste. „Er würde nicht Liebe fühlen wollen.“
„Überraschenderweise haben Sie Recht, Potter“, sagte Snape, womit er Harrys Verwirrung an die Spitze trieb – hatte er sich also tatsächlich verhört? „Der Dunkle Lord möchte keine Liebe fühlen. Aber dazu wird es auch nicht kommen. Cruelo Cupido ist der gefährlichste Liebestrank, den es gibt. Denn anstatt ihn jemandem ins Glas zu mischen, trinkt man ihn selbst. Und wenn du ihn trinkst, werden alle Menschen beginnen, dich zu lieben. Alle.“
Harry strengte sich an, um nicht zu zittern. Nicht den Kopf verlieren. Nicht den Kopf verlieren!
„Wie lange dauert es noch, bis Vol-“
Snape zischte.
„-demort den Trank trinken wird?“
„Der Trank ist in geschätzten zehn Minuten fertig.“
Und der Kopf war verloren.
„ZEHN MINUTEN?“ Alles veränderte sich, alles nahm neue Bedeutungen an in diesem Augenblick. Snape hatte ihm die ganze Zeit nichts davon erzählt – er wollte verhindern, dass er etwas dagegen tun würde! Jetzt war es zu spät, er würde es nicht mehr schaffen, Voldemort aufzuhalten. Snape hatte das geplant! Ginny hatte Recht gehabt, Snape war nicht auf Dumbledores Seite!
„Ich habe bisher nichts davon gesagt“, sagte Snape mit ruhiger Stimme, „weil mir bewusst war, dass das nichts bringen würde. Was hätten Sie denn tun wollen, Potter? Nach Askaban gehen, dem Dunklen Lord gegenübertreten und ihm das Glas aus der Hand schlagen? Er hätte Sie sofort getötet, und Sie hätten es noch nicht einmal geschafft, alle seine Horkruxe zu finden. Ist es das, was Sie wollten?“
„Nein“, gab Harry zu, „aber wir hätten zumindest etwas versuchen können! Jetzt haben wir keine Chance mehr! In zehn Minuten werden wir alle Voldemort lieben –“ (die Vorstellung war so abartig, dass es sich sogar komisch, unangenehm anfühlte, sie auszusprechen) „– und ihm dann wohl zu Füßen liegen!“
„Nicht unbedingt. Die Feinheiten, Potter, die Feinheiten! Für die hatten Sie noch nie einen besonderen Sinn.“ Snape betrachtete Harry mit einem geringschätzenden Blick. „Ich habe Ihnen gesagt, dass der Trank in zehn Minuten fertig sein wird. Das heißt nicht, dass der Dunkle Lord ihn sofort trinken wird!“
„Was soll er denn sonst damit machen, ihn anstarren?“
„Der Dunkle Lord hat vor, den Schutzwall erst von Askaban zu nehmen, wenn der Trank fertig ist. Das heißt …“ Snape öffnete den Mund, schloss ihn – und öffnete ihn wieder. „Das heißt, wenn die wichtigste Zutat ihre vollständige Wirkung auf den Trank ausgeübt hat. Das ist in etwa zehn Minuten so weit. Der Dunkle Lord möchte aber nicht gleich den Trank einnehmen. Das soll sein Triumph über Sie werden. Er wird seine Todesser gegen den Orden und das Ministerium kämpfen lassen, wird genüsslich zusehen und abwarten, wessen Blut vergossen wird, wer seiner Diener versagt, wer sich erfolgreich schlägt. Sobald er genug von dem Kampf hat – oder sobald Sie auftauchen – wird er den Cruelo Cupido trinken. Und wenn wir bis dahin nicht die Horkruxe und den Dunklen Lord selbst vernichtet haben, steht seiner Herrschaft wohl nichts mehr im Weg. Dann werden wir ihn alle lieben.“
Sein Blick hing für eine Sekunde an Harry, aber Ginny und Hagrid, die bei ihnen standen, hatten das vermutlich gar nicht bemerkt. Harry hätte gerne gewusst, ob Snape das gleiche dachte wie er …
„Warum haben Sie den Trank nicht einfach verpfuscht?“, schnitt Ginny durch Harrys Gedanken. „Gift hineingemischt oder sowas?“
„Ich sagte doch schon, ich hätte diesen Auftrag nicht mit Absicht falsch ausführen können“, erwiderte Snape scharf. „Das Problem ist, dass der Trank monatlich einen neuen Zustand annimmt und damit auch eine neue, vorübergehende Wirkung. Egal, wie sehr der Dunkle Lord mir vertraut, er hat natürlich darauf bestanden, die Wirkung jedes Monat zu testen.“
„Was für Wirkungen sind das?“ Ginny machte keine Anstalten, ihren Zweifel zu verbergen, verschränkte die Arme, sah Snape misstrauisch an.
„Das würden Sie nicht wissen wollen, Miss Weasley.“ Er wandte sich wieder an Harry. „Stellen Sie sich jetzt nicht an wie ein kleines Kind. Seien Sie nicht wütend, weil Sie vor solch vollendete Tatsachen gestellt werden. Hören Sie mir zu und tun Sie, was ich Ihnen sage. Wenn Sie darüber nachdenken wollen, dann tun Sie das bitte so schnell wie möglich, denn –“
„Sie gehen zurück nach Hogwarts.“ Das, was da aus Harrys Mund kam, war völlig selbstverständlich. „Sie holen den Kessel Helga Hufflepuffs aus dem Raum der Wünsche und den Helm Godric Gryffindors aus Gringotts, wie Sie vorhin gesagt haben. Und ich gehe nach Askaban.“ Dann reichte er Snape Ravenclaws Zauberstab; erst wirkte er überrascht, dann nahm er den Stab aber entgegen und steckte ihn in eine Innentasche seines Umhangs. Harry musste mit sich kämpfen, um es zu schaffen – aber dann sagte er: „Ich vertraue Ihnen, Severus Snape.“
Snape hob nur die Augenbrauen. „Was für eine Ehre. Sie verzeihen, dass ich darauf verzichte, auf die Knie zu fallen.“
„Wie komme ich nach Askaban?“, fragte Harry.
Snape richtete seinen eigenen Zauberstab auf einen groĂźen Stein; binnen Sekunden war auch dieser in einen PortschlĂĽssel verwandelt.
„Sie müssen aber –“
„– getarnt gehen, ich weiß“, beendete Harry Snapes Satz; und er zog seinen Tarnumhang aus seiner Tasche. „Voldemort darf noch nicht sehen, dass ich da bin. Ich warte in Askaban auf Sie, wir zerstören die Horkruxe, dann überlegen wir, was wir wegen des Tranks tun.“
Snape schmunzelte. „Sieh einer an. Er kann denken.“
„Wie ich Ihnen oft genug gesagt habe, Severus“, sagte Dumbledore, als wolle er alle daran erinnern, dass er noch hier war.
Snape berührte einen zweiten Stein mit dem Zauberstab. „Hagrid, ich schätze, Sie werden mit Harry gehen?“
„Worauf Sie sich verlass’n könn’n, Professor.“ Hagrid klopfte Harry sanft auf die Schulter; sogar so sanft, dass Harry fast nicht in die Knie gezwungen wurde.
„Ich gehe auch nach Askaban“, sagte Ginny, und als Harry den Mund öffnen wollte, fügte sie hinzu: „Versuch’s gar nicht erst! Ich werde in den Kampf ziehen, meine ganze Familie ist wahrscheinlich dort! Wenn du denkst, ich bleibe –“
„Schon gut!“ Harry lächelte. „Ich wollte sagen, ich bin auch dafür bin, dass du mitkommst.“
Ginny sah ihn erstaunt an. „Wirklich?“
„Ja, aber genug geredet – wir haben es eilig.“ Er drehte sich zu Snape um. „Auf Wiedersehen. Beeilen Sie sich.“
„Beeilen besser Sie sich und berühren den Stein!“ Snape deutete auf den Portschlüssel; er schien wieder von blauem Licht umgeben zu sein. „Er bringt Sie gleich nach Askaban!“
Harry warf den Tarnumhang über sich und legte eine Hand auf den Stein. Ginny platzierte ihre direkt neben Harrys, während Hagrid die ganze andere Seite des Steins für seine Hand beanspruchte.
Harry wandte sich erneut um, und ein letztes Mal trafen seine Augen auf Snapes.
So viel Verständnis verband sie in diesem Moment …
Und schon zog der PortschlĂĽssel ihn fort.
Die plötzliche Veränderung der Luft, der neue Geruch und die lauten Stimmen überschlugen sich in Harrys Kopf und machten ihn schwindelig, als der Portschlüssel sein Ziel erreicht hatte. Er sah sich um, und seine Augen wanderten über Felsen, nass von den Wellen, die gegen sie schlugen, und über die Köpfe der Zauberer und Hexen, die sich nervös unterhielten (und ihn an die Auroren erinnerten, die vor mittlerweile mehr als einem Tag vor Gringotts gewartet hatten) zu –
Wo Harry eine hohe, schwarze Festung erwartet hatte, die eindrucksvoll und furchteinflößend ihren Schatten über die ganze Insel warf, fand er eines der seltsamsten Gebilde, das er je gesehen hatte. Nichts als dichter, weißer Nebel, der sich in Zylinderform bis hoch in den Himmel schraubte, sich wolkenartig bewegte und in einem unsichtbaren Gefäß befinden zu schien, denn an keiner Stelle übertrat er eine bestimmte Schwelle, mischte sich nicht unter die, die am Fuß des Nebelturmes standen.
