
von S_ACD
Ohhh Gott, weiß überhaupt noch irgendjemand, worum es hier geht? :D
Egal, wie viele LeserInnen noch übrig geblieben sind – und echt, ich kann niemandem, der inzwischen aufgegeben hat, auch nur den kleinsten Vorwurf machen – diese Geschichte wird. Jetzt. Weitergeführt. Punktum.
Es ist nämlich allerhöchste Zeit dafür.
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„Keine, ah... keine hastigen Bewegungen“, wispert es hinter meinem Rücken, „Das, ah, das könnte ihn aufscheuchen oder... oder nervös machen, oder-“
Trotz meiner angeblich neu erworbenen Hellseherkünste bin ich leider noch nicht dazu imstande, Drachengedanken zu lesen und deshalb würde ich auch nie behaupten, ich wüsste, was in dem massigen Kopf gerade vor sich geht, aber eines erscheint mir ziemlich eindeutig – nervös ist das Vieh nicht.
Dazu hat es nämlich überhaupt keinen Grund.
„Wir müssen ins Zelt“, sage ich so ruhig wie möglich und in normaler Lautstärke, weil Flüstern nicht mehr viel Sinn hat, jetzt, wo unsere Anwesenheit eindeutig bemerkt worden ist. „Das ist für Drachen unsichtbar und vielleicht sogar feuerfest-“
„Vielleicht?“, murmelt George neben mir zweifelnd, und ich weiß, dass er die Stimme nicht wegen des Drachens gesenkt hat, sondern damit Fleury nicht mithören kann.
„Hoffentlich“, gebe ich in derselben Lautstärke zurück, „Ansonsten können wir uns schon mal was zum Löschen su-“
Die Bewegung kommt so schnell, dass rechtzeitiges Reagieren beinahe unmöglich ist. Der Drache stürmt los, dunkelgrün und mit goldblitzenden Hörnern, ohne auch nur seine Flügel auszubreiten – gut, dabei wären ihm ohnehin die Bäume im Weg – und wir hechten auseinander.
„Ab ins Zelt!“, kommandiere ich laut, und hoffe gleichzeitig, dass Fleury wenigstens weit genug hinter George und mir gestanden hat, um nicht stellvertretend für uns durchlöchert zu werden. Rein von der Entfernung her hat er für die Flucht ins Zelt sowieso die besten Chancen.
Der Schnee knirscht unter meinen Handflächen, als ich mich hektisch aufrapple, dann brüllt mein Bruder „FRED!“ und als ich mich umdrehe, erinnert mich das vorbeizischende Flimmern für den Bruchteil einer Sekunde an den Goldenen Schnatz. Nur dass der nicht lang, spitz und an einem tonnenschweren Körper befestigt war.
Der irrationale Reflex, mit dem der Mensch anscheinend immer reagiert, wenn er befürchten muss, irgendetwas mitten ins Auge gerammt zu bekommen, lässt mich recht unelegant zur Seite springen. Fast verdrehe ich mir dabei meinen eigenen Fuß, bevor mich etwas mit solcher Wucht an der Schulter trifft, dass ich sofort wieder zu Boden geschleudert werde.
Das ratschende Geräusch von zerreißendem Stoff ist kaum mehr als eine unwichtige Nachbemerkung. Ich schlage deutlich härter auf als beim ersten Mal und will mich auch gleich wieder in die Höhe stemmen, als mein linker Arm unter mir nachgibt.
Da, wo ich gelandet bin, ist der Schnee rot und matschig.
Mist, denke ich verschwommen, Mistmistmist, ich muss wieder aufstehen, mein Zauberstab, ich muss-
Der andere Arm funktioniert noch; ich schaffe es, mich aufzusetzen, und die Welt kippt zur Seite. Jemand – George – packt mich am Kragen und reißt mich unsanft zurück, weg von dem dunkelgrünen Koloss, der plötzlich nur wenige Zentimeter von meinen Füßen entfernt vorbeidonnert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir irgendetwas verdammt wehtun sollte, aber im Augenblick fühle ich mich einfach nur seltsam benommen. Zelt. Wir müssen alle ins Zelt.
„Stupor!“, schreit eine Stimme und als nächstes habe ich Fleury wieder im Blickfeld, doch sein Zauber zeigt in etwa so viel Wirkung wie eine von Filibusters Raketen, die ohne jede Begeisterung gegen die Schlossmauern von Hogwarts geschossen wird.
