von Wizardpupil
Es war ein Wunder; ein Wunder und sonst nichts.
Harry schritt durch die Hallen und Gänge von Hogwarts – man merkte ihnen kaum an, dass ein Krieg getobt hatte. Abgesehen von dem Ablenkungsangriff war ja auch kaum etwas zwischen den Wänden des Schlosses geschehen.
Drei Tage waren nun schon seit jener Nacht vergangen, in der die Todesser in Hogwarts eingefallen waren und – ja, was dann eben geschehen war … In diesen drei Tagen hatte Harry hauptsächlich geschlafen, und wenn er aufgewacht war, war er froh gewesen, dass Madame Pomfrey niemanden zu ihm ließ und hatte nur einen Happen gegessen, etwas getrunken, und war dann wieder eingeschlafen. Er hatte keine Sekunde damit zugebracht, über Voldemort, über sich selbst – oder irgendetwas anderes nachzudenken.
Aber jetzt, wo alles vorbei und er ausgeruht war, fiel es Harry irrsinnig leicht, über all ads nachzudenken. Es war ja auch Irrsinn; wenige Stunden zuvor war Lord Voldemort kurz davor gewesen, seine Truppen an die Macht zu führen, und nun war er besiegt. Er war endlich endgültig besiegt, und Harry konnte ein normales Leben führen … es erschien ihm wie ein merkwürdiger Traum.
Aber war es mehr als das? Harry wusste, dass er nie ein wirklich normales Leben verbringen könnte, nie sein würde wie alle anderen … aber was war denn schon normal, wer waren alle anderen? Er war Harry Potter, der Junge der lebt, der Auserwählte, der, der – zusammen mit Snape – Voldemort besiegt hatte – und auch war er immer noch Harry, der Junge, der von seinem Onkel und seiner Tante schikaniert wurde, der sich wünschte, seine Eltern würden noch leben, der nichts anderes wollte, als glücklich zu sein …
Das war sein neues Ziel. Jetzt, wo er den Kampf endlich bestritten und gewonnen hatte, wollte er nur noch glĂĽcklich werden. Und er wusste, dass er das schaffen wĂĽrde.
Harry bog um eine Ecke und traf auf Professor McGonagall und Professor Sprout, die ihre Zauberstäbe auf ein Loch in der Wand gerichtet hatten. Die Stäbe warfen weißes Licht auf die Mauer, doch scheinbar erbrachten sie nicht die gewünschte Wirkung.
„Nun mach schon“, drängte Professor McGonagall genauso streng, wie sie auch immer mit ihren Schülern sprach. Harry konnte ein Kichern nicht zurückhalten – alles kam ihm nun viel lustiger vor als früher.
Professor McGonagall wandte sich um. Als sie Harry erblickte, schnappte sie nach Luft und fasste sich mit ihrer rechten Hand an den Brustkorb, wobei ihr Zauberstab in hohem Bogen durch den Korridor flog und hinter ihr am Boden landete. Doch McGonagall schien dies nicht zu bemerken.
„Potter!“, rief sie, und der strenge Ton war einer großen Erleichterung gewichen. „Wie schön, dir scheint es gut zu gehe!.“
„Natürlich geht es mir gut“, sagte Harry und musste fast lachen. „Warum auch nicht? Voldemort ist weg!“
„Ja, ich weiß, aber … Nun, um ehrlich zu sein, als wir hier her zurückgekehrt sind und nur erfahren haben, dass du sofort eingeschlafen bist, nachdem du in Professor Dumbledores Büro warst –“
„In Ihrem Büro, Professor“, unterbrach sie Harry.
„Gut, dann eben mein Büro“, sagte Professor McGonagall hastig und tat Harrys Worte handwedelnd ab. „Worüber habt ihr denn gesprochen? Und … Ich habe gehört … Snape sei dabei gewesen.“
Harry horchte auf. „Das – das stimmt. Wo ist Sn- Professor Snape denn?“
McGonagall stutzte; sie sah ihn verwirrt an und sagte: „Professor Snape? Nun – also, wir wissen es nicht. Er ist verschwunden, wie viele andere Todesser auch –“
„Er war kein Todesser“, sagte Harry; er war nicht wütend darüber, wie McGonagall über Snape sprach, aber irgendwie gefiel es ihm nicht.