„Ginny! Hagrid!“
Ron kam auf sie zu gerannt.
„Sagt ihm nicht, dass ich hier bin!“, flüsterte Harry den anderen beiden eindringlich zu; Ginny sah ihn überrascht an, aber wandte dann schnell den Blick wieder ab, als Ron sie erreichte.
„Wo is’n Hermine?“, fragte Hagrid.
„Ich – ich weiß es nicht.“ Er sah zu Ginny und fügte leise hinzu: „Du glaubst nicht, was sie getan hat!“
Harrys Herz sank – sie hatte es ihm erzählt. Und er hatte reagiert, wie sie befürchtet hatte …
„Erzähl es mir später“, erwiderte Ginny, während Hagrid zu Moody stapfte, den er gerade in der Menge ausgemacht hatte. „Was macht ihr hier? Warten?“
Ron zuckte mit den Schultern. „Wir können nichts anderes tun. Die Experten vom Ministerium haben keine Ahnung, was das für ein Nebel ist. Aber wir sind uns sicher, dass Voldemort uns bald einlassen wird.“
„Darauf kannst du Gift nehmen …“
„Was?“
„Nichts“, sagte Ginny schnell. „Ich – ich bin nur auch der Meinung.“
Harry musterte sie fragend, aber sie und die anderen sahen hoch zu der Spitze des Nebelturmes. Er gab schlieĂźlich auf, lieĂź den Blick ebenfalls dorthin gleiten.
Und wusste, dass das Ende bevorstand. Das Ende wovon, nur – das war die Frage, die bestehen blieb.
Die Ländereien waren nicht verlassen, wie Severus erwartet hatte. Als er am Treppenaufgang zum Eingang erschien, erkannte er am Seeufer nahe dem Wald sich eine große Menge versammelt. Für einen Augenblick befürchtete Severus, das wären Todesser, die nach Hogwarts zurückgekehrt waren – dann aber erkannte er, dass diese Leute vier Beine hatten. Er desillusionierte seinen Körper und ging näher an die Zentauren heran; für welche Seite hatten sie sich entschieden?
„Nehmt das mit euch“, sagte der Zentaur, der einzeln an der Spitze der Gruppe stand; im schwachen Licht sah Severus überrascht, dass der Zentaur nicht zu seinen Artgenossen zu sprechen schien, sondern an den See gewandt war. Er schlich noch etwas näher auf sie zu, bis er es erkannte: Aus dem Wasser ragten Gestalten, Körper von den Schultern aufwärts. Die Meermenschen.
Einer der Meermenschen nahm dem Zentaur ab, was der ihm hinhielt: Ein langer, silberner Speer.
„Wir können nicht auf die Insel gelangen“, sagte der Zentaur, „darum bitten wir euch, in unserem Namen zu kämpfen. In unserem, und in dem unseres gefallenen Kriegers Firenze.“
„Ihr macht einen schweren Fehler!“, rief ein anderer Zentaur, als die Meermenschen untertauchten und davon schwammen. „Die Sterne entscheiden das Schicksal, und wir dürfen uns nicht einmischen!“
„Das heißt nicht, dass es nicht unser Schicksal ist, für das Richtige einzutreten!“ Der Zentaur, der mit den Meermenschen gesprochen hatte, schien sehr wütend zu sein. „Lord Voldemort –“
(Snape fuhr erschrocken zusammen – die Zentauren sagten seinen Namen?)
„– steht für alles, was wir hassen! Er würde uns die wenigen Rechte, die uns vorbehalten sind, mit sofortiger Wirkung nehmen! Er symbolisiert Hass und Abscheu gegenüber allem, was anders ist als er – wir können nicht tatenlos zusehen, wie so etwas die Macht an sich reißt!“
„Ihr seid doch alle Narren!“ Ein Zentaur, der so weiß war, dass er in der Nacht zu leuchten schien, bahnte sich seinen Weg durch die Menge und stellte sich abseits von den anderen hin. „Gegen diesen Mann haben wir genauso wenig Chance wie die Zauberer und Hexen, die dumm genug sind, sich gegen ihn zu wehren! Wir müssen seine Herrschaft nicht nur akzeptieren, wir müssen ihn dabei unterstützen! Nur so können wir dafür sorgen, dass wir unter seiner Führung alles bekommen, was wir schon immer wollten! So, wie die Kobolde es uns gesagt haben!“
Während er sprach, lösten sich einige andere Zentauren ganz langsam von der Menge, stellten sich hinter den weißen Zentaur. Nun wurden viele Stimmen laut, und Severus glaubte sogar, eine Sprache zu hören, die er nicht kannte; die Zentauren scharrten mit den Füßen, hoben ihre Speere, und Severus beschloss, dass es Zeit war, zu gehen.
Er betrat das Schloss. Auch die Eingangshalle war nicht leer: An der Wand, an der die Stundengläser der Häuser hingen – oder hängen sollten, da sie nun in Scherben auf dem Boden verstreut lagen – wimmelte es von Hauselfen.
„Was denkt Knobby?“, fragte ein Elf einen anderen, sehr alt aussehenden. Der schüttelte den Kopf. „Nichts zu machen.“
„Warum versuchen die Hauselfen von Hogwarts, das Schloss wieder aufzubauen?“, rief einer der Elfen mit lauter Stimme. „Wenn die Hauselfen wissen, dass sie mit ihren Herren kämpfen müssen?“
„Es ist die Pflicht der Hauselfen von Hogwarts, Hogwarts aufzuräumen!“, kreischte ein anderer ihn an. „Und Manky macht, was Mankys Aufgabe ist!“
„Die Aufgabe der Elfen ist es, alles zu tun, was ihre Herren verlangen! Und ich sage, die Herren der Elfen wollen, dass die Elfen für sie kämpfen!“
„Und die Eltern von Shandrys Freundin Miss Turpin kämpfen für Du-weißt-schon-wen!“, rief eine Elfe mit sehr spitzer Stimme. „Deswegen wird Shandry auch für Du-weißt-schon-wen kämpfen!“
„Winky wird Shandry aufhalten!“, schrie eine weitere Elfe, und mit einem gewaltigen Sprung landete sie auf ihrer Kollegin.
Severus bekam das alles nur am Rande mit, während er die Halle durchquerte, die Treppe hochlief. Er musste in den siebten Stock, und leider kannte er keine Geheimgänge. Er erklomm Treppe um Treppe, betrat Korridor um Korridor –
Und in einem Korridor kam ihm jemand entgegen. Sofort hob er den Desillusionierungszauber auf.
„Narzissa!“, rief er erstaunt. „Was machst du –“
„Severus, du bist da …“ Ihre Stimme war schwach, nur ein Hauchen. Sie humpelte, und als sie fast stürzte, eilte er zu ihr und stützte sie.
„Was ist mit dir passiert?“ Ihr Umhang war an einigen Stellen aufgerissen, und auf der Haut dahinter waren große, kaum schon verheilte Narben.
„Ein Werwolf … musste ohne Zauberstab kämpfen, bis Alastor Moody mich bemerkt hat …“
Severus legte sie auf den Boden, berührte ihre Wunden mit dem Zauberstab und förderte den Heilungsprozess, so gut es ihm möglich war. Also fast gar nicht – Madam Pomfrey schien gute Arbeit geleistet zu haben.
„Trink das“, sagte er dann, griff in seine Tasche und reichte ihr das kleine Fläschchen, das er daraus hervorholte. „Ein Kräftigungstrank.“
Er legte seine Hand unter ihren Kopf, weil sie Schwierigkeiten zu haben schien, ihn hochzuheben. Dann trank sie – und war sofort von neuer Energie erfüllt. Sie kämpfte sich auf ihre Beine und stand dann da, als wäre nichts gewesen.
„Warst du im Krankenflügel?“, fragte Severus; sie nickte. „Du hättest ihn nicht verlassen sollen. Du bist nicht in gutem Zustand, du solltest –“
„Ich möchte auf der Stelle den Dunklen Lord töten!“, rief sie, wieder im Besitz ihrer kräftigen Stimme. „Ich will helfen, ihn zu besiegen –“
„Beruhige dich –“
„Sag mir nicht, ich soll mich beruhigen! Der Dunkle Lord soll sterben!“
„Ich bin derselben Meinung“, sagte Severus, wobei er versuchte, seine Stimme ruhig zu halten, „aber du bist nicht gerade in der Verfassung, den mächtigsten Schwarzmagier aller Zeiten zu töten, Narzissa.“
„Sag mir, wo er ist. Na los!“ Narzissa griff nach seiner Hand. „Bitte, sag mir, wo der Kampf stattfindet!“
„Nein. Ich mein es ernst –“
„Ich auch! Ich möchte kämpfen! Für meinen Sohn, für meinen Mann! Er ist tot, Severus, wusstest du das?“ Ein verzweifelter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Nichts von dem, was er getan hat, war in Ordnung, aber er war mein Mann! Und der Dunkle Lord hat ihn zu all dem verführt, was er verbrochen hat! Er soll dafür büßen!“
„Das wird er, das versichere ich dir. Aber du wirst nicht kämpfen.“
„Das kannst du nicht entscheiden!“ Sie starrte ihn flehentlich an. „Bitte sag mir, wo sie kämpfen.“
Snape zögerte, erwiderte Narzissas Blick ungerührt. Dann –
„Askaban.“
Narzissa nickte. „Danke. Und, Severus – du musst wissen, wo Draco ist –“ Und sie sagte es ihm.
