von Federflügel
Harry und Ginny saßen zusammengekuschelt auf einem Sessel, während Ron und Hermine das Sofa des Gemeinschaftsraumes belegten. Sonst war kaum jemand anwesend. Viele waren wegen der Beerdigungen von Freunden und Angehörigen nach Hause gefahren, andere hatten sich im ganzen Schloss verteilt oder arbeiteten noch. Es war ein bisschen wie in den Weihnachtsferien, wenn nur wenige Schüler in Hogwarts waren.
Die Vier tauschten gerade Neuigkeiten und Küsse aus und erholten sich von dem anstrengenden Tag. Sie hatten noch einige Zeit Ollivander geholfen und waren dann nach Hogwarts zurück gekehrt. Nun berichteten Harry und Hermine von ihrem Besuch bei Gringotts.
„Ich will dir meinen Teil des Geldes auf jeden Fall auch zurückzahlen.“, sagte Ron, der ein bisschen beschämt war, weil er nicht selbst daran gedacht hatte.
„Ach, lass mal. Ich habs Hermine von uns beiden gegeben und du lädst mich einfach ein paar Mal zum Essen ein, wenn du selbst Geld verdienst.“, erwiderte Harry.
Ron kam sich trotzdem etwas schäbig vor, aber Hermine gab ihm einen Kuss. „Du zahlst einfach in Naturalien.“, meinte sie lächelnd.
In dem Moment glitt das Porträt der fetten Dame beiseite und Bill kam in Begleitung von George herein. George trug eine unnahbare, eiserne Miene im Gesicht, die er in den letzten Tagen schon öfter gezeigt hatte. Ohne ein Wort zu sagen ging er an den vier Freunden vorbei in den Schlafsaal, den er zur Zeit bewohnte.
„Was ist denn los?“, fragte Ginny Bill.
„Wir konnten keinen anderen geeigneten Termin für Freds Bestattung finden als morgen Vormittag. Darauf war er einfach nicht gefasst.“
„Morgen schon?“, keuchte Ginny entsetzt, „Aber es ist doch noch nichts vorbereitet!“
„Darum sind Mum, Dad, Percy und Charlie auch nach Hause appariert. Sie werden alles organisieren. Wir sollen morgen um neun Uhr kommen um auch noch mitzuhelfen. Um elf findet dann die Beerdigung statt.“, beruhigte Bill.
Harry hatte ein dumpfes Gefühl im Magen. Das würde die erste Beerdigung sein von denen, die noch anstanden. Die von Lupin und Tonks würde folgen und auch Snape wollte er die letzte Ehre erweisen, wenn auch mit gemischten Gefühlen.
Sein Gedankengang wurde von Hermine unterbrochen. „Ich habe nichts anzuziehen für eine Beerdigung.“, klagte sie, „Wir haben so was nicht mitgenommen.“
Ron schnaubte belustigt. „Dass du dir mal Sorgen um deine Klamotten machst, hätte ich ja nie für möglich gehalten.“
„Dafür hat sicher jeder Verständnis. Man kann ja nicht erwarten, dass ihr einfach so mal schnell shoppen geht.“, sagte Bill, „Außerdem war Fred ein fröhlicher Mensch, ihr braucht also nicht so steif gekleidet zu kommen. Ihm selbst wäre es wahrscheinlich am liebsten, wenn jeder so bunt wie möglich erscheint.“
Ginny nickte. „Von Förmlichkeit hat er nie viel gehalten. Wenn er nicht so viel Angst vor Mum gehabt hätte, wäre er an deiner und Fleurs Hochzeit in Jeans und einem Quidditch-T-Shirt aufgetaucht.“
„Und hast du eigentlich eine Ahnung, was er zu Harry und dir gesagt hätte, so wie ihr jetzt dasitzt?“, lachte Bill.
„Oh Mann, wir hätten ja keine ruhige Minute mehr!“, meinte Ginny.
„Da müssten wir schon George fragen, der kann das genauso gut.“, sagte Ron.
Bills Gesicht wurde ernst. „Ich mache mir Sorgen um George. Er lässt niemanden an sich heran, zeigt keine Regung mehr, spricht kaum das Nötigste…“
„Aber was soll man tun? Wenn man ihn zu trösten versucht, dann dreht er sich weg oder geht.“, sagte Ginny sorgenvoll.
„Vielleicht braucht er Normalität.“, mutmaßte Hermine.
„Oder größtmöglichen Abstand von allem, was ihn an Fred erinnert.“, meinte Bill.
„Und vielleicht sollte man ihn in Ruhe lassen.“, sagte Harry.
