von S_ACD
Keine Ego-Perspektive diesmal und außerdem gefühlsmäßig total überladen.
Ich bin definitiv aus der Ăśbung.
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Fred starrte auf den Pergamentfetzen in seiner Hand und fragte sich, wann im Verlauf der letzten paar Sekunden sein allgemeines Körpergefühl von menschlich-warm zu eiskalt gewechselt hatte.
Die Tinte war verschmiert und die Schrift schief und noch krakeliger als sonst – aber diesmal hatte das wohl andere Ursachen als bloße Hektik und die altbekannte Absicht des Schreibers, so schnell wie möglich von Feder und Pergament loszukommen, um sich irgendetwas Amüsanterem zuzuwenden.
Fred, keine Panik.
Bin momentan nicht da, weil ich ins St. Mungo’s musste, um mir meinen rechten Zeigefinger flicken zu lassen (deswegen auch die ganzen Blutstropfen).
Trotzdem keine Panik. Mir geht’s gut. (Bis auf den Finger.)
Wäre ganz nett, wenn du nachkommen würdest.
George
PS: Hände weg vom Schuhschrank – bissig! Ernsthaft. Nicht anfassen!!!
Keine Panik. Stand doch da, gleich zu Anfang. GroĂź und breit.
Also bitte. Keine Panik.
Leichter gesagt als getan, fand er. Vor allem, wenn da „Blutstropfen“ stand – okay, er hatte gut fünf Minuten gebraucht, um das Geschmiere entziffern zu können, aber da stand ganz eindeutig Blutstropfen – und das als „Tropfen“ bezeichnet rote Zeug das Pergament dermaßen flächendeckend verschmierte, dass die ursprüngliche Farbe kaum mehr zu sehen war.
Rotrotrotrot… vermischt mit tintenschwarz.
Es war nur ein Zeigefinger. Der war für eine Hand nicht mal halb so wichtig wie der Daumen... und warum machte er sich eigentlich bereits Gedanken darüber, was er sagen würde, wenn George seinen Finger tatsächlich verloren hätte?
Das wären mit dem Ohr dann überhaupt schon zwei Extremitäten…
Seine Hand ballte sich um das PergamentstĂĽck ohne dass er es richtig mitbekam.
Mir geht’s gut…
Klar ging’s ihm gut. Das hier war sein Zwillingsbruder.
Den brachte so schnell nichts um.
Der hatte schon ganz andere Sachen ĂĽberlebt.
(Und überhaupt – ein Schuhschrank?! Wie erbärmlich war das denn?)
Der verlor nicht einfach mal so nebenbei einen Zeigefinger! Wäre ja noch schöner.
Und überhaupt, wenn’s ihm noch gut genug gegangen war, um diesen Mist hier hinzukritzeln, bevor er sich ärztlich versorgen ließ, dann konnte es ja wohl nicht so schlimm gewesen sein.
Andererseits… St. Mungo’s?
Das war ungut. Das wuselige Gefühl in seinem Magen verstärkte sich.
Und was, wenn George dann genau deswegen seinen Finger los war?
Weil er ihm unbedingt noch eine blöde Nachricht hatte schreiben müssen? Nur, damit Fred nicht irgendeine großangelegte Vermisstenaktion startete, weil er zurückgekommen und sein Zwillingsbruder wie vom Erdboden verschluckt gewesen war?
(Nicht, dass er das nicht getan hätte – ernsthaft, so ein paar Flyer, ein bisschen Herumgebrülle mit Megafonstimme, ein paar Leute, die durch die Gassen Londons rannten… was war schon dabei? Besser zu viel Aufwand als zu wenig, und es war ja auch nicht so, dass George in diesem Fall nicht absolut dasselbe getan hätte.)
Keine Panik.
Ganz genau. Was stand da noch?
Flicken.
Flicken war kein gutes Wort. Flicken, das ließ Bilder von blutigen Fetzen und unförmigen roten Klumpen vor seinem inneren Auge aufsteigen. Flicken…
Definitiv kein gutes Wort. Musste George immer so dramatisch sein? Diese Wortwahl war einfach theatralisch und… ach, keine Ahnung.