„Warum dort?“, fragte Severus, die Stirn gerunzelt.
„Diese schreckliche Frau ließ mir keine andere Wahl!“ Und als Severus noch irritierter dreinsah, sagte sie: „Diese Umbridge! Sie hat Draco und mich aus dem Ministerium entführt und hier her gebracht – und als ich ihr erzählt hab, dass Draco … du weißt schon …“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Oh, Severus – sie wollte, dass ich ihm Ketten anlege! Ich konnte sie davon überzeugen, dass er nicht gefährlich ist – sie hat mich aber gezwungen, ihn dort einzusperren, und dann hat sie mich mit einem Schockfluch bewusstlos geschlagen. Severus, versprich mir, dass du … dass du dich um Draco kümmerst, sollte … sollte ich …“
„Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für all das. Entschuldige mich –“
„Versprich es mir!“ Ihre Hände schlossen sich fester um seine. „Bitte.“
Die Zeit saß ihm im Nacken, so aufdringlich, dass er sie sogar förmlich zu spüren glaubte. „In Ordnung. Ich verspreche es. Und nun muss ich gehen.“
Er entriss Narzissa seine Hände und lief an ihr vorbei.
„Eines noch, Severus!“, rief sie ihm hinterher. „Remus Lupin ist im Krankenflügel.“
Severus blieb stehen. „Re- Lupin?“ Er drehte sich um. „Wieso – wie ist er nach Hogwarts gekommen? Ich hab gedacht, er hätte jemanden gefunden, der ihm den Wolfsbanntrank –“
„Hat er auch. Er wusste, was er tat, als er nach Hogwarts kam – hat versucht, gegen die Werwölfe des Dunklen Lords zu kämpfen, aber ein Auror hat ihn aus Versehen verletzt, weil er das nicht gewusst hat.“ Narzissa betrachtete ihn eingehend. „Willst du ihn nicht besuchen, bevor du –“
„Nein“, sagte Severus hastig. „Nein, ich – ich muss etwas Wichtiges erledigen.“
Für einige weitere Sekunden blieb er stehen, während Narzissa ihn ansah – ihn traurig ansah. „Ihr wart einmal Freunde, das weißt du doch noch –“
„Wir waren, richtig. Bevor …“ Severus musste seinen Blick abwenden. „Bevor er sich nur noch mit diesem Potter abgegeben hat. Und jetzt entschuldige mich, ich habe zu tun.“
Der Dunkle Lord betrachtete den Nebel, den er so mühevoll kreiert hatte. In wenigen Augenblicken würde er ihn wörtlich in Rauch auflösen, und dann – wenn alles nach Plan verlief – dieses großartige Stück Magie nie wieder anwenden müssen. Was für eine Verschwendung.
Ein Geräusch, das der Dunkle Lord schon oft gehört hatte. Oder zumindest klang es wie dieses Geräusch. Wie der letzte, schwache Schrei eines Menschen, kurz, bevor er stirbt …
Grinsend schloss der Dunkle Lord die Augen. Es war endlich so weit. Cruelo Cupido war fertig.
Er machte eine drehende Bewegung mit seinem Zauberstab, wandte sich von dem Nebel ab, der sich langsam aufzulösen begann, lief zu seinem Thron und setzte sich. Neben ihm, auf einer kleinen Statue aus Stein, stand der Kelch mit dem immer noch herzroten Zaubertrank.
Und vor ihm, auf kleinen, magischen Sphären, Bilder des ganzen Gebäudes, die seit dem Einsetzen menschlicher Wachen in diesem Gefängnis von den Zauberern benutzt worden waren, um Askaban zu bewachen. Der Dunkle Lord hingegen wusste, anderen Gebrauch davon zu machen. Er beobachtete, wie die Todesser an allen Fenstern und am Eingang darauf lauerten, dass der Nebel endlich vollständig verschwand. Er suchte in der Dunkelheit, die im ganzen Gefängnis herrschte, in den Schatten, die jeden Raum erfüllten, nach den schwarzen Gestalten, denen er endlich freies Handeln gewehrt hatte. Da – bewegte sich da etwas? Ja, eindeutig …
Einen Dementor hatte der Dunkle Lord schon entdeckt. Die unzähligen anderen warteten wohl versteckt darauf, dass ein besonders glücklicher Mensch ihren Weg kreuzt.
„Nagini“, zischte er, „du wirst diese Vorstellung nicht verpassen wollen.“
Aber die Schlange kam nicht.
„Du wirst doch nicht immer noch wütend sein wegen deines Käfigs?“
Er schnalzte mit seinem Zauberstab, und aus der Dunkelheit schwebte er herbei: Der Käfig, den er für Nagini angefertigt hatte. Die Kugel strahlte ein merkwürdiges Leuchten aus, und Nagini wand sich zischend und fauchend darin; ihr gefiel ihr neues Zuhause nicht.
„Du musst da nur vorübergehend drin bleiben, Nagini“, sagte der Dunkle Lord. „Ich habe dir bereits erklärt, warum. Später …“ Er wandte sich grinsend wieder den magischen Sphären zu. „Später wirst du noch genug Gelegenheit bekommen, zu töten.“
Kaum hatte Harry einmal nichts mehr zu tun gehabt außer warten, war er von einem Durst überfallen worden, der beinahe unerträglich war. Und nachdem er sich ein Glas von dem Wasser aus dem selbstauffüllenden Kessel, mit dem sich die Zauberer und Hexen hier versorgten, von Ginny hatte geben lassen, hatte in ihm eine Schläfrigkeit eingesetzt, die sich einen schlechteren Zeitpunkt nicht hätte aussuchen können. Bleib wach, sagte er sich selbst immer und immer wieder, bleib wach! Doch die Stimme in seinem Kopf wurde mit jedem Mal schwächer …
Bis er schlagartig wieder wach war.
„Der Nebel verschwindet!“
Der Ruf wurde über die ganze Insel getragen, von einem zum anderen im ehrfürchtigen Flüsterton wiederholt. Harry brachte seinen angespannten Körper dazu, sich umzudrehen, und ohne auch nur einmal zu blinzeln, starrte er auf die weiße Mauer. Erst sah er überhaupt nichts – dann erkannte er, wie sich der Nebel stückchenweise auflöste. An einigen Stellen verlor er seine Dichte, und er schien langsam vom Wind weggeweht zu werden. Was dahinter lag wurde hier und da sichtbar – rabenschwarze Flecken in einem immer noch reinweißen Schleier. Und als dieser Schleier zur Gänze verschwunden war und das, was er verborgen hatte, entblößt –
Da erschien am Himmel darüber das, was Harry nie wieder sehen wollte. Erst nur ein kleiner schwarzer Punkt, breitete es sich immer weiter aus, schien von innen heraus zu wachsen – und das Dunkle Mal, das über Gringotts geschwebt war, verdunkelte nun hier den Horizont, verschluckte Sterne, stieß das Mondlicht ab – spuckte seine schreckliche Schlange aus, die sich in Richtung der Insel wand und Harry bedrohlich anstarrte; ja, Harry war sich sicher, sie starrte ihn an …
Und während ihr bedeutungsloses Zischen in Harrys Ohren kroch, hingen seine Augen an dem Turm, der vor ihm aus der Erde wuchs. Genauso schwarz wie das Dunkle Mal, die winzigen Fenster leblos und leer –
Bis auf das eine.
„Avada Kedavra!“
Der Fluch des Todessers, der aus dem obersten Fenster lehnte, traf sein Ziel nicht, wenn es überhaupt ein Ziel gegeben hatte. Und noch bevor der Todesser sich zurückgezogen hatte, strömten die Auroren, die Mitglieder des Phönixordens, der Minister und wer auch immer sonst noch anwesend sein mochte in die Festung. Alle außer Harry. Der sah nur zu, wie Ron und Ginny zusammen mit den anderen durch das – offen stehende – Tor von Askaban liefen, einige von ihnen brüllend und sich nicht einmal um Ordnung kümmernd. In diesem Turm würde es heute Nacht kein Denken geben, keine Strategie und keine Pläne. Außer im Falle Voldemorts und Harrys. Ansonsten geschah in dem Gefängnis nur eines: Krieg. Kalt, herzlos, sinnlos und unaufhaltsam.
Und dieser Krieg wĂĽrde seine Opfer fordern.