Keiner bemerkte, dass Ron sich auf leisen Sohlen davon gemacht hatte, so vertieft waren sie in ihr Gespräch.
Ron klopfte leise an die Schlafsaaltür hinter der sich George verbarg und trat ein. George lag mit dem Gesicht nach unten auf seinem Bett und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Ron setzte sich auf das benachbarte Bett und kratzte sich nervös am Kopf. Das war nicht der Bruder den er kannte, das war beinahe ein Fremder.
„George“, begann er, „rede doch mit mir.“
Keine Antwort, nur die linke Faust grub sich fester in die Matratze.
„George“, bat Ron, „hab ich keine Antwort verdient?“
George seufzte und drehte seinen Kopf zu Ron. „Was willst du?“, fragte er matt, seine Augen waren dunkel umrandet.
„Dass du rauskommst. Wir vermissen dich.“
„Ich bin doch da.“
„Aber nicht wirklich bei uns! Verstehst du, was ich meine? Du bist nicht mehr du selbst. Wir trauern alle, wir alle haben Fred verloren. Wir sind schließlich eine Familie!“ Rons Stimme war nicht mehr sanft und leise sondern eindringlich und kräftig.
„Aber ich vermiss ihn so. Dauernd warte ich darauf, dass er neben mir auftaucht und irgendeinen Witz macht. Aber dann stelle ich fest, dass das nicht sein kann.“
„Wir vermissen ihn doch genauso! Denk mal an Mum und Ginny, an uns alle. Er fehlt einfach überall, aber du auch. Wenn du dich jetzt von uns allen zurück ziehst, dann haben wir nicht nur einen Bruder verloren, sondern zwei.“
Ron stand auf und ging zur Tür. „Denk mal drüber nach.“, sagte er noch, dann verließ er den Raum.
Als er wieder nach unten kam, bemerkte ihn Hermine, die ihn schon vermisst hatte. „Du warst bei George, oder?“, fragte sie.
Ron nickte. „Und? Hast du was bei ihm erreicht?“
„Das weiß ich nicht. Aber es sah gar nicht mal so schlecht aus.“, antwortete er, „Wir werden ja sehen, ob es was gebracht hat.“
Hermine streckte sich. „Ich bin völlig fertig, ich gehe ins Bett.“
„Ja, ich brauch auch meinen Schlaf. Gute Nacht.“ Auch Ron erhob sich und ging in seinen Schlafsaal, Bill verabschiedete sich auch und ließ Ginny und Harry allein.
„Bist du nicht auch müde?“, fragte Harry.
„Schon, aber es geht noch. Ich möchte bei dir bleiben.“, antwortete sie und drückte sich ein bisschen enger an Harrys Schulter.
„Ich hab dich so gern bei mir.“, flüsterte Harry und streichelte über das seidige rote Haar.
Er sog den Atem genießerisch ein. „Du riechst nämlich gut.“, scherzte er. Ginny lachte und gab ihm einen Stubs in die Seite.
Dann wurde sie wieder still. „Ich bin so traurig.“, sagte sie leise, „So unglaublich traurig.“
„Ich weiß“, sagte Harry tröstend, „das bin ich auch.“
Der Himmel war hell und klar als sich der kleine Friedhof von Ottery St. Catchpole mit den Trauergästen für Fred Weasley füllte. Kleine Schäfchenwolken verzierten den Horizont hinter dem Kirchturm und kümmerten sich nicht um die Menschen, die dort zwischen den Mauern und Steinen standen und den Kopf gesenkt hielten. Doch anders als bei gewöhnlichen Beerdigungen trugen viele der Leute keine dunkle Kleidung sondern waren so bunt und fröhlich wie zu einer Geburtstagsfeier angezogen.
Harry stand in der vordersten Reihe ganz außen, neben Ginny, die seine Hand fast zu Brei zerquetschte. Ginny trug ein leuchtend grünes Kleid und sah aus wie eine frisch aufgeblühte Blume. Harry selbst hatte den fröhlichsten seiner Weasley-Pullis über seinem Hemd an, Ron trug ein Chudley-Cannons-T-Shirt und auch der Rest der Weasleys stand ihnen in Sachen Farbe in nichts nach. Die erste Reihe glich seinem alten Wasserfarbkasten in der Schule; die ganze Palette war vorhanden.
