von ~Cassiopeia~
5. Mittagessen
„MITTAGESSEN?!“, kam es entsetzt von dem Blonden. „Es ist also gar nicht Nacht?“, flüsterte er leise, fast schon beschämt.
Nein, natürlich war nicht Nacht, er hätte es wissen müssen. Im Grunde hatte er es bereits geahnt, es wäre auch recht unlogisch gewesen, wenn er mitten in der Nacht Besuch von seinem Hauslehrer bekommen hätte, noch dazu im Dunkeln. Doch die Angst, wirklich blind zu sein, ließ ihn die Realität verdrängen, sich einreden, dass eben Nacht war, und wenn dies bedeutete, dass der Tränkemeister im Dunkeln zu ihm kam.
Doch eben jene Angst kam jetzt durch, ergriff ihn mit voller Macht. Panisch hob er die Hände zum Kopf, wedelte vor seinen Augen, tastete sie ab.
„Nein, Mr. Malfoy, lassen Sie das!“ Man hörte, wie etwas hastig abgestellt wurde, dann spürte er, wie seine Hände zurück gehalten wurden. „Sind Sie verrückt, Sie verletzten sich noch! Ich komme gleich zu Ihnen, Mr. Malfoy, doch zuerst muss Mr. Potter etwas essen.“
Damit entfernten sich ihre Schritte wieder, Draco hörte Stimmengemurmel aus der anderen Ecke des Raumes.
Richtig, Potter war ja auch da! Aber… wieso hatte er bisher noch nichts von ihm gehört? Keinen Ton?
Allerdings auch keine Besucher… noch hatten die anderen wohl Unterricht.
Er war blind… die Wahrheit war dann doch heftiger, als er gedacht hatte. Wie hatte es dazu kommen können? Was war mit ihm passiert? Lag es an dem Fluch, den er abbekommen hatte?
Er widerstand der Versuchung, an seinen Hinterkopf zu tasten. Die Erkenntnis, blind zu sein, hatte ihn augenblicklich die Müdigkeit vergessen lassen. Ungeduldig wartete er auf die Heilerin.
Was machte die nur so lange? Musste sie Potter etwa füttern?
Blind… dieses Wort schwebte in seinem Kopf wie eine drohende Gewitterwolke, nur darauf wartend, all ihr Ladung loswerden zu können.
Endlich, nach einer Ewigkeit, wie ihm schien, trat jemand an sein Bett, kurz darauf vernahm er die Stimme der Heilerin.
„Mr. Malfoy?“ Er drehte seinen Kopf nach rechts, in die Richtung, aus der er die Stimme vernahm.
„Ich hatte also Recht mit meiner Vermutung - Sie sind blind -“
„Wär' ich ja nie drauf gekommen“, sagte Draco bissig.
„Hören Sie, Mr. Malfoy, mit Sarkasmus kommen Sie jetzt nicht weiter. Sie werden noch ein paar Tage hier bleiben, bis zum Wochenende. Doch da Ihnen körperlich nichts ernstes fehlt, muss ich Sie spätestens dann entlassen. Aber keine Sorge, bis dahin werden wir eine Lösung für Ihr Problem gefunden haben.“
„MOMENT mal… soll das etwas heißen… ich werde FÜR IMMER blind bleiben?!“ Das war nun ganz und gar nicht das, was Draco hören wollte.
„Sie sind, als Sie von dem Fluch getroffen wurden, ungünstig auf dem Hinterkopf aufgeschlagen. Und da die Sehnerven in diesem Bereich verlaufen, ist es gut möglich, dass Sie Ihr Augenlicht vielleicht auf immer verloren haben.“
Doch als sie das geschockte und angstvolle Gesicht Dracos sah, setzte sie schnell hinterher: „Aber wir wollen mal nicht den Teufel an die Wand malen, Mr. Malfoy. Es ist ebenso gut möglich, dass Sie schon bald wieder sehen können.“
Von Draco war nur ein Schnauben zu hören. Das waren ja mal klasse Nachrichten.
