
von S_ACD
Ich hab mich vertan. (Und eigentlich gehofft, dass das still und heimlich unterm Teppich verschwindet, aber jetzt muss ich's wohl wieder hervorkramen.)
Fleurs Schwangerschaft geht sich zeitlich nicht aus. Victoire kommt nämlich am 2. Mai zur Welt (daher auch der Name - Victoire ist französisch für Sieg, was daher kommt, weil sie am Jahrestag der Schlacht um Hogwarts das Licht der Welt erblickt hat) und das geht nicht, wenn Fleur irgendwann im März schwanger geworden ist.
Blöde neun Monate... aber lassen wir's gut sein und nennen diese kleine Detail künstlerische Freiheit, ja?
GlĂĽckwunsch an -Mao-, die beide Anspielungen gefunden hat. =) (Ich war echt baff. Die Schlagzeile hab ich wirklich nicht erwartet.)
Die heutige Anspielung ist von einem Kommentar inspieriert und wird deshalb Katie Weasley gewidmet.
~-~-~-~
Der Fuchsbau ist beinahe beängstigend still und das ist ganz besonders mies. Obwohl es heutzutage schon etwas ruhiger zugeht als früher – was irgendwie logisch ist, wenn man bedenkt, dass beinahe zwei Drittel der ehemaligen Bewohner ausgezogen sind – ist so gut wie immer jemand da.
Aus zahlreichen, ziemlich unterschiedlichen Gründen (Langeweile, Hunger, irgendwelcher Ministeriumskram, Tipps oder Ratschläge, Liebeskummer… die Liste lässt sich beliebig lange fortsetzen) lungert so gut wie die Hälfte aller ausgezogenen Personen mindestens drei- bis viermal wöchentlich in unserem alten Zuhause herum.
Lange Rede, kurzer Sinn – worauf ich hinaus will ist folgendes: Wenn sich der Fuchsbau an einem Montagmittag so mucksmäuschenstill verhält wie ein Klasse voller Erstklässler, die gerade von Snape zusammengestaucht worden sind, dann ist das kein besonders gutes Zeichen.
„Was meinst du?“, sagt George leise, als er die Haustür aufzieht, „Jemand gestorben?“
Die meisten Menschen würden die Art von Bemerkung in Anbetracht der Umstände wohl für geschmacklos oder unsensibel halten, aber ich weiß, dass sie im Gegenteil ein ziemlich eindeutiger Beweis dafür ist, wie mulmig ihm gerade zumute ist.
Ich seufze leise und zucke mit den Schultern.
Mir geht es schlieĂźlich nicht anders.
„Hallo?“, rufe ich, kaum das wir den Flur betreten haben, „Die Ehrengäste sind da!“
Merlin sei Danke sind aus der Küche Stimmen und gedämpfte Geräusch zu hören und als wir uns durch die Tür schieben, laufen einer wahren Volksversammlung in die Arme.
Harry lehnt mit verschränkten Armen an der Spüle, um den Tisch sitzen Mum, Fleur, Ginny, Bill, Dad und Percy.
Die letzten drei haben wir ihren Gesichtern nach zu urteilen ganz offensichtlich in einer hitzigen Debatte unterbrochen – Percy wirkt aufgebracht, Dad gereizt und Bill (was ein ganz besonders schlechtes Zeichen ist, weil das bei ihm wirklich nicht oft vorkommt) ist so offensichtlich zornig, dass man es quer durch den Raum spüren kann.
Alle Köpfe fahren zu uns herum, als wir eintreten und Mum springt blitzschnell auf.
„Da seid ihr ja endlich!“
Sie macht Anstalten, George um den Hals zu fallen, hält mitten in der Bewegung inne, wendet sich mir zu, hält wieder inne und erwischt uns dann irgendwie beide in einer ziemlich unangenehmen Halbumarmung.
