Irgendwie hatte ich mir die Ferien doch länger vorgestellt. Nach meiner lustigen Silvesternacht und dem darauf folgenden Tag mit einem riesigen Kater gingen die restlichen Tage ziemlich schnell rum. Ich war stolz auf mich, dass ich an Silvester keinen Mann mit nach Hause genommen hatte – obwohl sich einige angeboten hätten. Einige Männer in der Bar gefielen mir durchaus. Angesprochen wurde ich von keinem, angestarrt schon. Mein Blick, den derjenige dann zurück bekam, sagte wohl alles.
Ansonsten waren die Ferien sehr langweilig. Ich bekam noch einen Brief von Gregor. Er entschuldigte sich noch einmal dafür, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte und dafür, dass er mir fremd gegangen war. Und dafür, dass er mir so gefühlsvoll berichtet hatte, dass meine beste Freundin tot war.
Außerdem schrieb er von Niamh, die mich eigentlich auch gern besucht hätte. Allerdings nicht mehr diese Ferien. Ich hätte sie wirklich gern gesehen. Gregor schrieb, dass sie mir auch bald einen Brief schreiben würde. Ich wartete.
„Julia!“, hörte ich einen Schrei, als ich am Ende der Ferien, gerade wieder angekommen, in den Gemeinschaftsraum trat. Dann sah ich eine Menge braune Haare und spürte, wie sich Hermine in meine Arme warf. Was mich zugegebenermaßen etwas verwirrte. Ich dachte sie könnte mich nicht leiden?
Scheinbar hatte ich mich geirrt.
„Wie waren deine Ferien?“, sagte sie, lachte und zog mich noch einmal an sich.
„Toll“, sagte ich trocken.
„Hermine, darf ich meinen Koffer in den Schlafsaal bringen?“, fragte ich, als ich keine Anzeichen erkennen konnte, dass sie mich von allein loslassen würde.
Sie nickte und begleitete mich hoch.
„Die Jungs treiben mich noch in den Wahnsinn“, lachte sie und warf sich auf ihr Bett.
Ich hatte sie noch nie so glücklich gesehen.
„Wie kannst du mich nur zwei Wochen mit ihnen allein lassen?“, fragte sie gespielt vorwurfsvoll.
„So schlimm kann es nicht gewesen sein... oder?“, fragte ich vorsichtig. Die letzte Erinnerung, die ich an Hermine hatte, war eine weinende Hermine in der Nacht des Weihnachtsballs.
Sie strahlte.
„Ich bin jetzt mit Ron zusammen.“
Ah, okay. Das erklärte einiges.
„Wie kam's?“,fragte ich, ehrlich interessiert.
Hermine schien auf meine Frage gewartet zu haben und legte sofort los. Es klang irgendwie auswendig gelernt.
„Er hat mich geküsst, auf dem Weihnachtsball. Dann haben wir uns gestritten, wegen einer Kleinigkeit. Ich hab die ganze Nacht geheult. Aber am nächsten Tag hat er sich bei mir entschuldigt und mir gesagt, dass er mich liebt! Stell dir das mal vor, Jules. Ron! Und ich – ach ich bin einfach SO glücklich!“
Schön für sie. Wirklich. Ich freute mich echt. Für die beiden. Ich meine, eine gute, glückliche Beziehung, wow.
Nur irgendwie wurde ich durch diese Freude nicht glücklicher. Ich wollte gern auch mal Glück haben. Aber da Hermine mich anstarrte, riss ich mich zusammen.
„Wow, Hermine, ich freue mich so für euch!“ Es klang halbwegs glaubwürdig.
Wir gingen wieder hinunter, in den Gemeinschaftsraum, wo wir auf Harry und Ron trafen. Wir verbrachten den Abend am Kaminfeuer, in den besten Sesseln.
Hermine und Ron waren wirklich süß, irgendwie beide total schüchtern
Harry war, wie ich erfuhr, jetzt mit Ginny zusammen. Der Weihnachtsball war scheinbar nicht für alle so... unbefriedigend verlaufen, wie für mich.
Zum Glück saß Ginny nicht bei uns, das wäre zu viel für mich gewesen.
Der erste Schultag ist ja immer irgendwie der schlimmste. Sagt man. Ich empfand es nicht so. Ich mochte den Unterricht, vor allem, da der Montag mit einem Lieblingsfach, Kräuterkunde, begann.
