von ~Cassiopeia~
12. Worte allein reichen nicht aus
Draco erstarrte. Nein, das konnte nicht sein, das musste ein Scherz sein!
Dass er blind geworden war, war ein Unfall gewesen, nichts weiter… .
Seine Hand umklammerte nun schmerzhaft seinen Arm.
„Du lügst“, zischte er bedrohlich leise, hielt den Kopf jedoch gesenkt. „Es war ein Unfall, ein Fluch von Crabbe und ich bin ungünstig auf dem Steinboden aufgekommen, ich bin nicht… das kann nicht sein“, murmelte er vor sich hin, rieb immer wieder über das unter dem Stoff verborgene Tattoo.
„Es mag ein Unfall gewesen sein, oder als solcher vom Schicksal getarnt. Doch das Tattoo ist nicht zufällig auf deinen Arm gekommen, Draco, dazu noch von ganz allein. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber wie es aussieht, ist die fast vergessene Legende zum Leben erwacht und sitzt nun vor mir.“
Draco schnaubte nur bei den Worten seiner Mutter. Lichtbote, das war doch lächerlich! Sicher, er erinnerte sich nur zu gut an die Legende, die seine Mutter ihm bei ihrem letzten Besuch erzählt hatte und die abschließende Bemerkung, dass es Anzeichen dafür gäbe, er sei der Erbe des Lichtes und Weasley die Erbin der Dunkelheit -
Bei dem Gedanken hielt er inne.
Ginny sollte die Botin der Dunkelheit sein?
Schweren Herzens erinnerte er sich an die Szene auf dem Flur zurück, wo er ihrem Bruder ins Gesicht gesagt hatte, sie niemals anzurühren. Sie eine Blutsverräterin genannt hatte, dabei war der wahre Blutsverräter er, Draco Malfoy.
Er kniff die Augen zusammen, als ihm eine weitere Szene in den Sinn kam.
Plötzlich war er wieder im Krankenflügel, an Harrys Bett saß sie, eine Gestalt aus Feuer und ihr Schatten -
Er schüttelte sich. Nein, das konnte einfach nicht wahr sein. Er schlief, hatte einen lächerlichen Traum und würde jede Sekunde aufwachen.
„Draco, sieh mich an“, sagte Severus scharf, als er sah, wie sich der Junge quälte. Er hatte die Worte gesprochen, ehe er darüber nach gedacht hatte und sog scharf die Luft ein, als Draco ihn tatsächlich ansah. Die sonst so stahlgrauen Augen hatten einen silbernen Ton angenommen und schienen von innen heraus zu leuchten. Eine Sekunde, vielleicht zwei, dann erlosch das innere Feuer und wurde zu einem matten Glimmen, flackerte unkonstant.
Wie an Fäden gezogen stand Draco auf und ging zur Tür, um diese zu öffnen. „Ich habe jetzt Unterricht“, sagte er mit monotoner Stimme, niemand hielt ihn zurück. Er brauchte jetzt Zeit für sich, beide wussten, dass er in der nun anstehenden Zaubertrankstunde nicht anwesend sein würde, es war für den Moment unwichtig.
Draco ging mit steifen Gliedern durch die Gänge, ohne wirklich zu wissen, wohin sie ihn trugen. Er brauchte Bewegung, nur nicht stehen bleiben, nur nicht nachdenken… .
°°°
Etwas abwesend saß Ginny im Verwandlungsunterricht. Ihre Finger spielten mit dem Saum der Handwärmer, strichen wie zufällig über die empfindsame Haut darunter. Verstohlen warf sie immer wieder einen Blick auf das, was sich unter dem Stoff verbarg, nur ganz kurz um zu sehen, dass es keine Einbildung war. Die seltsame Zeichnung war immer noch da, schien ihr Handgelenk umschlingen zu wollen und rankte sich einige Zentimeter ihren Unterarm hinauf.
Seltsame Linien, die sich in ihre Haut eingebrannt zu haben schienen.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Gespräch mit Hermine vor wenigen Minuten im Gemeinschaftsraum. Der Griff um ihr Handgelenk wurde fester, als sie daran dachte, dass sie ihrer Freundin lange nicht alles erzählt hatte.
Nichts von den heimlichen Blicken zum Slytherintisch. Nichts von der leisen Sorge um Draco, dem sonderbaren Gefühl, als sie ihn am Oberarm berührt hatte… .
Nein, davon hatte sie nichts gesagt und wenn sie ehrlich war, hatte sie auch keine Ahnung, wie sie das der Schulsprecherin beibringen sollte.
Er war immerhin Draco Malfoy!
