Die ganze restliche Mittagspause war ich ein Nervenwrack. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Dieser Blick. So unheimlich... eindeutig. Draco hatte es ihm erzählt. Ich wusste nicht, was genau er erzählt hatte, aber es war nicht gut.
Ich saß mit Niamh in einer Ecke des überfüllten Hofs. Hermine war – wie üblich – in der Bibliothek. Wo Ron und Harry waren, wusste ich nicht so genau. Ich glaubte Harry am anderen Ende des Hofs zu sehen.
Niamh redete nervös auf mich ein – ich wusste nicht, wer sich eigentlich mehr Gedanken machte. Sie oder ich.
„Sie können dich nicht raus schmeißen, ich meine, du hast ja nichts falsch gemacht. Gut, für ihn sieht es nicht gut aus, das stimmt schon. Aber das ist ja nicht dein Problem. Klar, er wird seinen Job verlieren, aber das ist er ja auch irgendwie selbst schuld, oder? Er wird schon was neues finden, denk ich mal. Außerdem ist er ja eh so unbeliebt, ihn wird keiner vermissen, die Schüler werden dir dankbar sein und vielleicht freut er sich ja auch... Naja, eher nicht, aber er ist bestimmt nicht sauer, also, glaub ich...“
Ich stöhnte.
„Niamh, halt die Klappe. Merkst du denn nicht, dass du alles noch schlimmer machst?“, seufzte ich. Ich hatte meine Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen vergraben. Ni hatte ihren Arm um meine Schulter gelegt. Und jetzt endlich war sie still.
War es denn so schwer zu verstehen, dass es mich nicht aufmunterte, dass er seine Existenz verlor, aber ich nicht von der Schule flog?
Klar, schon mehrmals war mir der Gedanke gekommen, einfach zu lügen und zu sagen, Draco rede Unsinn. Aber dann fiel mir ein, dass Dumbledore mich dazu zwingen könnte Veritaserum zu trinken... Obwohl ich bezweifelte, dass Severus ihm etwas geben würde.
Trotzdem war ich irgendwie total nervös und verzweifelt. Und Ni machte alles wirklich nur noch schlimmer.
„Wirklich, Süße, was soll Dumbledore denn tun? Ich meine, als ihr... na, du weißt schon... das war doch, bevor du hier zur Schule kamst, oder?“ Aufmunternd sah sie mich an. Ich verdrehte die Augen.
„Niamh, wie oft denn noch? Ich war schon Schülerin der Schule. Es war nicht erlaubt. Ich stecke in der Scheiße. Und ich habe die Existenz des Mannes, den ich ... naja, du weißt schon... zerstört.“
In den letzten paar Minuten wusste ich nicht mehr, wie ich je an meinen Gefühlen zu ihm hatte zweifeln können.
Ich wollte nicht, dass er seinen Job verlor. Ich wollte nicht, dass Dumbledore schlecht von ihm dachte. Ich wollte nur sein Bestes.
Verdammte Scheiße, ja, ich war in Severus Snape verliebt.
Natürlich wusste ich, dass dies nicht der beste Zeitpunkt war um das herauszufinden. Es war sogar ein ausgesprochen schlechter Zeitpunkt.
Und auch als ich mich am Ende der Pause von Niamh zur nächsten Stunde schleppen ließ, ging es mir nicht viel besser.
Diese Erkenntnis hatte mir nichts gebracht. Nichts. Nur noch mehr Schmerz. Schmerz, über das, was kommen würde. Schmerz, über das, was war.
So merkte ich erst, als wir vor dem Klassenzimmer standen, wo genau wir eigentlich waren. Wieder entfuhr mir ein klägliches Stöhnen. Wir standen vorm Klassenraum, wo wir Verteidigung gegen die dunklen Künste hatten.
Das erklärte auch Niamhs plötzliche gute Laune. Hardy. Der hatte mir zu meinem vollkommenen Glück noch gefehlt.
Dieser trat auch genau in diesem Moment aus der Tür zu seinem Klassenraum heraus und öffnete uns so die Tür.
Kurz bildete ich mir ein, dass er mich angesehen hätte. Sicher irrte ich mich.
