von Federflügel
Lily Evans stand im Waschraum und bürstete ihr Haar. Dann nahm sie die vorderen Strähnen und steckte sie mit Klammern nach hinten. Ihre Haare fielen so sehr hübsch und leicht lockig und man konnte ihre neuen grünen Ohrringe gut sehen, die ihre Augenfarbe betonten. Sie trug keine Schuluniform sondern einen weißen Rock und eine Smaragdgrüne Bluse. Noch ein kleiner Tupfer Lippenstift und sie war mit ihrem Aussehen zufrieden. Über sich selbst erstaunt sah sie sich selbst noch einmal im Spiegel an. Sie bereitete sich auf eine Verabredung mit James Potter vor. Noch vor zwei Monaten hätte sie das nie getan. Ihre erste (widerwillige) Verabredung war die Sensation der Schule gewesen. Nie hätte jemand für möglich gehalten dass sie, die James Potter noch nie leiden konnte, mal mit ihm ausgehen würde. Am allerwenigsten sie selbst. Die meisten gleichaltrigen Mädchen hätten ihr am liebsten die Haare ausgerissen und die Augen ausgekratzt. Und für die Jungs war Potter natürlich der Held der Stunde. Aber seit dieser ersten Verabredung hatte sich ihre Meinung schwer geändert. Jede Woche hatte sie sich zwei oder drei Mal mit ihm getroffen. Sie hatte gemerkt, dass sie sogar vieles gemeinsam hatten. Und dass man sich mit ihm ganz gut unterhalten konnte. Und, dass er ziemlich gut aussah. Aber bei dem Gedanken hätte sie sich am liebsten selbst geohrfeigt. Oft konnte sie ihm sogar hinter die lässige Fassade blicken, wo er ein wenig nervös und aufgeregt war. Das machte ihn ihr noch sympathischer. Sie hatten in vielen Dingen die gleichen Ansichten und auch gleiche Interessen. Und seine Schulsprecherpflichten schien er auch ernst zu nehmen (was sie auch nie für möglich gehalten hätte).
Eine laute Tür unterbrach ihren Gedankengang. Sie zupfte noch eine letzte Locke zu Recht und verließ dann den Waschraum. Sie erinnerte sich daran, dass James mit ihr nach draußen wollte und holte sich eine Weste aus dem Schlafsaal. Dort lag ihre Freundin Alice lesend auf dem Bett. Diese grinste breit. „Du hast dich aber chic gemacht! Da wird sich Potter aber freuen.“, spottete sie. Lily errötete und nannte sie leise murmelnd eine Giftschlange. Alice grinste zum Abschied noch breiter. „Na dann viel Erfolg!“, wünschte sie und machte eine aufmunternde Geste. Lily würdigte dies jedoch keiner Antwort sondern wappnete sich für den kommenden Abend.
Unten im Gemeinschaftsraum saß James neben seinen Freunden auf einem Sofa. Als Lily herunter kam schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln und stand auf. Auch er hatte sich gut angezogen. Er trug ein Dunkelblaues Hemd und eine gut sitzende Jeans. Er hatte ein kleines Bündel unter dem Arm verborgen. „Hallo Lily.“, begrüßte er sie. „Hallo James.“, antwortete sie leicht verlegen. Seine drei Freunde mussten an sich halten, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. James ignorierte sie gekonnt und fragte: „Wollen wir?“ „Natürlich.“, entgegnete sie, mit einem frostigen Blick zu Sirius, Remus und Peter. „Ich übernehme den Türdienst.“, rief ihnen Sirius noch hinterher. „Seid pünktlich, ich will mir nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen.“ James, schon auf dem Weg zum Porträtloch, winkte nur kurz mit der Hand ohne sich umzudrehen.