Ron wusste nicht einmal genau, was passierte. Er merkte, wie er praktisch wie von selbst in das Gefängnis hinein getrieben wurde, hörte sich schreien und spürte sich den Zauberstab, den er von den Auroren bekommen hatte, nachdem sein eigener zerstört worden war, schwingen. Doch in Wahrheit wusste er, dass das nicht richtig war, dass es nichts brachte, dass sie von Anfang an alles falsch gemacht hatten. Hier einzufallen wie sie es gerade taten – die Verwirrung, die jetzt schon herrschte – was würde erst passieren, wenn die Todesser hinzustießen? Sie hatten sich hier eingerichtet – wahrscheinlich beobachteten sie sie von oben und könnten jederzeit jedem von ihnen den Garaus machen, während sie nicht einmal sahen, wohin sie ihre Zaubereien schossen.
War das wirklich, wie die ausgebildeten Auroren vorgingen?
Die Antwort kam schneller als erwartet. Ron setzte gerade dazu an, den nächsten Fluch loszuschicken – da teilte sich die Menge plötzlich völlig unangekündigt. Jetzt erst fiel Ron auf, dass sie in einem steinernen, extrem niedrigen Gang waren, und dass sein Kopf in nur wenigen weiteren Schritten gegen einen tief hinunter ragenden Felsen geprallt wäre. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken waren kleine Torbögen, die in weitere Gänge führten – er drehte sich um und sah Hunderte solcher Bögen, die bis zurück zum Eingangstor an beiden Seiten dieses tunnelartigen Raumes in die Wand eingelassen waren.
Er war nicht der einzige, der noch hier war. Einige Auroren standen an den Torbögen, ihre Zauberstäbe bereit – sie warteten wohl auf flüchtende Todesser. Und einen von ihnen erkannte er sogar –
„Kingsley!“ Er lief zu ihm.
„Ron, du musst vorsichtig sein!“ Kingsley nahm seine Augen nicht von dem Tunnel, vor dem er stand. „Hier könnten überall Todesser lauern, wir wissen nicht, wo sie sich versteckt halten.“
„Kann ich euch irgendwie helfen?“
„In wenigen Minuten werden Berichterstatter kommen, dann tauschen wir hier mit denen und stürzen uns in den Kampf. Du könntest statt des Aurors, der mit mir tauschen wird, hier Wache stehen –“
„Nein, ich will auch kämpfen!“, erwiderte Ron.
„Nur zu – aber bevor du gehst, solltest du wissen, dass deine Mutter zuhause ist.“ Kingsley schielte kurz nach ihm, sah dann aber schnell wieder in den Tunnel. „Sie meint, wenn sie und Arthur beide kämpfen, wäre das unverantwortlich, weil sie dann – weil ihnen dann beiden etwas zustoßen könnte. So, wie ich deine Mutter verstanden habe, hat sie eigentlich angenommen, dich und deine Schwester daheim vorzufinden –“
„Da hat sie Pech gehabt.“
Und schon lief Ron davon, sein Zauberstab fest umklammert. Nein, heute Nacht würde er nicht herumsitzen. Er würde nicht wie Harry ziellos durch die Gegend laufen. Er würde etwas tun, dafür sorgen, dass etwas geschah und –
Kaum erreichte er das Ende des Tunnels, musste er sich ducken, als ein Fluch auf seinen Kopf zuraste. Der Lichtstrahl prallte gegen die Wand und hinterlieĂź dort ein winziges, qualmendes Loch.
In diesem großen Raum, in dem Ron nun stand, war alles wieder genau wie in Hogwarts – nur viel schneller und unübersichtlicher. Rücken an Rücken duellierten sich Todesser mit Ordensmitgliedern, mit Auroren oder mit denen, die freiwillig gekommen waren, um zu helfen. Hauselfen und Kobolde bahnten sich ihre Wege zwischen den Füßen der Menschen, und in dem Durcheinander war es unmöglich festzustellen, welches der kleinen Wesen für welche Seite kämpfte, und auch einander kratzen und bissen die Kreaturen, traten und brüllten; nur wenige Elfen kamen auf die Idee, ihre ganz eigene Magie anzuwenden. Wenn Hermine sehen würde, wie die kleinen Biester sich für ihre Herren einsetzten –
Hermine. Wo war sie nur? Was hatte er ihr angetan? Ihr zu sagen, sie wäre wie Voldemort – etwas Unnötigeres, Dümmeres und vor allem etwas Mistkerlhafteres hätte er nicht sagen können. Aber – wie hatte sie es wagen können, Harry so etwas anzutun? Harry – und damit Ron? Dieser Betrug, dieser dreckige, schreckliche Verrat –
Ein Krachen riss Ron in die Gegenwart zurück. Ein Krachen, so laut, dass selbst Merlin in seinem Grab davon aufgewacht wäre. Ein Felsen von der Größe einer Kutsche hatte ein Loch in die Wand geschlagen und war auf einigen der Kämpfenden gelandet – zwei Todesser und ein Ordensmitglied, das Ron als Daedalus Diggle erkannte, versuchten mit Mühe, sich von dem Stein zu befreien. Durch das Loch konnte Ron das Meer sehen – und das Festland in der Ferne. Riesige Gestalten schienen sich dort zu bewegen – nein – nicht nur riesige Gestalten. Es waren tatsächlich Riesen!
Ob sie es auf Voldemort oder auf die Guten abgesehen hatten, das konnte man nicht sagen, aber der nächste Fels, den sie warfen, war ein Glückstreffer: Vier Todesser, die Rücken an Rücken gestanden waren, wurden darunter begraben. Aber wenn die Riesen nicht bald damit aufhören würden, würden mehr Menschen draufgehen als im Laufe des Kampfes ohnehin gestorben wären, und das ganze Gefängnis würde einstürzen …
„Gruppe B zu den Riesen, haltet sie auf!“, hörte Ron den Minister rufen, und eine ganze Reihe Auroren disapparierte.
Und dann endlich stürzte Ron sich ins Gefecht. Er sah sich um, suchte nach jemandem, gegen den er kämpfen konnte – machte den Todesser Avery in der Menge aus – Georges Mörder! Ja, den würde er dem Ordensmitglied, gegen das er kämpfte, abnehmen, den würde er sich ganz allein vorknöpfen.
Er hob seinen Zauberstab, rief „STU –“
Und jemand schlang seinen Arm um seinen Bauch – und bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde er durch den Sog der Apparation gezogen …
Eine bittere Kälte schien sich über die ganze Insel zu legen. Harry glaubte aber, dass er sich diese nur einbildete. Weil er ganz allein war und weil er nicht wusste, was in Askaban vor sich ging, hinter diesen dicken, schwarzen Mauern. Weil er nicht eingreifen konnte. Weil das Dunkle Mal, das er zu ignorieren versuchte, direkt in seinen Kopf zu starren schien …
„Harry.“
Erschrocken drehte sich Harry um, zielte mit seinem Zauberstab auf – nichts. Da war niemand. Aber wer hatte gesprochen?
„In deiner Tasche, Harry.“
Wärme erfüllte Harry von innen, kämpfte gegen die Kälte an. Er war gar nicht allein! Er hatte vollkommen Dumbledores Schokofroschkarte vergessen, die er kurz nach der Ankunft auf der Insel in seiner Tasche verstaut hatte!
Hastig zog er sie hervor, blickte erwartungsvoll auf Dumbledore hinab. Würde er ihm noch etwas erzählen? Ein weiteres, hilfreiches Geheimnis aufdecken? Harry wäre nicht einmal wütend, weil ihm noch etwas vorenthalten worden war, wollte nur etwas hören, was ihm half, den Totenkopf und die Schlange da oben zu vergessen …
„Ich will nur, dass du weißt“, sagte Dumbledore, und Harry horchte auf, „dass du nicht allein bist.“
Harry ließ die Schultern sinken. „Ja – ja, danke, Professor.“
„Mir ist klar, dass es schwer für dich ist, hier zu stehen und nichts zu tun. Aber –“
„Aber ich muss, ich weiß. Und ich werde es auch –“
Harry begann zu zittern, scheinbar ohne Grund. Was war los? Er fühlte etwas – diese Kälte war wieder da. Hatte er sich die nicht nur eingebildet? Wieso –
Mit einem Mal verstand er, und er erstarrte, als hätten sie ihn schon entdeckt. Aber bei all den Menschen, bei all den Gefühlen konnten sie einzelne Personen vermutlich gar nicht ausmachen. Aber sie waren hier. Und aus irgendeinem Grund spürte Harry sie plötzlich – sie alle.
Als sein Körper sich langsam wieder aus seiner Verkrampfung löste, war sein Verstand noch lange nicht so weit, sah sie schon vor sich, wie sie einen seiner Freunde nach dem anderen an sich zogen – küssten ..
Und in seiner Abwesenheit merkte er zu spät, dass seine Hände sich öffneten. Dass das, was er so dankbar festgehalten hatte, vom Wind ergriffen und davon getragen wurde. Erst als die Karte an seinem Gesicht vorbei Richtung Meer flog, wachte er auf, keuchte „nein –“ und sah gerade noch, wie die Karte hinter den Felsen im Wasser verschwand.