Er realisierte, dass er schon seit geraumer Zeit bloĂź dastand und den KĂĽchentisch angaffte.
Wäre ganz nett, wenn du nachkommen würdest…
ScheiĂźe. Wie lange war es her, dass George das geschrieben hatte?
Und wie lange war es her, seit er zur WohnungstĂĽr hereingekommen war und den Pergamentfetzen gesehen hatte?
ScheiĂźe, scheiĂźe.
Er pfefferte das zerknĂĽllte StĂĽck Pergament auf die Tischplatte und apparierte aus dem Stand.
~-~-~-~
„Wie lange?“
„Einen Tag oder so was… keine Ahnung.“
„Keine Ahnung?“
„Jahh, hab ihr nicht richtig zugehört“, George grinste und zog vielsagend die Augenbrauen hoch, „Wenn du verstehst, was ich meine…“
Fred verdrehte die Augen, aber diesmal nicht, weil es von ihm erwartet wurde, sondern weil er es wirklich ernst meinte.
Vollbusige Heilerinnen gehörten verboten, fand er.
Zumindest dann, wenn sie seinen Zwillingsbruder davon abhielten, den Anweisungen für die Heilung eines geflickten Zeigefingers zuzuhören.
George jedenfalls kannte den Unterschied zwischen bloßem Augenrollen und genervtem Augen-gen-Himmel-Verdrehen. Wenigstens war sich Fred verdammt sicher, dass er ihn kannte. Das ungewohnte Schweigen, das die nächsten paar Minuten herrschte, machte ihm deutlich, dass er sich nicht geirrt hatte.
Toll. Hatten sie jetzt etwa Krach?
Eigentlich völlig unmöglich.
So was wie richtigen Streit gab es nicht. Zumindest nicht im offiziellen Gred&Fordge-Vokabular. Nicht existent, so war das nämlich.
Außerdem war er nicht mal sauer und das wäre doch eigentlich eine der Grundvoraussetzungen für eine echte Diskussion gewesen.
Zum GlĂĽck war er nicht sauer.
George kippelte mit seinem Sessel – die Stuhlbeine schrammten über den alten Küchenfußboden – und musterte ihn mit schiefgelegtem Kopf.
„Sauer?“
Er war nicht sauer.
„Ich bin nicht sauer.“
Was hätte er auch für einen Grund gehabt, sauer zu sein?
Alles in Ordnung. Kein Problem.
George nickte langsam. „Okay.“
„Okay.“
„Es ist nur… du wirkst sauer.“
„Blödsinn.“
„Fred…“
Er gab auf. Es war auch verdammt schwierig, etwas fĂĽr sich zu behalten, wenn der eigene GegenĂĽber Gedanken lesen konnte.
„Ich bin nicht sauer“, er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und versuchte, nicht allzu frustriert zu wirken, „Es ist nur…“
George ließ seinen Stuhl nachdrücklich nach vorne kippen und verschränkte die Arme auf der Tischplatte. Der aufmerksame Gesichtsausdruck hatte nichts, aber auch wirklich gar nichts hintergründig Schalkhaftes an sich und das ging Fred mehr auf die Nerven, als er gedacht hatte. Das, und die Sorgfältigkeit, mit der George es vermied, die paar dick verbundenen Finger der rechten Hand mit dem Holz der Tischplatte in Berührung kommen zu lassen.
Er ließ die Arme wieder sinken und hoffte, dass sich das, was er gleich sagen würde, nicht allzu erwachsen und besorgt anhören würde. Schließlich war das hier immer noch George - der einzige Mensch auf dieser Welt, den er jemals als ebenbürtig akzeptieren würde – und nicht Ginny, Ron oder irgendjemand anderes, dem er von oben herab kommen konnte.
„Man kann dich echt keine zehn Minuten alleine lassen!“
Sekundenlang herrschte Schweigen.
Dann breitet sich auf Georges Gesicht ein kriminell breites Grinsen aus und der Stein, der Fred vom Herzen fiel, war mit Sicherheit groĂź genug, um den gesamten Verbotenen Wald unter sich zu begraben (und vielleicht auch noch Hagrids HĂĽtte mitzunehmen).