Auch die darauf darauf folgende Doppelstunde Zauberkunst war lustig.
Hermine war nicht mehr so – ja – ernst wie früher. Ron machte sie lustig. Und deswegen war auch der Unterricht mit ihr lustig.
Kaum zu glauben, dass die beiden jetzt schon zwei Wochen zusammen waren. Aber ich hatte sie ja auch zwei Wochen lang nicht gesehen.
Verwandlung überlebte ich auch noch irgendwie. Noch etwas positives hatte der Montag: kein Verteidigung gegen die dunklen Künste.
Kein Hardy.
Keine Peinlichkeiten.
Als ich beim Mittagessen saß betrachtete ich mein Armband. Es funkelte wunderschön im Licht, das durch die großen Fenster herein fiel.
„Wow, wo hast du das denn her?“, fragte Hermine mit einem bewundernden Blick auf mein Schmuckstück.
Ich schluckte. Ja, wo hatte ich es her? Von einem Verehrer? Von einem Freund? Von meinem Lehrer?
„Ach, das hab ich schon länger“, sagte ich ausweichend.
Hermine nickte.
„Es ist wunderschön“, sagte sie und betrachtete es, wie es ... glitzerte?
„Es bedeutet mir auch viel“, murmelte ich. Dieses Armband zeigte mir, dass es auch Gutes im Leben gab. Dass nicht alle Männer Arschlöcher waren.
Bei dem Gedanken musste ich mir ein Lachen verkneifen.
Noch vor wenigen Monaten hatte ich Hardy ein Arschloch genannt. Und jetzt betrachtete ich ihn als den Guten.
Was eine Wandlung.
Ich erschrak, als plötzlich eine Eule vor mir landete. Post beim Mittagessen war nicht die Regel, aber es kam vor, war deswegen nicht der Grund, warum ich mich erschreckte.
Allerdings bekam ich so gut wie nie Post.
Ich beäugte den Vogel, der vor mir auf dem Tisch saß. Er kam mir bekannt vor.
Dann nahm ich der Eule den Brief von Bein, sodass sie wieder davon fliegen konnte.
„Von wem ist er?“, fragte Harry, der bis eben in ein geflüstertes Gespräch mit Ron vertieft gewesen war.
„Ich weiß es nicht, ich hab ihn noch nicht gelesen“, sagte ich. Das sah er doch!
Langsam öffnete ich den Brief und entfaltete ihn.
Hey Jules,
alles klar bei dir?
Gott, das alles tut mir SOWAS VON Leid. Im Ernst, Süße. Ich hätte mich bei dir melden MÜSSEN. Was bin ich für eine Freundin?
Aber du musst das verstehen. Avas Tod... Verdammt, sie war auch meine Freundin. Als du weg warst waren wir quasi ständig zusammen, außer in dieser einen Nacht... Ich könnte mich ohrfeigen, wenn ich daran denke, dass ich sie allein gelassen hab, nur um mich mit Ciara zu streiten, weil sie von meinem Freund schwanger war!
Als ich nach Hause kam... Verdammte Scheiße, ihre ganze Familie war tot, das Haus lag in Trümmern und über allem schwebte das Dunkle Mal.
Sei mir nicht böse, Süße, aber darüber hab ich dich irgendwie vergessen.
Außerdem hättest du dich auch mal melden können!
Jedenfalls... Gregor hat gesagt, dass ihr manchmal an den Wochenenden ins Dorf dürft? Wie wäre es denn, wenn wir uns da mal treffen könnten, das nächste Mal, wenn du im Dorf bist?
Das würde mir so unglaublich viel bedeuten!
Ich mach mir sogar deine Lieblings-Haarfarbe!
Ich vermisse dich,
Niamh
Ich las den Brief mehrere Male. Und heulte fast los. Wie konnte ich nur sauer sein? Niamh hatte recht, ich hatte mich ja auch nicht gemeldet. Und sie hatte weiß Gott Wichtigeres zu tun.
Ich mach mir sogar deine Lieblings-Haarfarbe!
Ich musste lächeln, als ich diesen Satz las. Das war so typisch Niamh! Als ob das für sie, als Metamorphmagus, eine großartige Anstrengung gewesen wäre.
Trotzdem fühlte ich mich glücklich.
Bis ich wenig später den Kerker betrat, zum Zaubertrankunterricht.
