von Federflügel
24. November 1979
Süße Lily,
diese ganzen Sorgen möchte ich von dir fernhalten. Ich hätte so gerne nur das Beste für dich. Dein Brief klang so traurig, ich wollte sofort zu dir und dich in meine Arme nehmen. Ich kann mir vorstellen, wie du am Küchentisch sitzt, den Kopf auf eine Hand gestützt und einen tiefen Seufzer loslässt. Ich möchte über deine Haare streichen und alle Sorgen von dir nehmen. Ich vermisse die Wärme deines Körpers neben mir und diesen Duft, den deine Haare verströmen. Ich weiß noch genau, wie ich diesen Duft zum ersten Mal gerochen habe. Nach unserer ersten gemeinsamen Nacht, gleich als wir zusammen gezogen sind. Und ich war so glücklich, dass ich diesen Duft nun für immer riechen darf. Hab ich dir schon mal den Geruch meines Amortentia verraten? Er riecht für mich nach einem klaren Frühlingsmorgen auf einer grünen Wiese, nach frischen Vanilletörtchen und zuletzt nach dir. Das ist mir erst an diesem Morgen bewusst geworden. Ich hab mich immer gefragt, was das für ein Geruch ist, aber erst dann hab ich ihn bestimmen können. Das heißt, dass du meine einzig wahre Liebe bist. Das wusste ich zwar schon immer, aber das ist sozusagen der materielle Beweis. Niemand sonst könnte so riechen wie du. Verstehst du, wie ich das meine? Bestimmt, du verstehst mich ja immer wortlos.
Unsere Ermittlungen gehen wirklich gut voran. Du ahnst gar nicht, wie viel Nachbarn mitbekommen. Man kann sich ja nicht mehr sicher fühlen. Wo ist denn die Gleichgültigkeit unserer Zeit? Ich bekomme davon jedenfalls nichts mit. Die Leute hier sind neugieriger als ein Sack voll Mücken. Da ist zum Beispiel eine alte Muggel, die ist die direkte Nachbarin eines Todessers (der wird wahrscheinlich nicht viel von dieser Nachbarschaft halten), die bekommt alles mit: wann er ausgeht, wann er nach Hause kommt, ob ihn jemand begleitet. Wenn sie in der Küche steht, hört sie ihn sogar reden. Sie hat uns jedenfalls sehr geholfen. Aber wenn das unsere Nachbarin wäre, na dann danke. Sie verbringt den ganzen lieben langen Tag und offenbar auch noch die ganze Nacht damit, ihre Nachbarn auszuspionieren. Dass dieser Todesser das noch nicht mitbekommen hat, ist ein Wunder. Sie wäre bestimmt schon tot, wenn er sie auch nur einmal beim Spionieren erwischt hätte. Oder, falls ein Mord zu auffällig wäre, dann hätte sie wenigstens ein gelöschtes Gedächtnis. Hat sie auf jeden Fall, seit wir mit ihr gesprochen haben. Wir können es uns nicht erlauben, auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Und diese Frau hat keine Skrupel, über fremde Leute zu reden. Kaum hatte sie bemerkt, dass wir ihr interessiert zuhören, hat sie auch schon losgelegt. Wir haben über jeden Bewohner des Hauses eine Geschichte gehört, ich weiß jetzt sogar, dass der Mann aus dem dritten Stock nur schwarze Socken trägt (höchst mysteriös, findet die Dame) und mindestens drei Kannen Kaffee am Tag trinkt. Er hat immer einen Kaffeebecher in der Hand, wenn er die Treppe herunter kommt oder hinaufgeht. Und das Gurgeln der Kaffeemaschine ist fast pausenlos zu hören.
Ich frage mich, wie er das aushält. Wenn ich nach 16.00 noch einen Kaffee trinke, dann kann ich bis Nachts um 1 Uhr nicht einschlafen. Aber das weißt du ja. Darum trinke ich viel lieber mit dir eine heiße Schokolade (ist sowieso viel aufregender, denn es heißt, das ist ein Aphrodisiakum). Ich sitze so gerne mit dir auf der Terrasse und sehe dir zu, wie du dein Kakao-Ritual zelebrierst. Du wärmst dir immer erst an der heißen Tasse die Finger. Dann rührst du kräftig um und probierst, ob er süß genug ist. Wenn nicht, wird genauestens Prise für Prise abgeschmeckt. Dann kommen die Kekse. Kleine runde Kekse, die dann in deiner Tasse schwimmen dürfen. Dann, sobald sie Schlagseite bekommen wie eine abgesoffene Galeere, fischst du sie mit deinem Löffel heraus, grinst einmal erwartungsvoll und verschlingst ihn dann genüsslich. Dann trinkst du einen Schluck und weiter geht es mit dem nächsten Keks. Es ist wirklich amüsant, dir dabei zuzusehen. Und das Beste ist, wenn dich jemand stört, wenn jemand an der Tür ist, wenn das Telefon klingelt oder irgendwer im Kamin hockt. Nichts stelle sich zwischen meine Frau und ihren Kakao!
Jetzt habe ich gleich Lust bekommen auf einen, ich denke, ich probiere mal das Instant-Zeug, das in unserer improvisierten Küche herumliegt. Aber es wird mich nur daran erinnern, dass du nicht da bist. Vielleicht doch lieber Tee. Ich überleg´s mir noch.
Ich liebe dich,
dein Keks.
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Patronus-Nachricht um 21.00 Uhr:
Todesser kennen das Hauptquartier! Sofort evakuieren und flüchten. Hinweise vernichten!
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