von Probator
Es wäre ja immerhin möglich, dachte Rafaela, dass Tiere den Bannkreis durchbrechen konnten. Vielleicht würde es ihr gelingen, Animaga zu werden. Sicher war es nicht einfach, doch sie hatte keinen Grund, sich schlechter einzuschätzen als James oder Sirius. Sie schaute lange in den Bücherregalen nach, bis sie zwei Bücher über Animagie fand. Außerdem entdeckte sie einen Hinweis darauf, dass es ein drittes Buch in der verbotenen Abteilung gab. Ihr erster Gedanke war, unsichtbar an Madam Pince vorbeizuschleichen, doch die Bibliothekarin hätte sicher bemerkt, dass jemand versuchte, in die verbotene Abteilung zu kommen. Rafaela musste es daher entweder aufschieben oder versuchen, von einem Lehrer – vielleicht ließ Slughorn sich ja breitschlagen – die Erlaubnis zu bekommen. Vielleicht genügten ja auch die beiden Bücher, die sie offiziell lesen durfte.
Sie las, dass es nicht einfach war und dass man sich stark konzentrieren und sich ĂĽber das Tier, in das man sich verwandeln wollte, im Klaren sein musste. Sich mit ganzer Kraft auf einen schwierigen Zauber zu konzentrieren, hatte sie von ihrer Mutter besser gelernt als es selbst die GroĂźmutter verlangte. Schwieriger tat sie sich damit, sich zu ĂĽberlegen, welches Tier zu ihr passte. Die zahlreichen Bilder von fehlgegangenen Verwandlungen in einem der BĂĽcher erschreckten sie.
Sie erzählte Regin nichts von ihrer Absicht, Animaga zu werden. Der merkte jedoch,. dass sie etwas vorhatte und „erwischte“ sie in der Bibliothek beim Lesen eines Buches über Animagie. „Ziemlich komplizierte Sache, die du dir da aufhalsen willst“, kommentierte er. „Mein Bruder hat es einmal versucht, aber aufgegeben. Es heißt, man kann ziemlich böse entstellt sein, wenn die Verwandlung danebengeht. Das wäre doch schade um dich!“
„Deshalb will ich mich ja genauer informieren, bevor ich es tue“, antwortete sie.
„Was hast du überhaupt vor? Jemanden ausspionieren?“
„Vielleicht“, antwortete sie mit einem vielsagenden Grinsen. „Wer weiß, ob meine Schwester es merkt.“
Uriella machte sich in den nächsten Tagen in einer anderen Hinsicht bemerkbar. Als Rafaela von der Bibliothek in den Gryffindorturm zurückging, wartete sie auf die Schwester und fauchte sie sofort an: „Was erzählst du über mich?“
„Ich? Nichts.“
„Ach ja, du hast nichts davon erzählt, dass ich mit einem Todesser zusammen sein soll? Weder Opa noch deinem Macker?“
„Dass er Todesser ist, habe ich nicht behauptet. Das war Opas Vermutung.“
„Hör zu, Schwesterherz: Ich. Habe. Mit. Den. Todessern. Nichts. Zu. Tun!!!! Im Übrigen geht dich nichts an, mit wem ich zusammen bin. Ich misch mich auch nicht in deine Liebesgeschichten ein. Oder habe ich was gesagt, als du in den Ferien mit Prewetts Sohn rumgeknutscht hast? Oder gegen den Typen, mit dem du im Moment spielst?“
„Uri, von mir aus kannst du zusammen sein, mit wem du willst. Der Typ ist mir auf Fabians Beerdigung aufgefallen. Ob du wirklich mit ihm zusammen warst, wusste ich nicht.“
„Okay, ich bin mit ihm zusammen. Und? Ich habe mich schon einmal aus dem Gelände weggeschlichen. Verpetzt du mich jetzt?“
„Warum sollte ich? Solange du dich nicht an die Todesser hängst, kannst du mit sämtlichen Männern in England rummachen.“
„Du bist eine miese Ratte! Du bist erwischt worden und hast mich angeschwärzt! Mach das noch einmal und ich werde richtig böse!“ Sie hob die Hand, doch Rafaela beschwor rechtzeitig einen Schutzschild. Bevor das Duell richtig beginnen konnte, kam Professor Prewett auf den Gang, sodass Uriella sich verzog.
