von soulmade
Es würde ein langer Winter werden. Hermine erkannte es an dem grauen, verhangenen Himmel und der klaren, kalten Luft die durch die Ritzen der Fenster fegte.
Warum war sie so ruhig? Warum war sie sich so sicher, dass sie das Richtige tat?
Sie wusste es nicht. Sie hätte erwartet, dass sie erleichtert sein würde. Nie wieder müsste sie diese Scham fühlen, wenn sie an ihre gemeinsamen Nächte dachte. Nie mehr an den Scham, den sie fühlte, als sie seinen Blick sah, mit dem sie ihn erklärte, dass sie nichts bereute.
Aber sie empfand nichts. Nichts als den Willen zu helfen. So oft sie auch von ihren Freunden mit Entsetzen gefragt worden ist, warum sie diese Last auf sich nahm, konnte sie nicht antworten. Sie wusste es einfach nicht. Vielleicht war es einfach nur das Gefühl, jemandem helfen zu können.
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Es war nur eine kleine Gruppe aus Leuten, die um das Krankenbett herumstanden, als Hermine den Krankensaal betrat. Sechs besorgte Augen lagen auf der jungen Frau, die in der letzten Zeit immer mehr in sich selbst versunken zu sein schien.
Mit langsamen Schritten näherte sie sich dem breiten Krankenbett. Das Gesicht Severus Snapes war noch immer leichenblass, seine Züge verhärtet.
„Wollen Sie das wirklich tun Hermine?“ Hermine nickte ihrer besorgten Hauslehrerin zu, richtete ihren Blick dann in Dumbledores blaue Augen.
„Was muss ich tun?“
Ihr Blick war entschlossen, sie nickte Dumbledore zu.
Dieser seufze einmal tief und griff dann in die Jacke seines tiefblauen Umhangs. Er kam einige Schritte auf sie zu.
„Dies hier, stammt aus Severus persönlichem Besitz. Es ist ein Schmuckstück, von dem ich weiß, dass es ihm eine Menge bedeutet. Er würde es nie freiwillig hergeben, und ich tue es nur ungern, aber wir brauchen ein Verbindungsstück. Etwas das dich und ihn verbindet“
Ohne ein weiteres Wort streifte er ihr die Halskette über den Kopf.
„Wir werden jetzt gehen. Wenn du bereit bist, streife mit der Hand fünfmal über das Amulett und sage „Clarum Purum. Sie werden dies alles in Etappen machen, wenn sie möchten. Sie können so jederzeit zurückkehren“
Sie nickte. Mit einem letzten, bedeutenden Blick wandten sie sich zum gehen. „Professor Dumbledore?“ Er drehte sich um und sah sie an. „Ja?“
„Was soll ich tun?“
Sie konnte seinen Blick nicht deuten. „Seien Sie für Ihn da“
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Es war ein eigenartiges Gefühl, ihm wieder so nahe zu sein. Das weiße Laken des Krankenbettes fühlte sich kühl an unter ihren Händen. Jetzt, wo sich seine Hand so nahe neben der ihrigen befand, wurde ihr erst klar wie krank er eigentlich aussah.
„Fast wie Tod…“, war der erste Gedanke, der ihr durch den Kopf schoss.
Sie nahm das Amulett in ihre Hände. „Blutrot“ Sie sah ihn an. „Genauso wie dein Herz?“
Der blutrote Stein war in eine ovale, goldene Fassung eingerahmt, die mit kleinen, verschnörkelten Ornamenten verziert war und in einer schlanken Kette um ihren Hals endete.
„Gehen wir es an“ Mit einem letzten Blick auf seine gehärteten Züge verdrängte sie die alten Gedanken, die sie mit ihm teilte. „Clarum Purum“
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Sie fühlte sich, als hätte sie eine lange Zeit geschlafen. Sie wollte ihre Augen nicht öffnen. Was würde sie erwarten? Welche Vergangenheit bringt einen Menschen dazu, zum Todesser zu werden? Wollte sie sie wirklich sehen? Wie sollte sie ihm helfen? Würde er sich helfen lassen?
