Die Frage war nur, wie ich das anstellen wollte. Und warum. Und wozu. Aber um da irgendwie schlauer zu werden, musste ich erst einmal herausfinden, wer diese Lily war. Und da mir einfach nichts besseres einfallen wollte, und da Harry einmal erwähnt hatte, dass sein Vater mit Snape zusammen zur Schule gegangen war, beschloss ich Harry zu fragen.
Vielleicht war diese Lily ja auch mit Snape, und damit mit Harrys Vater, zur Schule gegangen. Wenn Harry nichts wissen würde, wovon ich stark ausging, wollte ich in die Bibliothek gehen.
Zu meinem Glück waren Harry, Ron und Hermine im Gemeinschaftsraum, als ich ihn schließlich erreichte. Hardy war wirklich süß gewesen, er hatte mich sogar zum Gemeinschaftsraum begleiten wollen. Ich hatte dankend abgelehnt und kam mir jetzt irgendwie fies vor.
Aber in Anbetracht meines neuen Tatendranges wollte ich keine Zeit damit verbringen auch noch darüber nachzudenken, was ich denn nun für ihn fühlte. Denn das wusste ich nicht.
Wenn ich erst herausgefunden hatte, wer diese Lily war und wenn ich mir dann sicher war, warum Severus mich mit ihr ... nun, verwechselt hatte, dann erst würde ich mir Gedanken über Jack Hardy machen.
Harry, Ron und Hermine saßen am Kamin. Mittlerweile war es dunkel draußen und alle Wärme des Nachmittags war verschwunden. Als ich näher kam, merkte ich, dass Ginny zu Harrys Füßen saß und ihren Kopf an seine Knie lehnte. Na toll. Ginny.
Seit ihrer merkwürdigen Entführung vor ein paar Wochen benahm sie sich komplett anders. Sie war viel ruhiger geworden. Außerdem tat Harry ihr gut.
Nichts desto trotz konnte ich sie noch immer nicht leiden. Daran würde sich vermutlich auch nichts ändern. Und dass sie scheinbar über alle geheimen Aktivitäten Harrys Bescheid wusste, was keiner, weder Harry, noch Ron oder Hermine, mir sagen wollte, machte es auch nicht gerade besser.
Warum wurde ich ausgeschlossen, sie aber nicht? Nun, vermutlich, weil ich mit keinem von ihnen schief. Obwohl... wohl keiner von ihnen mit irgendwem schlief.
„Hey“, sagte ich und ließ mich schwungvoll in den letzten freien Sessel vor dem Kamin fallen.
„Hey Jules“, sagte Ron. Hermine, die scheinbar gerade seine Hausaufgaben machte, sah kurz auf und lächelte.
„Alles klar bei dir?“, fragte Harry, freundlich lächelnd. Ginny würdigte mich keines Blickes. Ich glaube, sie war eifersüchtig. Scheinbar war sie nicht schlau genug um zu verstehen, dass zwischen Harry und mir nichts lief.
„Ja, soweit schon“, sagte ich, leicht nervös lächelnd. Wie wollte ich das Gespräch nur auf meine Frage lenken?
„Was hast du denn den ganzen Tag getrieben?“, fragte Harry, noch immer lächelnd. Mir fiel ein, dass ich mir aus solche Fragen keine Antwort ausgedacht hatte. Was hatte ich denn den ganzen Tag gemacht?
„Ich hab Professor Hardy getroffen“, sagte ich deshalb. Ein bisschen Wahrheit musste ja wohl erlaubt sein. Ginny straffte sich.
„Und, was habt ihr so lange geredet?“, fragte sie.
Scheiße. Für einen Zeitraum von „so lange“ fiel mir keine gute Ausrede ein.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Wir haben nur kurz über den Ball geredet und über meine Ferien. Danach war ich in der Bibliothek“, sagte ich und bemühte mich meiner Stimme einen gleichgültigen Tonfall zu geben.
Plötzlich begannen Ginnys Augen zu strahlen.
„Hat er mich erwähnt?“, fragte sie. Ihre Stimme klang ganz aufgeregt.
„Bitte was?“, fragte ich, völlig überrascht von ihrer Frage.
„Naja, auf dem Ball, wir haben doch miteinander getanzt. Oh, er sah so gut aus! Hat er nichts gesagt, dass es ihm... keine Ahnung, gefallen hat oder so?“ Ginny sah mich neugierig an.
„Hast du sie noch alle, Gin? Du weißt aber schon, dass du schon einen Freund hast?“, mischte sich Ron ein.
Ginny drehte sich zu Harry um, der sie ein wenig böse ansah.
„Ach kommt schon Jungs, man wird ja wohl noch träumen dürfen!“, sie lachte.
„Träumen?“, fragte Harry entsetzt.