„Los“, keucht George, und mittlerweile klingt seine Stimme wohl auch für Außenstehende nicht mehr ganz so lässig wie sonst, „Los, los, los!“
Er zieht mich hoch und durch meinen Arm, meine Schulter, meine ganze linke Seite schießt unerträglicher, gleißend weißer Schmerz. Ich schreie auf – es geht einfach nicht anders – und Georges Kopf fährt zu mir herum. Sekundenlang liegt in seinem Blick blanke, unverhohlene Panik.
„Scho’gut“, würge ich hervor, bevor er noch den Mund aufmachen kann, „Schon gut, ist nur n’Kratzer-“
„Stupor!“, versucht es Fleury erneut (mit genauso viel Erfolg wie beim letzten Mal), bevor sich seine Hand um meinen unverletzten Oberarm schließt, „Kommen Sie, schnell, nun kommen Sie doch schon-“
Er zieht mich zum Zelt, der Schmerz brennt in meiner Schulter, die Plane des Eingangs flappt, der Schmerz hämmert in meinen Ohren, Fleury zieht mich ins Zelt, während George draußen zurückbleibt, und der Schmerz rinnt durch meine Fingerspitzen und unter meine Fingernägel- Mein Magen krampft sich urplötzlich zusammen, und anstatt vornüber zu kippen wähle ich eine weitaus unelegantere Lösung: Ich kotze Fleury direkt vor die Füße.
Da mein Zwillingsbruder und ich schon seit unserer jüngsten Kindheit um einiges faszinierter von Erbrochenem waren – nicht nur von unserem eigenen, wohlgemerkt, sondern einfach von Erbrochenem im Allgemeinen – als normale Menschen das eigentlich sein sollten, kommt mir augenblicklich der Gedanke, dass mein Mageninhalt erstaunlich flüssig ist.
„Mann“, röchle ich, „...wo ist das Frühstück hin?“
Fleury bugsiert mich auf Charlies weitgehend unbenutzte Bettkante. Sein Gesicht wirkt, als wollte er eine angewidert Miene ziehen, könnte sich aber im Moment nicht genau daran erinnern, wie das wieder funktioniert hat.
„Bleiben Sie hier“, sagt er, dreht sich um und... stürmt doch glatt wieder hinaus.
Mir klappt die Kinnlade herunter. Okay, also erstens: George. Zweitens, seit wann ist Fleury hier der große Held? Und drittens – was genau glaubt der denn, dass ich machen werde? Nach draußen rennen und den verdammten Drachen heldenhaft vollbluten?
Auf der anderen Seite, siehe Punkt eins: George.
Kaum zu glauben, dass wir vor nicht einmal zehn Minuten noch darüber geredet haben, wie gelegen es uns nicht käme, wenn Fleury tatsächlich von einem Drachen gefressen werden würde. Ich schätze, um die Weihnachtszeit herum muss man tatsächlich aufpassen, was man sich wünscht.
Scheiße, ist mir schwindelig. Der Lärm, der ins Zelt hereindringt, kommt so gedämpft in meinem Hirn an, als hätte mir jemand die Gehörgänge zugestopft. Weit, weit weg... Ich blinzle hinunter zu meiner verletzten Schulter und stelle seltsam fasziniert fest, dass das Horn einen ordentlichen Teil des dicken Winterumhangs weggerissen hat. Die Schichten darunter hat es ebenfalls erwischt und unter den ganzen ruinierten Kleidungsschichten schimmert ein bisschen zerfetztes Fleisch durch. Unaufhörlich sickert Blut hervor, der Stoff des Umhangs ist bereits vollgesogen.
Draußen gibt es Geschrei, ziemlich lautes Geschrei sogar und hey- höre ich da etwa Charlies liebliches Organ? Egal, entscheide ich – umtätig herumzusitzen, während sich andere Leute mit einem Drachen anlegen, ist definitiv nicht akzeptabel.
Ich komme auf die Beine – etwas unsicher zwar, aber es geht – und stapfe zum Zelteingang, wobei ich einen großen Bogen um mein (seltsam flüssiges) Frühstück mache. Nun ja, einen so großen Bogen wie eben möglich. Noch im Gehen fummle ich nach meinem Zauberstab, doch meine heroische Tat wird dadurch verhindert, dass plötzlich George hereingestürzt kommt.