Er und Lily verließen den Gemeinschaftsraum. Draußen hielt James kurz an, sah sich kontrollierend um und entfaltete das Bündel. „Was ist das?“, fragte Lily. „Etwas sehr nützliches: ein Tarnumhang.“, antwortete er. „Wir wollen doch nicht erwischt werden, das würde ja die ganze Stimmung zerstören.“ Während er sprach hatte er schon den Umhang über sich und Lily gebreitet. Diese fragte nun: „Was meinte denn Sirius damit, dass er Türdienst hat?“ „Naja, wir sind zwar unsichtbar, aber die fette Dame kennt meine Stimme schon zu gut und hat außerdem von Professor McGonagall den Auftrag ihr zu sagen, wenn jemand, besonders ich, zu später Stunde erst heimkehrt. Sirius wird uns von innen die Tür öffnen, so dass wir kein Passwort sprechen brauchen.“, erklärte James. „Aber jetzt müssen wir leise sein.“ Schweigend und vorsichtig gingen sie durch das Schloss. James hatte Lilys Arm genommen, damit sie in der Dunkelheit nicht stolperte oder sich zu weit von ihm entfernte und sie sichtbar wurden. Glücklicherweise begegneten sie keinem Lehrer oder dem Hausmeister.
Draußen auf dem Gelände behielten sie den Umhang noch an. James führte sie zum See hinunter und erst, als sie hinter einem Gebüsch verborgen waren, ließ er den Umhang fallen. James sah erst auf die Uhr und dann hinauf zum Himmel. „Wir müssen nur noch kurz warten.“, sagte er dann. „Worauf denn?“, wollte Lily wissen. „Das ist eine Überraschung.“, flüsterte James. Sie setzten sich ins Gras und James legte seine Hand auf Lilys. Sie ließ es geschehen, es fühlte sich sogar sehr angenehm an.
Nach einigen Minuten regte sich James. „Sieh doch.“, sagte er aufgeregt und deutete auf das Wasser. Lily staunte. Aus der Tiefe kamen Lichter nach oben, sehr viele kleine Lichter. Dicht unter der Oberfläche verharrten sie. „Was ist das?“, fragte Lily ehrfürchtig. „Das sind die Wassermenschen. Jedes Vierteljahr machen sie das. Sie kopieren mit ihren Lichtern den Sternenhimmel. Es ist ein Ritual und gleichzeitig ein Fest. Siehst du die Sternbilder?“ James sprach flüsternd und war auch aufgeregt. Er hatte es schon oft mit seinen Freunden gesehen, doch es war immer wieder ein Augenöffner. Die Lichter hatten sich nun zu den Sternbildern angeordnet. So verharrten sie einige Minuten. Dann kam ein allgemeines Leuchten aus der Tiefe. Die Lichter begannen, sich zu drehen, Kreise und Spiralen zu beschreiben und sich gegenseitig zu umkreisen. Lily stockte der Atem. Die wirbelnden Lichter zogen leuchtende Spuren durch das Wasser. Immer schneller bewegten sie sich. „Das ist wunderschön.“, hauchte sie. Sie wagte es nicht, den Blick abzuwenden aus Angst, sie könnte auch nur eine Sekunde dieses faszinierenden Schauspiels verpassen. „Wenn du dein Ohr ins Wasser tauchst, kannst du sogar ihre Musik hören. Möchtest du?“, fragte James. Lily nickte nur. Sie kniete sich ans Ufer, legte ihren Kopf zur Seite, so dass sie immer noch die Lichter beobachten konnte und nahm ihre Haare zurück. James half ihr dabei. Er hielt die Haare, damit sie nicht nass wurden und stütze Lily, damit sie nicht abrutschte. Lily musste sich erst an das Gefühl von Wasser in ihrem Ohr gewöhnen, dann hörte sie den überirdischen Gesang und die Trommeln und Harfen der Wassermenschen. Schöner als jede menschliche Musik kam es ihr vor. Es klang fremd und exotisch. Die Trommeln bildeten den Rhythmus für die Tänzer und es war, als würden sie ihr Blut aufpeitschen. Die Harfen und der Gesang waren eher ruhig, irgendwie sphärisch. Es waren Töne, die Gänsehaut hervorriefen. Auch wenn es langsam unbequem wurde, so wollte sie doch nicht wieder aufstehen. Sie wollte die Musik bis ganz zu Ende hören. Sie war James dankbar, dass er es ihr so bequem wie möglich machte.