„Und was bin ich dann, dein Alptraum?“
„Harry, Schatz, bitte. Bleib realistisch. Hardy ist völlig unerreichbar. Er sieht so unheimlich gut aus, glaubst du im Ernst, er würde sich mit irgendeiner Schülerin abgeben? Für ihn kommt doch nur irgendein Topmodel in Frage!“ Ginny lachte hysterisch.
Scheinbar machte sie sich wirklich Hoffnungen. Dann konnte ihre Liebe zu Harry ja nicht so groß sein. Es konnte aber auch sein, dass ich das Ganze mal wieder vollkommen falsch interpretierte. Das kam ja nicht zu wenig vor.
„Baby, du bist mein Topmodel“, sagte Harry und zog Ginny auf seinen Schoß. Er küsste sie. Ich sah weg. Das musste ich nicht sehen.
„So, Ron, ich glaub ich bin fertig“, sagte Hermine und gab Ron seinen Aufsatz zurück.
„Danke, Hermine, du bist super“, erwiderte er und küsste sie auch.
„Hallo, Leute, Kinder im Raum!“, sagte ich.
„Und Singles! Wollt ihr, dass ich traurig werde?“ Ich lachte. Irgendwie war mir nicht nach Lachen.
Harry lachte auch.
„Was hast du denn in der Bibliothek gemacht, Jules?“, fragte er und schob Ginny wieder auf den Boden. Sehr nett.
„Ich hab etwas recherchiert“, sagte ich stockend. Jetzt kam es drauf an. Wenn ich mich ein bisschen geschickt anstellte...
„Harry, du kennst nicht zufällig eine Lily? Sie müsste bei deinem Vater im Jahrgang gewesen sein?“, fragte ich schließlich. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht.
Ich merkte sofort, dass ich einen Treffer gelandet hatte. Harrys Augen weiteten sich.
„Lily? Und wie weiter? Nicht zufällig Lily Evans?“, fragte er. Dankeschön. Einen Nachnamen hatte sie also auch.
„Ja, genau. Lily Evans. War sie bei deinem Vater im Jahrgang?“ Bitte...
„Ja, war sie. Sie waren beide in Gryffindor. Wieso fragst du?“
„Ach, nur so. Ich meine, ich hätte irgendwo über sie gelesen, in einem alten Jahrbuch. Aber ich konnte mich nicht mehr erinnern. Kanntest du sie?“ Na komm schon, Harry... Er schnaubte.
„Allerdings. Sie war meine Mutter.“
Harrys Mutter. Auch als ich Stunden später bereits im Schlafsaal lag konnte ich nicht aufhören darüber nachzudenken. Harrys Mutter hieß Lily Evans. Später Potter, weil die Harrys Vater geheiratet hatte. Beide waren tot, beide kannten Snape. Snape hatte Harrys Vater gehasst. Hatte Harrys Mutter etwa auch etwas damit zu tun?
Das Abwegigste, das mir einfiel, war, dass Snape in diese Lily verliebt gewesen war und Harrys Vater deswegen gehasst hatte, weil er, Snape, sie nicht haben konnte.
Eines war klar: Lily hatte Snape viel bedeutet. Sonst hätte er ihren Namen nicht in dieser... Situation gesagt. Die Verbindung zu Harrys Mutter musste ich allerdings erst herstellen. Und wenn ich mehr über sie wusste, würde ich auch mehr über ihre Verbindung zu MIR herausfinden.
Das Problem war nur, dass ich morgen direkt in den ersten beiden Stunden eine Doppelstunde Zaubertränke hatte. Also musste ich vorher etwas recherchieren. Meine eigene Ausrede hatte mich da auf eine Idee gebracht.
Am nächsten Morgen stand ich also viel zu früh auf, duschte, zog mich an und beeilte mich zur Bibliothek zu kommen.
Diese war, natürlich, völlig leer. Logisch, es war ja auch erst kurz nach sieben. Ich hatte also gut eine Stunde Zeit für meine Nachforschungen, bevor ich zum Frühstück gehen musste, um keine Aufmerksamkeit auf meine Abwesenheit zu lenken.
In einem der hintersten Gänge befand sich das, wonach ich suchte: alte Jahrbücher und Listen von ehemaligen Schulsprechern, Zeitungsartikel über besonders gute Schüler oder besonders talentierte Quidditchspieler und alles andere, was etwas mit ehemaligen Schülern zu tun hatte.
Mit ein wenig Magie fand ich auch schon alles, worin der Name „Evans“ vorkam.
Der Haufen war größer als ich gedacht hatte. Aber Evans war auch kein allzu seltener Nachname. Also sortierte ich alles aus, was nicht mit „Lily Evans“ zusammen gehörte.