Ihre Augen waren schwer, als sie sie öffnete. Was würde sie erwarten? Das seine gesamte Kindheit von Schlägen und Prügeln seines Vaters geprägt war, hatte sie bereits in einem vertraulichen Gespräch von Harry erfahren. Aber reicht dies, um zu einem solch verbitterten Menschen zu werden?
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Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, die in dem Raum herrschte, in dem sie sich befand. Die Decke war hoch, einige Fackeln brannten an den Wänden und ließen Schatten an den Wänden in bedrohlichen Größen hin- und herflackern. Sie hörte ein dumpfes Brodeln, leichtes Stimmengewirr und aufgeregtes Gewisper. Sie sah sich um. Sie kannte diesen Raum! Nur zierten heute Reihen voller Bücher die kahlen Steinwände und es wehte der sanfte Geruch von Kräutern durch die Räume. Sie würde diesen Raum auch mit geschlossenen Augen erkennen, sie verbrachte immerhin beinahe täglich einige Stunden in ihm. Es war anscheinend schon damals der Unterrichtsraum für Zaubertränke gewesen.
Doch wer stand dort hinter dem Pult? Ein großer, hagerer Mann, aus dessen eingefallenem Gesicht ein paar stechend graue Augen in die Klasse blickten. Seine Züge waren verhermt, aus seinen Augen sprach ohne jeden Grund ein Funke Aggressivität, er lauerte wie ein Raubvogel, jederzeit bereit auf sein Opfer einzustürzen. Hermine atmete tief ein. Doch der ihr so bekannte und geliebte Duft aus einem Gemisch der verschiedensten Kräutern blieb ihr verwehrt, ebenso, wie der gewohnte Tanz kleiner Stauflocken in den wenigen Lichtstrahlen, die durch die sonst geschlossenen Kerkerfenster drang.
Noch ungewohnter war für sie die neue Stimme, die von dem Lehrer hinter dem schweren Eichenpult ausging. Die ruhige, samtene Stimme, die ansonsten durch jede Ritze des Raumes und in den verwinkelsten Gehörgang der Schüler wie magisch Einzug zu finden schien, wurde ersetzt durch einen zischenden, wütenden Tonfall und ein paar stahlgraue, gefühlskalte Augen, die keinem der Schüler in die Augen sah. Seine Stimme machte Hermine nervös, sie war, auch wenn es für manche vielleicht ungewöhnlich klingen mochte, nicht in der Lage die Sinne zu verhüllen wie die Stimme Severus Snapes es bei jedem seiner Schüler tat. Wie ungewohnt dies war. Ebenso wie die beinahe schleichenden Schritte, die sich für Hermine so rein gar nicht mit dem erhabenen, majestetischen und leicht arroganten Schritt von Snape in Einklang bringen ließen. Sie ließ ihren Blick durch die Gesichter der Klasse schweifen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wie altmodisch doch alle aussahen, in ihren weiten Hosen, den braven Haarschnitten und der alten Schuluniform!
Ihr Blick wanderte weiter. Und blieb schließlich an einem schwarzen Harrschopf hängen. „War er es wirklich?“ Sie kniff die Augen zusammen. Inmitten all dieser Schüler, die mehr oder weniger verwirrt in ihre Bücher und auf die brodelnden Kessel sahen, saß eine große, schlanke Person, gebückt über seinem Brett und schnitt mit feingliedrigen, flinken Finger einige Zutaten klein, und warf sie mit einem Schnippen in den brodelnden Kessel. Für einige Sekunden versank sein Gesicht noch tiefer in den Aufzeichnungen, nur um sie wenige Sekunden später mit einem prüfenden Blick in seine eigenen Aufzeichnungen zu vergleichen und ärgerlich den Kopf zu schütteln. Er war es, kein Zweifel. War seine Haut bereits damals so blass gewesen? „Er erinnert mich an mich selbst“, dachte Hermine, als sie sich selbst im Unterricht vorstellte. Ein Gedankenblitz zuckte durch ihren Kopf. Vielleicht hasste er sie deshalb so?
