Kapitel 29 – Schweigen ist Silber, Reden ist Gold
Ich konnte nichts sagen. Ich versuchte es, aber ich bekam kein Wort heraus.
Jetzt kniff er die Augen zusammen, runzelte die Stirn, offensichtlich geblendet von diesem kalten, weiĂźen Licht des KrankenflĂĽgels.
Er stöhnte noch ein weiteres Mal.
„Autsch“, seufzte er.
Mein Mund klappte auf. Severus Snape sagte „Autsch“? Wie unwahrscheinlich war das denn bitte? Das passte ja mal gar nicht zu ihm.
„Hi“, sagte ich verdutzt.
Gut, dass war wirklich nicht das Intelligenteste, was ich hätte sagen können. „Hi“. Irgendwie ein total sinnloses Wort ohne Aussage.
NatĂĽrlich hatte ich mir Gedanken gemacht, was ich sagen wĂĽrde, wenn er aufwachte.
Ich hatte mir stundenlang Gespräche vorgestellt, in meiner Phantasie immer und immer wieder durchgespielt.
Ich hatte in meinem Kopf quasi eine Liste erstellt, was etwas Gutes zu sagen wäre. „Severus, du bist aufgewacht, Gott sei Dank“. Nicht mein Favorit. „Du Idiot!“. Schon eher mein Fall, aber auch nicht Nummer eins. „Du hirnloser Volltrottel, was machst du für eine Scheiße? Mein Leben gegen deines? Hast du sie noch alle? Verdammte scheiße, ich liebe dich, wie sollte ich denn weiter leben ohne dich?“. Eindeutig mein Favorit.
Aber nun gut, in der Realität war es nun einmal „Hi“.
Severus, der sich scheinbar an das Licht gewöhnt hatte, sah mich jetzt wieder an. Gut, es gab hier auch nicht viel Anderes, was man hätte ansehen müssen.
Aber irgendwie war ich noch nicht bereit für dieses Gespräch, was jetzt folgen würde.
„Du lebst“, flüsterte er.
Wäre er nicht Severus Snape gewesen und wäre es deshalb nicht ein Ding der Unmöglichkeit gewesen hätte ich gesagt, dass er sehr dankbar und den Tränen nahe klang.
„Öhm“, sagte ich, „ja.“
Ja, ich weiß. Wieder keine schlaue Äußerung.
Ich schĂĽttelte meinen Kopf und richtete mich etwas auf meinem Stuhl auf.
„Ja, ich lebe. Wir beide leben“, sagte ich. Zwei ganze Sätze. Ein Fortschritt.
Er nickte.
„Ja“, murmelte er und schloss seine Augen wieder.
Hey! Mister! Nicht schlafen!
„Aber Andere nicht“, sagte ich, um ihn am Einschlafen zu hindern.
Er reagierte nicht.
ScheiĂźe! Wie konnte er denn jetzt schlafen?
„Dumbledore... er hat es nicht geschafft. Er lebt nicht mehr. Er ist tot, Severus“, sagte ich hektisch.
Klar, das war nicht besonders nett es ihm so zu sagen.
Aber er reagierte noch immer nicht!
„Severus, hast du mich verstanden?“, fragte ich vorsichtig und berührte seine Hand, die auf dem Bett neben seinem Körper lag.
Er zuckte bei meiner Berührung zusammen und öffnete die Augen.
Wenn ich mich nicht sehr irrte, sahen seine Augen etwas feucht aus.
Weinte er? Nein, ich musste mich irren.
Doch wenn ich so darĂĽber nachdachte...
„Ihr wart sehr gute Freunde, oder?“, fragte ich leise.
Er sah mir weiter in die Augen und nickte.
Dann schloss er die Augen wieder.
Für mehrere Minuten redete keiner von uns. Ich gab ihm die Chance den Tod seines vermutlich besten – und einzigen? - Freundes zu betrauern.
Er trauerte still, ich sah keine einzige Träne.
Plötzlich schlug er die Augen wieder auf und begann sich aufzurichten.
„Nicht, du darfst nicht aufstehen, Madame Pomfrey hat gesagt du sollst nicht aufstehen“, plapperte ich hektisch und versuchte ihn zurück in seine Laken zu drücken.
Doch er gab nicht nach und richtete sich wenigstens so weit auf, bis er halbwegs aufrecht im Bett saĂź.
Ich seufzte.
„Na gut, spiele hier ruhig den Helden“, sagte ich und schlug leicht vor den Verband um seine Brust. Er zuckte zusammen. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Kindisch, ja. Und?
Irgendwie waren 60 Prozent seines Körpers verbunden. Kein Wunder – bei der Menge an Knochenbrüchen.
„Ich möchte einfach sitzen...“, murmelte er sehr leise.