Rafaelas Verdacht gegen ihre Schwester wuchs durch dieses Erlebnis. Außerdem nahm sie sich vor, Regin Okklumantik beizubringen. Es war zu gefährlich, dass jemand ihren Freund ohne weiteres aushorchen konnte.
Rafaela ĂĽberwand schlieĂźlich ihren Stolz und fragte Sirius nach seinen Erfahrungen als Animagus.
„Du willst wohl auch? Na ja, hätte ich mir denken können“, antwortete der mit einem Grinsen. „Hast festgestellt, dass es noch etwas gibt, was du noch nicht kannst. Aber ich geh jede Wette ein, du wirst es auch noch schaffen.“
„Mal sehen. Sag mal, Sirius: Stimmt es, dass man nachher als Halbmensch herumläuft, wenn die Verwandlung danebengeht?“
„Hab ich auch mal gelesen. Denke ich aber nicht. Wir haben uns alle drei, also James, Peter und ich, zunächst in recht seltsame Wesen verwandelt, aber rückverwandeln war nie ein Problem. Ich kann dir nen Tipp geben, wie es bei mir geklappt hat: Denk beim ersten Mal an kein bestimmtes Tier, dann wirst du erst eine Chimäre, also ein Mischwesen. Danach verwandle dich in das Tier, dem die Chimäre am Ähnlichsten sieht. Aber bevor du unter Leute gehst, lass dich von jemand, dem du vertraust, ansehen, ob der Zauber auch gelungen ist! Peter hat als Ratte der Schwanz gefehlt und James ist das Geweih abgefallen beim ersten Mal.“
Rafaela unterließ es, zu fragen oder in seinen Gedanken zu lesen, ob auch ihm ein Missgeschick passiert war. Es könnte immerhin sein, dass sie noch einen Tipp bräuchte; da wollte sie ihn nicht verärgern.
Regin erklärte sich bereit, den Kontrolleur zu machen, wenn sie ihn beim Üben für die Apparierprüfung und beim Beschwören eines Patronus unterstützte. Rafaela hatte zwar schon einmal mit ihrer Mutter und ihrer Schwester geübt, Patroni zu beschwören, war sich aber alles andere als sicher, ob es ihr auch im Ernstfall gelänge.
Als sie mit Regin übte, sah sie allerdings, dass der sich noch schwerer tat. „Was war dein schönstes Erlebnis in letzter Zeit?“, fragte sie ihn. „Denk fest daran!“ Regin biss sich auf die Lippe und Rafaela widerstand der Versuchung, in seine Gedanken einzudringen.
Expecto Patronum!
Bei diesem Versuch kam etwas aus seinem Zauberstab, das schon deutlich die Konturen eines geflĂĽgelten Pferdes hatte.
„Süßes Pferd!“, kommentierte Rafaela. „Fast so süß wie du!“ Sie küsste ihn.
Er unterbrach seine Übung, um sie innig zu umarmen. „Ich liebe dich, Rafa!“, hauchte er.
Während sie sich umarmten, erkannte Rafaela unwillkürlich, dass eben sie der Gedanke war, der ihm die Kraft gegeben hatte, einen Patronus herbeizubeschwören.
Schließlich löste sie sich von ihm. „Noch einmal!“ forderte sie ihn auf. Diesmal gelang der Patronus. Ein geflügeltes Pferd flog über die Wiese in Richtung Wald.
Sie küssten sich nochmals, ehe Rafaela ihr Glück versuchte. Auch ohne dass ein Dementor in der Nähe war, nagte der Tod ihrer Eltern und auch Fabians Tod an ihrer Seele. Sie bemühte sich, an nichts anderes als an Regins Liebe zu ihr zu denken und auch ihre eigenen Bedenken wegen dieser Beziehung zu verdrängen. Dennoch brauchte sie drei Versuche, bis ihr ein Patronus, der die Gestalt eines Falken hatte, gelang. Regin gratulierte ihr ebenso wie sie ihm.
Rafaela mied ihre Schwester in den nächsten Wochen, so gut es ging. Sie träumte auch nicht mehr von Uriella und es schien, als ob diese ebenfalls nicht mehr in der Lage sei, den Schutzzauber rings um Hogwarts zu brechen.
