von Federflügel
23. November 1979
Mein lieber James,
heute bin ich in einer etwas melancholischen Stimmung. Ich sehe mir ebenfalls die Bilder an, von dir und uns. Es ist, als wäre es gestern gewesen, dass wir in Hogwarts waren und unsere Schuluniformen trugen. Aber mir scheint es trotzdem so, als wäre ich schon uralt geworden und würde auf eine längst vergangene Zeit zurück schauen. Oder als würden wir auf das Leben von anderen blicken, glücklicheren und fröhlicheren Menschen. Manchmal wünsche ich mir, dass ich all das noch einmal erleben kann. Die Aufregung vor der Auswahl durch den sprechenden Hut, erneut dieses wundervolle Schloss erkunden und vor allem noch einmal mit dir zusammen kommen. Das war die schönste Zeit meines Lebens. Und wenn ich ehrlich bin ist sie es noch. Wir sind immer noch zusammen und wir haben es sogar in dieser Hinsicht noch besser als vorher, denn wir sind verheiratet und bekommen ein Kind. Aber wir haben nicht mehr diese Sicherheit im Rücken, die wir Hogwarts hatten. Dort konnte und scheinbar nichts passieren. Wir mussten uns um nichts Sorgen machen. Versteh mich nicht falsch, es ist nicht so, dass ich mit meinem Schicksal hadere, aber manchmal scheinen mich diese ganzen Sorgen zu ersticken. Die Basis meiner Sorgen bildet natürlich der Krieg. Ich denke, ich brauche das nicht zu erklären, denn du fühlst bestimmt genauso wie ich. Aber dann kommen die ganzen Alltagssorgen. Jeden Tag gibt es neue. Was für Eltern werden wir sein? Ist mit unserem Kind alles in Ordnung? Wird unser Geld für ein angenehmes Leben reichen? Und es gibt noch so viel mehr. Mal geht der Herd kaputt, dann wieder ist ein Abfluss verstopft. Diese Kleinigkeiten können einen zermürben. Ich weiß, dass ich all dem scheinbar mit unerschütterlichem Gleichmut gegenüberstehe, aber tief in mir bin ich oft kurz davor mich im Bett zu verkriechen und zu warten, bis alles vorbei ist. Und dann denke ich an dich. Du bist meine Kraftquelle um solche Dinge anzupacken, auch wenn es mühsam ist. Aber warum wussten wir Hogwarts nicht so richtig zu schätzen, als wir dort waren? Wir haben uns immer über die strengen Regeln beschwert und die ganzen Hausaufgaben und die schwierigen Prüfungen. Es war aber ein Ort, an dem ich nicht selbst kochen musste, die Badezimmer wurden von den Hauselfen in Stand gehalten und es gab immer jemanden, den man um Rat fragen konnte, z.B. einen älteren Schüler, die Lehrer oder sogar Professor Dumbledore persönlich. Aber wenn ich das einem jetzigen Schüler versuchte zu erklären, er würde mich nicht verstehen. Man weiß es wahrscheinlich erst dann zu schätzen, wenn man das alles nicht mehr hat.
Aber genug geklagt, ich habe dich, du hast mich und wir haben dieses winzige Lebewesen in meinem Bauch. Das ist alles, was mein Leben lebenswert macht. Alles andere ist nur schmückendes Beiwerk. Ich würde dich in einer heruntergekommenen Doppelhaushälfte nicht weniger lieben als hier.
Ich halte sehr viel von deinem Vorschlag. Ich würde sehr gern mal wieder mit allen Freunden zusammen sitzen und nur über schöne Themen plaudern. (Ist eigentlich was Schönes: Plaudern. Zur Zeit hat man viel zu wenig Muße zum Plaudern.) Deinen Kollegen Edmund könntest du auch mal einladen. Ich würde ihn gerne kennen lernen, er scheint ein sehr netter Mann zu sein, wenn du dich gut mit ihm verstehst. Außerdem tut er mir ein bisschen Leid, aber das sagst du ihm besser nicht. Das möchte er bestimmt nicht hören. Und wir sollten damit nicht zu lange warten, in ein paar Monaten bin ich zu dick und schwerfällig um lange in der Küche zu stehen.
Ich betrachte ein Bild von unserer Hochzeit. Es ist so lustig. Sirius will gerade seine Rede halten, ist aber schon leicht angeschickert und er greift statt zu seinem Weinglas voll in die Torte und bespritzt damit deine Mutter. Und wir beide finden es einfach nur zum Brüllen komisch und lachen uns platt darüber. Ich weiß aber noch ganz genau wie Sirius versucht hat, sich zu entschuldigen und deine Mutter ihn erst einmal eine Viertelstunde ausgeschimpft hat. Da hat sie mich lebhaft an Mrs. Longbottom erinnert. (Natürlich kann ich mich noch an den Vorfall in der fünften Klasse erinnern. Als sie beim Hinausgehen an mir vorbei kam hat sie mich wegen meinem kurzen Rock gerügt.)
Ach, jetzt bin ich wieder fröhlich. An unserem Hochzeitstag konnte uns keiner was anhaben. Es war, als wären wir durch eine Blase vor allem Negativen geschützt. Mit dieser Erinnerung im Herzen könnte ich eine ganze Armee Dementoren verjagen. Dieser Tag hat nur uns gehört, niemand sonst war wirklich wichtig.
So fühle ich mich seither oft. Es gibt viele Tage, an denen wir z.B. gemeinsam aufwachen und kostbare Minuten für uns haben. Oder wenn wir abends zusammen sitzen und sicher sein können, dass keiner mehr stört. Dann merke ich, dass wir eins sind. Du und ich gehören einfach zusammen.
Also pass auf dich auf, damit ich weiterhin ganz bleibe.
Tausend Küsse,
deine Lily.
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