Gut, es würde wahrscheinlich um einiges einfacher sein, das Thema gegenüber Hermine anzuschneiden, als gegenüber Ron, aber leicht würde es nicht werden.
Wie sollte sie etwas erklären, dass sie selbst nicht verstand?
Sie schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedanken und als das Ende der Stunde eingeläutet wurde, hatte sie nicht ein Wort von dem, was Professor McGonagall ihnen erzählt hatte, behalten.
Noch immer in Gedanken versunken machte sie sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum, stieß dort beinahe mit Ron zusammen.
„Weg da“, murmelte dieser nur und stieß Ginny etwas grob zur Seite.
„Hey, was ist denn mit dir los?“, meckerte sie und sah ihn giftig an.
„Wegen dir hat McGonagall mir eine Strafarbeit heute Abend aufgebrummt, vielen Dank auch!“, motzte Ron los und ließ sich beleidigt in einen Sessel fallen.
Ginny hätte beinahe gelacht, da war wieder, der sture, bockige Ron, der sich benahm wie fünf. Doch dann wurde ihr klar, was er gesagt hatte und das anfängliche Grinsen verschwand.
„Moment - wegen mir?“
Ron grunzte. „Frag doch Malfoy, er kann es dir sicher erklären, wenn du es unbedingt wissen musst.“
Ginny sah ihren Bruder perplex an. „Was hast du mit ihm gemacht, Ron?“
„Gar nichts, ich habe ihm nur gesagt, dass er seine Stinkgriffel von dir nehmen soll, verdammt! Ich will nicht, dass er - “
„Sag mal, spinnst du? Aber sonst geht es dir gut, ja? Ron, ich bin kein Kleinkind, ich kann sehr gut auf mich selbst auf passen, vielen Dank! Wann ich mit wem rede, geht ganz allein mich etwas an, verstanden? Und wenn es ein Draco Malfoy ist - ist es eben Draco Malfoy, punkt. Das geht dich nichts an, mit wem ich mich unterhalte. Wenn es dir nicht passt, hast du Pech gehabt, aber höre bitte auf, ständig in meinem Leben mitmischen zu wollen! Es ist MEIN Leben und ICH bestimme, wie es verläuft, klar? Lieb, dass du dir Sorgen machst, aber mein Leben gehört mir und ich führe es so, wie ich es will.“
Damit wandte sie sich wutschnaubend von ihm ab und ging geradewegs die Treppe zu den Mädchenschlafsälen empor, in welchem sie ihre Tasche in eine Ecke pfefferte und sich daran machte, ihr Kissen zu massakrieren.
Musste sie sich ausgerechnet jetzt mit Ron streiten? In zwei Tagen würden sie nach Hause fahren, in die Weihnachtsferien - erschreckt stellte sie fest, dass sie nicht wusste, ob Harry mit ihnen kommen würde oder hier bleiben? Aber so, wie es aussah, traf wohl eher Letzteres zu.
Sie seufzte. Ja, sie vermisste Harry, den alten, lebenslustigen Harry, der ihr in den letzten Monaten wie ein Bruder ans Herz gewachsen war. Es war eine besondere Freundschaft, die sie nicht aufgeben wollte. Dabei war sie es doch, die ihn in diese Krise gestürzt hatte, er liebte sie doch… .
Genervt drehte sie sich auf den Rücken. Das war doch alles zum verrückt werden. Und wenn sie doch noch einmal mit Hermine redete?
°°°
Nachdenklich musterte Remus Lupin den Brief in seiner Hand. Vor zwei Wochen hatte McGonagall ihm geschrieben, sie mache sich Sorgen um Harry, ernsthafte Sorgen. Vor wenigen Tagen dann hatte ihn ein weiterer Brief erreicht, diesmal von seiner Freundin, Hermine Granger.
Sie bräuchten Hilfe, hieß es, Harry bräuchte Hilfe. Ehe sie ihn ins Mungos einliefern lassen müssten, würden sie ihn bitten, ein Wort mit ihm zu reden, vielleicht würde ihn das aus seiner Depression und Gleichgültigkeit aufwecken?
Remus holte tief Luft, gab seiner Frau Tonks einen Kuss und warf eine Handvoll Flohpulver in den Kamin. Man hatte ihm geschrieben, was passiert war und die Informationen hatten ihn zutiefst erschreckt. Was war nur aus dem kampfeslustigen Harry Potter geworden, den er damals kennen gelernt hatte in dessen drittem Schuljahr? Das Blatt schien sich komplett gewendet zu haben.
Doch ein wenig nervös war er schon. Was wurde von ihm erwartet? Sollte er James oder Sirius ersetzen? Wie würde er Harry vor finden?
Was war bloß geschehen, ihn dermaßen aus der Bahn zu werfen?