Dagegen erschien der junge Mann, der Rafaela an Fabians Beerdigung verfolgt hatte, zweimal im Tagespropheten: Als Verdächtiger wegen Mordes, beim ersten Mal während einer Geburtstagsfeier bei Muggeln, beim zweiten Mal stand er im Verdacht, an der Ermordung von Chrysothemis Moody, der Frau des Aurors, der beim Angriff auf Hogwarts schwer verletzt worden war, beteiligt gewesen zu sein. Während ein Kommentator den Auroren stümperhafte Arbeit vorwarf, war ein anderer der Meinung, der Unbekannte müsse über Zauberkräfte verfügen, die über das Normale hinausgingen. Unter den Schülern wurden beide Theorien heiß diskutiert. Dumbledore erklärte sowohl offiziell gegenüber allen Schülern als auch in einem privaten Gespräch mit Rafaela, er werde sich dazu nicht äußern. Er warnte seine Enkelinnen eindringlich vor eigenen Erkundungsreisen. Rafaela widersetzte sich Ende Februar und musste feststellen, dass sie, egal ob in der Luft oder am Boden, immer wieder an der Grenze der Ländereien zurückgeworfen wurde. Einmal konnte sie sich gerade noch im letzten Moment unsichtbar machen, bevor Professor Flitwick sie erwischt hätte.
Nachdem Rafaela und Regin allmählich den Patronuszauber sicher beherrschten, wollten sie bei ihrem nächsten Hogwarts-Wochenende Anfang März das Apparieren üben. Rafaela hatte Bedenken, dass der Körper sich spalten könnte, doch diesmal war es ausgerechnet das Bild der Mutter, das sie beruhigte: „Wenn du einmal gelernt hast, dich zu konzentrieren und an nichts als dein Ziel denkst, ist Apparieren ein verhältnismäßig einfacher Zauber – einfacher als eine Reihe von Zaubern, die du schon beherrschst“, sagte sie, als Rafaela eines Abends mit ihr sprach.
Tatsächlich gelangen Rafaela die kurzen Strecken, sie am Rand apparieren konnten, ohne aufzufallen, sehr schnell. Als Regin sich schwer tat, forderte sie ihn zur Konzentration auf.
„Ich muss dir etwas gestehen“, sagte sie. „Ich bin Legilementikerin. Ich muss mir momentan richtig Mühe geben, deine Gedanken nicht zu genau zu lesen. Eins habe ich aber gemerkt: In deinem Kopf ist ein Chaos.“
Regin erschrak. „Du...“
Sie hob die Hand zum Schwur: „Ehrensache, dass ich es nicht ausgerechnet gegen dich ausnütze. Aber ich kann es ausnützen, um dir zu helfen. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich jetzt kontrollieren, ob es dir gelingt, dich zu konzentrieren. Sag dir leise vor, wohin du apparieren willst. Denk an nichts anderes! Ich werde meinen Daumen heben, wenn ich glaube, dass du soweit bist.“
Regin nickte und begann zu flüstern. „Du denkst, du schaffst es nicht“, tadelte Rafaela sanft. „Du willst hinter diese Eiche und du wirst es auch schaffen!“
Fast zehn Minuten schwitzte Regin, doch Rafaela blieb unbarmherzig, als er sie bat, eine Pause zu machen. „Es wird von Mal zu Mal besser“, sagte sie. „Nur noch einmal, mir zuliebe!“
Aus dem einen Mal wurden drei Mal, doch dann hob Rafaela ihren Daumen. Regin war zunächst verwirrt, sodass sie ihn fast anschrie: „Na los! Hinter die Eiche!“
Als er tatsächlich unverletzt hinter der Eiche auftauchte, jubelte er und rannte mit erhobenen Armen auf sie zu. „Ich hab es geschafft!“
Sie ĂĽbten noch einige Male und schlieĂźlich gelang es ihm, ohne dass sie ihn beobachten musste.
„Du bist nicht nur das bestaussehende Mädchen in Hogwarts, von dir lernt man auch mehr als von allen Lehrern zusammen“, lobte er sie.