„Urgh-“
„Mum-“
„Was-“
„Ist ja gut-“
„Entschuldigung“, murmelt sie aufgelöst, als sie uns wieder loslässt, „Ihr habt ja Recht, meine Lieben, ich-“
„Molly“, sagt Dad beschwichtigend und stoppt damit gleichzeitig Fleur, die sich schon halb aus ihrem Stuhl erhoben hat, „Molly, Schatz, lass sie doch erst mal hinsetzten. Alles kommt wieder in Ordnung.“
Der letzte Satz bringt Bill dazu, verächtlich zu schnauben und Percy wirft ihm einen warnenden Blick zu. Mir ist nicht ganz klar, ob er das tut, weil er wegen dem Mangel an Respekt ungehalten ist oder einfach nur versucht, die Wogen zu glätten – was uns zu der nicht unberechtigten Frage führt, was um alles in der Welt sich ereignet hat, um sie überhaupt erst so mannshoch schlagen zu lassen.
George und ich wechseln einen raschen Blick, dann lassen wir uns auf unsere angestammten Plätze um den Küchentisch fallen, die gnädigerweise freigelassen wurden.
„Also schön“, mein Zwillingsbruder runzelt die Stirn, „Was zum Teufel ist hier los?“
Ginny schiebt mit finsterer Miene zwei Blätter Pergament über die Tischplatte – dicht und nicht besonders ordentlich beschrieben, fleckig und mit Eselsohren.
„Lest das“, sagt sie verbissen.
Wir wechseln noch einen Blick (und ignorieren dabei das ziemlich unangenehme Gefühl, von allen beobachtet zu werden), dann ziehe ich den Brief die letzten paar Zentimeter zu uns her. Das unvermeidliche Rascheln klingt in der plötzlichen Stille beinahe unerträglich laut und George stützt geistesabwesend einen Arm auf die Rückenlehne meines Stuhls.
Dann lesen wir.
„Tut mir leid“, kommt es irgendwann gedämpft von der Spüle her (aber wir sind gerade mitten auf der ersten Seite und ich höre Harry nur so nebenbei), „Ich muss dann wieder zurück, heute Morgen war die Hölle los und Ron ist schon seit zwei Stunden allein…“
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Ginny sich leise erhebt und ihn hinausbegleitet.
Als wir fertig sind kann ganz ehrlich nicht glauben, was ich da gerade gelesen habe.
„Heilige…“, sagt George und klingt dabei mindestens so baff wie ich mich fühle, „Das kann doch nicht-“
„Was soll das heißen, weg?“, falle ich ihm ins Wort, „Ich meine… weg?“
„So richtig?“
„Ja“, sagt Dad und wirft einen beunruhigten Blick zu Mum, die inzwischen aufgestanden ist und die verschiedenen Kochbücher gerade rückt, die im Regal stehen, „So richtig. Da habt ihr’s doch schwarz auf weiß. Molly, alles in Ordnung?“
„Er kann nicht weg sein!“, sage ich ungläubig, „Ich meine-“
„Meine Rede!“, wirft Percy ein, „Ich bitte dich, Vater, ernsthaft – auch wenn die Organisation dieser Leute ab und an vielleicht etwas zu wünschen übrig lässt, niemand verschwindet dort unten einfach so. Das sind erwachsene, verantwortungsbewusst Forscher, die werden schon wissen, was sie tun.“
„Die werden schon wissen, was sie tun?!“, Mum fährt mit funkelnden Augen zu ihm herum und wir alle zucken erschrocken zusammen, „Die werden schon wissen, was sie tun?! Erwachsen hin oder her, das dort unten ist ein Reservat! Ein Drachenreservat, du lieber Himmel, voll mit echten DRACHEN! Da kann wer weiß was passieren – besser gesagt, es kann längst wer weiß was passiert sein, ohne dass wir auch nur die leiseste Ahnung davon haben und ihr- ihr…! Charlie ist doch immer so euphorisch, wenn…“
Sie sinkt in sich zusammen.
„Er ist doch immer so euphorisch…“, wiederholt sie leise und ich muss mit einem Mal hart schlucken, „Vor allem, wenn er… wenn…“
Dad steht auf und nimmt sie in den Arm.
Percy schĂĽttelt den Kopf, aber es wirkt nicht missbilligend, sondern einfach nur ratlos.
Ein paar Sekunden herrscht schweigen.
Bill fährt sich mit einer Hand übers Gesicht und scheint Fleurs besorgten Blick gar nicht wahrzunehmen.