Nun war er wirklich ganz allein. Und nicht nur das Dunkle Mal drückte auf seine Seele, seinen Geist, sein Herz, machte ihn ängstlich und schwach.
Jetzt waren es auch die Dementoren, die irgendwo in diesem Gefängnis erwacht waren; und das Schreien, das Harry irgendwo in den Tiefen seines Kopfes vernahm …
Zuerst sah er überhaupt nichts. Aus einer ohnehin schon unheimlichen Dunkelheit war er entführt und in eine noch viel schwärzere Dunkelheit gebracht worden. Alles, was er wahrnahm, waren kleine Sternchen, als wäre er bewusstlos geschlagen worden; aber er sah sie nicht, weil er ohnmächtig gewesen war … Es war die Panik, die in ihm stieg, als sein Entführer ihn losließ und er zu Boden sank, sich wieder aufrappelte und den Zauberstab ziellos in der Finsternis umher wirbelte; die Panik, die sich sichtbar machte, als wolle sie ihm so deutlich machen, dass sie nicht mehr gehen würde.
Ein Geräusch – Ron wandte sich um – und dann –
Das Lachen. Erst ganz leise, kaum hörbar, dann wurde es langsam immer lauter. Immer kälter. Immer verrückter. Ron wusste, wer das war. Und dann –
Ron dachte, er wäre blind, als plötzlich alles weiß wurde. Ohne Warnung waren Lichter im ganzen Ram erschienen, wie kleine Explosionen, und tauchten alles in ihren grellen Schein. Das Lachen von Bellatrix Lestrange erreichte den schrillsten Ton, den Ron je gehört hatte – und brach dann ab, noch bevor Ron seine Augen wieder öffnen könnte.
„Ich bedaure es zwar sehr“, rief sie dann gackernd und kichernd, „aber ich habe den Auftrag, euch beide allein zu lassen – beschert dem Dunklen Lord gute Unterhaltung, ihr beiden!“
Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Er spürte irgendwie, dass sie verschwunden war, aber er konnte seine Augen immer noch nicht öffnen. Das Licht schien durch seine Lider, quälte seine Pupillen –
Und dann wurde es plötzlich wieder dunkler.
Ron wartete kurz, dann blinzelte er ein paar Mal. Er sah wieder nur seltsame Sterne – blinzelte erneut – langsam wurden klare Formen erkennbar. Schließlich konnte er seine Augen öffnen. Er sah nichts vor sich als eine hohe schwarze Mauer, fensterlos, aber mit Fackeln besetzt, die sich nun allesamt mit Feuer gefüllt hatten. Er drehte sich um –
Nein …
Sein Körper erstarrte.
Nein!
Sein Kopf wollte es nicht wahrhaben.
Nein!
Sein Herz blieb stehen.
Dort stand er. Am anderen Ende der riesigen Halle, vor einer kleinen, verschlossenen Tür. Er sah Ron nicht an, sein Blick war starr zu Boden gerichtet. Er stand schlaff da, als könne er sich nicht bewegen.
Und um seinen Hals … um seinen Hals hing etwas, das golden glänzte im Licht der Fackeln. Aber was war es?
Er war so dünn geworden, dass sogar Ron Schwierigkeiten hatte, ihn wiederzuerkennen. War es vielleicht gar nicht? Doch. Doch, ganz sicher. Nach so langer Zeit trafen sie einander wieder. Und dann ausgerechnet hier. Auf diese Weise. Und wer wusste, was mit ihm geschehen war …
„F-f- … Fred?“
Fred reagierte nicht. Er bewegte sich noch nicht einmal.
„Fred, was – was ist passiert?“
Als hätte er eine Antwort erwartet. Es war offensichtlich, dass Fred nicht ganz bei sich war.
„K-kannst du mich hören?“ Ron dachte darüber nach, zu ihm zu gehen – aber er entschied sich dagegen. Etwas hielt ihn an Ort und Stelle, als hätte er Wurzeln geschlagen.
Angst. Sie zerrte an ihm wie eine Teufelsschlinge.
Und dann tat sich endlich etwas. Fred hob seinen Kopf. Ron richtete automatisch seinen Zauberstab auf ihn, hasste sich nur einen Augenblick später dafür – und im nächsten Moment zielte er schon wieder auf Fred. Denn er hatte erkannt, dass er wohl keine andere Wahl hatte.
Das war nicht Fred. Es war der Körper, ja – aber eindeutig wurde er nicht von seinem Besitzer gelenkt. Obwohl Fred kaum noch etwas getan hatte, wusste Ron es schon ganz genau.
Die Augen verrieten es ihm.
Wo ihm sonst blaue Augen entgegenblickten, seinen nicht unähnlich, starrten ihn nun jene Augen an, von denen er schon oft gehört, die er aber nie selbst gesehen hatte.
Rot wie Blut waren sie. Und genauso abstoĂźend.
„Fred – ich bin’s. Ron.“
Immer noch keine Reaktion. Ron traute sich nicht, zu seinem Bruder zu gehen – sah vielleicht er ihm jetzt zu? Er, von irgendeinem Versteck aus, wartete darauf, dass Ron etwas tat?
Beschert dem Dunklen Lord gute Unterhaltung, ihr beiden …
„Fred, bitte –“
Er hatte keine Chance, rechtzeitig auszuweichen. Freds Arm war so schnell emporgeschossen, der Fluch so plötzlich aus seinem Zauberstab geschleudert worden, dass er ihn im Bauch traf, noch bevor ihm überhaupt das Wort für den Schildzauber über die Lippen kommen konnte. Er wurde gegen die Wand geschleudert, mit einer solchen Wucht, dass er einige seiner Knochen knacksen hörte.
Er öffnete seine Augen, biss die Zähne zusammen und richtete seinen Zauberstab auf Fred, der nun mit wachsender Geschwindigkeit auf ihn zukam.
„Bitte nicht, Fred!“, rief er. „Bitte nicht! Ich bin es, Ron, ich –“
Diesmal konnte er den Fluch abwehren, aber ein zweiter folgte fast augenblicklich, und der verfehlte seinen Kopf nur um Zentimeter.
„FRED!“, brüllte Ron. „ICH WILL NICHT –“
Fred hob seinen Zauberstab schon wieder – Ron beschloss, dass er keine andere Wahl hatte –
„Petrificus Totalus!“, rief er, aber Fred wehrte seinen Zauber mit einer lässigen Bewegung ab. Das war nicht nur Voldemort, der da durch Freds Augen sah und den Körper lenkte – es war auch Voldemort, mit dessen Fähigkeiten Fred zauberte.
In dem Moment, in dem Fred seinen Arm erneut hob, fielen Rons Augen erneut auf das, was er um seinen Hals trug. Diesmal erkannte er es – und ihm wurde klar, wie Voldemort von Fred Besitz ergriffen hatte.
Das goldene Medaillon baumelte an seiner Kette, während Fred seinen Zauberstab in der Luft kreisen ließ. An der Spitze des Stabs bildete sich schon der nächste Fluch – diesmal war er grün. Wenn er Fred jetzt nicht aufhielt, war es zu spät …
Mit dem Zauberstab hatte er keine Chance, aber mit dem, was er nun tat, rechnete Voldemort wohl nicht: Ron stĂĽrmte auf seinen Bruder zu, stĂĽrzte sich auf ihn und riss ihn zu Boden, bevor er seinen Todesfluch loslassen konnte.
Ja!, dachte Ron, als Freds Zauberstab aus seiner Hand flog. Er hatte ihn ĂĽberrascht.
„Fred, hör mir zu!“, rief Ron, auf Freds Bauch sitzend. „Hör zu, ich bin’s! Dein Bruder!“
„Wir sind keine Brüder.“ Ron erschrak – das war nicht Freds Stimme. Es war eine zischende, unnatürliche Stimme; und wer immer da sprach, lächelte, grinste vor Begeisterung, das konnte man deutlich hören. Aber Freds Gesicht zeigte nicht die Spur eines Lächelns. „Das waren wir nie, und das wissen wir beide.“
„Doch!“ Ron kämpfte mit Freds Armen, die ihn von sich zu drücken versuchen – Fred war schon immer stärker gewesen als er … aber er musste durchhalten! „Doch, wir sind –“
Hände schlossen sich um seinen Hals. Fred – nein, Voldemort – nein, der Horkrux drückte so fest zu, als ginge es um sein Leben. Ron wurde schon schwarz vor Augen – nicht mehr lange, und er würde überhaupt keine Luft mehr bekommen …
Tränen stiegen ihm in die Augen, und er wusste nicht, ob sie wegen des fehlenden Sauerstoffs waren, oder ob sie nicht vielleicht einen anderen Ursprung hatten. Er blickte in die roten Augen, suchte nach einem kleinen Rest von Freds eigenen – da war nichts …
Er nahm seine ganze letzte Kraft zusammen. Und zwischen einigen nutzlosen Atemzügen presste er hervor: „Ich – hab – dich – vermisst – Fred …“
Erst schien es so, als hätten seine Worte nicht die geringste Wirkung. In Rons Kopf machte sich eine schreckliche Leere breit, und er wusste, dass das die Leere des Todes war, dass sein Ende gekommen war –
Und dann lockerten sich die Hände. Luft drang in Rons Kopf, und es war ein berauschendes Gefühl, das ihm für einen Augenblick die ganze Kontrolle nahm. Aber er riss sich zusammen, sah hinunter auf Fred – hinter den roten Augen schien etwas zu leuchten, etwas Lebendiges, etwas Wahres.
