von black_swan
3. Kapitel: Der Blutige Baron
Der Blutige Baron stierte regungslos auf die Stelle, wo die Graue Dame durch die massive Eichentür verschwunden war. Das Entsetzen in ihrem Gesicht war dem so ähnlich, das vor so vielen Jahren ihr schönes Gesicht entstellt hatte, als sein Messer sich in ihre Brust gesenkt hatte.
Ihre eisblauen Augen weit aufgerissen, sodass er sein Spiegelbild darin sehen konnte; den Mund wie zu einem verzweifelten Aufschrei aufgerissen…
Nie würde er diesem Bild entfliehen können. Niemals. Er hatte es versucht.
Zuerst war er fortgelaufen, war geflohen vor dem Anblick der zusammengesunkenen Gestalt auf der Lichtung… Durch den ganzen Wald war er gerannt, viele Stunden lang, doch er konnte weder dem Bild entkommen – noch sich selbst. Er erinnerte sich, wie er irgendwann stehen geblieben war und an sich hinabgeschaut hatte. Das Blut an seinem Umhang war getrocknet. Hässliche braune Flecken hatte es auf dem edlen Stoff hinterlassen. Und seine Hände – seine teuer beringten Hände… Auch an ihnen klebte das Blut.
Das Blut der Frau, die tot auf der Lichtung lag.
Das Blut der Frau, die er einst geliebt hatte.
Das Blut der Frau, die nur mit ihm gespielt hatte…
Wie sie gelacht hatte, als sie ihm sagte, dass sie nicht im Traum daran dächte, ihn zu heiraten – ein Lachen so klar und kalt wie ein Eiszapfen. Ihre langen Haare hatte sie zurückgeworfen und ihren schönen Mund weit geöffnet. Volle, tiefrote Lippen, schneeweiße Zähne.
In diesem Augenblick war der Hass geboren worden. Hass, der sich an seiner enttäuschten Liebe nährte, der mit jedem verstrichenen Tag wuchs und mit ihm der Wunsch nach Rache…
Und dann hatte Helena das Diadem ihrer Mutter gestohlen. Der Wunsch einmal in ihrem Leben von allen bewundert zu werden hatte sie dazu getrieben. Des Barons große Stunde war gekommen, als Rowena Ravenclaw ihn gebeten hatte, nach ihrer verschwundenen Tochter zu suchen. Mit feuchtkalten Händen hatte die Sterbenskranke seine Handgelenke umklammert, viel kraftvoller, als er es ihr in ihrem Zustand zugetraut hätte…
„Findet meine Tochter! Ich will nicht von dieser Welt gehen, ohne ihr gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebe…“
Über das Diadem hatte sie kein einziges Wort verloren.
Er hatte ihr in dem stickigen Turmzimmer in dem sie vor sich hin siechte geschworen, Helena zu finden und zu ihr zurückzubringen. Und nun lag Helena im Wald, ein dunkles Bündel im weißen Schnee…
Das Grauen war über ihn hereingebrochen, über ihn, den alle nur den Bluthund nannten, weil er nie Gefühle gezeigt hatte; weil niemand ihm zutraute, dass er überhaupt dazu fähig sein könnte, irgendetwas zu spüren. Mitten im nachtdunklen Wald war er gestanden und hatte am ganzen Leib gezittert. Der Geruch des Blutes nahm ihm den Atem. Das eisige Metall des Messers, das er immer noch in der Hand hielt, brannte in seiner Hand. Das Messer… auch an ihm war das Blut getrocknet… Matt hoben sich die dunklen Flächen von der silbrigen Klinge ab. Wie hypnotisiert hatte er die Klinge angestarrt. Sie schien ihm zuzuflüstern, ihn zu locken… Ein Versprechen von ewiger Ruhe und nie endendem Vergessen…
Der Baron hatte das Messer gehoben, bereit seinem Ruf zu folgen… Er starb, ohne zu ahnen, dass er in den letzten Stunden in Kreis gelaufen war und nur wenige Meter von ihm entfernt in den Schatten Helenas totes Körper lag.
Das perlweiße Augenlid des Blutigen Barons zuckte unkontrolliert. Er fuhr herum, wobei die Ketten um seine Gliedmaßen gewunden waren, unheilverkündend klirrten und verschwand durch die gegenüber liegende Wand. Irgendjemand würde bezahlen müssen für den Schmerz, der ihn zerfraß…
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