„Ich gehe da runter, ihn suchen“, sagt er, gerade als Ginny wieder zur Tür hereinschlüpft, „Und damit basta.“
Dad wirft ihm einen scharfen Blick zu und es ist vollkommen klar, dass es genau dieser Punkt war, den sie diskutiert haben, als wir hereingekommen sind, aber bevor er noch etwas sagen kann, meldet sich unsere kleine Schwester zu Wort.
„Klasse Idee, wirklich“, faucht sie ungehalten, „Und dann? Hä? Du hast keine Ahnung von Rumänien und du hast keine Ahnung von Drachen – ganz zu schweigen davon, dass du nicht mal ’ne Ahnung hast, wo du überhaupt anfangen sollst. Wie auch? Wir wissen ja nicht, was überhaupt genau passiert ist!“
„Außerdem suchen sie ihn doch“, sagt Percy und in einer Situation, die nicht ganz so ernst wäre, hätte ich es wahrscheinlich irgendwie witzig gefunden, dass er und Ginny einer Meinung sind (aber hier und jetzt macht diese Tatsache beängstigend viel Sinn), „Und sie halten uns über den Stand der Dinge auf dem Laufenden, also was… was können wir sonst noch groß tun? Sei doch vernünftig, ich bitte dich.“
Bill sagt gar nichts.
Stattdessen sieht er erst Percy an, dann wandert sein Blick über Ginny weiter zu Dad – die Zähne hat er so fest zusammengebissen, dass mir schon vom Zusehen das Kiefer wehtut und sein Gesicht ist kaum mehr als eine ausdruckslose Grimasse.
Er steht langsam auf – die Hände auf die Tischplatte gestützt und jede Bewegung so sorgfältig kontrolliert, dass man seinen Körper vor unterdrückter Spannung förmlich vibrieren sehen kann – und wendet sich ab, ohne jemanden anzusehen.
Durchquert die KĂĽche, durchquert den Flur und-
PANG!
-knallt die EingangstĂĽr so fest hinter sich zu, dass das ganze Haus in seinen Grundfesten erzittert.
Ein paar Sekunden lang hallt der hohe, singende Ton, den die Gläser in der Anrichte von sich geben, in meinen Ohren wieder und Fleur steht hastig auf und schwebt trotz bekümmerter Miene und beachtlichem Bauchumfang zauberhaft und graziös wie immer hinaus.
Und ich habe ganz plötzlich auch das Gefühl, dass ich hier raus muss.
Bevor ich aber noch dazu komme aufzustehen, hat George mich schon vom Stuhl hochgezogen.
„Gleich wieder da“, versichere ich, während er mich nicht allzu unsanft Richtung Tür schiebt. (Obwohl die Ankündigung im Grunde überflüssig ist – das Ritual ist in unserer Familie sowieso mehr als üblich.)
Passiert irgendwas schlimmes, wird erst groĂźer Rat gehalten, dann verzieht man sich mit den Personen, die man am meisten ausstehen kann, um das ganze noch mal im kleinen Rahmen zu besprechen.
Wir verschwinden nach oben in unser altes Zimmer, das jetzt, wo Harry und Ginny ihren Hauptwohnsitz in den Grimmauldplatz verlegt haben, wieder zur VerfĂĽgung steht.
Nachdem wir die TĂĽr hinter uns zugemacht haben, herrscht einen Augenblick lang Schweigen.
„Schöne Scheiße“, sagt George dann, „Ernsthaft, das ist einfach-“
„-scheiße.“
„Yep.“
„Und? Findest du, er sollte...?“
„Wer? Bill?“
„Hm.“
„Ich…“
Keine Ahnung, ehrlich gesagt.
Rein objektiv betrachtet lagen Ginny und Percy gar nicht mal so daneben – ich meine, Rumänien? Noch dazu im Winter und zwei Wochen vor Weihnachten?
Ach, was weiĂź denn ich.
Bescheuerte Gesamtsituation, schlicht und einfach.
Aber andererseits, so dumm es auch wäre, jetzt einfach auf eigene Faust loszuziehen und dort unten einen Stein nach dem anderen nach Charlie umzudrehen (und so sinnlos sich diese Aktion am Ende wahrscheinlich auch erweisen würde) – ich kann Bill verstehen.
Mehr als das, um ehrlich zu sein.