„Ja – ja, ich weiß. Professor Dumbledore hat uns einen Teil der Geschichte erzählt, aber wir sind nicht sicher, was genau daran stimmt – er ist nur noch ein Porträt, wer weiß, wie viel von seinen Worten in Wirklichkeit nur Unsinn –“
„Es stimmt. Alles.“
McGonagall und Sprout warfen einander einen überraschten Blick zu; dann sagte Professor Sprout: „Ich gehe und sag den anderen Bescheid, dass Sie wohlauf sind, Mr Potter.“ Sie schritt an Harry vorbei, dann blieb sie stehen, drehte sich um und sagte: „Vielen Dank, Mr Potter. Für alles.“
Sie ging die Treppe hinunter und er und Professor McGonagall waren nun allein.
„Wen meint sie?“, fragte Harry. „Wer sind die anderen?“
„Alle warten unten auf Sie“, antwortete McGonagall. „Mr Weasley und Miss Granger ertragen es schon fast nicht mehr, auf dich zu warten.“
„Geht es ihnen gut?“, fragte Harry hastig; er wusste, dass nicht alle unten sein konnten – Luna, Hagrid, Dobby …
„Remus ist im Krankenhaus.“ Auf Harrys entsetzte Miene hin fügte sie schnell hinzu: „Es geht ihm gut, kein Grund zur Sorge – er hat nur den Kampf gegen einen anderen Werwolf beinahe nicht überlebt, aber da er selbst schon ein Werwolf war, hatte das keine besonderen Auswirkungen auf ihn – Tonks ist bei ihm.“
„Die anderen? Sind die anderen alle da? Ginny und Neville –“
„Neville ist zuhause, mit Mrs Longbottom.“ McGonagall legte traurig die Stirn in Falten. „Und Alastor Moody ist ebenfalls im Krankenhaus, aber nur vorübergehend – bis die Heiler es geschafft haben, sein Auge zu finden und aus seinem Körper zu entfernen. Er hat es aus Versehen verschluckt im Kampf. Und … ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben … Hagrid, er –“
„Ich weiß“, sagte Harry. Er wollte es nicht hören.
McGonagall nickte. „Nun gut – ach ja, eines noch. Professor Viridian hat mich gebeten, dir mitzuteilen, dass er auf dich wartet. In seinem Büro.“
Dann ging auch sie an Harry vorbei und hatte schon einen FuĂź auf die oberste Stufe der Treppe gesetzt, als sie innehielt.
„Und da ist noch etwas, Harry“, sagte sie und wandte sich noch einmal zu ihm um. „Da so mancher Held in seiner Legende nach seinem Triumph über den Feind beschließt, für eine Weile einfach zu verschwinden, wünsche ich dir jetzt schon viel Glück bei deiner Karriere als Auror. Nur, falls wir uns nicht mehr so bald wiedersehen.“
Sie wollte schon die Treppe hinunter verschwinden, doch Harry rief sie zurĂĽck.
„Professor McGonagall“, sagte er, und sie blickte ihn fragend an. „Sie irren sich. Ich werde bestimmt nicht verschwinden.“ Er lächelte.
Als Harry Viridians BĂĽro erreichte, war dieser ĂĽber etwas auf seinem Tisch gebeugt. Harry sah den offenen Koffer und wusste sofort, was los war.
„Sie gehen.“
Viridian sah von seinem Koffer auf. Er hatte eine klaffende Wunde an der Wange und ein blaues Auge, aber abgesehen davon sah man ihm nicht an, dass er in einem Krieg gekämpft hatte.
„Das ist richtig“, sagte er lächelnd. „Scheinbar hält der Fluch, der die Verteidigungs-Lehrer nach einem Jahr aus dem Schloss vertreibt, noch dieses eine letzte Jahr an.“
Harry beobachtete Professor Viridian ein bisschen dabei, wie er mit seinem Zauberstab im Koffer Ordnung schaffte. Harry hatte gar nicht bewusst, dass Viridian so viel besaĂź, wie sich in dem Koffer zu befinden schien.
„Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich einfach hereingekommen bin“, sagte Harry dann.