Diese ganze Aktion kostete mich schon zehn Minuten meiner knappen Zeit und ich verfluchte die Welt der Magie, die Google so gekonnt ignorierte, obwohl man es manchmal echt gut brauchen könnte.
„Bingo“, murmelte ich, als ich schließlich einen Artikel fand, in dem Lily Evans genau neben Severus Snape abgelichtet war.
Der Artikel handelte offenbar von einem Nachwuchswettbewerb in Zaubertränken, den die beiden gewonnen hatten. Die beiden schienen ziemlich jung. Zwölf, oder dreizehn vielleicht.
Bei einer Zeile in dem Artikel stockte ich.
„Severus ist mein aller bester Freund“, strahlt die kleine Lily, als wir sie fragen, ob ihr die Arbeit mit ihrem Partner Spaß gemacht hat. „Natürlich hat es da Spaß gemacht!“
Dieser eine kleine Artikel war alles, was die Beiden in Verbindung brachte. Auf keinem weiteren Foto waren sie zusammen, selbst auf Fotos, wo beide drauf waren, standen etliche andere Schüler zwischen ihnen.
Ich fragte mich, was wohl vorgefallen war, dass die Beiden sich so auseinander gelebt hatten. Oder ob etwas anderes dahinter steckte. Vielleicht war Severus ja wirklich in sie verliebt gewesen.
Und sie hatte ihn abblitzen lassen.
Irgendwie tat er mir Leid. Falls das wirklich so gewesen war, konnte ich sogar seinen Hass auf Harry verstehen. Nach allem, was ich bisher gehört hatte, sah Harry genau aus wie sein Vater.
Jedes Mal, wenn jemand von Harry sprach, hatte man die selben Worte gesagt. „Er sieht genau aus wie sein Vater, nur die Augen, die hat er von seiner Mutter.“
So stand es auch in den Zeitungsartikeln, die ich über Harry gelesen hatte. Damals, während des trimagischen Turniers.
Moment mal... Die Augen... von seiner Mutter? Ich fing an, die Papiere, die vor mir lagen zu durchwühlen. Irgendwo musste es doch ein Farbfoto geben... Irgendwo...
Schließlich fand ich es.
Lily Evans hatte rotes Haar. Das fiel mir als erstes auf. Ich sah auf ihre Augen.
Und konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Sie waren leuchtend grün! Harry hatte auch grüne Augen und ich, verdammt nochmal, hatte auch grüne Augen!
Er hatte mir in die Augen gesehen, als er „Lily“ gesagt hatte! Er hatte sie gesehen.
Ich ließ den Arm sinken und das Papier, von dem mir Lily Evans zuwinkte, fallen.
Er hatte mich nicht gesehen. Er hatte tatsächlich an eine andere gedacht. Stellte er sich vor Lily zu küssen, wenn er in meine verdammten Augen sah? Sah er mich denn nicht?
Mein Kopf knallte auf den Tisch.
„Julia, du bist eine Idiotin“, fluchte ich.
Ich hatte das wissen wollen, ja. Aber zu welchem Preis?
Was hatte ich dadurch gewonnen, wenn ich wusste, dass Snape an seine verflossene Liebe, und dessen war ich mir jetzt sicher, dachte, wenn er mich küsste? Nichts!
Und das Schlimmste war, dass ich nicht einmal sauer auf sie sein konnte, da sie tot war. Eifersucht war hier unangebracht.
Moment mal, ich war eifersüchtig? Scheiße, warum bedeutete dieser Kerl mir so viel?
Und wieso war ich ihm so egal?
Mir ging unser gestriges Gespräch noch einmal durch den Kopf. Er war auch eifersüchtig gewesen. Er war fast ausgerastet - nein - er war ausgerastet, weil ich mit Hardy getanzt hatte. Er hatte geschrien wie ein Weltmeister. Ich war ihm definitiv nicht egal.
Mein dummes Herz machte einen Sprung. Was, wenn er mich auch.... mochte?
So ein Quatsch. Dann hätte er nicht den Namen einer Anderen gesagt.
Aber worauf beruhte unsere Beziehung dann? War das wirklich etwas einmaliges gewesen? Und konnte ich damit leben, wo ich mir jetzt sicher war, dass er mir nicht egal war?
Beruhte dieser ganze Mist nur auf dieser einen Sache, hatte er mich damals, in dieser Bar nur deswegen angesprochen? Wollte er mich bloß wegen meiner grünen Augen?
TBC
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Selbst Muggel wie wir sollten diesen freudigen, freudigen Tag feiern! Jenen nämlich, da sich der Londoner Verlag Bloomsbury entschloss, die Manuskripte der britischen Autorin Joanne K. Rowling zum Druck anzunehmen und sie der breiten, nichtmagischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.