Ich würde an seiner Stelle auch nicht anders reagieren. (Vielleicht mal abgesehen von der unbedeutenden Tatsache, dass ich, wenn es hier um George gehen würde, Dad, Percy und Ginny laut und deutlich gesagt hätte, wohin sie sich ihre vernünftige Einstellung stecken können und längst drüben am Festland auf der Suchen wäre.)
Aber natürlich ist das reine Spekulation, denn immerhin… Ich will’s mal so formulieren:
Sollte es dem Vollidioten jemals einfallen, von heute auf morgen irgendwo in Europa verschollen zu gehen, dann macht er das gefälligst nicht allein.
Punkt, aus.
Besagter Vollidiot sieht mich in der Zwischenzeit mit schiefgelegtem Kopf und schmalem Grinsen an.
„Ja“, sagt er und kurz geht mir durch den Kopf, wie sich irgendwelche außen stehenden Zuhörer an dieser Stelle wieder mal fragen würden, welche Wendung unsere Unterhaltung eben genommen hat, „Würde ich ganz genau so machen.“
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, weil die ganze Situation schon jetzt gefährlich in sentimentale Gewässer abzudriften droht.
„Ohh, danke, wirklich. Wie überaus großzügig. Mehr fällt dir dazu nicht ein?“
Er zuckt mit den Schultern, das Grinsen wird breiter.
„Tut mir ja leid. Ich wusste nicht, dass ich n’Lied drüber schreiben sollte.“
„Solltest du auch nicht.“
„Was denn, keine dreistündige Ballade?“, er breitet herausfordernd die Arme aus, „Vielleicht hätte ich sogar Reime hinbekommen.“
„Was wahrscheinlich um einiges beeindruckender wäre, wenn du tatsächlich singen könntest.“
Er fasst sich ans Herz. „Meine armen Gefühle!“
„Sorry“, ich grinse zurück, „Mein Trommelfell ist mir wichtiger als deine Gefühle.“
„Tse“, er schnaubt abfällig, „Und das Gejammer geht wieder los. Du warst schon immer schrecklich wehleidig, hab ich dir das jemals gesagt?“
„Du meinst, mal abgesehen von all den Quidditch-Spielen, Ausflügen in den Verbotenen Wald und Auseinandersetzungen mit Peeves, die aus dem einen oder anderen Grund immer wieder im Krankenflügel geendet haben?“
„Mal abgesehen davon. Ach, und dem einen Mal, als Katie Bell dir eine verpasst hat, weil wir im Mädchenteil der Quidditch-Umkleide waren.“
„Hey. Hey! Das tat echt VERDAMMT weh.“
„Ein Mädchen, Fred. Ein. Mädchen. Mehr sage ich dazu gar nicht.“
„Sie hat mir die Nase gebrochen!“
„Mmmmh~hm.“
„…beinahe die Nase gebrochen.“
„Mh-hm.“
„…auf jeden Fall versucht, mir die Nase zu brechen.“
„Na schön, das kann ich beim besten Willen nicht abstreiten.“
„Danke sehr. Und wenn wir schon mal beim Thema sind – hab ich mich eigentlich jemals dafür bedankt, dass du ganz plötzlich von der Bildfläche verschwunden warst?“
„Aaach, komm schon… wozu hätten wir denn alle beide Ärger mit den Mädels kriegen sollen?“
„Im Materialspind.“
„Na und?“
„Das ist sogar für deine Verhältnisse erbärmlich.“
„Wie heißt es doch so schön? Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen.“
„Verzweifelt genug, um im Materialspind zu verschwinden?“
„Hey, komm schon… Wood schien sich zu freuen.“
„Du meinst, nachdem er sich von seinem halben Herzinfarkt erholt hatte, oder?“
„Jaah… Mann, so verzerrt hab ich sein Gesicht sonst nur dieses eine Mal gesehen, als er dachte, die Slytherins hätten seine Mappe mit den Strategieaufzeichnungen geklaut.“
„Stimmt. Hat uns alle total verrückt gemacht in diesen zwei Tagen, was?“
„Warum hat uns das noch mal nicht gestört?“
„Heh. Weil wir wussten, wo das Teil war.“
„Ach ja, richtig.“
Wir starren uns demonstrativ in die Augen – dann müssen wir beide lachen.