„Nein, überhaupt nicht“, entgegnete Viridian, und wieder hob er grinsend den Blick. „Im Gegenteil; wissen Sie, ich habe mir ohnehin schon gedacht, nach meinem Rücktritt wären Sie der perfekte Nachfolger für mich. Wenn es nach mir ginge, würde das Büro bereits Ihnen gehören.“
„Wieso bleiben Sie nicht? Sie waren ein großartiger Lehrer.“
„Meinen Sie? Ich denke, Sie könnten das viel besser. Meine Bestimmung ist das Schreiben. Flüche und Gegenflüche war zwar bisher mein größter Erfolg, aber das heißt nicht, dass er sich nicht toppen lässt.“
Er sah wieder zu Harry, diesmal mit ernsterem Gesichtsausdruck. „Also, was ist – werden Sie meinen Lehrerposten übernehmen?“
Harry dachte kurz nach. Er hatte ein paar seiner Mitschüler schon einmal unterrichtet, und sie hatten damals viel gelernt in der DA. Seitdem hatte er sogar noch mehr Erfahrung über die Dunklen Künsten – und vor allem natürlich über die Verteidigung gegen diese – gesammelt, er könnte den Schülern sicher etwas bieten … und doch …
„Ich sehe meine Karriere in anderen Bereichen als dem des Lehrers, so wie Sie, Professor“, sagte Harry.
„Und diese Bereiche wären?“
„Ich möchte Auror werden.“ Harry merkte, wie die Aufregung in seiner Stimme anstieg. „Das ist schon mein Traum seit ich das erste Mal von Auroren gehört habe. Nichts würde ich lieber tun, als weiterhin Schwarze Magier zu bekämpfen. Und gegen Lord Voldemort werden meine zukünftigen Gegner doch wohl ein Klacks sein, oder?“
Professor Viridian schreckte erst bei der Erwähnung des Namens ein wenig zusammen, lachte dann aber.
„Ja, damit haben Sie Recht … aber werden Sie diese Schule nicht vermissen? Ich habe immer vermutet, Hogwarts wäre für Sie so etwas wie ein Zuhause.“
Harry war wieder ein paar Sekunden still.
„Hogwarts war mein Zuhause“, sagte er dann. „Es war mein Zuhause, als ich hier Magie zusammen mit Ron und Hermine erlernte, als Professor Dumbledore die Schule leitete, als es der einzige Ort war, den Voldemort nicht einnehmen konnte … und als Hagrid noch lebte.“ Harry schluckte. „Jetzt ist Voldemort besiegt, und er wird keinen einzigen Ort mehr aufsuchen, also bin ich überall sicher vor ihm. Dumbledore ist nur noch ein Porträt, und auch Ron und Hermine werden nicht mehr hier sein.“ Hagrid erwähnte er absichtlich nicht. „Ich habe in Hogwarts nichts mehr zu suchen. Außerdem werde ich doch einen Teil von Hogwarts mitnehmen.“
Seine Hand wanderte dabei automatisch zu seinem Hals. Dort hing das silberne Medaillon Salazar Slytherins; als er das erste Mal im KrankenflĂĽgel aufgewacht war, hatte Madame Pomfrey es auf seinen Nachttisch gelegt, und da hatte er beschlossen, es zu behalten, sollte McGonagall es erlauben. Er hatte sie noch nicht gefragt, aber er war sicher, dass sie nichts dagegen haben wĂĽrde.
„Warum ausgerechnet das Medaillon?“, fragte Professor Viridian. „Warum haben Sie sich von den Totenrelikten für das Medaillon entschieden, wo es doch Salazar Slytherins Hinterlassenschaft ist? Besonders sympathisch kann Ihnen die Slytherin-Blutlinie ja nicht gerade sein.“
Zum dritten Mal während des Gesprächs verfiel Harry in gedankenvolles Schweigen.
„Ich weiß es nicht“, gab er zur Antwort. „Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass es eine persönliche Geschichte mit mir teilt, was bei den anderen Relikten nicht der Fall ist.“ Er dachte an R.A.B. und sein falsches Medaillon, das Horkrux-Medaillon, das im Grunde auch eine Fälschung gewesen war …
„Aber Godric Gryffindors Schwert, finden Sie nicht, es passt für einen Gryffindor wie Sie besser?“
Harry seufzte; er wollte sich damit jetzt nicht beschäftigen. Stattdessen sagte er: „Sie sollten wirklich bleiben. Sie können den Schülern viel beibringen.“
„Ich habe Professor Dumbledore dieses eine Jahr versprochen, und das ist jetzt vorbei“, erwiderte Viridian.