„Na, das wahrscheinlich nicht. Aber eines muss ich dir jedenfalls noch beibringen: Okklumantik.“
„Okklumantik? Damit du nicht so leicht meine Gedanken siehst?“
Sie nickte. „Es geht nicht nur um uns, Schatz! Ich bin nicht die einzige Legilementikerin auf der Welt, nicht einmal die einzige in Hogwarts.“
Nun staunte Regin wieder. „Wer noch?“
„Dumbledore und einige Lehrer. Außerdem mindestens meine Schwester und ihr Ex-Freund Severus Snape. Und die könnten durchaus auch Dinge versuchen, herauszubekommen, die verdammt gefährlich sind. Das möchte ich verhindern – dir zuliebe und auch aus Egoismus.“
„Wie funktioniert Okklumantik?“, fragte Regin neugierig. „Ist es schwer?“
„Es ist so schwer oder so leicht, wie es dir im allgemeinen fällt, deine Gedanken zu ordnen“, zitierte sie, was ihre Mutter vor drei Jahren auf eine entsprechende Frage von ihr selbst geantwortet hatte. „Wenn du merkst, dass jemand in deine Gedanken eindringen will, musst du es schaffen, bestimmte Gedanken zu verdrängen.“
„Und woran merke ich das?“
„Zum Beispiel, wenn jemand ‚Legilemens!’ schreit und mit dem Zauberstab auf deinen Kopf zeigt. Das ist das Einfachste und damit fangen wir auch an.“
„So viel weiß ich auch. Aber wenn jemand den Zauber stumm beherrscht?“
„Dann merkst du es daran, dass jemand dich scharf ansieht und du plötzlich das Gefühl hast, dass Erinnerungen in deinem Kopf herumschwirren, ohne, dass du bewusst daran denkst. Es ist nicht so schwer, das zu spüren, aber erst den Anfang!“
„Stimmt es, dass es keinen Zauberspruch für Okklumantik gibt?“
„Aha, du verstehst doch ein bisschen was. Stimmt. Es ist reine Konzentrationssache.“
Wenn sie den Zauberspruch ‚Legilemens!’ laut sagte, konnte Regin tatsächlich schon ziemlich bald blocken – wenn auch nur für kurze Zeit. So entschied sie sich bald, mit ihm bei Spaziergängen oder in der Bibliothek zu üben, wenn er nicht damit rechnete. Hier blieb seine Reaktion bis zu den Osterferien zu langsam. Sirius oder Lily hätten mit Sicherheit längst geblockt, bevor Regin überhaupt etwas merkte.
Ein guter Beobachter und Motivator war er dagegen bei Rafaelas Versuchen, sich in ein Tier zu verwandeln. Schon bald zeigte sich, dass ihre Animagusgestalt ein Falke sein würde – der Name ihrer Großmutter väterlicherseits, Hakwins, auf Spanisch Halcón, unter dem sie auch aufgewachsen war, schien sich auszuwirken. Lange dauerte es jedoch, bis die Flügel keine menschlichen Finger mehr und alle Haare sich in Federn verwandelt hatten. Regin bot ihr eine Wette an, ob ihr die Verwandlung oder ihm die Okklumantik zuerst gelingen würde. Drei Tage vor den Osterferien konnte Regin jedoch keinen Fehler mehr erkennen und Rafaela wagte ihren ersten Rundflug als Falke. Sie stellte fest, dass sie neben der Gestalt auch die Augen eines Raubvogels bekommen hatte und so auch bei Nacht sehen und auf große Entfernung Menschen deutlich erkennen konnte.
Das Quidditchtraining verschob James auf nach die Osterferien, da Gryffindors letztes Spiel erst im Mai stattfinden wĂĽrde. Kurz vor den Ferien schlug Slytherin Ravenclaw mit 250:180 und James notierte sich die wichtigsten SpielzĂĽge der Blauen.
„Wenn wir keine Dummheiten machen, müssten wir eigentlich gewinnen. Ihre Jäger sind nicht schlecht, aber die ganz tollen Tricks haben sie nicht drauf. Aber du, Rafa, musst dich anstrengen: Cayhook hat gegen Black nur verloren, weil Black den besseren Besen hat.“
„Mein Besen ist nicht schlecht“, war Rafaela optimistisch. Ihr Nimbus 1500 hatte in „Rennbesen im Test“ ähnlich gute Kritiken bekommen wie der Sauberwisch Sechs. Auch wenn sie ansonsten sparsam gelebt hatten, hatten ihre Eltern bei Anschaffungen auf Dauer wie Zauberstab und Besen sehr genau auf Qualität geachtet und ihr und Uriella das Beste gekauft, was auf dem Markt war.
