von black_swan
4. Kapitel: Der Fast Kopflose Nick
Die Standuhr schlug Mitternacht, als die schimmernde Gestalt an ihr vorĂĽber schwebte. Sir Nicolas de Mimsy Porpington zuckte zusammen. Sein Kopf verlor den Halt und klappte zur Seite. Leise schimpfend zog er ihn am Ohr zurĂĽck in eine aufrechte Position und zupfte die Halskrause zurecht, die eben jenen Makel verbergen sollte: seinen nur beinahe abgetrennten Kopf.
Der Hausgeist der Gryffindors schwebte einige Meter weiter, doch dann bemerkte er, dass ihm sein Ziel, echauffiert wie er war, entfallen. Ärgerlich rümpfte er die Nase. Es war schließlich nicht so, dass der, nur weil er ein Geist war, alle Zeit der Welt gehabt hätte. Nun ja. Eigentlich schon, aber selbst wenn war dies noch lange kein Grund, diese Zeit nutzlos damit zu verplempern ohne Ziel in der Gegend herumzuflattern! Nach einigen weiteren Minuten, in denen er auf der Stelle geschwebt war, ohne dass sich eine Erinnerung eingestellt hätte, musste er jedoch einsehen, dass es besser war, sich einem anderen Ziel zuzuwenden. Und so beschloss Sir Nicolas, dem siebten Stockwerk des Schlosses einen Besuch abzustatten und dort etwas zu erledigen.
Nun wäre es für ihn zwar ein leichtes gewesen, einfach durch Fußböden und Decken nach oben zu fliegen, doch ein solches Verhalten empfand er als unschicklich. Er war schließlich kein Poltergeist. Nein, er bevorzugte Treppen. Geziert glitt er die weit ausladende Treppe hinauf, die in den siebten Stock führte, vorbei an mehreren Gemälden, aus denen leises Schnarchen drang. Eine Gruppe Zauberer, die Karten spielten, winkte ihm zu und er nickte hoheitsvoll.
„Hallo Nick!“, grüßte eine der leeren Rüstungen, die auf einem Treppenabsatz stand. Sir Nicolas überhörte den Lümmel einfach. Nicht genug damit, dass die Schüler ihn so nannten und das sogar, wenn er direkt vor ihnen stand. Nein, sogar die Rüstungen und Gemälde ließen es an Respekt vor ihm fehlen! Er würde sich bei Dumbledore darüber beschweren! Wobei… dieser würde ihn nur milde anlächeln, mit funkelnden blauen Augen über den Rand seiner halbmondförmigen Brille hinweg anschauen und ihm erzählen, dass diese Anrede nichts anderes sei, als ein Zeichen für das liebevolle Verhältnis, das er zu den übrigen Bewohnern des Hauses habe. Liebevolles Verhältnis, pah! Sir Nicolas schnaubte. Doch gegen seinen Willen musste er lächeln, als er an ein paar besonders freche Schüler dachte.
Im siebten Stock angelangt wandte er sich nach rechts, bis er vor dem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten zum Stehen kam. Einen Moment lang versank er in das Bild des pummeligen Zauberers im rosa Tutu, dessen Bemühungen den Trollen um ihn herum ein paar Pirouetten beizubringen bei diesen nichts anderes als Unverständnis und Mordlust ausgelöst hatten.
Sir Nicolas seufzte. Barnabas war so etwas wie ein Freund gewesen, bis die Trolle sich auf ihn gesetzt hatten.
Doch genug davon, deswegen war er nicht hier. Nein, er musste sich auf das konzentrieren, was hinter dem Wandbehang lag. Aus theatralischen GrĂĽnden schloss er die Augen und runzelte die Stirn, bevor er begann, mehrere Male vor dem Teppich auf und nieder zu schweben.
Als er wieder hinschaute, waren Barnabas und die keulenbewehrten Trolle verschwunden. An ihrer Stelle war nun eine hohe, schmale Tür erschienen. Sie hatte keine Klinke und auch keinen Türknauf, doch dies war kein Hindernis für Sir Nicolas de Mimsy Porpington. Denn Türen und Wände zu durchschweben war in keinster Weise verwerflich, so hatte er beschlossen.
Der Raum hinter der Tür war recht klein. Hoch zwar, aber nur von geringer Grundfläche. Auch Möbel standen keine darin. Allerdings hatte der Raum ein hohes Fenster, das es in Anbetracht der Lage des Raums eigentlich nicht hätte geben dürfen. Das Mondlicht, das dadurch hinein strömte, warf seinen silbrigen Schein auf das Gemälde, welches an der gegenüberliegenden Wand hing. War die junge Frau, die darauf abgebildet war, eben noch ruhig, wenn auch nicht besonders gut gelaunt wirkend auf ihrem Stuhl gesessen, sprang sie nun auf, kaum dass sie Sir Nicolas zu Gesicht bekam. Mit schnellen Schritten näherte sie sich, kam der Leinwand so nahe, dass sie praktisch in Lebensgröße vor ihm stand. Aus ihrem Mund drang ein unartikuliertes Geräusch, irgendwo zwischen fauchen und kreischen. Lady Grieve wäre trotz der Zornesfalte zwischen ihren Augenbrauen und der lodernden Wut in ihren Augen schön gewesen. Wären da nicht die gewaltigen Fangzähne gewesen, die über ihre Lippen hinausragten und ihr das Sprechen unmöglich machten.
Sie starrte Sir Nicolas schwer atmend an, als erwarte sie eine Antwort auf ihre BegrĂĽĂźung, obwohl diese von zweifelhafter Herzlichkeit gewesen war.