Nach einer halben Stunde war es vorüber. Die Trommeln wurden langsamer und der Gesang erstarb. Die Lichter schwebten wieder nach unten und erloschen schließlich ganz. Mit einem Seufzer des Bedauerns stand Lily auf. James reichte ihr ein sauberes Taschentuch, damit sie sich das Gesicht abtrocknen konnte. Lilys Blick war verklärt, als würde sie noch immer den Gesang hören und die Lichter sehen. „Das war unglaublich.“, flüsterte sie, immer noch atemlos vor Staunen. „So etwas Wundervolles habe ich noch nie gesehen.“ „Ich habe noch nie etwas so Wundervolles wie dich gesehen, heute Nacht.“, flüsterte James zurück. Er machte einen zögerlichen Schritt auf sie zu und strich ihr sanft eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Lily war in seinen Bann gezogen. Auch sie machte einen Schritt nach vorn. Sie standen ganz dicht voreinander. Die Luft schien zu knistern und ihre Haut prickelte, als sie seine Nähe spürte. Die Welt schien ihnen zu gehören, die Sterne nur für sie zu leuchten. Wer den Anfang machte, ließ sich nicht sagen. Sie neigten ihre Köpfe langsam zueinander und vorsichtig berührten sich ihre Lippen. Wie ein Stromstoß ging ein Impuls von ihren Lippen durch ihren ganzen Körper. Sie küssten sich immer intensiver und leidenschaftlicher. Längst hatten sie auch die letzten Zentimeter Abstand überwunden und umarmten sich. Lily spürte James starke Arme und wollte nie mehr losgelassen werden. James genoss diesen Moment des absoluten Glücks. Endlich war es soweit, er hatte es geschafft. Lily gehörte zum ihm. Seit Jahren wünschte er sich das und nun war sein Wunsch Wirklichkeit geworden. Er wollte sie nie wieder von sich fort lassen. Er streichelte über die seidigen Haare, über ihren zierlichen Rücken und genoss das Gefühl des glatten Stoffes unter seinen Fingern. Langsam lösten sie den Kuss, hielten sich aber immer noch umschlungen. Lily sah zu James auf. „Das“, hauchte sie, immer noch oder schon wieder außer Atem, „war auch wundervoll.“ Und sie küsste ihn noch einmal.
Es war eine unausgesprochene Tatsache, dass sie von nun an zueinander gehörten, dass spürten sie beide. Und beide waren überwältigt von ihren Gefühlen. Schweigend lagen sie im kühlen Gras, Arm in Arm. Lily lächelte versonnen und James freute sich an ihrem Anblick. Der Mond tauchte sie in silbernes Licht. Lily bewunderte James Haarpracht in der Glanzlichter leuchteten. Sie spielte mit einer Strähne. „Du siehst wie ein Engel aus, heute Nacht.“, flüsterte James und küsste sie auf die Stirn. „Wir müssen nur leider wieder hinein, Tatze wird sich nicht gerade freuen, wenn wir ihn warten lassen.“ Sie erhoben sich, James breitete wieder den Tarnumhang über sie beide und dann gingen sie wieder ins Schloss hinein. Das Porträtloch wurde für sie geöffnet und sie kletterten hindurch. Lily war froh, dass Sirius irgendwelche anzüglichen Bemerkungen und Blicke sein ließ. Sie wollte diese Nacht nicht verderben. James gab ihr noch einen kurzen Kuss und wünschte ihr eine gute Nacht, während Sirius diskret im Hintergrund wartete. Doch kaum war sie um die Biegung der Treppe zu den Schlafsälen verschwunden, hörte sie auch schon, wie Sirius James mit Fragen bedrängte. Bevor sie in ihren Schlafsaal ging hörte sie noch wie James sagte: „Ein Gentleman genießt und schweigt.“ Glücklich lächelnd ging sie schlafen.
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