Sie sah an die Tafel. Der Trank der Lebenden Toten? Auch sie schüttelte den Kopf. Diese Variante des Rezepts kannte sie nicht. Aus welchem Buch es wohl stammen mochte?
Der tieffrequente Gong der Schulglocke, die hoch über ihnen ,in einem Turm des Schlosses hing, ließ sie aufschrecken.
„Alle Arbeiten bitte an mich...“ Der ihr fremde Lehrer wand sie heimtückische durch die Reihen der Schüler, schenkte Einzelnen mitleidige Blicke.
„Mister Hetherington... scheint mir dasselbe schlechte Ergebnis wie immer“ Der Junge mit dem Rawenclaw Abzeichen auf der Brust senkte beschämt den Blick. „Mrs. Patman? Lässt sich ansehen“ Er schenkte ihr ein schleimiges Lächeln, welches die junge Slytherin bloß überheblich erwiederte. Schon damals war die Bevorzugung des eigenen Hauses wohl keine Seltenheit. „Mr Snape...“ Er zuckte zusammen. Hermine konnte sehen, wie sich seine Augen zu engen Schlitzen verengten, seine gesamte Haltung sich verkrampfte, er in Lauerstellung ging. Da ist es wieder, das Raubtier. Nur diesmal in die Ecke gedrängt. Automatisch zog sie im Kopf diesen Vergleich, sein Verhalten war eindeutig.
„Was haben wir denn da?“ Mit einer raschen Bewegung hatte er dem Slytherin die Phiole aus der Hand gerissen. „Können Sie mir erklären...“, man sah die Befriedigung, die ihm diese Worte brachten, man sah deutlich das erfreute Aufblitzen in seinen sonst so trüben Augen. „... warum ihr Trank eine andere Farbe aufweist, als die aller anderen?“
Hermine meinte die Spannung im Raum mit Händen greifen zu können. Doch warum sah ihn keiner mitleidig an? Warum meinte sie auf den meisten Gesichtern so etwas wie Schadenfreude entdecken zu können?
Ihr Blick glitt zurück zu Snape. Seine Kiefer mahlten aufeinander, die Augen der beiden Männer fochten einen Kampf aus. „Ich habe ihn umgeändert... Sir. Zu seinen Gunsten“
Ein leises, unterschwelliges Gejohle brach in der Klasse aus. Der Lehrer brachte es mit einer abprupten Handbewegung zum Erlischen. „Ach ja?“ Seine Stimme war nur noch ein einziges Zischen. „Und sie sind der Meinung, dass es so nun besser ist?“ Keine Antwort, keine Regung auf dem Gesicht Snapes. Nur der lauernde Blick des Raubtiers.
„Aus Ihrem Schweigen entnehme ich, dass sie es nicht wissen?“ Er begann ihn zu umkreisen, seine Augen fixierten die seinigen. „Finden Sie nicht...“, ruckartig ergriff er seine Hand, die reflexartig zurückzuckte. Doch er ließ sie nicht los, umklammerte sie solange, bis das Fleisch weiß hervortrat. Er öffnete die Phiole mit dem frisch gebrauten, dampfenden Trank, „... das sie er ein wenig zu... heiß gemacht wurde?“ Hermine zuckte zurück als der erste Tropfen des heißen Gebräus auf Severus Haut aufschlug. Es wurde absolut still im Raum. Snape verzog keinen Mundwinkel, sah seinem Lehrer unverdrossen ins Gesicht, mit seinen damals schon so tiefschwarzen Augen. „Nein? Immer noch nicht? Vielleicht jetzt?“
Der nächste Tropfen traf brodelnd seine Hand. Die Rötung war deutlich zu sehen, die Adern traten hervor, doch er starrte ihn einfach nur an.