„Erst einmal jedoch sollten Sie etwas essen“, sprach die Heilerin.
„Und wie bitte? Ich sehe es doch gar nicht!“, rief Draco verärgert aus.
„Keine Angst, ich habe hier -“
„Oh nein, Sie werden mich NICHT füttern!“, protestierte Draco, als er einen Löffel mit etwas Heißem drauf an seinem Mund spürte.
„Gut, dann versuchen Sie es eben selber“, sagte Madame Pomfrey und drückte ihm den Löffel die Hand.
Kartoffeleintopf, stellte er fest. Nicht gerade sein Lieblingsgericht, aber sie hatte Recht, er musste etwas essen.
Nachdem er den ersten Löffel gegessen hatte, trat sich jedoch ein unverhofftes Problem auf: wie kam er an neues Essen?
Unbeholfen suche er nach dem Teller und fasste mitten hinein.
„Mist!“, sagte er nur genervt und ließ den Löffel auf die Bettdecke fallen. War das peinlich, er benahm sich ja wie ein Dreijähriger!
Doch die Heilerin lächelte nur, nahm Dracos Hand, zauberte sie sauber und führte einen neuen Löffel in den Mund des Blonden. Widerwillig und etwas rot im Gesicht schluckte Draco das Essen.
Wenn das jemand sah! Er würde sich nie wieder draußen blicken lassen können!
Wie auf Befehl hörte er Schritte, die sich rasch näherten.
Oh nein! Draco wäre am liebsten im Boden versunken! Wer auch immer ihn da sah, er konnte sich anscheinend ein Kichern nicht verkneifen.
Moment.. die Stimme kannte er doch? Er hielt inne, lauschte, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen war.
„Blaise!“, zischte der Blonde nun, er kannte nur einen, der mit solchen schlurfenden Schritten ging.
„Ja?“, flötete dieser unschuldig, doch Draco wusste genau, dass dem anderen die Mundwinkel von einem Ohr bis zum anderen reichten.
„Kommen Sie, Mr. Malfoy, nur noch zwei Löffel“, sprach Madam Pomfrey dazwischen, Blaise musste sich sichtlich bemühen, nicht laut los zu prusten.
„Danke, mir ist der Appetit vergangen“, sagte der Blonde beleidigt. Poppy zuckte die Schultern und entfernte sich, immerhin hatte sich der Junge am Ende ja doch noch von ihr füttern lassen, was wohl nur sein knurrender Magen zugelassen hatte.
Den Tag musste sie sich im Kalender anstreichen: Draco Malfoy ließ sich von ihr füttern! Ein Bild für die Götter.
„Was?“, zischte Draco, als Blaise immer noch vor sich hin kicherte.
„Ent…hihi… entschuldige Draco, aber das sah eben echt zu genial aus! Du… Poppy… füttern…“, mehr brachte er nicht heraus, als er wieder von einem Lachkrampf geschüttelt wurde.
„Das ist n i c h t witzig! Oder hast du schon mal versucht, mit geschlossenen Augen zu essen?“
Blaise hörte sofort erschrocken auf zu Lachen und blickte Draco entsetzt an. „Wie jetzt? Bist du etwa -“
„Ja, allerdings, blind, Zabini. Du weißt, was das bedeutet?“
Blaise, der eben noch so fröhlich und lachend neben dem Bett gesessen hatte, sah nun mehr als geknickt und vor allem erschrocken aus.
„Ach du scheiße! Wie… ich meine, was ist überhaupt passiert?“
„Crabbe und Goyle haben mir einen Schockzauber aufgehalst, als ich zu Verwandlung wollte. Dabei bin ich mit dem Hinterkopf auf den Boden geknallt, sodass offensichtlich meine Sehnerven Schaden genommen haben.“ Nüchtern ratterte Draco die Worte herunter, für Sentimentalität war jetzt kein Platz.
„Klingt übel. Und Poppy kann gar nichts machen?“, fragte Blaise hoffnungsvoll, während der Draco besorgt ansah. Unwillkürlich ballte er die Hände zu Fäusten, das würde Crabbe und Goyla büßen. Niemand griff seinen Freund feige von hinten an.