Regin bot Rafaela an, sie am Ostersonntagnachmittag zu sich einzuladen, was sie gerne annahm. Auch ihre GroĂźmutter, die Regin fĂĽr weit weniger bedenklich hielt als Sirius, hatte nichts dagegen, sofern Rafaela zur Schlafenszeit wieder in Hogwarts sein sollte.
Dennoch fiel es Rafaela und Regin am Mittwochnachmittag schwer, sich fĂĽr vier Tage zu trennen.
Den Gründonnerstag verbrachte Rafaela damit, als Falke über die Ländereien zu fliegen und nachzusehen, ob sie in dieser Gestalt das Gelände verlassen könnte. Es gelang ihr jedoch auch als Falke nicht; der einzige Vorteil war, dass sie in dieser Gestalt unerkannt blieb.
Die scharfen Augen des Falken nahmen am Abend einen jungen Mann wahr, der mit Hagrid im Wald spazieren ging, aber später am Abend das Gelände wieder verließ. Sie flog ihm hinterher, musste aber mit Bedauern feststellen, dass sie als Falke nicht Gedanken lesen konnte. Gleichzeitig Menschengestalt anzunehmen und sich unsichtbar zu machen traute sie sich nicht zu. So sah sie ihn nur noch in ein Nebenhaus der Drei Besen verschwinden und flog zurück, solange Hagrid noch an der Grenze der Ländereien von Hogwarts stand.
Am folgenden Karfreitag sah Rafaela den Mann wieder und diesmal flog er ihr auf seinem Rennbesen nach. Sie flog schneller und versuchte, in der Luft Haken zu schlagen. Er benutzte seinen Zauberstab zunächst nicht, rief aber bald: „Rafaela, ich empfehle dir, dich freiwillig zu zeigen. Wenn ich dich zwinge, fällst du ziemlich übel!“
Rafaela grinste im Vertrauen auf ihre Fähigkeiten und flog weiter. Wenige Sekunden später traf sie ein Fluch, ihre Flügel verwandelten sich in Arme, aus den Federn wurden Haare, ihre Beine änderten die Form und sie begann zu stürzen. Gerade noch rechtzeitig flog sie in Menschengestalt auf. Sie landete auf einem Ast und richtete die Hand auf den Angreifer, sodass der ebenfalls in der Luft bremsen musste.
„Wer sind Sie?“, schrie sie ihn an.
„Mein Name ist Orestes Moody, Sohn von Alastor und Chrysosthemis, Aurorenanwärter“, antwortete der Mann ruhig. Rafaela sah ihn sich genauer an. Er war mittelgroß und schlank, hatte dunkelblonde Haare und einen Dreitagebart. Sie schätzte ihn nicht auf älter als Mitte Zwanzig.
„Was wollen Sie?“
„Mit Ihnen reden. Es geht um einen gewissen Grendel McEagla.“
„Nie gehört. Und wenn würde ich es Ihnen nicht unbedingt sagen. Beweisen Sie mir erst, dass Sie es ehrlich meinen, Mr. Moody oder wie immer!“
„Wir können uns mit Vornamen anreden, ich bin noch nicht alt. Und was Ehrlichkeit angeht: Du bist Legilementikerin, ich bin Legilementiker. Wir können uns nicht anlügen.“
„Man kann Okklumantik anwenden.“
„Was ein guter Legilementiker – und Albus Dumbledore hat meinem Vater gesagt, du seiest gut – allerdings merkt. Also versuchen wir es gar nicht! Meine Gedanken stehen dir offen, wenn du bezweifelst, wer ich bin.“
Rafaela nahm die Einladung an und erkannte, dass er es ehrlich meinte. Sie stellte auch fest, dass er mit Uriella bisher nicht gesprochen, aber einiges von ihrem Großvater über sie gehört hatte. Auch bekam sie ohne zu fragen mit, dass Vater und Sohn Moody die offizielle Version der Geschehnisse an Fabian Prewetts Beerdigung nie geglaubt hatten und ihr Großvater schließlich Orestes’ Vater die Wahrheit gesagt hatte.
„Beileid wegen deiner Mutter“, sagte sie.