Und dann schwiegen wir. Wir schwiegen fĂĽr eine lange Zeit. Keiner von uns wusste genau, was er sagen wollte, aber wir beide wussten, was gesagt werden musste.
Ich wusste auch, was ich sagen wollte. Aber ich wusste einfach nicht, wie ich das Gespräch starten sollte. Wusste ich eigentlich irgendetwas?
„Sie war meine erste große Liebe“, sagte Severus plötzlich. Er starrte an die Wand gegenüber.
„Als sie gestorben ist, da... ich hab mein Leben geändert“, fuhr er fort.
Ich kam nicht mehr mit. Wovon redete er denn jetzt bitte?
„Hey, stopp, ganz langsam, ja? Für kleine Blondinen. Wovon zum Teufel sprichst du?“, fragte ich.
Severus sah mich an, sah in meine Augen.
„Lily“, sagte er schlicht.
„Oh“, machte ich. „Oh. Na dann. Erzähl weiter.“
Das wollte ich definitiv hören.
„Ich weiß nicht, wie viel du weißt. Dabei wärst du so ziemlich die Einzige, die es verdient hätte alles zu wissen.“
Jetzt sah er auf seine Hände, die er über seinem Bauch gefaltet hatte.
„Lily Evans. Später Lily Potter. Potters Mutter. Sie war... ich kannte sie, seit ich ein kleines Kind war. Ich lebte in ihrer Nähe. Als sie ihren Brief bekam... Wir waren einfach von Anfang an die besten Freunde.“
Er lächelte bei diesem Gedanken. Noch nie hatte ich so ein ehrliches Lächeln bei ihm gesehen, so voller Liebe.
„Wir waren so unzertrennlich, wie Pech und Schwefel. Irgendwann hab ich dann gemerkt, dass ich mehr wollte.“
Sein Gesicht war auf einmal irgendwie schmerzverzerrt, offensichtlich schmerzte ihm diese Erinnerung sehr.
„Und irgendwie rutschte ich immer tiefer in die dunklen Künste herein. Ich war in Slytherin, da war das Thema an der Tagesordnung. Und Lily – sie hat die dunklen Künste gehasst. Vielleicht... vielleicht hätte mehr aus uns werden können. Ich glaube, wenn mich jemals ein Mensch geliebt hat, dann war sie es. Als ich mich den Todessern angeschlossen hatte“ - er warf mir einen kurzen Seitenblick zu, starrte dann wieder auf seine Hände - „war es irgendwie vorbei. Der Dunkle Lord... er versprach mir Lily nichts zu tun. Aber er tötete sie, nur um an ihr Kind zu kommen. Wegen ihm ist sie...“
Er räusperte sich und schloss kurz die Augen.
„Ich drehte dem Dunklen Lord den Rücken zu und schloss mich wieder Dumbledores Seite an. Lily hätte das so gewollt. Ich spionierte für Dumbledore.“
Diese ganze Geschichte waren zwar sehr viele Informationen auf einmal, aber es klang alles sehr logisch. Irgendwie so, wie ich es mir schon gedacht hatte. Er war tatsächlich in Lily verliebt gewesen, sie war sogar der Grund, wieso er die Todesser verlassen hatte.
Und dass Severus fĂĽr Dumbledore spioniert hatte... ja, so machte sogar diese Ginny-Geschichte noch mehr Sinn. NatĂĽrlich hatte Dumbledore gewusst, was Voldemort plante.
„Ähm.“ Ich räusperte mich. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich jetzt offenbar etwas sagen sollte.
Jetzt sah er mich auch wieder an.
„Ich bin sicher, sie wäre stolz auf dich“, sagte ich also.
Etwas schwammige Aussage, aber es schien mir passend.
Severus nickte langsam.
Hey, scheinbar hatte ich wirklich mal was Schlaues gesagt!
Und wir schwiegen wieder.
Irgendwie war das hier mehr eine Art Gruppen-Schweigen als ein Gespräch. Deprimierend, irgendwie.
„Ich mag dich wirklich sehr“, flüsterte ich. Da, jetzt war es raus.
Sollte er mit meinem Ego machen, was er wollte. Es war raus, ich hatte es gesagt. Und ehrlich, darauf habt ihr doch alle gewartet.
Aber er sagte nichts. Er nickte bloĂź.
Ein Nicken? Was sollte bitte ein Nicken bedeuten?
„Ja“, fügte er noch hinzu, um meine Verwirrung komplett zu machen.
Ja? Was, ja?
„Was?“, fragte ich völlig entrüstet.
Severus verdrehte genervt die Augen, als ob ich etwas wirklich Offensichtliches nicht verstanden hätte.
„Bitte nicht“, seufzte er.
„Was bitte nicht?“, fragte ich nun noch ungeduldiger.
Warum musste dieser Kerl so kryptisch sein?