Sein Tempo ist beachtlich und logischerweise rennt er mich beinahe über den Haufen. Charlie ist direkt hinter ihm, gefolgt Lance (gut zu wissen, dass der offenbar auch noch lebt) und dann nimmt mir Traians monströser Schatten in der Zeltöffnung jede Sicht auf die Außenwelt.
„Und?“, frage ich so beiläufig wie möglich, obwohl ich mich echt gerne wieder hinsetzten würde. „Irgendjemand to-“
Charlies herzhafter Fluch, der ihm über die Lippen kommt, kaum dass er die blutige Bescherung, die im Moment meine Schulter darstellt, zu Gesicht bekommen hat, verhindert, dass ich meine Frage fertig stellen kann, aber George schüttelt bereits den Kopf.
„Keinem was passiert“, sagt er, „Sieg.“
Er ist beängstigend blass um die Nasenspitze, trotz der Röte, die die Kälte hervorgerufen hat und seine Augen hören nicht auf, zwischen meiner Schulter und meinem Gesicht hin- und herzuhuschen; als Charlie ihn energisch beiseite schiebt, protestiert er zwar nicht richtig, aber sein ganzer Körper wird steif und er macht ein unwilliges Gesicht.
Charlie scheint das anscheinend wenig zu kümmern.
„Weg da“, kommandiert er – fairerweise muss man allerdings sagen, dass es nicht unfreundlich klingt, sondern eher... sachlich. Seine Hand legt sich auf meine heil gebliebene Schulter. „Traian, hilf mir mal. Fred, wie sieht’s aus? Rede mit mir, wie ist die Lage?“
„Hab mich selten besser gefühlt“, ich grinse schwach, „Und... und ich muss mich setzen.“
George, der sich alles andere als weit zur Seite hat schieben lassen, steht augenblicklich neben mir, doch der Griff, mit dem er mir zurück zum Bett helfen will, ist seltsam vorsichtig, so als hätte er Angst, ich könnte unter seinen Fingern in alle Einzelteile zerbrechen und ganz ehrlich? Das kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen.
Ich starre ihn finster an, während Charlie im Hintergrund weiterredet und Traian irgendwo herumkramt. George starrt zurück, furcht die Stirn und hilft mir, mich zurück aufs Bett zu setzen. Seine Finger verhaken sich in meinem Umhangkragen, aber er sieht mich nicht an.
„George“, sage ich, „Ich finde es wirklich unverantwortlich, dass du mich moralisch dermaßen im Stich lässt.“ Die künstliche Dramatik in meiner Stimme wird durch das ganze Blut vermutlich recht gut unterstrichen.
„Na und?“, sagt er ungerührt. „Ich meinerseits finde es äußerst unpassend, dass du dein Frühstück in fremde Zelte kotzt, aber ich sage ja auch nichts.“
Mein Schnauben klingt fast so abfällig, wie es eigentlich sollte. Fast. Aber ich bin ja auch verletzt und meine Schulter brennt, als würde sie mir persönlich irgendetwas nachtragen.
„Tsee, Frühstück? Welches Frühstück denn?“
Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass George den Kopf schief legt.
„Stimmt“, sagt er eine Sekunde später, „Erstaunlich flüssig.“
„Hab ich mir auch gedacht.“
Er grinst zu mir herunter.
„Vielleicht bekommst du ja ’ne Grippe.“
„Jahh“, sage ich, „Das wird’s wahrscheinlich sein. Verdammt, ich hätte den Drachen anhusten sollen.“
Es ist ein ziemlich flacher Scherz, uralt und ausgekaut und schon in seinen Anfangszeiten nicht besonders originell, und deshalb hat er auch kein Recht darauf, so witzig zu sein, wie er das letztendlich ist. Wir grinsen trotzdem vor uns hin, bis Charlie mit grimmiger Miene verkündet, dass er jetzt gezwungenermaßen versuchen wird, mich wieder zusammenzuflicken, und dass George gefälligst Platz machen soll.
Da ich seinen magischen Erste-Hilfe-Fähigkeiten bei weitem mehr Vertrauen entgegenbringe als denen meines Zwillingsbruders und uns das beiden auch absolut klar ist, tut George wie geheißen und weicht erneut etwas widerstrebend zur Seite.
Aber anschließend sitzt er neben mir auf der Bettkante und lässt kommentarlos zu, dass ich (nachdem sie mich endlich aus meinen fünftausend Kleidungsschichten hervorgeschält haben) sein Handgelenk so fest umklammere, wie ich will, als Charlie die Wunde desinfiziert – obwohl ich wahrscheinlich nicht allzu weit davon entfernt bin, ihm die Unterarmknochen zu brechen.