Draco schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn es um das Augenlicht geht…“
„Und jetzt? Wirst du wieder sehen können?“ Immerhin eine kleine Hoffnung musste es doch geben! Sonst konnten Cabbe und Goyle einpacken.
„Ich weiß es nicht, es kann sein, aber es kann auch sein, dass ich blind bleibe.“ Betrübt blickte Draco an die Decke, die er gar nicht sah.
Was sollte jetzt werden? Ein blinder Zauberer? Undenkbar! Wie sollte er einen Fluch, oder auch einen simplen Zauber, ausführen, wenn er das Ziel gar nicht sah? Ganz davon abgesehen, dass er jetzt die perfekte Zielscheibe war und damit praktisch wehrlos. Und er kannte einige, die das zum Anlass eines Freudenfestes nehmen würden.
Ein wehrloser Draco Malfoy, den man nach belieben verhexen konnte, was gab es Besseres?
Wie sollte er das überstehen? Konnte Snape ihm helfen?
Snape! Er musste dringend mit ihm sprechen, jetzt erst recht!
„Draco?“, holte ihn die Stimme seines besten Freundes aus den Gedanken. „Weißt du, wie lange du hier bleiben musst?“
„Bis Samstag, danach muss ich raus, da die Kopfverletzung bis dahin abgeklungen sein wird.“ Tja und dann würde er wohl nicht lange auf Hogwarts bleiben können, immerhin stellte er eine Gefahr für sich und andere dar, wenn man es so betrachtete. Vielleicht würde man seinen Zauberstab zerbrechen und ihn zwingen, als blinder Muggel zu leben…
„Weißt du schon, wohin dann?“
Erschocken blinzelte Draco, als Blaises Stimme ihn aus seinen Gedanken holte. „Nein, wirklich nicht. Blind bin ich doch total nutzlos! Hast du schon mal von einem blinden Zauberer gehört?“
„Nein…“, gab Blaise betreten zu. „Hey, keine Panik, du kriegst das hin! Vielleicht kannst du ja bis dahin auch wieder sehen, wer weiß? Du, ich muss weiter, komm später noch mal wieder, ok?“
„Ach, Blaise? Könntest du Snape bescheid sagen, dass ich ihn sprechen möchte? Und sag ihm nichts von meinem Verdacht Crabbe und Goyle betreffend, bitte.“ Die Rache würde ganz die seine sein.
„Natürlich, wird ausgerichtet. Bis dann.“ Damit stand Blase auf und verließ den Krankenflügel in Richtung Kerker.
Doch kaum war Blaise verschwunden, ging die Tür auf und eine neue Person betrat den Raum.
„Madam Pomfrey?“, hörte Draco eindeutig die Stimme Ginny Weasleys.
„Ja? Was kann ich für Sie tun, Miss Weasley?“
„Kann ich Sie kurz sprechen? Es… geht um Harry. Bitte, es ist wichtig.“ Sie klang ehrlich besorgt und Draco fragte sich, was bei Merlin nur vor gefallen war. Was war mit Potter, was Ginny in solche Angst versetzte?
„Bitte, kommen Sie doch in mein Büro, Miss Weasley.“
Eine Tür schloss sich, dann waren nur noch gedämpfte Stimmen vernehmbar.
Draco versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Ginny war hier, hatte keinen Ton zu Potter gesagt und war nun mit der Heilerin in ihrem Büro verschwunden, um ihr offensichtlich etwas wichtiges zu sagen?
Wenn ich doch nur wüsste, was!
Doch bisher wusste er noch nicht, was Potter eigentlich hatte. Wenn Blaise das nächste Mal kam, würde er ihn danach fragen, vielleicht konnte der es ihm beschreiben, wenn Madam Pomfrey schon keine Auskunft geben wollte. Und Ginny selbst wagte er gar nicht erst, anzusprechen… geschweige denn, dass er das Wort an Potter selbst richten würde.
Nein, so weit gesunken war er dann doch noch nicht.
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