So schnell und fest er konnte schlug Ron zu. Freds Gesicht flog nach rechts, die Arme fielen lasch zu Boden, und noch bevor Fred sich wieder aufrichten konnte, griff Ron nach dem Medaillon und riss es von seinem Hals. Teile der Kette flogen nach allen Richtungen davon – das Rot erlosch vollkommen, an seine Stellte trat das kühle Blau – dann fielen sie zu, und Fred lag reglos auf dem Boden.
Fast reglos. Er atmete schwach, ruhig und sanft. Er war ohnmächtig, und als Ron neben ihm zu Boden sackte, musste er sich anstrengen, um es seinem Bruder nicht gleichzutun.
„NEIN!“
Der Zorn trieb den Dunklen Lord auf seine Beine. Er stand, ohne absichtlich aufgestanden zu sein, und als er das bemerkte, setzte er sich noch wĂĽtender wieder hin. Er durfte die Kontrolle nicht verlieren. Heute Nacht mĂĽsste er um jeden Preis einen kĂĽhlen Kopf bewahren. Egal, was geschehen sollte.
Auch wenn ein kleiner Teil seines Planes schief gegangen war, auch wenn einer seiner Horkruxe nun in den Händen des Feindes – was machte das schon?
Aber wie … wie hatte dieser Junge es geschafft, gegen die Magie des Horkruxes anzukommen? Was hatte sein angeblicher Bruder getan, dass Fred Weasley gegen die Macht seiner Seele kämpfen konnte?
„Nagini“, sagte der Dunkle Lord, „ich habe gute Nachrichten.“ Er berührte mit dem Zauberstab ihren Käfig, der sich sofort auflöste. „Wir werden Potter später hinters Licht führen. Jetzt hast du Ausgangszeit – finde die beiden. Töte sie!“
Viktor ging direkt hinter ihr, führte sie durch einen dunklen Korridor. Sie hörte Geräusche, die aus anderen Bereichen des Gebäudes zu kommen schienen, aber sie waren ihr egal.
So schrecklich wie Voldemort …
Sie hörte die Worte immer noch in ihrem Kopf: „Ron liebt dich nicht … Er hat dich immer nur belogen, nicht du ihn, er ist der Böse … Ron wird büßen müssen …“
Hatte Viktor das gesagt, oder sie selbst?
„Er ist hirr irgendwo“, flüsterte Viktor in ihr Ohr. „Ganz in der Nähe …“
Sie fragte ihn nicht, woher er das wusste. Auch das interessierte sie nicht. Irgendwie interessierte sie überhaupt nichts – und doch dachte sie nur an Ron. Aber wen sie vor ihrem inneren Auge sah, das war nicht der Ron, den sie kannte – zu kennen geglaubt hatte. Sie konnte ihn kaum beschreiben – sie hatte Angst vor ihm. Und sie hasste ihn. Er hatte ihr das alles angetan (Was, hörte sie sich denken, was hat man dir überhaupt angetan?, aber die Stimme, die das fragte, war leise, kaum hörbar, und sie wollte, brauchte keine Antwort), und sie wollte sich dafür rächen. Das war das einzige, was sie
(fĂĽhlte)
wusste. So lief sie durch den Korridor, merkte, dass sie gemächlich aufhörte, überhaupt an irgendetwas zu denken. Das Bild dieses anderen Rons drängte sich ihr immer mehr auf …
Ein lautes Geräusch ganz in ihrer Nähe, das sie normalerweise erschreckt hätte, ließ sie nicht einmal neugierig aufblicken. Aber als Viktor stehen blieb und etwas zischte – „Da ist err!“ – da sah sie hoch.
Durch ein kleines schwarzes Tor, das quietschend aufgeschoben wurde, trat eine scheinbar formlose Gestalt. Als das Licht, das aus dem Raum dahinter fiel, aber den Korridor erhellte, erkannte sie, worum es sich dabei handelte: Um jemanden, der einen Körper über seiner Schulter trug. Die Person blickte hoch –
Und Hermine starrte in Rons entsetztes Gesicht.
„Her- Hermine …“
„Vergiss nicht, was err dirr angetan hat!“, flüsterte Viktor ihr zu.
Und sofort durchfuhr sie eine Welle der Wut, so mächtig, so unaufhaltsam, das ihr Kopf sich – zum ersten Mal seit langer, langer Zeit – komplett ausschaltete. Sie sah nicht mehr Ron, wie er vor ihr stand, sondern sie sah den, den sie hinter diesem Gesicht während des Gespräches mit Viktor erkannt hatte.
Du bist genauso wie Voldemort!
„BIN ICH NICHT!“
Und als sie sah, dass Ron sie mit dem Hass anfeixte, den sie fühlte, war es vorbei mit ihr – ein Peitschen ihres Zauberstabs erzeugte kleine blaue Flammen, die sich auf Ron stürzten. Er sprang zur Seite – lachte sie aus – und sie schickte den nächsten Fluch –
„Hermine –“, rief er, und sie wusste, was er sagen wollte – hast du etwa verlernt, zu zielen?
Wie Voldemort!
„NEIN! PETRIFICUS –“
Eine Hand schloss sich um ihre. Ganz fest, ganz fest wurden ihre Finger umklammert. Sie versuchte, ihren Zauberstab zu bewegen, aber es nĂĽtzte nichts.
Sie sah hoch – in das Gesicht Rons, hassend verzerrt, aber triumphierend grinsend. Jetzt hatte sie verloren – erst hatte er sie verlassen, sich gegen sie gestellt, und jetzt würde er sie –
„Hermine …“
Seine Stimme klang überhaupt nicht hasserfüllt. Oder fröhlich. Er klang so – so traurig …
„Hermine, es tut mir Leid.“
Erst schienen die Worte außerhalb ihres Kopfes stehen zu bleiben, als würden ihre Ohren sich wehren, sie zu hören. Aber sie hörte sie. Sie hörte sie, und etwas in ihr regte sich – etwas in ihr brach, wie ein Fluch, der von ihr genommen wurde, und mit dem brach das Bild, das sie vor ihrem inneren Auge mit sich umhergetragen hatte. Kein wütender, hassender, siegreicher Ron stand vor ihr, ihre Hand gewaltvoll erdrückend – sondern ein weinender, entsetzter Ron, und seine Hand auf ihrer zitterte. Er fixierte flehentlich ihre Augen.
Dann ließ er ihre Hand los – und sie ließ sie sinken. Sie merkte, dass ihr Mund offen stand, tat aber nichts dagegen. Ihr Zorn wurde vertrieben, ersetzt von Schande – nie zuvor hatte sie sich so geschämt wie jetzt. Sie wollte, dass Ron sie schlug, wollte, dass er sie anschrie.
Was hab ich getan?
Es tut mir Leid …
„Hermine, das ist deine Chance!“
Viktor! Er hatte ihr das angetan! Er war es – vielleicht musste sie sich später noch mit Schuldgefühlen plagen – aber jetzt musste sie Viktor für alles verantwortlich machen, sonst würde sie es nicht ertragen …
Sie drehte sich um, und noch bevor Viktor seinen Zauberstab ziehen konnte –
„PRESTER!“
Diese blauen Flammen, die sie seit Jahren von allen Zaubern am besten beherrschten, stoben in unaufhaltsamer Geschwindigkeit aus ihrem Zauberstab, tobten als Wirbelwind auf Viktor zu – Viktor schrie, wollte davon laufen – aber der Sturm erfasste ihn, und trieb ihn durch den Korridor zurück davon …
„Muss er jetzt sterben?“ Ron klang ein bisschen hoffnungsvoll.
„Dieses Feuer ist ungefährlich …“ Hermine traute sich nicht, sich umzudrehen, Ron wieder anzusehen …
Die Hand, die eben noch ihre gehalten hatte, auf ihrer Schulter. Sie wehrte sich nicht, als er sie umdrehte, sie an sich zog und umarmte. Er hielt sie fest, und sie wollte sagen, dass es ihr auch Leid tat. Aber sie brachte kein Wort ĂĽber ihre Lippen.
De Kälte wurde eisiger, das Dunkle Mal schien dunkler zu werden. Harry konnte einfach nicht mehr warten. Da drin kämpften Menschen, die ihm wichtig waren – Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um den Sieg gegen Voldemort zu sichern. Und er sollte nur herumstehen, warten, dass Snape mit den Horkruxen kam? Wie hatte sich Snape vorgestellt, dass er das aushalten würde? Wenn Snape eines an Harry kannte, dann waren es seine Schwächen – er musste wissen, dass Harry irgendwann einfach das Gefängnis betreten würde, wenn er sich nicht beeilte …
Was war das für ein Gefühl? – Oh nein!
Die Kälte wurde noch intensiver, und mit einem Mal war er hoffnungslos, angsterfüllt. Das hatte nichts mehr mit dem Dunklen Mal zu tun.