Und das dumpfe, unangenehme Gefühl, dass sich in meiner Magengegend ausgebreitet hat, seit wir den fleckigen Brief gelesen haben, ist mit einem Mal ein ganzes Stück erträglicher geworden.
Charlie Weasley ist schlieĂźlich immer noch unser groĂźer Bruder.
Den bringt so schnell nichts um und damit basta.
~-~-~-~
Als wir wieder im Erdgeschoss ankommen, herrscht die erschöpfte Ruhe nach dem Sturm. Fleur kommt gerade zur Haustür herein, bemerkt uns nicht, lehnt sich gegen den Türrahmen und seufzt tief.
„Alles in Ordnung?“
Sie sieht auf und ihre Augen funkeln (ohne jetzt irgendwie übertrieben poetisch klingen zu wollen) genauso wie die paar Schneeflocken, die sich trotz der Wärme noch in ihren Haaren gehalten haben.
„Aber sicher, mir geht es bestens… was man von eure Bruder nischt unbedingt be’aupten kann.“
Sie stemmt die Arme in die HĂĽften.
„Er weigert sich, wieder ins ’aus su kommen.“
Durch die angelehnte Küchentür kommen ein paar bekannte Geräusche, die unmissverständlich darauf hindeuten, dass Mum am Teekochen ist.
„Wir reden mal mit ihm“, sage ich, weil George und ich abgesehen von Fleur immerhin die einzigen sind, die sich an diesem Tag noch nicht mit Bill gefetzt haben.
Sie nickt langsam.
„Merci.“
~-~-~-~
Der Wind pfeift, es ist kalt und es schneit immer noch – aber keine dieser Tatsachen scheinen unseren ältesten Bruder besonders zu stören.
Er sitzt auf dem niedrigen Zaun, dessen ursprüngliche Funktion es eigentlich war, die Hühner drinnen zu halten (was aufgrund des ausgeprägten Freiheitsdrangs, den diese Tiere seltsamerweise irgendwann entwickelt haben, nicht besonders gut funktioniert hat) und macht den Anschein, als starre er ins Nichts.
Was ein ziemlicher Trugschluss ist, wie sich gleich darauf herausstellt, weil er sein Missfallen schon zum Ausdruck bringt, bevor wir noch bis auf fĂĽnf Schritte herangekommen sind.
„Haut ab.“
Selbstverständlich ist beiden Parteien klar, dass dieser Einwand nur pro forma erfolgt, denn – seien wir mal ehrlich – George und ich wären nicht die, die wir heute sind, wenn wir uns Zeit unseres Lebens auch nur ein einziges Mal durch solche halbherzigen Einwänden von irgendwas hätten abhalten lassen.
„Sorry.“
„Uns ich natürlich klar-“
„-das du auf Percy gewartet hast-“
„-aber bis dahin wirst du wohl oder übel mit uns Vorlieb nehmen müssen.“
Er protestiert nicht, macht sogar Platz, als wir uns links und rechts von ihm auf den Zaun schwingen und dann lassen wir uns gut eine Minute stumm von Schneeflocken berieseln – aber wenigstens ist es kein unangenehmes Schweigen.
„Also“, sage ich schließlich, „Rumänien, huh?“
Er zuckt mit den Schultern und fährt sich mit einer Hand übers Gesicht.
Irgendwie wirkt er mĂĽde.
„Ja“, sagt er, „Vermutlich. Wenn ich so kurzfristig noch Urlaub kriege. Und wenn nicht… tja. Ach, scheiße.“
Der Schnee fällt absolut lautlos vom Himmel und schert sich einen feuchten Dreck um unsere Probleme.
„Scheiße“, wiederholt er, „Hoffentlich geht’s ihm gut.“
„Ganz sicher“, lässt George sich nachdrücklich von der anderen Seite vernehmen, „Mal ehrlich, der Drache, der Charlie umhaut, ist noch nicht gezüchtet.“
Bill macht ein Geräusch, von dem sich nicht genau sagen lässt, ob es belustigtes Schmunzeln oder ungläubiges Schnauben war.
„Wisst ihr, was ich mich immer gefragt habe?“, er sieht erst nach links, dann nach rechts, „Ob das bei euch Optimismus oder einfach pure Blödheit ist.“
Der Rippenstoß mit dem Ellenbogen, den er sich daraufhin fängt, erfolgt von beiden Seiten absolut gleichzeitig.