„Seid gegrüßt, Lady Grieve“, entgegnete Sir Nicolas nichtsdestotrotz mit ausgesuchter Höflichkeit. „Wie geht es Euch?“
Ihr Fauchen klang nun so anklagend, dass Sir Nicolas abwehrend die schimmernden Hände hob. „Ihr seid doch nicht etwa immer noch wütend auf mich, nach all dieser Zeit? Meine liebe Lady Grieve, ich…“
Der Rest des Satzes ging in einem derart bösartigen Knurren unter, dass Sir Nicolas sich gezwungen sah, zu einer Rechtfertigung anzusetzen. Wie jedes Mal, wenn er sie besuchte – was durchschnittlich alle fünfzig Jahre einmal geschah.
„Wie ihr Euch sicher erinnern werdet“, hob er an, „wart Ihr es, die so erpicht darauf war, dass ich meine Zauberkunst an Euch erprobe.“
So war es tatsächlich gewesen, selbst wenn sie nun schon seit einigen Jahrhunderten das Gegenteil behauptete.
Er hatte ihr nur ein paar harmlose Tricks mit seinem Zauberstab gezeigt, als sie sich nachts heimlich im Park getroffen hatten. Sie war so begeistert gewesen von seinem Können und hatte ihm so lange geschmeichelt, bis er ihr die Sterne vom Himmel herunter gezaubert hätte. Aber so viel wolle sie ja nicht einmal, hatte sie versichert. Eigentlich sei es ja nur eine Kleinigkeit… Eine winzige Winzigkeit, die für einen so großen Magier wie ihn doch sicher überhaupt kein Hindernis darstellen würde. Dann hatte sie ihren Fächer zuschnappen lassen und ihn verschämt angelächelt – ein Lächeln voller Liebreiz, wären ihre Zähne nicht so schief gewesen…
Natürlich hatte er sich sofort bereit erklärt, diesen in der Tat kleinen Makel zu beheben. Doch mit einem wild klopfenden Herzen und einem Gehirn, dass sich mehr wie Pudding anfühlte, war es nicht so leicht gewesen, den richtigen Spruch mit dem richtigen Zauberstabschlenker zu kombinieren… Und offensichtlich hatte er sich vertan. So stand sie denn vor ihm, die Eckzähne bis zum Kinn, mit fassungslos aufgerissenen Augen.
Der Schock hatte ihn ernüchtert, er hatte ihr gesagt, dass das überhaupt kein Problem sei, das zu beheben und ihre Zähne wirklich zu richten, doch sie war vor ihm zurückgewichen, wie vor einem Monster. Unter lautem Gekreisch war sie dann geflohen – nur um kurz darauf mit einer aufgebrachten Meute zurückzukehren und anklagend auf ihn zu zeigen.
Wäre die gute Lady Grieve, die in ihrem Rahmen immer noch tobte und wütete, nicht die Tochter des ansässigen Grafen gewesen, wäre die Geschichte wohl anders ausgegangen – doch so wurde kurzer Prozess mit dem bedauernswerten Zauberer gemacht. Bereits am nächsten Morgen war die Enthauptung beschlossene Sache. Seinen Zauberstab hatte man zerbrochen und ihm so endgültig die Möglichkeit genommen, seinen Fehler zu beheben.
„Ihr braucht keinen Hut mitzubringen“, hatte der Priester ihm versichert, mit von unterdrückten Tränen erstickter Stimme und das hätte Sir Nicolas endgültig aufgezeigt, wie der Tag für ihn enden würde – hätte er nicht ohnehin bereits von weitem die aufgebaute Tribüne erkannt, auf der bereits der schwarz gekleidete und maskierte Henker umherwuselte. Offenbar war dieser in großer Aufregung und als Sir Nicolas näher herangeführt wurde, verstand er auch, was der Henker murmelte. „Wo hab ich’s denn nur? Wo ist denn bloß dieser verflixte Stein?“ Er hatte vergessen, die Axt zu schärfen und konnte nun sein Werkzeug nicht finden… Dennoch versprach er Sir Nicolas einen schnellen Tod, während er die Axt weit hinter seinen Kopf schwang.
Optimistischer Narr, dachte Sir Nicolas voller Groll, der in den vergangenen Jahrhunderten nichts an seinen Ausmaßen eingebüßt hatte. Nach fünfundvierzig Schlägen mit der stumpfen Schneide war er zwar schließlich tot gewesen und alle Umstehenden entweder ohnmächtig oder zumindest von heftigem Unwohlsein geplagt, doch sein Kopf hatte sich immer noch nicht bereit erklärt, seinen ihm angestammten Platz zu verlassen.
„Könnt Ihr Euch vorstellen, wie entwürdigend das für mich ist?“, fragte er Lady Grieve anklagend. „Man lässt mich nicht einmal am Polo der Kopflosen teilnehmen. Erniedrigend ist das!“
Der Blick, den sie ihm nun zuwarf, war mit Worten nicht zu beschreiben. Ohne einen Ton von sich zu geben, hob sie ihre zarte Hand und wies mit ihren schlanken Fingern auf ihr gut sichtbares Gebiss. Wie er zufällig wusste, weil er in den ersten Jahren seines Geisterdaseins oft in ihrem Hause gespukt hatte, hatte sie den Rest ihres recht langen Lebens eingeschlossen in einer Kammer auf dem Dachboden des Hauses ihres Vaters verbracht. Doch war das etwa ein Grund, sich so aufzuführen?
Sir Nicolas de Mimsy Porpington schĂĽttelte den Kopf. Sie war einfach uneinsichtig. Er sah ein, dass er hier seine Zeit verschwendete. Mittlerweile war ihm auch wieder eingefallen, was er eigentlich vorgehabt hatte und so entschwebte er dem Raum der WĂĽnsche ohne ein Wort des Abschieds.
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