„Danke!“ Er schluckte, um nicht weinen zu müssen. „Und der Tod meiner Mutter ist der Grund, warum ich nach McEagla suche. Ich will nicht, dass sie umsonst gestorben ist. Und das wäre auch ihr selbst nicht Recht. – Rafaela, ich muss wissen, was über diesen Mann bekannt war. Er soll kein guter Zauberer gewesen sein, aber dennoch ist er dem Ministerium mehrmals entkommen. Er muss Fähigkeiten besitzen, die über das Normale hinausgehen.“
Rafaela berichtete von ihrer Flucht nach Fabians Beerdigung. „Er scheint also Unsichtbares sehen und schneller laufen zu können als ein normaler Mensch“, schloss sie.
„Du hast ihn vorher schon im Traum gesehen“, stellte er fest, ohne dass sie es ihm sagen musste. „Ist dir etwas an ihm aufgefallen?“
„Warum?“
„Mein Vater vermutet, dass er ein Medaillon oder sonst etwas besitzt, das die Kraft seines Trägers verstärkt.“
Rafaela dachte angestrengt nach, schüttelte jedoch den Kopf. „Ich kann es noch einmal versuchen, aber bisher ist es mir nicht gelungen, in meinen Träumen zu erkennen, was meine Schwester und er gesprochen haben – und ich merke nur, wenn sie etwas tut, nicht bei einem anderen – und auch bei ihr nicht immer.“
„Hast du irgendwann in letzter Zeit von ihr geträumt?“
Sie ĂĽberlegte kurz, verneinte aber entschieden.
„Siehst du irgendeine Möglichkeit, deine Schwester zu belauschen?“
Rafaela überlegte. Uriella wusste, dass sie sich unsichtbar machen konnte und war darauf eingestellt. Falls sie überhaupt auf dem Schulgelände mit jemandem ernsthaft über ihre Kontakte zu den Todessern sprach, würde sie vermutlich ihre Umgebung mit dem Homenum Revelio kontrollieren.
„Ich habe eine geringe Chance“, fiel ihr ein. „Vielleicht weiß sie nicht, dass ich Animaga bin. Als Falke sehe ich außerdem weiter als als Mensch.“
„Würdest du es versuchen – für mich? – Ich weiß, dass sie gefährlich ist.“
„Gegen die Todesser zu kämpfen ist gefährlich. Und ich fürchte, dazu gehört, gegen meine Schwester zu kämpfen.“
„Wenn du etwas erfährst, kannst du mir eine Eule schicken oder – halt, nicht dass jemand die Eule abfängt!“ Er zog ein magisches Bild von sich aus der Tasche. „Hier! Das Bild kann dir sagen, wo ich bin. Wenn du auch eines von dir machen lässt, können wir uns spontan treffen. Aber verzaubere das Bild, damit es niemand sieht!“
„Aber gern – aber wie kommen wir durch die Grenzlinie?“
„Ich habe mit Hagrid gesprochen, dem Wildhüter. Es ist im Sinn des Ordens, da hat er Verständnis. Wenn ich ihn bitte, wird er auch dir das Passwort sagen – es wechselt allerdings immer wieder.“
Rafaela hatte Hagrid bisher immer etwas unheimlich gefunden, doch Orestes beruhigte sie: „Hagrid ist in Ordnung. Bisschen chaotisch, aber nett und vollkommen auf unserer Seite.“
Sie unterhielten sich noch einige Zeit, ehe Orestes sich verabschiedete und Rafaela sich auf der Suche nach ihrer Schwester machte. Der Ehrgeiz, etwas für die gute Sache zu tun, siegte über ihre Bedenken; außerdem hoffte sie, Orestes wiederzusehen – nicht, dass sie Regin seinetwegen verlassen wollte, aber...
Sie sah in den nächsten Tagen Uriella öfter zusammen mit Severus, doch die beiden waren augenscheinlich kein Paar mehr. Sie unterhielten sich über ein Gegenmittel gegen Veritasserum. Beide wälzten Bücher in der Bibliothek und probierten aus. Rafaela wusste nicht, ob dies mit einem geplanten Verbrechen zu tun hatte, doch allein aus eigenem Interesse hörte sie zu: Was Tränke anging, konnte sie von Severus noch viel lernen.
Am Sonntag berichtete sie Orestes, ehe sie per Flohpulver zu Regin reiste. Dessen Familie, seine Eltern und sein älterer Bruder Widulf, schienen sie zu mögen. Gemeinsam mit Regin apparierte sie auf eine Felseninsel, wo sie spazieren gingen und Rafaela versuchte, abzuschalten.
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