„Hören Sie auf!“
War sie es, die gerade gesprochen hatte? Snapes Kopf schnellte herum. Die restlichen Köpfe blieben starr. Er sah sie an, verengte die Augen zu Schlitzen. „Was haben sie Snape? Sehen sie mich an!“ Das Laute Bellen seiner Stimme traf ihn mit einer Wucht, in dem leisen Klassenzimmer. „Abtreten!“
Damit war der gesamte Spuk beendet. Murrend packten die Schüler ihre Sachen, die übliche Unruhe setzte ein, als wäre nichts geschehen.
Konnten Sie sie nicht sehen? Hermine verstand es nicht. In dem Moment schien auch Severus aus seiner Starre auszuwachen, schüttelte sich, nahm seine Sachen, verlies mit eiligen Schritten den Raum, und wollte gerade um die Ecke biegen, als sie ihn erreichte.
„Warum lässt du dir das gefallen?“
Er schnellte herum. „Wer oder was bist du?“ Obwohl sie die Kälte in seiner Stimme seit Jahren in allen ihren Facetten kennen gelernt hatte, erschrak sie sie, aus dem Munde dieses jungen Mannes. „wer oder was? Ich bin eine junge Frau, dass siehst du doch?“, stammelte sie aufgebracht. Grob packte er sie am Arm, zog sie in die nächste dunkle Ecke, und raunte ihr bedrohlich zu: „Alles was ich von ihnen sehe junges Fräulein ist ihr Schatten und ihr Stimme. Uns falls es ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte... außer mir scheint sie keiner zu sehen. Mache ich mir nun zurecht Gedanken oder nicht?“ Zischte er und drückte ihren Arm so fest, das ihr die Tränen in die Augen schossen. Er war so jung. Und schon so kalt.
„Ich... ich bin hier um dir zu helfen“, presste sie hervor, wagte es, ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen, auch wenn sie ihm anscheinend verborgen blieben.
„Mir helfen?“ Ein kaltes Lachen entfloh seiner Kehle. „Ich brauche keine Hilfe. Das ist mein Leben und das wird es immer sein. Verzieh dich!“ Sie gab einen erstickenden Laut von sich, als er für einen kurzen Moment ihren Arm noch feste drückte, nur um ihn gleich, als würde er sich verbrennen wieder fallen zu lassen und mit wehendem Umhang in den schwarzen Gängen zu verschwinden.
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Schweißgebadet schlug sie die Augen in der verlassenen Krankenstation wieder auf.
Ihre Augen blieben an dem ausdruckslosen Gesicht Snapes hingen. Sie hatte gehofft, einen anderen, einen zugänglicheren Snape kennen zu lernen, hatte gehofft, ihm helfen zu können. Doch keine von ihren Hoffnungen hatte sich bewahrheitet. Für was tat sie das alles? Sie fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen, als sie an sein Verhalten dachte. Und im selben Moment lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, als ihr klar wurde, das diese Erinnerung wohl noch zu den harmlosesten zählen würde, die sie in Zukunft sehen würde.
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Hermine sollte Recht behalten. Die Erinnerungen, die sie in den nächsten Tagen sah, zeigten einen willensstarken, aber einsamen und innerlich verzweifelten Severus Snapa, der die ersten Kontakte mit Todessern knüpfte, doch noch immer mit sich kämpfte, und dies wohl nur aus einem Grund. Lilly Evans. Hermine hatte Erinnerungen gesehen, in denen sie sich angenähert hatten, sie ihn verstanden hatte und doch noch immer vor ihm zurückwich. Sie hatte nicht gewusst, dass Harrys Mutter einmal so gefühlt hatte. Und es machte sie traurig, in die beinahe hoffnungsvollen Augen Snapes zu blicken, nur um dann wieder in Erinnerungen seiner Kindheit geschleudert zu werden, die geprägt waren von Gewalt, seelischer Folter und Demütigung. Heute nahm sie sich vor, es zu Ende zu bringen. Sie wollte sie sehen, die letzten Erinnerungen. Auch wenn sie Angst vor ihnen hatte.
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Ihre Finger zitterten, als sie behutsam über das blutrote Amulett strich. Sie murmelte den Zauberspruch... und sah genau in die grünen Augen Lily Evans.
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