Ich kann nicht sagen warum, aber Snape war richtig fies zu mir. Er zog mir Punkte ab, weil ich hustete. Er machte meinen Trank fertig, obwohl ich sicher war, dass ich alles richtig gemacht hatte.
Außerdem schrie er mich jedes Mal, wenn ich ein Geräusch von mir gab an, ich solle die Klappe halten.
Dieser Wandel irritierte mich. In einem Moment wollte er mich, im nächsten...
Sogar Harry, Ron und Hermine gaben zu, dass Snape außerordentlich unfreundlich war.
Um seine Gründe für dieses Verhalten heraus zu finden blieb ich nach der Stunde, mal wieder, zurück.
„Raus hier“, knurrte er, als er mich sah. Ich trat, todesmutig, auf ihn zu.
„Was ist mit dir los?“, fragte ich.
Er sah mich an und in seinen Augen lag Hass.
„Für sie immer noch 'Was ist mit ihnen los, Sir'!“
Ich runzelte die Stirn und trat näher an seinen Schreibtisch heran. Snape, scheinbar wütend, stand auf und umrundete den Tisch, blieb kurz vor mir stehen, packte mich an den Oberarmen und zog mich zu sich heran.
„Was willst du noch? Hast du nicht schon genug gelogen“, zischte er.
„Gelogen?“, sagte ich, verwirrt.
„Du hast mir erzählt, dass du nicht mit diesem Penner geschlafen hast! Du hast gesagt, dass du nicht für jeden daher gelaufenen Idioten die Beine breit machen würdest! Und dann machst du in aller Öffentlichkeit mit diesem... aalglatten Arschloch rum!“
Ich wusste noch immer nicht, wovon er redete.
„Wovon redest du?“
„Von dir und Hardy“, sagte er und stieß mich von sich.
„Auf dem Weihnachtsball!“
Und es machte Klick.
„Ich war nur einer von vielen, nur einer in deiner Sammlung, du machst es echt mit jedem, du kleine Schlam-“ ich ertrug das nicht mehr. Also tat ich das einzig Richtige - ich verschloss seinen Mund. Mit meinem, versteht sich.
Seine Arme hingen schlaff herunter, während ich sein Gesicht in meinen Händen fest hielt und ihn weiter küsste.
Er erwiderte den Kuss nicht. In einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung, öffnete ich die Augen und starrte in seine. Ich wollte eine Reaktion.
Und die bekam ich. Er stöhnte auf und erwiderte dann meinen Kuss. Leidenschaftlicher, als ich ihn jemals geküsst hatte.
Und dieses Mal hört er nicht plötzlich auf. Er hob mich auf den Schreibtisch, ich streifte ihm seinen Umhang von den Schultern.
Er küsste meinen Hals, während er mich auszog. Ich hatte die Augen die ganze Zeit geschlossen.
Irgendwann sahen wir uns dann doch in die Augen.
„Lily“, stöhnte Severus, der noch immer in meine Augen sah und küsste mich wieder.
Lily? Ich stieß ihn von mir.
„Was hast du gerade gesagt?“
Er sagte nichts, sah ein wenig verwirrt aus. Dann sah ich, dass er plötzlich begriff, was er gesagt hatte.
Er wurde bleich.
„Ich...“, stotterte er.
„Wer zum Teufel ist Lily?“, schrie ich.
Er schüttelte den Kopf, die Augen noch immer weit aufgerissen. Dann sah er mich wieder an.
„Julia...“, flüsterte er.
Er sah so aus, als hätte er gerade mich, oder etwas, erkannt.
„Ja, verdammt, DAS ist mein Name! Nicht Lily! Julia, du verdammtes Arschloch“, schrie ich und riss mich von ihm los.
Schwer atmend zog ich mich wieder an. Ich war fast komplett nackt, also brauchte ich einige Minuten dazu.
„Scheiße“, hörte ich Severus murmeln.
Ich drehte mich noch einmal um. Er hatte sich nicht bewegt. Dann schnappte ich mir meine Tasche und ging zur Tür.
„Warte! Julia, bitte! Ich -“ aber ich wollte nicht hören, was er sagen wollte.
Ich rauschte zur Tür hinaus und lief, irgendwo hin, einfach weg von ihm.
TBC
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Wenn man wie ich über Böses schreibt und wenn einer der beschriebenen Figuren im Grunde ein Psychopath ist, hat man die Pflicht, das wirklich Böse zu zeigen, nämlich, dass Menschen getötet werden.