Da drängte sich Harry eine weitere Frage auf. In den letzten Tagen hatte sich eine Idee in seinem Kopf gebildet, eine Idee, die ihm jetzt plötzlich plausibel erschien, obwohl er sie anfangs wieder verworfen hatte. Diese Idee war entstanden, ohne dass er auch nur im Geringsten darüber nachgedacht hatte, als hätte er sie schon länger in seinem Kopf herumgetragen. Wahrscheinlich hatte er das auch.
„Sie sind Dumbledores Sohn, nicht wahr?“
Viridian hob seine Augenbrauen. „Wann haben Sie es erraten?“
Harry zuckte mit den Schultern. „Sie haben mir von Ihrem Vater erzählt, erinnern Sie sich?“
„Ja.“ Viridian seufzte. „Ja, das ist wahr. Albus Dumbledore hat eine Familie gegründet – damals hat einfach jeder eine Familie gegründet, egal, ob er als Elternteil etwas taugte oder nicht. Und glaub mir, Professor Dumbledore taugt nicht als Vater … Er war ständig nur unterwegs, um sich an Grindelwald zu rächen, hat gelernt und geübt und Preise gewonnen und Dinge erfunden – meine Mutter hat bald mit seiner Zustimmung wieder ihren alten Namen angenommen und ein neues Leben begonnen. Als Vindictus Viridian ging es mir um einiges besser als als Vindictus Dumbledore, das können Sie mir glauben.“
Viridian machte eine schnelle Bewegung mit seinem Zauberstab und der Koffer schloss sich; Harry fiel auf, dass der Schrank und die Kerze mit der blauen Flamme nicht mehr in dem Raum waren.
„Wenn Sie mich nun entschuldigen würden“, sagte Viridian; er streckte ihm seine Hand entgegen. „Es war mir eine Ehre, Sie kennenlernen und unterrichten zu dürfen.“
Harry schüttelte die Hand, aber bevor Viridian das Büro verlassen konnte, sagte er: „Professor – ich meine – Mr Viridian – können Sie mir eine letzte Frage beantworten?“
Viridian drehte sich zu ihm um und lächelte wieder. „Kommt darauf an. Wie lautet sie?“
„Wer hat Ihnen das Veilchen verpasst?“
Sein Lächeln wurde breiter. „Auf Wiedersehen, Harry Potter.“
Ein paar Minuten später verließ Harry Hogwarts. Zwar wusste er, dass er das Schloss irgendwann einmal wieder besuchen würde, aber doch fühlte sich dieser Schritt von der letzten Stufe der Marmortreppe, die auf die Ländereien führte, wie ein Schlussstrich an – wie ein Abschied.
Aber der Abschied fiel ihm nicht schwer, denn am Fuß der Treppe warteten sie auf ihn. Sie, die den Krieg überlebt hatten – seine Freunde. Mr und Mrs Weasley, zwischen ihnen ihr Sohn Percy, der rot anlief, als Harry ihm zulächelte. Daneben Charlie und Bill, der seine Frau fest in den Armen hielt; Professor McGonagall, die ihm zulächelte und nickte, als wollte sie ihm zustimmen, dass sie sich tatsächlich geirrt hatte. Da stand auch Ginny, mit Tränen in den Augen, die durch irgendeinen Fluch angeschwollen waren. Harry fiel auf, dass Fred nicht hier war, obwohl Ron ihn mit Sicherheit aus Askaban gebracht hatte … bestimmt musste er noch den Tod seines Zwillingsbruders verarbeiten.
Aber nicht nur Fred und George fehlten, auch so viele weitere Menschen, die Harry etwas bedeuteten – die einen mehr, die anderen weniger. Luna und Dobby waren nicht hier, die ihm beide immer zur Seite gestanden hatten, und die beide einen so grausamen, viel zu frühen Tod gestorben waren.
Dumbledore und Snape waren nicht anwesend, der eine gestorben durch die Hand des anderen, aber auf den eigenen Befehl hin. Hätte Harry die Geschichte nicht aus Dumbledores eigenem Mund gehört, würde er sie nicht glauben können. Aber ein bisschen schämte er sich doch, nicht an das Gute in Snape geglaubt zu haben. Wo Snape hingegangen war, wusste Harry nicht; er hatte immer noch das Gefühl, dass er ihn nie wieder sehen würde.