Er sah hoch – und erblickte unzählige Dementoren, die um den Turm herumschwebten. Was taten sie hier? Hatten sie ihn gespürt? Waren sie wegen ihm gekommen?
Seine Hand, die fest den Zauberstab umklammert hielt, zitterte. Er durfte seinen Patronus nicht beschwören – irgendjemand würde ihn erkennen. Selbst wenn kein Todesser die Form seines Patronus kannte, irgendjemand, der ihn schon gesehen hatte, würde es verraten, nicht wissend, dass niemand von seiner Anwesenheit erfahren durfte …
Ein Schrei aus dem Innern von Askaban – Harry erstarrte – war jemand …
Und ein weiterer Schrei – aber nicht der eines Menschen. Ein entsetzliches Kreischen, auch nicht das eines Tieres …
Und die Dementoren stĂĽrzten gen Boden, genau auf ihn zu.
Sie wussten, wo er war – er hatte keine andere Wahl –
„EXPECTO PATRONUM!“
Das silberne Licht, das aus seinem Zauberstab brach, war so unglaublich hell, dass er seine Augen zukneifen musste. Durch seine Lider hindurch sah er, wie das Licht von ihm wegraste; direkt auf die Dementoren zu, hoffentlich.
Und dann erlosch das Licht. Harry öffnete seine Augen wieder – die Dementoren waren weg. Auf der Insel, die zuvor noch von den Geräuschen des Kampfes erfüllt waren, war es plötzlich völlig still. Als würde sich im Gefängnis niemand mehr regen.
„Er ist hier!“, ertönte dann der erste Ruf; Harrys Herz sank.
„Ja, das war sein Patronus!“
„Er lebt noch!“
Harry runzelte die Stirn – was sollte das heißen, er lebt noch? Hatte Voldemort allen erzählt, er wäre tot, um sie zu entmutigen?
Der Dunkle Lord starrte fassungslos auf eine seiner Sphären. Das konnte nicht sein – er war doch tot! Wie konnte er dann seinen Patronus schicken?
Außer …
Er suchte die ganze Insel ab. Aber nein, niemand war zu sehen. Und doch war der Patronus draußen beschworen worden, das war sicher …
Es musste Harry Potter sein. Unter seinem verfluchten Tarnumhang.
Er hob seinen Zauberstab, legte ihn an seinen Hals, und rief dann:
„Nagini, ändere dein Ziel! Finde und bring mir Harry Potter!“
Natürlich hatte es außer ihm – und der Schlange, und Voldemort selbst natürlich – niemand verstanden. Voldemort hatte Parsel gesprochen. Nagini war auf dem Weg zu ihm. Mit dem Auftrag, ihn zu ihrem Herren zu bringen.
Könnte es besser für ihn laufen? Anstatt den Zaubertrank zu trinken, servierte er ihm einen seiner Horkruxe auf dem Silbertablett. Er würde die Schlange außer Gefecht setzen und warten, bis Snape endlich auftauchte –
Ein Fauchen – und er fiel auf den Boden, ein Gewicht fast so schwer wie Hagrids auf ihm, das ihn niederdrückte, festhielt.
Die Schlange war um einiges schneller gekommen, als er erwartet hatte. Ihre Zähne hingen direkt über seinen Augen – er hielt sie gerade noch so von sich, mit beiden Händen um ihren Kopf – wohin sein Zauberstab gefallen war, wusste er nicht …
„Geh von mir runter!“, rief er in Parsel – aber sie hörte nicht auf ihn.
Nun war er doch der Verlierer. Hatte er eben noch gedacht, ein Horkrux würde ihm in die Falle tappen, war nun er dem Horkrux in die Falle gegangen. Sein Tarnumhang hatte ihm vor der Schlange Nagini keinen Schutz geboten, Voldemort hatte ihr befohlen, nicht auf ihn zu hören, auch wenn er Parsel sprach – und lange würde er sich nicht gegen die Schlange wehren können …
„Nagini, komm zu mir!“
Die Schlange lockerte ihre Umklammerung. Harry konnte es nicht glauben – wer hatte da gesprochen? Nicht Voldemort, das war nicht Voldemorts Stimme. Aber Nagini schien sich auch nicht sicher zu sein – sie hob ihren Kopf und wandte sich von Harry ab – seine Chance –
„Avada Kedavra!“
Nagini stieß ein letztes Zischen aus – dann sackte sie wieder über Harry zusammen. Tot.
Harry warf den schweren, schlaffen Körper von sich und stand auf. Der Tarnumhang verdeckte ihn immer noch, und er hatte nicht vor, sich zu zeigen, auch wenn ihm geholfen worden war. Aber wer hatte ihm geholfen? Da war doch niemand –
Doch, dort kam eine Gestalt auf ihn zu, langsam und unsicher. „Harry Potter? Bist du – bist du hier?“
Harry antwortete nicht. Narzissa Malfoy starrte auf einen Fleck am Boden hinter Harry. Er drehte sich um – sein Zauberstab – schnell schnappte er ihn, holte ihn unter seinen Tarnumhang und ging dann einige Schritte zur Seite. Narzissa sollte nicht wissen, wo er war.
„Ich bin hier um zu helfen.“
Harry schwieg weiterhin …
Der Dunkle Lord starrte fassungslos auf die Sphäre, die ihm zeigte, was draußen auf der Insel geschah. Nagini, ging es ihm durch den Kopf. Nagini!
Wie konnte sie tot sein? Wie konnte das geschehen sein? Natürlich hatte er gesehen, was passiert war – aber es durfte nicht sein! Von den wenigen Dienern, die ihm immer folgen würden, hatte er nun eine Anhängerin verloren … Er hatte mit dieser Malfoy nicht mehr gerechnet! Er hätte Nagini befehlen müssen, auf keine einzige andere Parselstimme zu hören. Aber bis vor wenig mehr als einem Jahr hatte er nicht einmal gewusst, dass Narzissa Parsel sprechen konnte! Und war sie nicht den Werwölfen zum Opfer gefallen? Hatte Bellatrix das nicht berichtet?
Es reichte jetzt. Harry Potter war hier, das stand fest. Der Kampf hatte lange genug gedauert. Das Aufeinandertreffen der Weasleys hatte nicht den Ausgang genommen, den er sich gewünscht hatte, und Viktor Krums kleines einfallsreiches Spiel – er könnte es ihm sogar verziehen, dass er ihm nicht vorher davon erzählt hatte – war ebenfalls daneben gegangen. Gestorben war noch niemand.
Nun – bis auf ein paar Ausnahmen würde das diese Nacht auch so bleiben.
Er griff nach dem Kelch, stellte sich ans Fenster und sah hinunter auf die Insel – irgendwo dort stand Harry Potter unter seinem Tarnumhang …
Wieder legte er den Zauberstab an seinen Hals.
„Duellanten! Meine Todesser, Orden des Phönix, Auroren – werter Minister – alle, die sich so ehrenhaft bereit erklärt haben, zu kämpfen, egal für welche Seite ihr arbeitet, egal, welcher Rasse ihr seid! In wenigen Augenblicken wird der Krieg zu Ende sein! Keiner von euch muss mehr leiden – denn ihr werdet euch alle bereit erklären, mir zu dienen! Auch wenn einige von euch das im Moment vielleicht für unmöglich halten …“
Er ließ den Zauberstab sinken, nahm den Kelch in beide Hände – er setzte schon zum Trinken an, da sah er die Aufschrift auf dem Kelch:
Ich bitte Euch, zu verzeihen, werter Lord, aber ich sehe mich gezwungen, Euch daran erinnern, dass der Gegenzauber, der den Trank wirkungslos macht, Cupido Caedero lautet.
Der Dunkle Lord schmunzelte. Severus Snape war sich nie sicher gewesen, was diesen Plan anging. Aus irgendeinem Grund hatte er vermutet, der Dunkle Lord würde sich nach dem Einnehmen des Trankes doch noch gegen seine Wirkung entscheiden …
Dann endlich setzte er den Kessel an seinen Mund – und trank Cruelo Cupido.
Etwas an Narzissa Malfoy veränderte sich nach Voldemorts Worten. Ihre Augen wurden glasig, und ihr Körper erschlaffte. Harry glaubte zu wissen, was los war. Und als Narzissa, ihr Mund ehrfürchtig offen stehend, zu dem Eingang des Turmes ging, Harry plötzlich scheinbar vergessen, da war er sich sicher.
Voldemort hatte seinen Trank zu sich genommen.
Und Harry liebte Voldemort nicht. Wie er schon vermutet hatte – seit er seine Erinnerung gesehen hatte …
Die Kampfgeräusche hatten tatsächlich ausgesetzt, wie Voldemort vorausgesagt hatte. Harry musste den Entschluss nicht einmal fassen, es war klar, was er zu tun hatte. Voldemort wusste nun, dass er hier war. Er hatte seinen Trank getrunken. Hier zu warten hatte überhaupt keinen Sinn mehr.