Ich ließ die Stunde über mich ergehen, ohne wirklich zuzuhören. Zum Glück mussten wir heute keine praktischen Übungen machen, sondern Hardy erzählte irgendetwas über die nahenden Prüfungen. Aber die interessierten mich im Moment eher weniger.
Als es endlich klingelte erhob ich mich erleichtert von meinem Platz. Verteidigung war die letzte Stunde für heute gewesen.
Doch noch bevor ich den Raum verlassen konnte, wurde ich zurück gerufen.
„Julia, würden Sie bitte noch kurz warten?“ Hardy. Na toll.
Ich konnte jetzt natürlich nicht einfach gehen. Also wandte ich mich seufzend wieder nach vorn.
„Ich warte draußen... Wenn was ist, schrei einfach“, flüsterte Niamh mir zu.
Ich lächelte kurz über ihren Scherz, obwohl ich mir sicher war, dass sie es ernst meinte.
Hardy saß auf seinem Pult. Wozu sollte er auch auf einem Stuhl sitzen, das sah ja so viel cooler aus.
„Kommen Sie bitte her“, sagte er. Seine Stimme klang ziemlich kühl. Zu kühl.
Trotzdem ging ich nach vorn. Unsicher blieb ich direkt vor ihm stehen.
„Setzen Sie sich“, seufzte er und deutete auf den Tisch direkt vor ihm. Also setzte ich mich auch auf einen Tisch. Sah ja auch viel cooler aus.
Einen Moment lang schloss er die Augen und atmete tief durch.
„Ich soll Ihnen von Professor Dumbledore sagen, dass Sie...“, er stockte, murmelte irgendetwas und fuhr dann fort, „dass Sie heute Nachmittag um fünf Uhr in seinem Büro erscheinen sollen.“
Ich schluckte. Heute Nachmittag. Fünf Uhr. Mein Ende war nahe.
Okay, ich übertrieb vielleicht ein bisschen. Vielleicht auch mehr als ein bisschen.
„Okay“, murmelte ich.
Scheinbar war das nicht das, was Hardy mir hatte sagen wollen. Er kaute wieder auf seiner Unterlippe herum.
„Was ist los, Professor?“, fragte ich schließlich seufzend.
Er sollte nicht auch noch leiden.
Er schien erleichtert darüber, dass ich mit dem Thema begonnen hatte.
„Ich konnte vorhin einfach nicht anders, als das Gespräch zwischen dem Schulleiter und Mister Malfoy zu belauschen. Und ich... Nun, ich muss sagen, dass das nur bestätigt hat, was ich ohnehin schon geahnt hatte...“ Nervös fuhr er sich mit der Hand durch die Haare.
Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte.
Was wollte er denn jetzt hören?
Also schwieg ich einfach. Er schwieg auch. Mindestens fünf Minuten herrschte diese erdrückende Stille in diesem auf einmal so großen Raum.
Ich seufzte. Langsam hatte ich den Überblick verloren, wie oft ich in den letzten Monaten geseufzt hatte. Zu viel, auf jeden Fall.
„Was wollen Sie jetzt hören, Professor?“, fragte ich und sah ihm direkt ins Gesicht.
Er lächelte nervös.
„Ich weiß es nicht... Ich weiß auch nicht, warum ich dieses Gespräch mit Ihnen führe. Aber ich dachte, dass ich Ihnen etwas bedeute, dass das mit uns... Aber dieser Kuss... Ich meine, das verblasst total gegen das, was sie... Ach, verdammt!“
Erst brach er jeden Satz ab, dann fluchte er.
Ich verstand einfach nicht, was er eigentlich wollte. Was störte es ihn, mit wem ich Sex hatte?
Es ging ihn nichts an.
Außer...
Der Groschen fiel.
„Sind Sie wirklich in mich... verliebt?“, fragte ich zweifelnd. Das konnte nicht sein. Hardy sah mich nicht sofort an. Er sah kurz zur Decke, dann senkte er den Blick wieder und sah mir direkt in die Augen.
„Ich hatte gedacht, dass Sie es sind“, antwortete er ausweichend.
Ich wollte gerade antworten, als die Tür zum Klassenraum aufgerissen wurde.