Die Schulleiterin erwartete ihn bereits, als er aus dem Kamin kletterte und sah ihn mit zusammen gekniffenen Lippen an.
„Remus, schön, dass du da bist. Madam Pomfrey erwartet dich bereits, es ist sehr freundlich von dir, dass du es zumindest versuchst.“
Remus nickte nur und ging ein wenig steif neben Harrys Hauslehrerin die Gänge zur Krankenstation entlang.
Er war lange nicht mehr hier gewesen und die alten Mauern und Räume weckten Erinnerungen in ihm, von denen er nicht wusste, ob er sie zulassen konnte und wollte. Alles schien wie immer, als sei nie Zeit vergangen die letzten 19 Jahre und plötzlich war er selbst wieder 17 und auf seinem monatlichen Weg zur Krankenstation, darauf wartend, dass Madam Pomfrey ihn zur Peitschenden Weide bringen würde.
Da war sie, die vertraute und zugleich gefürchtete Flügeltür, hinter welcher er sich ein Stück sicherer fühlte, hier kam niemand an ihn heran und zugleich wurde hier alles offenbart… .
„Viel Glück, Remus“, holte ihn McGonagalls Stimme aus den Gedanken, kurz schüttelte er den Kopf, um die lang vergessenen Bilder los zu werden. Atmete tief ein und betrat den Krankensaal.
Es war komisch, als Besucher hier zu sein und nicht als Patient. Vor allem, nicht als Schüler.
Harry war der einzige Patient zur Zeit, wofür Remus mehr als dankbar war. Apathisch lag der Schwarzhaarige in seinem Bett, wie eine Spielpuppe, die man vergessen hatte auf zu ziehen.
Er sah sich nach einem Stuhl um, fand einen in einer Ecke und zog ihn sich an Harrys Bett. Dieser lag mit offenen Augen da, starrte an die Decke, ohne sie zu sehen und schien nichts und niemanden wahr zu nehmen.
Etwas unschlüssig räusperte Remus sich. „Harry?“, fragte er zögerlich. Keine Reaktion. Er hätte sich auch mit der Wand neben sich unterhalten können, das Resultat wäre dasselbe gewesen.
„Harry, ich bin es, Remus“, begann er erneut, etwas fester jetzt. Man hatte ihn gebeten, mit Harry zu reden, ihm zu helfen und er würde tun, was er konnte.
„Ich weiß nicht, ob mich hörst, aber ich werde hier nicht weg gehen, ehe ich nicht irgend eine Reaktion von dir bekommen habe. Professor McGonagall und Hermine haben mir mit Sicherheit nicht aus Spaß Briefe geschrieben, dass sie sich um dich sorgen. Und sie sind nicht die einzigen, Harry.“
Er machte eine Pause, suchte nach Worten, die ihm nicht recht einfallen wollten. Traurig betrachtete er das eingefallene, blasse Gesicht, die reglosen Gesichtszüge und seufzte innerlich.
Harry hatte so lange so verdammt hart dafür gekämpft zu leben - all das wollte er nun einfach so hinter sich lassen?
Remus schluckte und sprach seine erstbesten Gedanken aus, die ihm in den Sinn kamen. Er wusste noch nicht einmal, was genau er da eigentlich sagte, hoffte nur, dass seine Worte irgendwie den Jungen vor ihm erreichen würden.
„Man hat mir erzählt, du wolltest dir die Hand abtrennen, um am Ende nicht als Mörder da stehen zu müssen. Weißt du, dass ich so etwas ähnliches auch einmal probieren wollte? Als dein Dad, Sirius und Peter heraus fanden, was ich bin, hatte ich unsagbare Angst, dass sie mich verraten würden, dass ich die Schule verlassen würde müssen, dass man mich hassen, verfolgen, einsperren würde… . Ich sah nicht den Menschen in mir, sondern nur das Tier, konnte in keinen Spiegel mehr blicken, ohne dort spitze Zähne und Klauen zu sehen. Ich begann, mich immer mehr von den anderen abzuschotten, zog mich zurück, isolierte mich. Konnte niemandem mehr ins Gesicht blicken, sah keinen Sinn darin, auch nur einen Tag länger zu leben…“
Er hielt erneut inne, beobachtete Harry genau.
„Was ich nicht merkte in meiner Verzweiflung war, dass ich damit meine Freunde immer mehr von mir schob. Sie immer weiter abwies, obwohl sie ihr Bestes versuchten, mir zu helfen, mich aufzubauen und mir immer wieder versicherten, ich sei genau so ein Mensch, wie alle anderen hier im Schloss. Es hat gedauert, aber nach und nach konnte ich ihnen glauben.“
Harry blinzelte und bewegte die Lippen, nur mühsam konnte Remus die geflüsterten Laute verstehen.