Seine Mutter, sein Vater, Sirius, Cedric … auch sie alle waren Lord Voldemorts Herrschsucht zum Opfer gefallen. Und Narcissa Malfoy, die ihm das Leben gerettet hatte, kurz, bevor sie gestorben war; er hatte sich nicht bei ihr bedankt, und obwohl er wenig Zeit dafür gehabt hätte, schämte er sich nun deswegen.
Sogar an ihren Sohn Draco musste Harry nun denken; jetzt, wo es zu spät für Draco wäre, einzusehen, dass er bisher falsche Prioritäten gesetzt hatte. Oder hatte er das tatsächlich erkannt, so wie seine Mutter? Ganz egal, Harry empfand so etwas wie Mitleid für ihn. Wo sich Draco wohl nun aufhielt? Seine Eltern waren beide tot, und wie Harry neben einigen Lobeshymnen auf ihn selbst im Tagespropheten gelesen hatte, als er ihn vor einer Stunde zum ersten Mal seit einiger Zeit geöffnet hatte, war das Malfoy-Anwesen im Krieg explodiert, Dracos gesamtes Hab und Gut zerstört oder gestohlen, die Verliese seiner Familie von den Gringotts-Kobolden aus Rache an dem Versuch der Todesser, die Bank zu übernehmen, gesperrt worden – kurz gesagt, seine Existenz war vollkommen ausgelöscht. Ob er bei Snape war? Harry wusste es nicht; es interessierte ihn im Grunde genommen auch nicht so sehr.
Aberforth Dumbledore war nicht hier; Aberforth, dessen Tod genauso unfair, unnötig und unerwartet gewesen war wie der jedes anderen Menschen, der im Krieg sein Leben gelassen hatte, obwohl er sich darin eigentlich gar nicht eingemischt hatte. So viele Unschuldige mussten gestorben sein, und auch so viele Muggel …
Und Hagrid war nicht hier … Hagrid, der Mensch, der Harry während der letzten sieben Jahre ein großartiger und wichtiger Freund gewesen war. Jetzt war er fort, für immer …
Aber zwei andere Freunde von Harry waren noch hier. Ron und Hermine standen ganz vorne an der Spitze der Gruppe, und lächelten ihm entgegen. Um Rons Kopf kreiste Pigwidgeon, aufgeregt zwitschernd, und um Hermines Füße schlich Krummbein, seine Augen fest auf Harry gerichtet. Hermine hatte die Hand gehoben und auf einem ihrer Finger saß Hedwig. Sie stieß einen sanften Ruf aus, flatterte von Hermine zu Harry, landete auf seiner Schulter und knabberte an seinem Ohr. Harry lächelte zurück zu Ron und Hermine. Selbst der Krieg hatte die drei nicht getrennt, obwohl es von Zeit zu Zeit so ausgesehen hatte.
Weit hinter all den Leuten sah Harry am Horizont, wie die Sonne immer höher stieg und die Morgenröte ihre letzten, golden wirkenden Lichter auf die Erde warf, bevor sie einem neuen Tag wich. Er dachte an die Helligkeit im Raum der Liebe, dieses extreme Licht … Im Grunde war das, in das sie und die Ländereien von Hogwarts nun eingehüllt waren, viel schöner.
Harry konnte es nicht fassen, wie schnell eine gewisse Normalität nach Lunas Begräbnis und der Gedenkfeier für Hagrid tatsächlich ihren Weg in seinen Alltag bahnte.
Noch an dem Tag, an dem er in Hogwarts aufgewacht war, war er gebeten worden, bei Pressekonfernzen zu erscheinen, zu den Leuten zu sprechen; den Sieg über Voldemort verband jeder direkt mit Harry Potter, und jeder wollte hören, was er dazu zu sagen hatte. Aber er hatte sich geweigert, in aller Öffentlichkeit zu reden, hatte nur in einem Schreiben dem Ministerium mithilfe von Dumbledore und Ron und Hermine (die kaum fassen konnten, was er ihnen über die letzten Stunden des Krieges erzählt hatte) ganz genau erklärt, was geschehen war.