~-~-~-~
Fleury findet das beinahe-von-einem-Drache-gegrillt-worden-zu-sein wahnsinnig aufregend. So aufregend, dass er anscheinend nicht aufhören kann, darüber zu reden – dabei ist der Held des Tages gar nicht er, sondern Hazel, die offenbar zusammen mit Charlie und dem ganzen Rest im Schlepptau zwischen den Bäumen aufgetaucht ist wie ein rachsüchtiger Waldgeist und es irgendwie fertiggebracht hat, das Vieh in die Flucht zu schlagen.
Ich will das Wie gar nicht wissen.
Wenn sie hier lebt, ist sie wahrscheinlich der geheime Alptraum jedes einzelnen Drachen im Reservat.
Wie dem auch sei, Fleury ist über seine Beteiligung an der ganzen Sache einfach nur maßlos begeistert. Er wirkt ziemlich überdreht. Wer weiß, vielleicht ist das auch nur seine Art, mit dem ganzen Adrenalin fertig zu werden.
„Jahh, ich weiß“, fällt George ihm genervt ins Wort, als wir im Halbkreis auf der Lichtung herumstehen wie ein inkompetenter Weihnachtschor, der sich verlaufen hat, und dabei zusehen, wie Charlie mit wenigen Zauberstabschwüngen seine Siebensachen zusammenpackt. „Die ganze Sache ist keine Viertelstunde her und wir waren dabei.“
Eigentlich wäre es meine Aufgabe, jetzt irgendetwas Pseudo-Höfliches hinzufügen, um die Sache abzurunden – „Nicht dass wir die Gedächtnisstütze nicht begrüßen würden“, zum Beispiel, und dann könnte George nicken und „Man wird schließlich nicht jünger“ sagen – aber ich habe gerade eine ziemliche Menge Blut verloren und fühle mich ein bisschen schwach.
Deshalb halte ich lieber die Klappe und gebe mir stattdessen Mühe, mich nicht allzu sehr gegen meinen Zwillingsbruder zu lehnen.
„Sag Bescheid, bevor du zusammenklappst...“, murmelt George, was eigentlich eine Frechheit ist – sowohl die Indikation, dass ich das hier nicht wegstecken kann, als auch der leise Tonfall, der sicherstellen soll, dass niemand sonst etwas mitbekommt – aber ich kann mich nur allzu deutlich an den panischen Ausdruck in seinen Augen erinnern und deshalb... deshalb ist er entschuldigt. Ausnahmsweise.
„Mhm“, mache ich energielos und frage dann, weil wir denn schon bei gedämpftem Gemurmel angekommen sind, „Warum sieht Lance drein, als hätte jemand seiner Lieblingstante in den Kürbissaft gespuckt?“
„Ich glaube...“, gibt George noch eine Spur leiser zurück, „Ich glaube, er ist mies drauf, weil er die ganze Action verpasst hat.“
Oh Merlin, nein, der arme Junge!
George ist natürlich klar, welche Art von sarkastischen Gedanken mir augenblicklich durch den Kopf schießen, denn er schnaubt leise.
„Sieh’s ein, Freddie“, sagt er trocken und klopft mir mit der Hand, die er nicht gerade um meine Taille geschlungen hat, auf meine unverletzte Schulter, „Du hast eben das große Los gezogen. Um ein Haar das Horn eines Drachen ins Auge gerammt zu kriegen, dieses Glück hat nicht jeder.“
Ich seufze theatralisch. „Ich fühle mich vom Schicksal auch wirklich begünstigt, das kannst du mir glauben.“
Traian, der neben uns steht, grinst schief, was wohl ein Hinweis darauf ist, dass er den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen hat.
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Der Flug auf einem Besen ist dann alles andere bequem.
Die Luft, die uns umpfeift, hat eisig längst hinter sich gelassen und steuert frischfröhlich auf arktisch zu; vor allem in der Höhe, die unsere Experten für nötig halten, um zu verhindern, dass eventuelle Drachen unten im Wald auf uns aufmerksam werden. Mein dick gefütterter Umhang ist zwar komplett vom Blut befreit worden und Charlie hat den zerrissenen Stoff gewissenhaft wieder zusammengeflickt, aber ich bilde mir trotzdem ein, die Kälte auf meiner notdürftig verarzteten Schulter stärker zu spüren als irgendwo sonst.