„Was kann ich denn dafür, dass der Großteil unserer Möbelstücke absolut aggressiv und bösartig ist?“
Fred verdrehte theatralisch die Augen.
„Beschwerden, nichts als Beschwerden!“
Sie grinsten sich über den Tisch hinweg an. „Aber ehrlich, George“, murmelte Fred schließlich, „Ein Schuhschrank?“
„Ich weiß, ich weiß“, George verzog das Gesicht, „Saumäßig peinlich.“
„Echt jetzt mal. Wenn du wirklich ’nen Finger verloren hättest, hätten wir uns eine verdammt gute Geschichte einfallen lassen müssen.“
„Ohh… sorry, um das Vergnügen wollte ich dich natürlich nicht bringen.“
Fred grinste, erhob sich dann ruckartig und spĂĽrte den Blick seines Zwillingsbruders den ganzen Weg hin bis zur TĂĽr im RĂĽcken.
„Wo willst du hin?“
Er drehte sich um und schwenkte herausfordernd den Zauberstab.
„Das blöde Ding entsorgen, was denn sonst?“
George machte schon Anstalten aufzustehen, aber von der Tür her wurde ungeduldig abgewinkt. „Vergiss es. Du bleibst selbstverständlich hier.“
Selbst in seinen eigenen Ohren klang das verkehrt, fand Fred. Das selbstverständlich befand sich an der komplett falschen Stelle.
Wenn er ging, dann kam George mit und wenn George blieb, dann blieb er auch.
Selbstverständlich. So war das nämlich.
Aber nicht heute und nicht jetzt. Ausnahmen mussten sein.
Die bestätigten ja bekanntlich die Regel. Also.
Und wenn George es schon vollkommen heil und gesund geschafft hatte, sich von diesem bescheuerten Holzding in ihrem winzigen Jungessellen-Hausflur beinahe die gesamte rechte Hand abkauen zu lassen, dann war es ganz bestimmt nicht schlau, wenn er sich in angeschlagenem Zustand mit dem blöden Teil herumplagen musste.
Und genau das wĂĽrde er auch nicht tun.
Zumindest nicht, solange Fred hier noch irgendwas zu melden hatte.
George starrte ihn inzwischen mit einer Mischung aus Besorgnis und Belustigung an und Fred war sich nicht ganz sicher, ob er das gut fand oder nicht.
„Ich…“, wiederholte George langsam und Fred wusste ausnahmsweise nicht, ob seine Stimme ungläubig oder amüsiert klang, „…bleibe selbstverständlich hier?“
„Selbstverständlich.“
„Ah.“
„Okay“, machte Fred nach ein paar Augenblicken unsicher und öffnete zum Ausgleich schwungvoll die Küchentür, „Also dann. Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, kannst du ja meinetwegen die Auroren rufen.“
George lehnte sich grinsend zurück und schob selbstgefällig den linken Arm hinter den Kopf. „Geht klar.“
Die Küchentür war kaum ins Schloss gefallen, als…
„Du machst dir aber jetzt keine Sorgen um mich, oder?“
Fred hielt inne, die Hand noch auf der TĂĽrklinke und grinste im Dunkeln vor sich hin.
„Nein“, rief er dann, „Wie kommst du auf derart abwegige Gedanken?“
„Bloß ’ne Vermutung.“
„Ah.“
Sorgen? Er doch nicht.
Niemals. Schon gar nicht um George. Und überhaupt, wo kämen sie denn dahin, wenn sie wegen jedem Kratzer, der einem von ihnen passierte, gleich sentimental wurden?
So funktionierte das nicht.
So funktionierten sie nicht.
Und als er fünfzehn Minuten später (nach wahrhaft heldenhaftem Kampf) triumphierend verkünden konnte „Bruderherz, wir haben die längste Zeit einen Schuhschrank gehabt!“, war er dennoch froh darüber, dass die Küchentür zwischendurch kein einziges Mal aufgegangen war.
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