Er war eingeladen worden, mit den Weasleys im Fuchsbau zu leben, und hatte beschlossen, dieses Angebot noch fĂĽr eine Weile anzunehmen. Er wohnte nun im Zimmer der Zwillinge; Fred war noch nicht endgĂĽltig nach Hause zurĂĽckgekehrt, hatte aber eines Abends seine Eltern besucht, um ihnen mitzuteilen, dass es ihm gut ging, er aber noch einige Zeit fĂĽr sich selbst brauchte.
Tonks, Lupin und Moody kehrten bald aus dem St. Mungo-Hospital zurück. Lupin und Moody waren wieder vollständig gesund, und Tonks glücklicher denn je, als sie – endlich befreit aus ihrer Gefangenschaft – mit Lupin in das Haus ihrer Eltern zog.
Eines Abends, als Harry darüber nachdachte, wie es mit seinem Leben weitergehen sollte, brachte ihn ein lautes Geräusch dazu, seinen Zauberstab zu ziehen und sich erschrocken umzudrehen – aber es gab keinen Grund, Lord Voldemort war besiegt und die Todesser, die entkommen waren – was nur sehr wenigen von ihnen gelungen war – hatten sich seit dem Untergang ihres Herren nicht mehr blicken lassen; es drohten nur noch wenige Gefahren, nun, da nach und nach neue Erlasse zugunsten der Kobolde und der Zentauren wirksam wurden, da die Heilung und Pflege von Werwölfen immer bessere, höhere Stufen erreicht – da Dementoren wie von der Bildfläche verschwunden zu sein schienen. Tatsächlich hatte nichts Bedrohliches, sondern Fawkes das Geräusch verursacht. Der Phönix sang ein Lied für Harry, bevor er wieder verschwand – aber es war offensichtlich, dass er vorhatte, von Zeit zu Zeit zurückzukehren um Harry Gesellschaft zu leisten.
Nachdem die Schlagzeile SCRIMGEOUR TRITT ZURÜCK, EX-AUROR KINGSLEY SHACKLEBOLT WIRD NEUER ZAUBEREIMINISTER! im Tagesprophet erschienen war (zusammen mit seinen ersten neuen Gesetzen und Handlungen als Minister: das Konzept des mehr oder weniger wiederaufgebaute Askaban wurde völlig überarbeitet und funktionierte in Zusammenarbeit mit St. Mungos und der Mysteriumsabteilung, die die Psyche der Insassen studierten, und ein Plan für das Aufheben des Geheimhaltungsabkommens der Magie war in Arbeit), beschloss Harry, dass es endlich an der Zeit war, sich seinen Wunsch zu erfüllen und Auror zu werden. Schon nach einem einzigen Gespräch mit Kingsley stand fest, wann Harrys Ausbildung beginnen würde.
Auch Hermine hatte bereits einen Beruf gefunden: Sie hatte tatsächlich, wie früher von ihr angekündigt, B.ELFE.R vertieft und dem neuen Zaubereiminister erläutert, was ihre Ziele war; Kingsley gab ihr eine Stelle in der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe, mit der Möglichkeit, sich bald in das Internationale Büro für Magisches Recht hochzuarbeiten. Sie hatte Harry aber insgeheim anvertraut, dass sie diesen Beruf nur vorübergehend annehmen, aber später, wenn es ihr gelungen war, die Rechte der Hauselfen – und anderer magischer Wesen – zu verbessern, Lehrerin in Hogwarts werden wollte. Als Harry dies erfuhr, dachte er kurz darüber nach, ob er dann nicht vielleicht doch ebenfalls an die Schule zurückkehren sollte – aber diese Überlegung blieb tatsächlich nur kurz in seinem Kopf.
Ron hatte sich entschieden, sowohl von seinem Traum als Profi-Quidditch-Spieler, als auch von seiner Ăśberlegung, mit Harry Auror zu werden, abzusehen. Ihm war, so sagte er, in letzter Zeit aufgefallen, wie interessant Muggel doch eigentlich waren. Er ĂĽbernahm den alten Beruf seines Vaters in der Abteilung fĂĽr Missbrauch von Muggelartefakten, welcher auch Dean Thomas und Seamus Finnigan zu Harrys und Rons groĂźer Ăśberraschung beitraten.