Das Schneckentempo, das verhindern soll, dass ich in einem Schwächeanfall vom Besen kippe, trägt auch nicht gerade zur Verbesserung der Lage bei.
Hazel ist längst aus unserem Blickfeld verschwunden.
Auf Lance’ unschuldige Frage hin, ob sie uns zurück begleiten würde, hat sie reagiert, als hätte er sie persönlich beleidigt. Anscheinend hat sie nicht vor, das Reservat so bald (oder überhaupt noch irgendwann vor ihrem Tod) wieder zu verlassen. Charlies Verabschiedung von ihr war fast so kühl wie die momentanen Witterungsverhältnisse und mir geht durch den Kopf, dass er bei meinem diskreten Hinweis auf Weihnachten davon geredet hat, „sie“ umzubringen; wer auch immer „sie“ sein soll.
Vielleicht hat er damit Hazel gemeint, vielleicht aber auch nicht.
Vielleicht ist Hazel schuld daran, dass Charlie plötzlich vom Angesicht der Erde verschwunden war. Überraschen würde es mich nicht – die Lady wirkt durchaus so, als hätte sie nicht mehr alle Socken in der richtigen Schublade.
„Fred!“, schreit Charlie durch den frostigen Wind – zum mindestens zwanzigsten Mal, seit wir abgehoben haben, „Alles klar?“
„Ja!“, schreie ich zurück.
Mittlerweile bin ich so genervt, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, eine etwas weniger optimistische Antwort zu geben, sollte er mir die Frage noch einmal stellen. Was er, und da mache ich mir gar keine Illusionen, höchstwahrscheinlich innerhalb der nächsten paar Minuten tun wird. Wenn Charlie wirklich besorgt ist, kann er eine recht ausgeprägte mütterliche Seite entwickeln.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich George (der in einem Abstand von anderthalb Metern neben mir herfliegt) gerade köstlich amüsiert, weil er meinen Verdruss einfach bemerkt haben muss. Dabei ist er um keinen Deut besser als Charlie, er erspart sich bloß den Umweg über die Wortebene. Die prüfenden Seitenblicke, die er mir ununterbrochen zuwirft, sind mir keineswegs entgangen.
Möglicherweise, denke ich, möglicherweise sollte ich einfach vom Besen fallen, nur um ihnen eins auszuwischen.
„Ey!“, ruft George wie auf Stichwort herüber, „Glaub bloß nicht, dass ich dir dann hinterher fliege!“
„Doch“, gebe ich unbekümmert zurück, „Mein werter Sir, natürlich werden Sie das!“
Sein lapidares „Halt die Klappe und flieg!“ beweist eindeutig, dass er über einen Zwillingsbruder, der sich von einem Drachen durchlöchern lässt, noch nicht ganz hinweggekommen ist.
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Es wird bereits dunkel, als wir endlich, endlich unser Ziel erreichen. Das Haus zeichnet sich groß und undeutlich gegen den schmutziggrauen Himmel ab. Wären da nicht die ganzen hell erleuchteten Fenster, würde es fast einen düsteren Eindruck machen.
Nach der Landung gibt es eindeutig niemanden, der nicht mit steifen Beinen vom Besen steigt und ich fühle mich im wahrsten Sinne des Wortes tief gefroren. Das einzige Gute daran, ein lebender Eiszapfen zu sein, ist der Umstand, dass ich den Schmerz in meiner Schulter mittlerweile nicht mehr von dem gefrosteten Klumpen unterscheiden kann, der den Rest meines Körpers darstellen soll.
Lance wird dazu abkommandiert, sämtliche Besen wieder im Schuppen zu verstauen, was er eindeutig nicht als Kompliment betrachtet, aber uns kann es ja egal sein.
„Fred, alles in Ordnung?“, fragt Charlie... so als hätte er meine gut zwanzigtausend vorherigen Beteuerungen, dass es mir wirklich einigermaßen gut geht, schon wieder vergessen. Da ich halb von ihm abgewandt stehe und es ohnehin finster ist, verziehe ich das Gesicht zu einer Grimasse.
George verdreht daraufhin die Augen, scheint es sich dann aber mitten in der Bewegung anders zu überlegen und geht fließend zu seiner typischen Imitation einer ohnmächtig werdenden Märchenprinzessin über.
„Pass nur auf“, sagt er zu Charlie gewandt, „...gleich, gleich kippt er um. Oh- ohhh.“ Er presst sich seinen Handrücken gegen die Stirn.