Hinter ihnen standen zahlreiche ehemalige Mitschüler von Fred und George und auch die Lehrer waren gekommen. Professor Mc-Gonagall war schwarz gekleidet wie immer, Harry vermutete, dass in ihrem Kleiderschrank nicht einmal ein farbiger Tupfer zu sehen war. Doch Professor Flitwick eiferte anscheinend Dumbledore nach, oder Dobby, denn er trug eine Hose, deren eines Bein gelb und das andere blau war, eine rote Jacke und einen Violetten Zaubererhut. Harry verkniff sich nur mit Mühe das Lachen und ihm fiel auf, dass es einer anderen Person genauso ging. George. Der benahm sich den ganzen Morgen schon so ausgesprochen seltsam. Tat sehr geheimnisvoll und verfiel dann wieder in seine Trauermiene, dann wiederum grinste er über etwas, das die anderen nicht wussten. George zwinkerte Harry zu und gab ihm ein Zeichen, nichts den anderen zu sagen.
Dann kam auch schon der Ministeriumszauberer um die Ecke der kleinen Kirche und ging zu dem Podium, das vor ihnen stand. Davor lag Fred aufgebahrt, zwischen einem Meer von Blumen. Harry bekam gar nicht viel von der Zeremonie mit, nur mit einem Ohr hörte er die Rede, in der es um Freds Fröhlichkeit und Fantasie ging und den Beitrag, den er zusammen mit Fred geleistet hatte als um den Widerstand gegen Voldemort ging. Er spürte Ginny leicht zittern und sah, wie Rons Gesicht immer starrer wurde. Es war einfacher für Harry, diese Dinge als Außenstehender wahrzunehmen, so zu tun, als ob es ihm nicht so nahe ginge. Irgendwann endete der Zauberer und schwenkte seinen Zauberstab. Über Fred senkte sich ein rotes Tuch und der Sargdeckel schloss sich. Dann wurde der Sarg in die Erde gesenkt und die Grabplatte darauf gelegt. Die Inschrift lautete:
„Fred Weasley“
1. April 1978 – 2. Mai 1998
Ansonsten war das Grab erstaunlich schmucklos, doch das sollte nicht lange so bleiben. George ging nach vorn, in der Hand eine Blume in der Hand. Der Ministeriumszauberer ging zur Seite und George kniete sich an das Kopfende der Platte. Dort pflanzte er die Blume ein, murmelte etwas und schwenkte seinen Zauberstab und trat dann mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht zur Seite. Die Blume begann zu wachsen und sich zu verzweigen. Schon nach wenigen Augenblicken stand ein blühender Busch und zierte das Grab. George gab seinen Eltern ein Zeichen, dass sie nun nach vorne treten konnten und gesellte sich wieder zum Rest der Familie. „Warts ab!“, zischte er Harry zu, als er sich neben ihn stellte. Harry war alarmiert. Er kannte George nur zu gut.
Und richtig: als Mr. Und Mrs. Weasley niederknieten, um eine Rose auf das Grab ihres Sohnes zu legen, bewegte sich der Busch und fuhr ihnen durch die Haare. Ein erschrockener Aufschrei entfuhr beiden. Die ersten Zuschauer prusteten, versuchten aber, ernst zu bleiben. Der Busch piekste seine Opfer und versuchte, die Knöpfe an Mr. Weasleys Jackett zu öffnen. Mrs. Weasleys Haarschleife hatte er schon erobert und ließ sie im Wind flattern wie eine Fahne.
„Eines unserer letzten gemeinsamen Projekte.“, sagte George zu Harry und Ginny, „wir hatten die Idee von der peitschenden Weide und haben noch ein paar Verfeinerungen durchgeführt. War harte Arbeit, aber es hat sich doch gelohnt.“
„In der Tat.“, meinte Ginny ironisch. Sie deutete auf ihren Vater, der verzweifelt versuchte, die Schleife zurück zu erobern, aber von seinen geöffneten Schnürsenkeln und den ständig grapschenden Zweigen daran gehindert wurde.
Die Leute lachten inzwischen richtig, manche eilten Mr. Weasley zu Hilfe und fanden sich selbst der eigenwilligen Pflanze ausgeliefert.
Doch am lautesten von allen lachte, über den Anblick ihres aus der Form gebrachten Ehemannes äußerst amüsiert, Molly Weasley.
Ron sah Harry erstaunt an, Percy kratzte sich verwundert am Kopf, Bill hielt Fleur im Arm und grinste über das ganze Gesicht und Charlie konnte den Anblick seiner sich vor Lachen kringelnden Mutter gar nicht fassen.
Da kam sie auf die Gruppe zu, geschüttelt von einigen unkontrollierte Lachern und riss George an sich. „Dass wir wenigstens dich wieder haben!“, seufzte sie, mit Lachtränen in den Augen, aber mit einer gehörigen Portion liebevoller Besorgnis im Blick.
„Ach Mum“, sagte George schelmisch, „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin.“
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