Und einige Jahre später war Harry Hogwarts wieder nahe, weil er nach Hogsmeade gezogen war; Hermine unterrichtete Verwandlung in Hogwarts, und auch Ginny hatte ihre Ausbildung abgeschlossen und war Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste (sie blieb länger als bloß ein Jahr); und Ron und Hermine lebten zusammen in einem kleinen Haus nahe dem Fuchsbau.
„Wurde auch Zeit“, hatte Harry Ron bei seiner Hochzeit mit Hermine ins Ohr geflüstert; er hatte nicht mehr aufhören können zu lachen, als Ron daraufhin bis über beide Ohren rot angelaufen war und in diesem Zustand die ganze Zeremonie zugebracht hatte.
An jedem Jahrestag der Schlacht von Hogwarts und Askaban trafen sich Harry, Ron, Hermine, Ginny und Neville abends beim Denkmal der Verstorbenen, dachten über die alten Zeiten nach – aber schon beim dritten Treffen weinte kein einziger von ihnen mehr. Stattdessen bewunderten sie Nevilles neueste Entdeckungen auf dem Gebiet der Kräuterheilkunde, sprachen über ihre Pläne, über Hermines Schwangerschaft, sinnierten über das Morgen. Sahen nach vorne.
Ron und Hermine drängten Harry seit ihrer Vermählung, endlich Ginny – mit der er mehr oder weniger eine Beziehung führte – zu bitten, ihn zu heiraten. Aber er und Ginny hatten im Stillen gemeinsam beschlossen, so schien es, dass sie sich Zeit lassen wollten. Merkwürdigerweise hatte keiner von ihnen einen richtigen Partner, auch Jahre nach dem Krieg nicht, und Harry hatte das Gefühl, sie warteten nur beide darauf, dass sie bereit füreinander wurden. Doch Harry gefiel sein neues Leben in seinem kleinen Haus in Hogsmeade, auch wenn er allein darin wohnte.
Dieses neue Leben, welches Harry nun führte, hatte viele wunderbare Seiten; eine davon war natürlich, dass er die Dursleys nie wieder sehen musste. Aber das wirklich Beste – das, was alles andere übertraf und was Harry das neue Leben erst richtig ermöglichte – war, dass Voldemort nur noch eine Erinnerung war.
Und in einer anderen Gegend, in einer völlig anderen, wo die Leute ein ganz und gar anderes Leben führten, waren Vernon, Petunia und Dudley Dursley schon wenige Tage nach Voldemorts Vernichtung in ihr Haus Nummer vier im Ligusterweg zurückgekehrt. Dort, wo sie zum Glück keine bösen Überraschungen erwarteten, wie die Leute vom Orden es ihnen auch versprochen hatten, nahmen sie wieder ihren Alltag auf: Während Vernon in seiner Firma Bohrmaschinen verkaufte, spähte Petunia über die Zäune in die Gärten der Nachbarn, die nach dem fast einjährigen Verschwinden der drei mindestens genauso oft heimlich versuchten, einen Blick ins Haus Nummer vier zu ergattern. Aber egal, welchen Fragen sie ausgesetzt waren, sie würden immer bei ihrer Behauptung bleiben: Sie waren im Urlaub gewesen, in einem langen, aber ebenso lang geplanten Urlaub. Sie hatten nur vergessen, ihren Nachbarn Bescheid zu sagen. Keiner von denen war aber mit dieser Antwort zufrieden.
Doch ungeachtet, wer sie fragen würde – selbst, wenn irgendwann wieder ein Zauberer vor ihrer Tür stehen sollte, vielleicht sogar ihr Neffe höchstpersönlich, und über das sprechen wollte, was keiner der Dursleys je wieder erwähnen mochte – sie würden keine andere Geschichte erzählen. Mr und Mrs Dursley im Ligusterweg Nummer vier, und jetzt auch ihr Sohn, der sich seinen Vater zum ewigen Vorbild nahm, sagten nun wieder stolz, dass sie völlig normal waren, dass sie nichts wussten von Magie, einer Schule namens Hogwarts; leugneten sogar, dass Petunias tote Schwester einen Sohn gehabt hatte, einen Jungen mit stechend grünen Augen, einer Brille – und einer blitzförmigen Narbe.
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