„Alles klar hier? Ihr seid jetzt schon fast eine Stunde hier drin, ich dachte, ich guck mal, ob ihr euch gegenseitig umgebracht habt.“ Natürlich war es Niamh.
Sie sah das Ganze mal wieder total locker und duzte Hardy jetzt sogar. Klasse.
Ich sah Hardy an. Er hatte meine Frage nicht beantwortet.
„Wir waren gerade fertig“, sagte er.
„Was habt ihr denn geredet?“, fragte Niamh, als wir zwei Minuten später die Gänge zum Gemeinschaftsraum entlang liefen.
Ich seufzte. Natürlich würde sie mich verhören.
„Er hat mir gesagt, dass ich heute um fünf zu Dumbledore ins Büro muss“, sagte ich.
Ni blieb stehen. Ich merkte erst nicht, dass sie nicht mehr neben mir war, drehte mich aber dann zu ihr um.
„Was denn?“, fragte ich, leicht genervt.
Niamh stand mitten im Korridor, Mund und Augen weit aufgerissen.
„Das... das... ich...“, stotterte sie.
Ich verdrehte die Augen.
„Mal ehrlich, Ni, hast du damit gerechnet, dass Dumbledore das einfach ignoriert?“
Ich wandte mich wieder von ihr ab und ging weiter.
Niamh zögerte kurz, holte aber dann schnell wieder zu mir auf.
„Das tut mir so Leid, Jules“, seufzte sie. Ich wusste zwar nicht, was sie meinte, nickte aber trotzdem. Sie hatte bestimmt Recht. Wie immer.
„Was willst du jetzt machen?“, fragte sie.
Ja, was wollte ich jetzt machen? Hingehen – klar. Aber dann? Was sollte ich ihm sagen?
„Ich weiß es nicht“, seufzte ich.
„Süße, dieses Seufzen geht mir langsam auf die Nerven“, lachte Niamh und legte mir ihren Arm um die Schulter.
Ich lächelte nur schwach.
„Aber nochmal zurück zum Thema: Worüber hast du noch mit Hardy gesprochen?“, fragte sie weiter.
Schade. Fast hätte sie es vergessen. Obwohl... Nein, hätte sie nicht. Sie war schließlich Niamh Neeson, der mit Abstand neugierigste Mensch der Welt.
Ich seufzte noch einmal – diesmal übertrieben leidvoll, weil es Ni eben nervte.
Sie verdrehte die Augen.
„Er wollte natürlich über die Sache reden... Er weiß Bescheid“, sagte ich, genervt von meiner neugierigen Freundin.
Diese nickte bloß. Ich sah sie fragend an.
„Ja, so was in der Art hab ich mir schon gedacht. Er ist ja auch nicht blöd“, sagte sie schulterzuckend.
„Ist ja jetzt auch egal, oder?“, murmelte ich.
Es war egal. Ob es jetzt einer mehr oder weniger wusste – im Endeffekt war es egal. Snape würde heute Nachmittag von der Schule fliegen, ich vielleicht auch. Dann würden es eh alle wissen.
Bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht.
Was würden Harry, Ron und Hermine sagen?
Ich mochte die drei, wirklich. Und sie hassten Snape. Sie hassten ihn aus tiefster Seele. Aber daran wollte ich jetzt noch nicht denken.
Um kurz vor fünf machte ich mich also auf den Weg zu Dumbledores Büro. Ich war nervös, meine Hände zitterten.
Vor dem Büro angekommen entdeckte ich auch noch etwas, was mich nur noch nervöser werden ließ.
Severus Snape. Natürlich. Hatte ich geglaubt, dass er nicht zu diesem Gespräch erscheinen musste? Nein, eigentlich nicht. Aber ich hatte es bis jetzt erfolgreich verdrängt.
Er stand an der Wand, die Arme verschränkt, der Blick böse wie immer. Als er mich sah, lächelte er schwach.
„Hallo“, murmelte ich. Ich sah zu Boden. Er sagte nichts weiter.
Wir schwiegen, bis endlich der Wasserspeier zur Seite sprang und uns die Wendeltreppe zu Dumbledores Büro freigab.
„Nach dir“, murmelte Severus.
Ich schloss die Augen und trat auf die Treppe.
TBC
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