Charlie zieht eine Augenbraue hoch. Er wird nur selten richtig sauer – wo andere Menschen längst mit Kraftausdrücken der unschönsten Sorte um sich werfen, fängt er überhaupt erst an, leicht irritiert zu wirken.
„Nicht witzig“, ist deshalb auch alles, was er sagt. „Los, Jungs. Rein mit euch ins Warme. Wir kommen gleich nach.“
Das muss er uns echt nicht zweimal sagen.
Im Hausflur angekommen herrscht vorerst Stille. Ich weiß, dass es übertrieben ist, ein riesiges Empfangskomitee zu erwarten, aber hey – immerhin sind wir heute Morgen ausgezogen, um ein vermisstes Mitglied dieses Ladens zu finden. Da wird man doch wohl mit etwas allgemeinem Interesse rechnen dürfen.
Fleury, der seinen Enthusiasmus während unserer unterkühlten Heimreise ein ordentliches Stück zurückgeschraubt hat, schält sich mit klammen Fingern erst seine Handschuhe und dann seinen teuer aussehenden Reiseumhang vom Leib; als ich jedoch versuche, es ihm nachzutun, komme ich nicht besonders weit. Meinen linken Arm lasse ich aus offensichtlichen Gründen lieber in Ruhe, und meine rechte Hand hat offenbar ebenfalls beschlossen, unkooperativ zu sein.
„George...“, sage ich so kläglich wie möglich, „Meine Sachen wollen nicht...!“
Er sieht auf, schüttelt den Kopf und wirft seinen eigenen Umhang auf die nächstbeste ebene Fläche,
„Es ist echt jedes Mal dasselbe“, sagt er mit falscher Empörung und kommt zu mir herüber, „Kaum versucht irgendein Drache, dich umzubringen, heißt es plötzlich nur mehr George hier, George da-“
„-mach dies, mach das-“, ergänze ich pflichtbewusst, während er mir den rechten Handschuh herunterzieht, „...stell dich auf den Kopf, leck mir den Dreck von den Schuhen-“
„-ganz genau, und dann kommen die richtig unanständigen Sachen.“
Mit dem linken Handschuh ist er um einiges vorsichtiger. Fleury ist inzwischen wieder dazu übergegangen, uns anzustarren und ich bin mir nicht sicher warum – entweder, weil er sich fragt, wie viel von dem Gerede tatsächlich ernst zu nehmen ist, oder weil er uns schlichtweg für verrückt hält.
„Ah, Verzeihung?“, setzt er an, „Mr. und Mr. Weasley, ich will Sie nicht unterbrechen, aber ich, ah, ich habe doch das deutliche Gefühl, dass wir-“
Vermutlich will er sagen, dass wir durchaus noch ein paar Dinge besprechen sollten (wie zum Beispiel die Tatsache, dass er unseren Laden schlicht und einfach nicht kriegt, selbst wenn er heute versucht hat, mich gegen den Drachen zu verteidigen – obwohl das immerhin zeigt, dass er im Grunde kein allzu mieser Kerl ist), aber er darf seine zweifellos sorgfältig zurechtgelegte Bemerkung nicht zu Ende bringen.
Was daran liegt, dass ich urplötzlich eine Erscheinung habe.
„Ähm... Bill?“
George, der sich gerade mit meinen Umhang beschäftigt – und Mann, wenn das nicht viel versauter klingt, als es tatsächlich ist – steht mit dem Rücken zur Wohnzimmertür und kann deshalb nicht sehen, was ich sehe, aber er erstarrt und ein rascher, prüfender Blick auf mein Gesicht überzeugt ihn davon, dass ich keinen Blödsinn von mir gebe.
Er dreht sich um.
„Na so was“, sagt er und seine Stimme klingt bestenfalls nach milder Überraschung, „Du auch hier, allerliebster Lieblingsbruder?“
„Jahh“, füge ich hinzu, „War’s dir in der guten alten Heimat zu warm?“
Und Bill... tja, der sieht glücklicherweise viel zu verdattert aus, um wütend zu sein. (Wieder etwas, auf das wir stolz sein können, weil es normalerweise absolut nichts gibt, das Bill aus der Fassung bringt. Echt, damit es ihm die Sprache verschlägt, ist schon ein vom Himmel fallendes Einhorn nötig. Mindestens.)
Aber wer weiß, vielleicht kommt das noch?
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