„Zwing mich bitte nicht, es zu sagen.“ Er sah mich vorwurfsvoll an.
„Was zu sagen?“ Ich war kurz davor ihn an zu schreien.
Er murmelte irgendetwas unverständliches.
„Was?“, schrie ich ihn jetzt an.
„Dass ich dich auch mag, verdammt!“, schrie er zurück.
Oh. Okay. Ich musste erst einmal durch atmen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte es gehofft, klar. Irgendwie.
Gut, wirklich romantisch war es jetzt nicht gewesen, so zu schreien. Aber mehr konnte ich von ihm wohl nicht erwarten.
Er war halt Severus Snape. Nicht Jack Hardy.
Ich nickte langsam. Was sollte ich denn jetzt darauf antworten? Mir fiel irgendwie nichts ein...
„Und jetzt?“, fragte ich also.
Ich sah Severus an. Wir sahen uns direkt in die Augen.
Zum ersten Mal war ich mir wirklich sicher, dass er mich darin sah und nicht Lily.
„Ich weiß es nicht“, sagte er.
„Albus hatte Recht, es ist verboten, das darf nicht sein. Nicht offiziell, jedenfalls...“, schloss er langsam.
Moooooment. Überlegte er gerade wirklich...? Er konnte doch nicht wirklich denken, dass wir beide... eine Beziehung?! Geheim?! Also eine Affäre?
„Wovon sprichst du?“, fragte ich.
Wieder sah er mich verständnislos an.
„Von uns beiden“, sagte er, als wäre es das Normalste auf der Welt.
„Das würde nicht funktionieren“, murmelte ich.
„Wieso nicht?“, erwiderte er prompt.
„Ich...“, begann ich, brach aber dann ab. „Wir... sind einfach zu verschieden.“
Severus lachte.
„Julia, wenn zwei Menschen gleich sind, dann ist einer überflüssig“, sagte er grinsend.
„Ich weiß, aber... Das mit uns... Es war schon in der Vergangenheit sehr komisch“, murmelte ich.
Severus schwieg kurz.
„Das Einzige, was komisch war, warst du. Schläfst mit deinem Lehrer“, sagte er.
Versuchte er lustig zu sein?
„Aber du. Schläfst mit deiner Schülerin“, erwiderte ich trocken.
Kurz funkelte ich ihn böse an.
Dann konnten wir beide nicht mehr einhalten: wir lachten.
Lachten, wie alte Freunde, wie ein Liebespaar.
Aber natĂĽrlich konnte das mit uns nichts werden. Nicht so. Ich wusste nicht, was er wirklich wollte.
Er fühlte definitiv sehr stak für mich. Aber dann eine geheime Affäre? War er damit zufrieden?
Wollte er das so, nur Sex im Geheimen? Wollte ich nur Sex? Denn so lange ich noch seine SchĂĽlerin war, konnten wir kein Paar sein. Offiziell jedenfalls nicht. Es wĂĽrde geheim bleiben mĂĽssen.
Und das war mir nicht genug.
Ich wollte Geborgenheit. Ich wollte Ruhe. Ich wollte – nein, ich brauchte verdammt noch mal Liebe.
Deswegen atmete ich noch einmal kurz durch, räusperte mich und sagte:
„Um ein Paar zu sein, müssen beide in die selbe Richtung gehen. Wenn sie das nicht können, oder nicht wollen – oder nicht dürfen - dann gibt es für sie keinen Weg.“
Er sah mir in die Augen. Dann nickte er langsam.
Mir stiegen die Tränen in die Augen.
„Severus, sie sind wach!“, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich schreckte auf und wischte mir schnell die Tränen aus den Augen.
Madame Pomfrey kam auf und beide zugeeilt.
„Weg da, O’Brien“, sagte sie und scheuchte mich von meinem Platz neben Severus weg.
„Sie können gehen, sie sind ja schließlich gesund. Außerdem steht ihre komische Freundin mal wieder vor dem Krankenflügel und will sie trotz Ende der Besuchszeit sehen. Wie geht’s ihnen denn, Severus, wie fühlen sie sich...?“
Ich erhob mich und ging zur TĂĽr.
Draußen stand tatsächlich Niamh.
„Hey Süße“, sagte ich bemüht fröhlich. Sie sollte sich nicht auch noch Gedanken machen.
„Du darfst gehen?“, fragte Ni enthusiastisch. Ich nickte.
„Das ist ja super! Oh, komm, ich muss dir so viel erzählen, du wirst es nicht glauben – dieser Josh aus deinem Quidditchteam hat mich doch tatsächlich nach dir gefragt!“
Es war so leicht mit Niamh befreundet zu sein. Sie redete, wenn man selbst nicht reden wollte.
Und so gingen wir in den Gemeinschaftsraum, zurĂĽck nach Hause.
TBC
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