Der Dunkle Lord verließ seinen Raum durch das schwarze Tor. Er stand auf der obersten Stufe der Treppe. Von hier aus würde er sein Volk empfangen. Selbstständig hatten sie nicht alle erkannt, dass er nur das Beste für sie wollte. Jetzt hatten sie keine andere Wahl mehr, als ihm Gehör und Glauben zu schenken. Kämpfe waren nicht mehr nötig, Kriege führten zu nichts als Zerstörung, und die brauchte der Dunkle Lord nicht.
Die ersten seiner neuen Diener erreichten bereits die große Halle am Fuß seiner Treppe. Einer davon war niemand anderes als Mad-Eye Moody, der sich wohl schon während des Kampfes seinen Weg bis hier hoch, zu den Räumen im obersten Stockwerk des Turmes, zu bahnen versucht hatte.
„Kommt nur näher, Freunde!“, rief der Dunkel Lord. „Kommt näher! Ich habe euch viel zu erzählen!“
Mehr seiner Diener traten ein. Auf die Todesser hatte der Trank dieselbe Wirkung wie auf seine ehemaligen Feinde, so schien es: Bellatrix trug denselben erstaunten, ungläubigen, verwirrten Blick wie all die anderen. Und tatsächlich kamen sie immer näher: Langsam füllte sich die Halle. Die ersten Verliebten erreichten schon die unterste Stufe.
Und dann traten sie auf die nächste Stufe.
„Nein!“, rief der Dunkle Lord erheitert. „Ihr bleibt unten! Ihr werdet mich auch hören, wenn ihr – nein, sagte ich!“
Sie blieben einfach nicht stehen. Stufe um Stufe kamen sie höher, immer näher auf den Dunklen Lord zu, der Ex-Auror Moody und seine treue Bellatrix an erster Stelle …
„Bleibt weg!“
Aber sie blieben nicht weg.
„Er ist … zauberhaft …“, murmelte Bellatrix.
„Ein Engel!“, rief jemand aus der Menge.
„Mein Herr! Mein geliebter Herr!“
„Ich will zu ihm, ich!“
„Ich will ihn berühren! Lasst mich nach vorne!“
Ein Tumult brach aus. Die näher rückenden, liebenden Dummköpfe warfen einander von der Treppe, um die ersten zu sein, die ihn erreichten.
„Nein!“ Der Dunkle Lord verstand es nicht – müssten sie jetzt nicht alle auf sein Wort hören? „Bleibt weg, habe ich gesagt! Ich befehle euch, verlasst die Treppe und hört mir zu!“
Aber sie gehorchten nicht. Die Ausdrücke auf ihren Gesichtern wurden nun ungeduldig, gierig – hungrig.
„Verschwindet! Avada Kedavra! Avada Kedavra!“
Einer nach dem anderen stürzte tot von der Treppe. Die Aurorin McKinsley, sein Todesser Robuston, das Ordensmitglied Crimory – dann war da Narzissa Malfoy. Der Dunkle Lord lächelte.
„Avada Kedavra!“
Narzissa wurde von dem grĂĽnen Licht getroffen, fiel nach hinten um, die Treppe hinab.
„Avada Kedavra!“, rief er wieder – aber sie alle drangen weiter auf ihn zu, kamen immer näher –
„NEIN!“ Er sprang durch das Tor hinter sich, verschloss das Tor. Auf der anderen Seite sprangen die Verzauberten gegen das Eisen, vergaßen scheinbar völlig auf ihre Zauberstäbe, wollten mit ihren Fäusten und Köpfen durch das Tor –
Der Dunkle Lord, fassungslos – ängstlich – hob mit zitternder Hand seinen Zauberstab.
„Cupido Caedero!“
Der Lärm fand augenblicklich ein Ende. Fast eine ganze Minute herrschte Stille. Der Dunkle Lord verließ seinen Raum nicht, aber er sah es vor sich, wie all die Kämpfer einfach nicht verstanden, was geschehen war – wie Todesser und Ordensmitglieder direkt nebeneinander standen, einander verwirrt anblickten – und dann langsam wieder ihre Fassung gewannen …
„Stupor!“
Der Kampf nahm wieder seinen Lauf. Der Dunkle Lord lieĂź seinen angehaltenen Atem los.
Harry hatte das Gefängnis betreten, war dem Weg gefolgt, in dessen Richtung sich alle bewegten. Sie waren langsam gelaufen, ihre Augen vernebelt. Er war an Hagrid vorbeigekommen, an Arthur Weasley – aber bei niemandem war er stehen geblieben. Er wollte sehen, wo Voldemort war, was er tat.
So hatte er die Halle zeitgleich mit Moody erreicht, hatte zugesehen, wie sie alle die Treppe emporstiegen. Beobachtete, wie Voldemort nach einer Weile begann, die zu töten, die ihn liebten. Harry dachte nicht nach, sondern eilte nach vor, um ihn aufzuhalten – aber er kam zu spät, um die acht Menschen zu retten, die er umbrachte – dann aber lief der große Dunkle Lord zurück durch das Tor.
Sekunden später hörten alle auf, sich gegen das Tor zu werfen. Der Zauber ließ nach.
Harry sah zu, während die Entzauberten einander anstarrten. Und dann rief Rufus Scrimgeour den ersten Fluch.
Der Krieg brach wieder aus. Erst drückte Harry sich gegen die Wand, um von keinem Fluch getroffen zu werden – dann erkannte er, wie blödsinnig das war. Er riss den Tarnumhang von sich, steckte ihn in seine Tasche und wollte selbst kämpfen –
Als ein spitzer Stein über seinen Kopf hinwegraste und die Schulter eines Todesser aufritzte. Er drehte sich um – und sah unzählige weitere solcher Steine auf ihn und die anderen zufliegen, durch die kleinen Fenster an der Wand.
„Die Meermenschen!“, rief jemand.
Dann brach ein großer Stein durch die Wand – die Riesen, die Harry vorhin in der Ferne am Landesufer gesehen hatte, waren zurückgekehrt.
Und dann wurde es kalt, und ein fast durchsichtiger Nebel legte sich über den Boden der Halle. Hunderte Dementoren brachen durch das offen Tor, durch die Fenster und das von den Riesen in die Wand gerissene Loch in die Halle ein. Leute schrien, viele hörten auf zu kämpfen und starrten ängstlich hoch zu den schwarzen Gestalten.
Harry hob seinen Zauberstab erneut.
„Expecto Patronum!“
Wieder brach Harrys Patronus aus dem Zauberstab hervor. Und obwohl er wieder unglaublich hell strahlte, konnte Harry die Augen offen halten.
Und was er sah, musste auf ihn eine ähnliche Wirkung ausüben wie Voldemorts Zaubertrank auf die anderen gehabt hatte. Wie verzaubert starrte er auf das silberne Wesen, das hoch über den Köpfen der Kämpfenden kreiste und die Dementoren vertrieb.
Kein Hirsch. Ein Vogel mit riesigen Flügeln, langen Schwanzfedern …
Ein silberner Phönix war aus Harrys Zauberstab gekommen.
„Dumbledore ist hier!“, rief jemand. Nun verstand Harry auch, was sie alle gemeint hatten, als er den Patronus zum ersten Mal beschworen hatte.
Aber es gab zu viele Dementoren. Der Phönix kreiste in der Halle, wurde aber schwächer und schwächer, während die Dementoren, die er vertrieben hatte, wieder zurückkehrten …
An einer anderen Stelle der Halle erschien noch mehr silbernes Licht. Harry sah hin für einen Moment – dann aber musste er den Blick abwenden, als das Licht zu explodieren schien. Das Strahlen wurde schwächer – Harry sah zurück zu der Stelle, an der es entstanden war –
Und ein zweiter Phönix flog zu seinem. Sein Patronus schien aus dem Schein des anderen Kraft zu schöpfen. Die Dementoren stießen Geräusche aus, wie Harry sie noch nie gehört hatte – und dann endlich verschwanden sie aus der Halle.
Die Patroni streckten ein letztes Mal ihre Flügel weit von sich, dann lösten sie sich in Luft auf.
Schweigen hing ĂĽber den Anwesenden, ein fasziniertes, ehrfĂĽrchtiges Schweigen.
Bis ein weiterer, tiefer und ängstlicher Schrei die Halle erfüllte. Ein Brüllen, das Harry nie gehört hatte, und dennoch erkannte er sofort, wer da schrie …
Nicht alle Dementoren waren verschwunden. Einige der schwarzen Wesen schwirrten um etwas Großes – etwas Großes, das mit seinen Armen ausschlug und verzweifelt schrie.
„Nein … NEIN! HAGRID! EXPECTO –!“
Aber Harry schrie zu spät; Hagrid hatte selbst die Initiative ergriffen. Irgendwie hatte er es geschafft, die Dementoren an sich zu reißen, festzuhalten – und er lief, lief los, als hätte er ein Ziel – und auf dem Weg zog er noch einige schreiende Todesser an sich, drückte sie fest an seinen Körper, ließ weder Dementoren noch Todesser los –
Zu spät sah Harry, was Hagrid vorhatte.
„NEIN! NEIN, BITTE! HAGRID!“
Aber da hatte er das Loch schon erreicht. Und mit einem gewaltigen Sprung stürzte er sich mit den Dementoren und Todessern in die Tiefe …
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