„Was weißt du denn schon“, war alles, was Harry sagte, es klang bitter und traurig zugleich.
„Ich weiß“, sagte Remus mir ruhiger, aber fester Stimme, „dass du verdammte Angst vor diesem Kampf hast, Harry. Dass du dich lieber selbst in Stücke hacken würdest, als zum Mörder zu werden, dass dich diese Aufgabe, diesen Krieg zu führen, der Junge, der lebt zu sein, vollends überfordert hat, über all die Jahre und dass du nun unter dieser Verantwortung zusammen gebrochen bist. Das ist nur zu menschlich. Aber ich weiß auch, dass da draußen Menschen sind, die dich brauchen, Harry. Deine Freunde, die dich lieben und nicht minder Angst haben vor dem, was kommen mag, als du. Hermine, Ron - und auch Ginny.“ Erwartungsvoll sah er den Jungen an, Hermine hatte ihm von der Trennung geschrieben und wenn er Glück hatte, lag genau hier der Knackpunkt, an welchem er ansetzen konnte.
Harry kniff die Augen zusammen, er wollte diesen Namen nicht hören, wollte es nicht spüren, dass sie ihn verlassen hatte, ohne sie war er leer, ein Nichts… .
„Es tut weh, ich weiß“, meinte Remus leise. „Du liebst sie, das steht außer Frage. Und sie liebt dich, auch das bezweifelt niemand. Aber es ist nicht dieselbe Liebe. Sie wollte dir nicht weh tun, Harry.“
Harry schnaubte kraftlos. „Ach nein? Und wieso ist sie dann gegangen, einfach so?“
„Um dich zu schützen. Dich nicht zu verletzen mit falscher Liebe, die sie dir nicht vorspielen wollte. Sie wollte nur ehrlich sein, anstatt dich anzulügen. Ich weiß, dass sie immer für dich da sein wird, auch, wenn du es jetzt noch nicht wahr haben willst.“
Eine Stille entstand, ehe Harry erneut sprach, die Augen jedoch weiterhin an die weiß getünchte Decke gepinnt.
„Ich bin nur so… wütend. Hohl. Als hätte mich jemand aus meinem Leben gerissen und falsch wieder zusammen gesetzt, ohne sie funktioniere ich nicht. Ich kann das nicht.“
Remus bemühte sich, einen festen Blick zu wahren. Er kannte diese Gedanken selbst nur zu gut, damals, vor langer Zeit… nein, das war vorbei, er war verheiratet, würde bald Vater werden… .
„Niemand hat gesagt, dass es leicht ist, Harry. Du darfst, sollst wütend sein - aber bitte richte diese Wut nicht auf dich selbst. Zeige es denen da draußen, wie wütend und verletzt du bist, zeige des Voldemort, den Todessern, den Dementoren, aber foltere dich nicht selbst oder deine Freunde.“
„Es ist eh alles zu spät“, hauchte der Gryffindor nur und schloss erneut die Augen, er wollte, konnte einfach nicht mehr kämpfen, hatte keine Kraft mehr.
„Harry! Es ist nicht alles zu spät, hörst du? Wir können die da draußen besiegen, aber dafür brauchen wir dich. Wir alle. Wir sind so nah dran, Harry, so nah. Dann können wir endlich frei sein, auch du. Vor allem du.“
Angespannt saß Remus noch eine Weile vor dem Krankenbett, doch Harry rührte sich nicht mehr. Er sah nur verbraucht und kaputt aus, nichts zeugte mehr von dem minimalistischen Lebenshauch der letzten paar Minuten.
Stumm nahm Remus die blasse Hand in die seine und hielt sie einfach nur fest.
„Ich bin nicht James oder Sirius, erst recht nicht Ginny. Aber auch ich wünsche mir, dass du zurück kommst. Wer soll denn sonst Pate für unser Kind sein, wenn nicht du, Harry?“
Wenn er sich eine Reaktion erhofft hatte, so wartete der Werwolf vergebens. Er senkte den Kopf und erhob sich leise. Sah noch einmal traurig auf den schwachen Körper hinab, ehe er sich mit angespanntem Körper weg drehte und den Krankenflügel auf unsicheren Beinen verließ.
„James würde mich köpfen“, murmelte er und ließ sich ermattet auf eine der Steinbänke im Gang fallen. Wenn sein bester Freund wüsste, wie es heute um seinen Sohn stand… plötzlich kam ihm eine Idee.
Hoffnungsvoll machte er sich auf den Weg zum Büro der Schulleiterin, es musste einfach klappen, sonst waren sie wirklich verloren.
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