„Übrigens“, sagt er dann munter und ich bin mir nicht ganz sicher, ob seine Stimme diesen Tonfall hat, weil er jetzt tatsächlich irgendwie beruhigt ist oder ob er sich als großer Bruder einfach dafür verantwortlich fühlt, dass es uns besser geht, „Diesen Mittwochabend schon was vor?“
„Mittwoch“, sage ich, „George, was war da noch mal? Wöchentlicher Bordellbesuch?“
„Nah“, sagt er und obwohl Bill im Weg sitzt, weiß ich, dass er schon wieder grinst, „Die Huren sind Freitags. Mittwoch machen wir die Runde bei allen, die uns Schutzgeld zahlen.“
„Ach ja, stimmt.“
„Merlin“, er klingt überzeugend genervt, „Kannst du dir unsere Termine bitte endlich mal merken?“
An Bills amĂĽsiertem Gesicht kann ich ablesen, dass sein Themenwechsel wohl doch nicht nur ausschlieĂźlich darauf abgezielt hat, kleine BrĂĽder aufzubauen.
„Okay“, sagt er, „Das war’s, kein Optimismus. Die Blödheit hat soeben offiziell gewonnen.“
„Bu-hu“, sage ich trocken, „Das war so gemein, ich muss gleich heulen.“
„Aber wirklich“, fügt George tadelnd hinzu, „Kein Grund, hier ausfallend zu werden. Was ist Mittwoch?“
„Mittwoch seid ihr eingeladen. Meine wunderbare Frau macht Abendessen.“
Ich beuge mich vor und tausche an unserem ältesten Bruder vorbei einen selbstzufriedenen Blick mit George (der genau dieselbe Bewegung gemacht hat).
„Cool.“
Na wer sagt’s denn.
Selber kochen?
Absolut ĂĽberflĂĽssig.
„Na dann“, sagt unser ältester Bruder, „Wieder zurück ins Haus?“
„So was“, ich grinse ihn an, „Sag bloß, dir ist kalt.“
Er sieht aus, als hätte er gute Lust, mir einen Schneeball ins Gesicht zu knallen, entscheidet sich dann aber dagegen.
Stattdessen steht er einfach auf, reibt sich die klammen Hände und wartet darauf, dass wir folgen.
„Kommt schon, Herrschaften. Abmarsch.“
George rollt mit den Augen. „Ja, Sir.“
„Sofort, Sir.“
Bill grinst. „Passt bloß auf, an die Anrede könnte ich mich durchaus noch gewöhnen.“
„Jaah“, mache ich sarkastisch, „Sonst noch was?“
„Träum weiter“, fügt George hinzu.
Wir stapfen zurĂĽck zum Haus.
„Ach ja“, sagt Bill auf halbem Weg, „Hab ich euch übrigens schon gefragt…“
„Was?“
Unser ältester Bruder senkt seine Stimme auf ein verschwörerisches Flüstern.
„Ihr wisst es wahrscheinlich auch nicht, aber… könntet ihr euch irgendeinen Grund vorstellen, warum Perce Briefe aus Peru kriegt?“
Ich bleibe so abrupt stehen, dass George in mich hineinrennt.
„Echt?“
Allerdings scheint ihm das in diesem Moment ziemlich egal zu sein, denn er starrt Bill an, als wäre ihm das Christkind erschienen.
„Kein Scheiß?“
Mit dieser Reaktion hat unser Ältester ganz offensichtlich nicht gerechnet. Er runzelt die Stirn und sieht etwas verwirrt zwischen uns beiden hin und her.
„Ja“, sagt er, „Ernsthaft. Warum? Wieso seid ihr- Moment mal. Ihr wisst doch was, hab ich Recht?“
„Nein“, beteuern wir gleichzeitig, „Absolut keine Ahnung.“
Was in Anbetracht der Tatsache, dass wir gleich darauf in schallendes Gelächter ausbrechen, zugegebenermaßen nicht besonders überzeugend wirkt.
~-~-~-~
Für dieses Kapitel hab ich die Pixies totgehört, besonders das Lied "River Euphrates" - weil der Kapitelinhalt doch irgendwie ernster war.
(...und weil ich 'nen furchtbaren Ohrwurm hatte.)
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